Kommentar zu den Reviews vom 6. Juli 2017

Exzellent gearbeitete Stücke. Ein Techno-Jazz-Rap-Black-Power-Statement von 1974. Russische Seele ist groß genug, sich für andere zu duellieren. Schmalz braucht das britische Kino. Vom Ehrgeiz zerfressene Lobbyistin kämpft in Amerika zufälligerweise für ein gutes Gesetz. In Dänemark soll ein russischer Killer Eheprobleme lösen. Würdevolle Süße erhält die Schlagerschnulze in Frankreich. Im perfekten Hollywood-Entertainment geht auch eine Ziege mit abgesägtem Horn als traumhaftes Einhorn durch. Und im nicht so perfekten deutschen Pubertätsentertainment tollt ein Vater mit Waschbären auf dem Hausdach herum. Außerdem gab es einen Veranstaltungshinweis auf ein Biopic über Atze Brauner.

SPACE IS THE PLACE
Von der Sprengkraft des Kinos gegen Rassenvorurteile.

DER DUELLIST
Schießen ist nicht schwer, aber das Töten ist eine Wissenschaft

IHRE BESTE STUNDE
Bericht über die Herstellung eines britischen Propagandafilmes im Zweiten Weltkrieg als Liebeserklärung ans Kino und ans Filmemachen.

DIE ERFINDUNG DER WAHRHEIT – MISS SLOANE
Ein Glanzrolle für Jessica Chastain: vom Ehrgeiz zerfressene Washington-Lobbyistin ist immer auf dem Quivive des Informationsvorsprunges und kämpft für schärfere Waffengesetze.

SMALL TOWN KILLERS
Viel Schwarzarbeit, kaum Sex in der Ehe, aber ständig an Frauen denken.

EIN CHANSON FÜR DICH
Ein Glanzrolle für Isabelle Huppert: aus der Fabrik dank der Liebe wieder ins Rampenlicht der Schlagersängerei der Show katapultiert.

ICH – EINFACH UNVERBESSERLICH 3
Im Entertainment zählen nicht Story und Handlung, im Entertainment zählen die Verkürzungen, Übertreibungen und Beschleunigungen der Alltagsmühle; diese werden an dünnem Storyfaden weggegrinst.

DAS PUBERTIER – DER FILM
So ein bisschen was um die eigene Erfahrung als Elternteil eines pubertierenden Kindes heruminszenieren.

Veranstaltungshinweis
MAARINA, MABUSE UND MORITURI
Die Geschichte der ältesten, noch aktiv produzierenden unabhängigen deutschen Filmschmiede in Familienbesitz.

Small Town Killers

Zu dem Film kann ich mich nur unter der Einschränkung äußern, dass ich ein paar Download-Problemchens hatte, wodurch ich nur etwa ein Drittel zu sehen bekommen habe.

Allerdings ist dieses Drittel stilistisch so konsequent gearbeitet, dass eine radikale Veränderung von Erzählweise und Figurenzeichnung kaum zu erwarten ist. Es besteht lediglich nicht die Gefahr, zu spoilern, wie es denn ausgeht mit dem übers Internet angeheuerten russischen Killer Igor (Marcin Dorocinski), den die beiden Protagonisten Ib (Nicolas Bro) und Edward (Ulrich Thomsen) ihren beiden Ehefrauen Gritt (Mia Lyhne) und Ingrid (Lene Maria Christensen) auf den Hals schicken wollen.

Das beweist aber auch, dass es Ole Bernodal (Drehbuch und Regie) nicht primär um einen Kriminalfall geht, den er erzählen möchte, sondern dass er vielmehr an einer individualbrödlerischen Menschenzeichnung interessiert ist mit einer starken Gewichtung des Zeichnerischen und reduziert Stilisierten in Absetzung zu dröger Realismushaftigkeit.

Im Rahmen dessen geht es um eine Behauptung zum ewigen Thema, dass Männer ständig an Sex denken, nie aber welchen haben würden, wenn sie denn verheiratet sind. Es geht um ewig unstillbares Begehren. Und dass die Frauen das ihnen vorwerfen. Frauen können nicht verstehen, dass Sex für Männer wie die Luft zum Atmen ist, mithin ein dritter Lungenflügel.

