Kommentar zu den Reviews vom 22. Juni 2017

Isolierte Menschen. In Amerika in der Isolation des Autismus. In Frankreich in der Isolation des Alters. In Massachusettes in der Isolation durch seltene Krankheit. In Syrien in der Isolation durch den Krieg. In Berlin in der Isolation des eigenen Sexbegehrens. Isolation des Zuschauers im Dauerlärm der neuen Transformers. Im Internet sammelt eine Website wahre Geschichten. Und als Nachzüglerreview zur letzten Woche taucht ein Frosch – ein Lehrer! – auf.

Kino
LIFE ANIMATED
Wie Trickfilme zu einem Mittel gegen die autistische Isolation eines Menschen werden können.

MONSIEUR PIERRE GEHT ONLINE
Wie ein Dating Portal und Cyrano de Bergerac einem alten Eigensinnler die Fenster zur Welt öffnen.

DU NEBEN MIR – EVERYTHING, EVERYTHING
Isolation bleibt Isolation, auch in der feinsten Design-Villa.

INNEN LEBEN
Verbannt in die eigenen Wohnung in Nahost.

FIKKEFUCHS
Das ausufernde Männerthema nicht aus der Isolation befreit.

TRANSFORMERS – THE LAST KNIGHT
Rettet den Planeten vor solchen Filmen!

Videokunst
TRUE STORIES COM
Menschen, die unsere Gesellschaft mitgestalten, stellen sich vor die Kamera und sollen eine Geschichte erzählen.

Nachzüglerreview
HILFE, UNSER LEHRER IST EIN FROSCH
Stell dir vor, dein Lehrer ist ein Frosch und dein neuer Schuldirektor heißt Storch…

Transformers: The Last Knight

Rettet den Planeten.

Rettet den Planeten vor solchen Filmen! Denn diese Planetenrettung samt dem ellenlangen Vorspiel dazu, die ist vor allem eines: laut, Krach, Bumm, Dröhn.

Die Schauspieler schreien, sie wirken isoliert in all dem Computeranimations-Kram, eine Dialogregie scheint nicht stattgefunden zu haben. Wenn einer nuanciert, dann ist es Anthony Hopkins als Sir Edmund Burton, einfach, weil er es kann. Er bringt denn auch den einzigen Moment zustande, bei dem sich meine Ohren spitzten, bei einem Gespräch mit Mark Wahlberg, der seine Rolle des Cade Yaeger ausgelaugt anlegt – gut, die vorgebliche Rettung des Planeten muss nicht zwingend erbaulich sein.

Die Rettung des Planeten und seine Vorgeschichte, die fängt vor 1600 Jahren an mit mittelalterlichem Schlachtengetümmel in England. Merlin (Stanley Tucci) erfleht von einem, es muss ein Transformer im gestrandeten Weltraumschiff sein, Hilfe und erhält das Schwert mit dem Talisman.

Aber schon bei dieser Schlacht, aus der hin und wieder schöne englische Laute zu hören sind, kristallisiert sich Michael Bays jetzige Regie (nach dem Drehbuch von Art Marcum, Matt Holloway + 5) heraus: Schlachtengetümmel, Explosionen, Dinge, die durch die Luft fliegen, Hit and Gerenne und zwischendrin abrupt schlecht inszenierte Dialogstellen, die picken sich die Sprecher in statischer Großaufnahme raus.

Was nicht bedeutet, dass die Kamera dabei ruhig bliebe, sie versucht mit Fahrten über die Bewegungslosigkeit, Reglosigkeit dieser auch inhaltlich wenig ergiebigen Dialogszenen (so weit mir verständlich in der Orivinalversion) hinwegzutäuschen.

Dieses Prinzip des Wechsels zwischen immer gleich schwachen Dialogszenen und immer ähnlichen Actionszenen mit den Explosionen, den Dingen und Menschen, die durch die Luft fliegen, dem Gerenne, den Transformers, die sich verwandeln von Schrott-Monstern zu Rennautos und zurück, dazu noch U-Boot- und Unterwassersetting und britisches Castle-Ambiente, das ermüdet schnell, lässt es schwer erscheinen, aus dieser lauten, knalligen Aneinanderreihung von Bilderhaufen einen referierbaren Storyfaden zu erkennen.