Die Frauen, die besuchen einen Salsa-Kurs in der Kirche. Die Männer reden verächtlich darüber, dass sie dort – so nennt es auch der Tanzlehrer – mit dem Arsch wackeln würden. Das erhöht nicht das Vertrauen unter den Ehepartnern.

Es ist eine grimmige und ganz klar vereinfachte Menschenzeichnung, die in ihrer Fokussiertheit fasziniert, wie sie dieses Thema herausarbeitet. Auf die Idee mit dem Killer kommen die beiden Männer, nachdem weder eine Paartherapie noch die Aussicht auf Scheidung sich als praktikabel zur Lösung der ehelichen Zerwürfnisse erweisen.

Der Scheidungsanwalt rechnet ihnen die Kosten vor (ein physischer Kraftakt ist die Ermittlung der Vermögenswerte der beiden mittels mechanischer Rechenmaschine – wie auch das Pinkeln in einer anderen Szene ein nicht minder aufwändiger physischer Akt ist). Die beiden sagen dem Anwalt auch frank und frei, dass sie zu ihm gegangen seien, weil sie im Internet recherchiert und herausgefunden hätten, dass er der billigste Anwalt sei. Auch das eine karikaturhafte Szene.

Ebenso recherchieren sie Igor. Wobei hier von Anfang an einiges schief läuft, denn wenn einmal erteilt, ist der Tötauftrag nicht mehr rückgängig zu machen und Igor gleich nach Russland zurückzuschicken geht auch nicht, er ist zu betrunken bei seiner Ankunft am Flughafen.

Im Hinblick auf eine Scheidung kommt für die zwei biederen Handwerker dazu, dass sie prall gefüllte schwarze Kassen haben – von denen die Frauen wissen, denn die sind nicht auf den Kopf gefallen. Die Szene mit der alten Frau Hansen (Elsebeth Steentoft) zeigt nordisch-lakonisch, wie gewieft die beiden Protagonisten das Mittel der Schwarzarbeit einsetzen.

Und die Männer juckt es gewaltig, dass sich die Frauen bei einem gemeinsamen Kneipengespräch über sie lustig machen.

Die Figuren sind in ihrer einfachen Denkart und der Art zu handeln nichts anderes als undeklarierte Zombies.

Die Kamera verstärkt mit ihrer gerne leicht untersichtigen Position, die bei Ausweitung des Raumes an Horroroptik erinnert, diese Sicht auf das Menschentum als zombie-comic-haft – die gewisse Selbstverständlichkeit der Verkommenheit in der Welt des Karikaturisten.

Das Pubertier

Leander Haußmann ist ein exzellenter Theatermann. Sein Künstlerdenken ist theatergeprägt von Kindsbeinen an. Jetzt hat er mit Jan Weiler einen Text geschrieben zum Thema Erziehung und zur Illustration seines am Anfang des Filmes zitierten Weisheitssatzes, dass man in der Erziehung alles falsch mache.

Die Ich-Erzähler-Figur ist ein Hannes Wenger (ein ganz und gar überzeugender Jan Josef Liefers). Er seucht gerade die Pubertät seines Töchterchens Carla (Harriet Herbig-Matten), die 14 geworden ist, durch.

Der dürftige Handlungsfaden, um die sich die Szenen sammeln mit ihm, seiner Frau (Heike Makatsch) und dem befreundeten Ehepaar Holger (Detlev Buck als Irak- und Afghanistanveteran und weiter einsatzfreudig) und Miriam (Monika Gruber, die in dieser theatralen Umgebung ganz gute Figur macht – wenn da die Sprache nicht wäre, die sich weder für Dialekt noch für professionellen Fernsehsprech entscheiden kann), die ebenfalls die Pubertät ihres Sohnes durchstehen müssen. Der dürre Plot dreht sich um die Geburtstagsparty von Carla, um den Opernbesuch, den Hannes mit seinem Töchterchen machen möchte, und um den Wunsch eines Amerikaaufenthaltes von Carla. Szenen, die bestimmt sind von den Pubertätseruptionen der Kinder.

Hannes Wenger ist Autor. Er hat ein Buch geschrieben, Das Sandkorn, das muss ein Erfolg sein, denn selbst ein Steward der Lufthansa, für die auch mächtig Werbung gemacht wird in diesem Film, erkennt ihn, ist ein Bewunderer des Buches und möchte ein Autogramm.

Ort der Szenen ist überwiegend ein Chalet in Icking im bayerischen Voralpenland. Das wird aber erst sehr spät im Film definiert. Wie die Exzesse im Chalet von Kinderparty und Dachkletterei des Protagonisten aus Belauschgründen die bayerische Landpolizei auf den Plan ruft, schaltet die Inszenierung kurzfristig in den Modus der Klamotte in der Nähe zum Bauerntheater, der Eindruck wird verstärkt durch die Besetzung mit Figuren aus der bayerischen Kabarettlandschaft, was andererseits wiederum den Eindruck der Theatralität der als solcher erstklassigen Inszenierung verstärkt.

Einem riskanten Vergleich setzt sich Elyas M. Barak aus, der in der Traumwelt des Töchterchens ein Traummann ist – und plötzlich sieht die Mutter ihn lebendig neben sich im Bett – interessante Übertragung im Pubertätsspiel. Durch den nahtlosen Schnitt zwischen Barak und Liefers fällt allerdings das sprachliche Gefälle zwischen den beiden deutlich auf, zulasten von Mädchenschwarm Barak.

Mein Problem mit diesem Film, der sympathisch und persönlich wirkt in Ansätzen, ist das Filmische. Es kommt mir vor, als inszeniere Haußmann für die Bühne, ohne sich in die Situation des Zuschauers im Kinosaal zu versetzen, wodurch sich die Performance der Texte als bühnen- aber nicht als filmreif empfiehlt, denn die wenig enthusisamierte Kamera und der zögerliche Schnitt scheinen schauen zu müssen, wo sie der Inszenierung nicht im Weg sind, sie wirken allein gelassen – hackelig.

Zum Nettigkeitsfaktor zählt, dass Haußmann, auch wenn für die Musik andere Namen stehen, für die Tonspur vermutlich seine Plattensammlung durchstöbert hat – pubertätsnostalgisch.

Solide Thaterarbeit mit themenbezogenen Gebrauchstexten, die das Bild eines Problemkataloges rund um das Coming-of-Age der Kinder und deren Wirkung auf die Eltern teils vermutlich anekdotisch, teils eher billig erfunden und ohne tiefere Analyse präsentiert / erinnert.

Space is the Place

Ein grellbunter Black-Power-Musik-Jazz-Rap-Techno-Film von 1974 (spielt im Chicago von 1943), in dem sich der experimentierfreudige schwarze Musiker Sun Ra (er steht mit Joshua Smith für das Drehbuch; Regie führte John Coney) die radikale Kunstfreiheit herausnimmt, sich sein eigenes philosophisch-künstlerisch-politisches Universum zu erschaffen, das sich weigert, sich mit dem Realitätsbild der Weißen zu beschäftigen, das rigorose Autonomie behauptet.

Su Ra erschafft sich als Pharao, Musiker, Mystiker, Schamane, Weltraumfahrer mit intergalaktischem Pomp in einem Weltraumgefährt wie es bestenfalls noch Luc Besson erfinden könnte.

Er landet auf der Welt und gibt ein Konzert in Oakland. Dafür würfelt er mit dem „Overseer“ (Raymond Johnson), einem ebenfalls Schwarzen, einem der auf Sunny-Boy mit Sonnenbrille, weißem Anzug, weißen Handschuhen, Zigarren macht – Black Exposure nicht ohne Selbstironie.

Die Bildwelt ist graffitihaft, intensiv und voller Lebensenergie, knallig, plakathaft; eine Freude die Farben auf der Leinwand aus den 70ern und das fast quadratische Bildformat; wie Bildtricks hier noch nicht so simpel auf Knopfdruck seelenlos am Computer als Überangebot die Leinwand fluten. Geballtes Leinwandkonzentrat.