Das war bei Trasnformers – Äre des Untergangs merklich subtiler und klarer. Jetzt dominiert das Gerenne und das Geballere; ob das der Autoren, des Regisseurs oder des Studiomanager Ideen sind, wer weiß das schon.

Bei so viel Lärm und Action müssen Sympathie-Elemente eingebaut werden, Kinder in Gefahr und diese kleinen, schnuckeligen, feuerspeienden Drachenroboter, mei wie süß, oder der kleine Roboter-Freund von Cade.

Am Schluss geht es darum, die Contessa zu erledigen, das ist wie im Märchen die Hexe.

Dann endlich, nach weit über zwei in die Länge gewalzten Stunden Dauermalträtierung der Sinne darf die Droh- und Donnermusik einem lieblicheren, friedlicheren Sound weichen, schnell noch ein Küsschen zwischen Cade und der jungen Frau und aus ist der Graus.

Spielorte sind über die ganze Welt verstreut, Spekulation auf Absatzförderung des Produktes.

Relikt aus der Westernpoesie, ein luftiger Strohball, an dem ersichtlich wird, ob ein Wind weht.

Prinzip: den Zuschauer zudonnern, damit ihm Hören und Sehen vergeht, sein Ich aus ihm rausprügeln, seinen Alltag, seinen Kummer – ihm klar machen, dass es Schlimmeres gibt.

Nach einer Stunde Gerenne und Durchdieluftgefliege der entscheidende Satz: you have been chosen (Held guckt mit großen Augen; in welchem Film bin ich gerade?).

Es gibt einen zweiten Poesie-Moment: der Kult-Citroen, der durch London kurvt.

Zur Entschuldigung der Filmemacher sei angeführt: bei der Herstellung des Filmes konnten sie noch nicht ahnen, wie wirkungsvoll Containerschiffe gegen Kriegsschiffe eingesetzt werden können – das wäre mal was Neues. Attack – Rettet die Welt vor Hollywood!

Fikkefuchs

Griechenland bringt den Teutonen die Erlösug, Sonne, Meer, Wein, Sirtaki – und das mit den Frauen kriegen der Stecher und der Fikkefuchs auch noch irgendwie hin.

Das sind Oberstecher Rocky (Jan Henrik Stahlberg, der auch die Regie führt und mit Wolfram Fleischhauer das Drehbuch geschrieben hat), der seinen 50. Geburtstag begeht und sein Sohn Thorben (Franz Rogowski), der allerdings vorher noch ein paar Befreiungslektionen der althergebrachten Art bei Nutten im Auto benötigt (angestrengtes Körperteilverschlaufspiel).

Bis Griechenland, das ist der Schluss dieses Themenfilms, der in Berlin spielt, kämpfen beide Mannen vor allem theoretisch mit dem Thema Ficken und Anbandeln, als ob der Mensch und im Speziellen der Mann, nur aus diesen beiden Dingen bestünde.

Theoretisch im Sinne angewandter, also gerne vorgelesener, auch voice-over, möchtegernmännerweisheitsphilosophischer Literatur. Das ist im Prinzip nicht unsympathisch. Ersetzt aber keinen Handlungsfaden. Der anfängliche, dass Thorben seinen ihm unbekannten Vater aufsucht, der ein Renomme als Frauenheld hat, der ist bald vollendet, sobald die Beiden zusammenspannen.

Diese theoretischen Texte, die werden den Figuren in den Mund gelegt oder auf der Tonspur vorgetragen zu allerlei Alltagsbildern aus Berlin, aus der Wohnung des Vaters, Bars und Discos, Straßen und Supermarkt.

Thorsten betreibt einen Internetvideokanal genannt „Sword-Fish“ mit eingängiger Cartoon-Symbolik zwischen Schwertfisch und Frau.

Später besuchen die beiden einen Emanzipationskurs für Männer bei Wilson (Susanne Bredehöft).

Die ernsthaft gedachten Texte gehen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Weil Stahlberg als der hauptverantwortliche Filmemacher sich zu sehr auf sein enges Thema fokussiert und alles diesem unterordnet (ein Gang durch Berlin sieht nur Sexsymbole) und ganz vergisst, ein Handlungsgerüst, das den Zuschauer, der jetzt vom Thema trotz seiner ausufernden Allgemeingültigkeit nicht ganz so angefixt ist wie er selber, bei der Stange halten würde.