Die Bildwelt aus diesem Film wirkt kräftiger, mit mehr Herz und Emotion, aber auch mit Farce und Witz als zehn heutige Hollywoodblockbuster zu je 250 Millionen Euro zusammen.

Es steckt ein Emanzipations- und Selbstbehauptungsneed sondergleichen dahinter, das sich einen Scheiß darum schert, sich mit den Erdlingen über deren absolut sich gebende Wirklichkeit zu unterhalten, und das den schwarzen Freiheitskampf furios improvisatorisch in grenzensprengender Bild- und Toncollage artikuliert.

Auf dem Weg zum Konzert gibt es Hindernisse; die Erdlinge funken mit ihren alten Verbrechermethoden dazwischen. Aber in so einer Musikwelt ist kein Platz für ein hoffnungsloses Ende.

Das intergalaktische Orchester „The Intergalactic Myth-Science Solar Arkestra“ wird sein Konzert durchführen, auf dem Weg dahin gibt es Bordellszenen (die Nasa-Menschen dort machen keine stramme Falle) – und die Musiker um Sun Ra werden mit ihrem Raumschiff Leine ziehen und wieder in ihre eigene Weltraumkolonie für Schwarze abdriften – kein Wind wird sie aufhalten. Und kein Leid wird mehr sein.

Ein mächtiges Statement gegen die Feststellung, dass die Schwarzen nur auf der untersten Stufe des Totempfahls Platz finden und mit schwarzem Humor lässt der Film die Nasa ein Programm erfinden, „schießt den Nigger auf den Mond“.

Was ist Sun Ras Energiequelle? Transmolekularisierung? Ra, der einflussreichste Musiker in dieser und 30 Millionen weiteren Galaxien.

Ich – Einfach unverbesserlich 3

Entertainment ist eine Publikumsmanipulierangelegenheit erster Güte.

Ein Schwein fällt vom Himmel auf einen Minon am Boden. Der Minon ist platt. Da gibt’s keine Zeit zum Nachdenken, da muss unverzüglich gelacht werden, weil sonst ist der Gag schon vorbei und der Minon schon wieder Minon wie gehabt. Und der Pfarrer predigt auch nicht zweimal.

Wobei sich gewisse Systematiken im Entertainment herauskristallisieren. Die amerikanische Show von Balthazar Bratt ist dadurch berühmt geworden, dass er von sich sagte, er sein ein bö-ö-öser Junge. Ein Lob des Bösen, satirisch gemeint und mit einem brutalen-Kern an Showwahrheit.

Heute jammert Bratt. Er ist nicht mehr erfolgreich. Er ist berühmt geworden durch den Kaugummi, den er aus seinen Schulterpolstern schießt. Dieser Bubble-Gum ist für manche Entertainment-Bubbles gut, kann im Extremfall ein Schiff in den Himmel heben oder beim Raub des wertvollsten Diamanten der Welt von Nutzen sein.

Im Entertainment darf, ja muss!, heillos überrissen, übertrieben, in sein Gegenteil verkehrt oder überhöht werden, solange ein Kern Wahrheit drin schlummert. Die Eigenschaften von Kaugummi werden bis ins Gigantische strapaziert und gedehnt, übernehmen die Qualitäten von manch anderen Materialien. Da dürfen dem Zuschauer die Augen rauskullern, hm, nun ja, mit Kaugummi könnte er sie sich ja wieder reinkleben, oh, das ist jetzt nicht im Film von Kyle Balda, Pierre Coffin und Eric Guillon nach dem Drehbuch von Ken Daurio + 2 drin.

Die Filmemacher beherrschen ihr Handwerk des Entertainments aus dem Effeff, sind hollywoodgeschult und -versiert bis in uralte Archive hinein. Sie schrecken nicht zurück vor Minons, die es vom Himmel regnet, vor Minons die einen originellen Ausbruch aus dem Gefängnis planen und aus dem Gefängnisinventar von Waschmaschinen bis Kloschüsseln ein flugtaugliches Luftschiff bauen. Alles ist möglich im Entertainment, solange ein Kern Traumwahrheit drin ist.

Das Problem des Doppelgängers. Gru, der Privatdetektiv, der mit seiner Frau Lucy, den Job verliert, erfährt just in dem Moment von einem Zwillingsbruder. Den sucht er auf. Der ist das Gegenteil von ihm: wirtschaftlich erfolgreich, wie dessen Palazzo-Prozzo zeigt. Die Zwillinge wollen Bratt den Diamanten stehlen.

Die Stories müssen einfach sein im Entertainment. Sie dienen lediglich als Skelett, um Handlung mit unglaublichen Schwierigkeiten schier unmöglich und Unmögliches möglich werden zu lassen, das Eindringen in den Wohnquader von Bratt, der auf einem am Fuße stachelbewehrten, hochhaushohen Spitz steht, und alles glatte Wände. Da sind gummige Fähigkeiten gefragt.

Die Illusion spielt eine wichtige Rolle im Entertainment, die Täuschung, der Rollentausch – und die Masse der Minons, die bei ihrer Flucht hinter einem Pizzaboten her (logisch, dass der einen Riesenberg vom Pizzen ausliefert), direkt auf die Bühne einer TV-Talenshow laufen und selbstverständlich eine ausgereifte Show hinlegen. Nichts vom Schweiß dahinter, vom Üben, Üben.

Entertainment heißt, Klippen spielend umschiffen, heißt aber auch, aus Dingen Klippen machen, die es gar nicht gibt. Entertainment heißt, den Zuschauer pausenlos beschäftigt halten mit einer ständigen Differenz zur ordinären Alltags- oder TV-Realität, heißt, Probleme einmal nicht mit Ächzen und Rationalität und Mühsal lösen, sondern mit Frechheit, Glück und mit einer tänzerisch-spielerischen Nonchalance, die fliegen macht.

Entertainment heißt auch, dass physische Dinge, wie Autos oder Kaugummi, Dinge tun können, die sie eigentlich gar nicht können. Oder heißt auch, sich über eine Ziege als Einhorn freuen, wenn ihr ein Horn abgesäbelt wurde, das ist pures Entertainment-Glück.

Die Erfindung der Wahrheit – Miss Sloane

Krasse Lobbyistin.

Miss Sloane ist Lobbyistin in Washington und eine der erfolgreichsten. Sie ist ein durch und durch durchtriebenes Luder, ihren Gegnern und Konkurrenten immer einen Schritt an Information voraus und sie will nur eines: Sieg. Sie ist besessen davon. Dies, ihr Lebensmotto führt in diesem Film zu einer grotesken Situation.

Miss Sloane verlässt ihre Firma, um bei der Konkurrenz Wyatt & Steel anzuheuern, um für ein Gesetz zu lobbyieren, das eine Erschwerung des Waffenerwerbes in den USA durchsetzen soll.

Begründung für das Gesetz sind die sich häufenden Amokläufe an Schulen mit vielen Toten.

Hierbei vermengen sich undurchdringlich Ethik und Ehrgeiz. Das macht die Sache knifflig. Miss Sloane benutzt nämlich genau die Methoden zur Durchsetzung ihres Zieles, die die verrufenen Politiker (our system is rotten), die deshalb als Ratten bezeichnet werden, zur Erreichung ihrer politischen Ziele anwenden: Korruption, Geschenke, Reisen, illegales Abhören, Einschleusen von Spionen, Erpressung und auch den gezielten Einsatz von Opfern (jeder ist eine Ressource) beispielsweise eines Amoklaufes an der Bloomington High School 98; Methoden die in diesem Film von John Madden (The Best Exotic Marigold Hotel und The Best Exotic Marigold Hotel 2) nach dem Buch von Jonathan Perera ausgiebig und lebensnah vorgestellt werden.

Am unglaublichsten wirkt eine echte, fernzusteuernde Kakerlake, die Ton- und Videoaufnahmen machen und senden kann und die ganz unauffällig in geschlossene Räume hineingesteuert werden kann. Und genau von so einer wird eine Szene eingefangen, die den Höhepunkt des Rahmen gebenden Senats-Hearings unter dem Vorsitz von Senator Sperling (John Lithgow) bilden wird; überraschend selbstverständlich, denn das ist das Prinzip von Miss Sloan, die Züge der Gegner vorauszusehen und dann den schlagenden Trumpf aus dem Ärmel zaubern.