Trotzdem passiert Anrührendes, wenn nach durchzechter Nacht der Vater den Kot und den Urin nicht mehr halten kann und der Sohn versucht, ihn im Bad und über der Badewanne erst auszuziehen und dann sauber zu machen.

Dabei sind die Filmemacher, die thematisch so mutig tun, allzu ängstlich darin, was sie nun zeigen wollen, wie radikal sie vorgehen wollen, wie viel Nacktheit sie zulassen. Nur keine Schwänze zeigen bei einem Film, der das zum Thema hat.

Anrührend ist auch, wenn Thorben am Bett des Vaters sitzt, besorgt schaut, seinen teilnackten Rücken mit kleinem Hautauswuchs sieht. Da wird die Beziehung fleischlich und ganz unsexy.

Eine schöne Szene ist auch in der U-Bahn gelungen mit einem langhaarigen Jungen, der ungeniert übers Internet mit anderen Jungs anbandelt und Thorben und dessen Vater vor den Köpf stößt mit der Behauptung, es aus purer Lust zu tun. Jetzt vertritt der Vater plötzlich die konservative These dagegen, spielt sich als Beziehungstyp auf.

Drehbuch und Figurenstudium lottern an allen Ecken und Enden. Es scheint, als ob die Leute unbedingt drehen wollten, dringlich drehen wollten, lange bevor sie ein ausgereiftes Konzept zur Präsentation ihres eben doch schwierigen und gleichzeitig nicht abendfüllenden Themas gefunden haben. Insofern eine unausgereifte Angelegenheit, die letztlich niemanden befriedigen wird. Vom Typ her sind die beiden Protagonisten so ziemlich das Gegenteil von Sexfreaks, das wiederum ist durchaus sympathisch. Trotzdem würde ich einen realen Griechenlandtrip diesem Film vorziehen.

Innen Leben

Der Originaltitel dieses Filmes aus Belgien von Philippe van Leeuw lautet InSyriated, was frei übersetzt in Syrien gefangen heißen könnte.

Der Film spielt in einer gutbürgerlichen Wohnung in einer syrischen Stadt. Drum herum tobt der Guerillakrieg. Scharfschützen, Autobomben.

Aussagekräftige Details aus der Wohnung mit der gehobenen Einrichtung: die Tür ist stabil verrammelt, es braucht zwei Menschen, um die Verriegelung von Innen zu öffnen, Trinkwasser ab Leitung funktioniert nicht, man behilft sich mit Plastikeimern, alle Vorhänge sind geschlossen, ob Tag ob Nacht, Strom gibt es gerade auch keinen; Essensvorräte scheinen noch vorhanden zu sein.

Einige Menschen haben sich hierher zurückgezogen. Madame Oum Yazan (Hiam Abbass) ist die Herrin des Hauses, Delhani (Juliette Naivs) die Hausangestellte. Halima (Diamand Bou Abboud) ist eine junge Frau, die hier mit ihrem Säugling Unterschlupf gefunden hat und in den Libanon fliehen möchte. Das bespricht sie eingangs mit ihrem Mann Samir (Moustapha Al Kar). Kurz darauf, wie er das Haus verlässt, wird er von Scharfschützen im Hof erschossen. Das schafft zwei zusätzliche Probleme in der beängstigend angespannten Situation: es seiner Frau sagen und ist er es überhaupt und kann er allenfalls geborgen werden.

In der Wohnung halten sich halbwüchsige Kinder der Madame auf, ein Opa und ein ganz kleiner Bengel, der den Opa auch mal in den Hintern zwickt.

Die Absicht des Filmes scheint klar: möglichst authentisch eine Situation aus diesem Krisengebiet schildern, um Empathie, Mitgefühl zu wecken. Und just mit dieser Absicht scheint es mir Philippe van Leeuw zu übertreiben; er scheint die Darsteller zu einem Spiel der Betroffenheit angehalten zu haben; nimmt somit den Effekt, der auf den Zuschauer gehen soll, vorweg, womit der Film auf verlorenem Terrain kämpft.