Der eine Storyfaden ist der Weg des Ehrgeizes von Miss Sloan – Jessica Chastain spielt diese eindrücklich, undurchdringlich und gestresst. Das Gesetz mit allen Mitteln durchzubringen. Das ist die Geschichte, die als Rückblende in das Senatshearing eingeflochten wird.

Madden und Perera haben ein überdichtes Gemälde im Sinne filmischen Realismus‘ und Glaubwürdigkeit in irrem Tempo hergestelllt. Pausenlos wird geredet, alles muss ausdiskutiert werden. Mich bringt das an den Rand der Überforderung, um all die Interessengruppierungen und dann wieder das dazwischen geschnittene Hearing sortieren zu können, vor allem erschwert es mir den Zugang zur Hauptfigur, deren Ehrgeiz doch etwas eindimensional wirkt und der erst im Nachhinein aufgedröselt wird, und mit welchen Tricks sie arbeitet.

Der Film ist tendenziell eher in der Art heiß verkaufter News gebaut, denn in einer analytischen, analysierenden Erzählhaltung, die der Hauptfigur auf den Zahn fühlt. Das schafft nicht mal der Richter. So schau ich denn einer vom Ehrgeiz zerfressenen Frau zu, die zufälligerweise ethisch gut lobbyiiert, dies aber nicht ethisch motiviert betreibt.

Wobei der Film so immerhin das Thema Waffengesetzgebung in den USA ventiliert und die Begründung für und wider vorträgt. Aber es entsteht nicht ein ganz so fesselndes Portrait wie beim ebenso skrupellosen The Founder, bei dem jegliche Zweischneidigkeit in der Motivation entfällt.

Der Film gibt einen glaubwürdigen, erschreckenden und sicher ordentlich recherchierten Einblick in die Methoden professioneller Lobbyarbeit in Washington und wie die Lobbyisten massiv die Politiker angehen. Der Film stellt einen komplizierten, politischen Gesamtzusammenhang bildnerisch-szenisch plausibel dar.

Zitat zum Waffenbesitz: Gott erschuf die Menschen – Samuel Colt machte sie gleich (made them equal).

Ihr beste Stunde

Die Dänin Lone Scherfig ist eine internationale beachtete Kinofrau (Zwei an einem Tag). Kino ist ihr Metier und darüber reflektiert sie in diesem Film nach dem Drehbuch von Gaby Chiappe nach dem Roman von Lissa Evans mit genügend „Schmalz“; sie zeigt damit auch, dass sie das Kino mit all seiner Menschlichkeit und seinen Macken bei der Herstellung liebt und dass sie ans Kino glaubt.

Der Film spielt 1940 in einer katastrophalen Zeit, in der es ein Thema ist, den Menschen mit dem Kino Hoffnung zu geben, sie zu motivieren, ja, das Kino soll Veränderung bewirken, soll Authentizität und Optimismus ausstrahlen.

Ein Film im Kinomilieu. Die Hauptfigur ist Catrin Cole. Sie ist Texterin für Kriegspropagandaclips beim Filmministerium. Dieses möchte einen Spielfilm herstellen, der die Menschen anrührt. Catrin soll als Coautorin von Tom Buckley (Sam Claflin) für das „Schmalz“ im Film sorgen, für die Gefühle, die weibliche Note, damit die Zuschauer zu Tränen gerührt werden.

Der Film schildert wie retrodokumentarisch die Produktion des Filmes, von den vorbereitenden Gesprächen über die Struktur des Drehbuches bis hin zu den Besetzungen inklusive Dreinredens des amerikanischen Koproduzenten.

Als Onkelfigur und Sympathieträger ist der große Star Ambrose Hilliar (Bill Nighy spielt mit grotesk minimalistischem Divengehabe) besetzt; es braucht aber auch einen amerikanischen Darsteller. Der ist eine Flasche, kann sich keinen Text merken, ist aber so hübsch, dass das lesbische Script-Girl seufzt, wenn sie 30 Jahre jünger und anders gepolt wäre, da könnte sie sich noch verlieben.

Die beiden Autoren sind immer wieder an der Schreibmaschine zu sehen und in Gesprächen, schön romantisch eingeleuchtete Bilder, wie von viel Patina-Schmelz überzogen; sie sind dabei bei Dreharbeiten in Devon: Meer und Dünnen und Sonne, Verführbilder.

Das Drehbuch wird von Tag zu Tag fortgeschrieben, nachdem die Grundstruktur geklärt ist. Dem Zuschauer wird erklärt, dass eine Geschicht spannend sei, weil sie eine Struktur habe.

Scherfig suhlt sich ausgiebig in den Schilderungen in Detailtreue. Im Hintergrund spielt der Krieg und die private Liebesgeschichte von Catrin, die mit dem Maler Ellis Cole (Jack Huston) verheiratet ist, dessen Begriff von Treue ist nicht streng; wobei die Gefühlsschwingungen zwischen ihr und ihrem Ko-Autor nicht zu übersehen sind.

Die Geschichte dieses Films im Film handelt in starker Abwandlung einer wahren Begebenheit von zwei Schwestern, die mit dem Boot nach Dünkirchen gefahren sind, den Onkel retten. Ein Held hilft ihnen die verstopfte Schiffsschraube wieder flott zu bekommen; in Abwandlung zum Original, in dem der Motor streikte; aber ein amerikanischer Mechaniker als Held, das wär schwer zu vermitteln.

Wer noch nie erlebt hat, wie ein Film gedreht wird, der bekommt hier ausgiebig Hinter-den-Kulissen-Leben vermittelt mit dem Charme, dass es ja fast 80 Jahre her sei; immerhin hatte das Kino da schon den Ton und die Farbe. In der Stärke dieser Farbe erinnert er manche deutsche Propagandafilme, die in der Kriegsagonie noch gedreht wurden.

Ein Chanson für Dich – Souvenir

Durch Isabelle Huppert erhält dieser von Bavo Defurne auf der Schiene des Herz-Schmerz- und Phönix-aus-der-Asche-Schemas einfach und sauber kalkulierte und herausgearbeitete Kitsch Würde. Und er erfüllt älteren Damen ebenso und ganz undiskret den Traum von einem jugendlichen Liebhaber.

Die Musik über dem Abspann gibt zu verstehen, dass diese Veranstaltung, die mitten ins Gefühlszentrum des Publikums zielt, in der Nähe von Variété und Zirkus anzusiedeln ist, und das Wohlgefühl der Zuschauer im Sinne hat, eine Rom-Com eigener Création. Oder ein Märchen, ein anrührendes Märchen vor dem Hintergrund einer eindrücklichen Geschichte, die mit Künstlertum, Künstlerpech, Erfolg und Misserfolg zu tun hat.

Isabelle Huppert arbeitet in einer Fabrik. Cleanraum inklusive Plastikhäubchen. Sie dekoriert Fleischpackungen mit Lorbeerblättern und einigen Preiselbeeren (wage ich zu behaupten). Akkordarbeit. Immer dieselben Handgriffe. Punkt 17 Uhr schrillen die Fabriksirenen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen lassen alles stehen und sind schon aus dem Raum. Isabelle Huppert braucht etwas länger. Deshalb verpasst sie beinah den Bus.

Sie wohnt in einer sterilen, leicht mondän eingerichteten Wohnung. Zuhause nimmt sie Tabletten und harte Drinks zu sicht, raucht und schaut versonnen Fernsehen.

Jean (Kévin Azais) ist ein junger Boxer mit sinnlich-wehmütig-hungrig großen Augen. Er fängt bei Porluxe, so heißt die Firma, als Aushilfe an. Er nimmt die Huppert, die hier Liliane heißt, sofort wahr. Er behandelt sie, als habe sie Ähnlichkeit mit einer Schlagersängerin, die längst von der Bildfläche verschwunden ist, die aber einmal beinah den Grand Prix d’Eurovision gewonnen hätte und die mit ABBA und Cliff Richards aufgetreten ist. Die hieß Laura.