Das ist insofern schade, als es dem Verkaufserfolg des Filmes schaden dürfte. Dabei wäre es wichtig, dass wir Einblicke, Informationen aus dieser Weltgegend erhalten, die über die tägliche sensationsheischende Kriegsberichterstattung hinausgehen. Umso mehr als mit zunehemder Länge des Konfliktes eine Abstumpfung in der Perzeption der News eintritt.

Als deutschen Titel schlage ich vor: Mondo Syriano.

Du neben mir – Everything, Everything

Wie in einem Luxushotel oder in einer Luxusklinik wird der Zuschauer von Stella Meghie (Regie) behandelt, die ein Drehbuch von J. Mills Doodloe nach dem Roman von Nicola Yoon verfilmt.

Der Zuschauer soll schonendst behandelt werden, von einer Glücksmusik in allen Varianten fast wie betäubt, damit ihm die eigentlich grauenhafte Geschichte wie verzaubert erscheint.

Es ist die Geschichte von Maddy Whittler (Amandla Stenberg), die eine ganz seltene Krankheit hat: Severe Combined Immunodeficiency. Sie muss in einem Sterilraum leben, darf keinen Kontakt zur Außenwelt haben, sie könnte sonst sofort sterben.

Wobei es sich in ihrem Immunraum gut leben lässt, denn ihre Mutter muss vermögend sein – Vater und Bruder sind bei einem Verkehrsunfall gestorben. Eine Villa in Designausstattung vom Feinsten.

Maddy ist 18 und hat dieses Haus seit 17 Jahren nicht verlassen. Sie hat über Internet eine Beziehung zur Außenwelt, hat Architektur studiert, ihr Modell eines öffentlichen Gebäudes belebt sie mit Astronautenfigürchen (Fantasien darin wird der Film real zeigen).

Um sie kümmert sich zuallerst ihre Mutter und eine Betreuerin, die ihr zur Freundin wird. Es ist ein ruhiges, abgeschirmtes Leben in Massachusettes in einer ruhigen Villengegend. Von Routine ist die Rede, aber Maddy kennt nichts anderes.

Da zieht eine Familie ins Nachbarhaus mit dem etwa gleichaltrigen Olly (Nick Robinson). Ein Gugelhupf schafft den Erstkontakt. Über die Fenster entdecken sich die beiden.

Stella Meghie erzählt nun ganz einfach, ganz klar und Schritt für Schritt wie die Annäherung der beiden über Handzeichen, Austausch von Telefonnummern und Chat (der auch mal als Phantasie-Real-Begegnung verfilmt wird) stattfindet und schließlich zum Ausbruchsversuch von Maddy führt, den man mit Bangen mitverfolgt, denn bis dahin ist die Situation ihrer Gefangenschaft und ihrer Gefährdung so etabliert, dass man sich direkt mitverantwortlich fühlt für sie.

Der Film überträgt bannend dieses Gefühl von Isolation; und bringt das spannend in die sich abzeichnende Liebesbeziehung zwischen Maddy und Olly ein. Glas zwischen zwei Liebenden erhöht die Anziehung. Es sind hübsche, makellose Darsteller, die für diese und die sie unterstützenden Rollen gecastet wurden; auch sie vermitteln ein Gefühl gehobener Geborgenheit wie in einer Gastronomie oder Klinik auch durch den ruhigen Ton, in dem die Gespräche geführt werden.

Und wenn es einmal laut wird, wenn Olly eine Auseinandersetzung mit seinem trinksüchtigen Vater hat, so ist die nur aus der Perspektiv von Maddy hinter Glas und aus dem ersten Stock mitzuverfolgen. Nichts soll die Idylle des Überlebens, die die Mutter ihr eingerichtet hat, trüben. Das wird zudem mit viel Glückskullermusik und Glücksbeeilungsmusik suggeriert.

Aber klar, das ist nur die Ausgangslage für diese wunderbar RomCom mit der speziellen Würde der Faszination durch das Eingeschlossensein. Es ist nicht alles so, wie es offensichtlich zu sein scheint. Der Ausbruch lockt. Die Liebe wird zu hochriskanten Abenteuern und zu erschütternden Erkenntnissen führen.