Bald findet Jean raus, dass Liliane Laura ist. Jean lebt noch bei seinen Eltern. Er wird zum Katalysator, der Laura wieder auf die Bühne bringen will. Zwischen beiden entwickelt sich ein Liebesverhältnis. Aber der Weg nach oben ist im kaputten Showgeschäft mit Dingen verbunden, die diese Liebe auf eine harte Probe stellen.

Defurne hat die Geschichte unter Auslassung alles Unwesentlichen konsequent und strikt und auch vereinfachend auf das Ziel des Wiedereinstieges ins Rampenlicht von Laura hin gearbeitet, mit allen Rückschlägen. Aber dann wird die Huppert ein Chanson hinlegen zum Niederknien, begleitet von den Gesten der Sänger, die hier subtil an die Grenze der Parodie gehen. Sie bringt sie mit traumversonnener Grazie und Eleganz.

Der Duellist

Fremd und an die Seele.

Wie aus Formalin gezogen wirken deutsche Übersetzung und die deutschen Stimmen dazu.

Sätze:
Hinfort, räudiger Hund.
Ich frage Sie, welche Hure Sie ausgeschieden hat.
Mir schlägt niemand etwas aus.
Sie sind ein Mörder, ich werde nicht Ihren Wachhund spielen.
Schießen ist nicht schwer, aber das Töten ist eine Wissenschaft.
Sehr gut, Sie verkaufen Blut, ich kaufe es.
Kugeln werden ihn nicht aufhalten.
Dann schneiden Sie ihn in Stücke und zünden ihn an.
Du hast bei den Aleuten gelebt, die Aleuten kennen keine Gnade, bringe es mir bei.
Du bist ein Sklave und ich liebe dich nicht.

Ein russischer Held.
Er ist ein erstklassiger Schütze (Beispiel, die Übung mit der Abprallwand, bei der die Kugel auf den Schützen zurückfliegt). Er ist ein Held mit Finsterblick. Er ist ein Mörder, ein Manipulator. Er überlebt den Spießrutenlauf und die Aleuten, die operative Entfernung einer Kugel, die die Arterie direkt beim Herz verschweißt, er ist ein Sklave und nicht satisfaktionsfähig, aber er gewinnt jedes Duell, denn er ist ein Duellist und bestreitet Duelle für andere, für reiche Schwächlinge, Feiglinge und schlechte Schützen und gegen Geld. Er hat einen Agenten, der ihm die Jobs verschafft.

Er, das ist Jakovlev (Pyotr Fyodorov), ein männlicher Typ, muskulös, mit dieser Hingabe von Männern, die ihr männliches Selbstbewusstsein wie eine Monstranz vor sich hertragen, die beim Rasieren mit jedem Ansetzen des Rasiermessers an Blut denken, die prima Werbung machen könnten für maskuline Aftershaves und Duschgel. Er zeigt eine Hingabe an die Präsentation von Männlichkeit wie die russische Seele hier an die Kinematographie: ganz.

Er bewegt sich in Kutschen, in St. Petersburg, das wie ein düsteres Venedig wirkt mit seinen Kanälen. Er bewegt sich im Regen vor hellem Himmel, in Waffengeschäften, in herrschaftlichen Sälen, in fürstlich-steif-zeremoniellem Milieu oder gar in einer lichtdurchfluteten glaswandigen Pathologie, einer Rarität ihrer Art.

Er ist stark wie identitätslos und schwer fassbar. Er ist Jakovlev und ist nicht Jakovlev. Und er liebt Martha Tuchkova (Yullya Kolokolnikov) in einer Kutsche in darstellerisch einmalig arrangierter Art. Er lässt sich nicht erpressen, erpresst aber selbst schamlos. Er verteidigt ehrlos den Ehrbegriff.

Der Film spielt 1860 in St. Petersburg und wirkt als statisch verdichtete, russische Filmkunst von Aleksey Mizgirev, exakt im Lot und unter Auslassung jeglicher Zufälligkeit und musikalisch groß gemacht von großem Orchester und trotzdem ohne Angst vorm Gebrauch der Steadycam, ohne diese jedoch rauszustellen. Und mit einem eigens orchestrierten Abspann als musikalischem Epilog.