Monsieur Pierre geht online

Eine Liebeserklärung an die Liebe, ans Alter, an die Schauspieler.

Das Prinzip ist in letzter Zeit mehrfach in französischen Filmen vorgekommen: ein Alter zieht sich vereinsamt in seine geräumige Pariser Wohnung zurück, lässt kein Licht mehr rein. Die Umwelt und die Verwandten können es nicht mitansehen und wollen ein wenig nachhelfen im Aufbrechen der Isolation.

Das waren Frühstück bei Monsieur Henri und Gemeinsam wohnt man besser. Jetzt legt Stéphane Robelin (Und wenn wir alle zusammenziehen) subtil und hintergründig nach.

Der Alte, das ist Pierre Richard, der zur formidabler Altersschauspielerei erblüht, ganz ernst, aber mit Humor und Hintersinnigkeit. Er spielt einen Sinologen, einen gebildeten Menschen dessen Wohnung exquisit, aber nicht laut eingerichtet ist, vornehme Dezenz.

Seine Tochter Sylvie (Stéphane Bissot) schenkt ihm einen Laptop, mit dem er nicht umgehen kann und der ihm ein Tor zu Welt werden soll. Vielleicht nicht ganz so, wie die fürsorgliche Tochter es gedacht hat. Denn deren Tochter Juliette (Stéphanie Crayencour) schickt dem Opa ihren Zufallsfreund Alex (Yannis Lespert) als Computerlehrer auf die Bude.

Schnell entdeckt Pierre die Dating-Portale. Bei Flora (Fanny Valette) bleibt er hängen. Als Bild setzt er das von Alex ein. Sie mag seine Texte, seine Lebenserfahrung, seine Kultiviertheit. Alex selbst hat Autorenambitionen. Einige Müsterchen liest er vor: es sind simple Horrorteilchen, bei denen es um die Verstümmelung von Frauen geht, fürs Geldverdienen als Literat wenig hilfreich.

Das nutzt Pierre nun aus. Er will Flora kennenlernen; Alex soll zum Blind Date erscheinen und er wird fürstlich entlohnt dafür. Somit ist die Ausgangslage für pikante Situationen gegeben, denn Alex ist kein Sinologe und hat auch den Mailwechsel zwischen den beiden nicht präsent. Aber er selbst verliebt sich im Augenblick, obwohl er zur Zeit mit Juliette zugange ist.

Beim ersten Date schleicht Pierre noch um das Pärchen herum, beobachtet mit Argusaugen. Andererseits ist die Situation auch eine ziemliche Sackgasse. Wie da herausfinden, da hat sich Stéphane Robelin noch dies und das an Twists ausgedacht, um uns noch eine Weile mit diesen gut aussehenden und prima spielenden Akteuren zu unterhalten.

Die Handlung hat er in einen angenehm unterhaltenden Klangteppich gehüllt.

Die Figurenkonstellation ist unkonventionell, das Ensemble mehr als nur handverlesen, der ernst spielende Richard, der junge Mann Alex, der ein spannender Typ ist mit dem Flair von Verzweiflung und Nur-Nicht-Anbiedern in seinen Augen und die wunderhübsche Flora, die in Konkurrenz zur nicht weniger leinwandattraktiven Juliette steht.

Das Motiv selbst sieht sich in der Tradition der Literaturfigur Cyrano de Bergerac. Es geht darum, anderen falsche Tatsachen vorzuspielen im Hinblick auf die Liebe und die Fallstricke, die sich daraus ergeben. Zum unwiderstehlichen Charme dieser Komödie tragen auch gelegentlich eingeblendete Super-8-Filmausschnitte bei.

Life, Animated

Ein Leben wie ein Zeichentrickfilm.

Diesen klugen, verführerisch schönen Film von Roger Ross Williams, der mit David Teague auch das Drehbuch geschrieben hat nach dem Tatsachenbuch von Ron Suskind, dem Vaters des Protagonisten, mag ich gar nicht unter der Kategorie Dokumentarfilm subsumieren, viel zu schön, ohne Auslassung des Traurigen, mutet diese Geschichte an.

Es ist die Geschichte von Owen Suskind, dem 2. Sohn von Ron und Cornelia Suskind. Ron, der Vater, ist Journalist beim Wall Street Journal. Die Familie wohnt an der Ostküste Amerikas in Massachusettes, teils auch auf dem feinen Cape Cod. Upper Middle Class, gebildet und wach im Umgang mit den Dingen, die sie beschäftigen.

Owen kommt als munteres, zweites Kind einige Jahre nach seinem älteren Bruder Walter zur Welt. Alles normal. Es gibt Home-Movies bis Owen drei Jahre alt ist, da ist zu sehen, dass er reagiert wie jedes andere Kind auch, er spielt mit dem Vater Kampfszenen aus Peter Pan.

Plöztlich im Alter von 3 Jahren findet innert weniger Tagen eine dramatische Rückentwicklung statt. Er verliert sein Sprachvermögen, ein Jahr lang spricht er gar nicht mehr, dann brabbelt er wenigstens. Autismus, ein Schock für die Eltern. Owen schaut jedoch weiter liebend gerne Disney-Trickfilme, die Klassiker.

Allerdings wird im Film nicht die Frage nach dem Grund für diesen plötzlich einsetzenden Autismus gestellt. Im Zusammenhang mit dem Film Vaxxed wäre es interessant, nachzufragen, ob eventuell kurz vor Ausbruch eine Impfung stattgefunden hat. Immerhin scheint die Anlage zum Autismus insofern dagewesen zu sein, als er immer schon auf Sinneseindrücke, wenn eine Überflutung drohte, nervös reagiert habe.

Den wunderbaren Weg aus dem Autismusgefängnis hinaus über das Anschauen von Disney-Filmen und dann Kommunikation mit den Eltern über Dialogtexte, die er alle in- und auswendig beherrscht, das schildert dieser Film in einer Mischung aus Ausschnitten von großartigen Disney-Klassikern (Dschungelbuch, König der Löwen, Schöne und das Biest, Aladin, Bambi, Quasimodo) – diese werden für Owen das Tor zur Welt -, aus animierten Zeichnungen nach der Geschichte Fuzzbutch, die Owen nach dem Mobbingerlebnis an einer Schule in Wochen des Verkriechens in einen Keller gezeichnet hat, am Tiefpunkt seines Heranwachsens, eine Sidekickstory, denn als einen solchen sieht er sich selbst im Gegensatz zu den bewunderten Helden; dazu gesellt sich Archiv-Footage der Familie und aus Material der letzten zwei Jahre vorm Highsschool-Abschluss bis zur Selbständigkeit in einem betreuten Wohnprojekt und dem Job eines Kartenabreissers in einem Multiplex-Kino.

Betreuung wird er sein ganze Leben lang brauchen. Manche Dinge sind zu riskant. Das Überqueren der Straße ist schwierig mit seiner gebeugten Kopfhaltung und den ständigen Selbstgesprächen, die Dialoge aus den Filmen wiedergeben.

Eine Freundin hat er zeitweilig gehabt, ebenfalls Autistin, sie hat ihm aber einen Korb gegeben. Wobei die Liebe ein Sonderproblem deutlich macht, da seine Welt die Disneywelt ist, in der es schon mal einen Kuss zwischen zwei Figuren gibt, Sex aber existiert dort nicht. Wie ihm dazu zu verhelfen sei, da weiß sein älterer Bruder und prima Kumpel auch keinen Rat.

Ein Höhepunkt dieser Geschichte ist der Auftritt von Owen bei einem internationalen Kongress über Autismus in Rennes, Frankreich, auf welchem er eine selbstgeschriebene Rede hält.

In der Schule hat er einen Disney-Fanclub gegründet, der großen Anklang gefunden hat. Owens Charme ist umwerfend, diese künstlerische Begegnung mit ihm über 90 Minuten ein einzigartiges Erlebnis. Das Kino zeigt sich hier in einer ganz neuen Funktion: als Stabilisator für die Welt eines Menschen wie Owen, eines Menschen, der mit Veränderung Mühe hat, der eine geregelte, verlässliche Welt braucht, wie ein Kinofilm, der sich beim Abspielen immer gleich bleibt. Der Film schwebt auf anschmiegsamer, erschütterungsresistenter Luftkissenmusik.