Plan B: Scheiß auf Plan A

PLOF!

Solchene handgeschriebenen und in die Szene eingesetzen Wörter dienen wie in einem Comicheft der Betonung des Knalligen in diesem Film von Ufuk Genc und Michael Popescu nach dem Drehbuch von Rafale Alberto Garciolo.

Es geht um Scheinkämpferei, präziser um Filmkämpferei, die mit dem Fachausdruck „Stunt“ eingegrenzt wird.

Die Hauptfiguren sind eine Gruppe junger Stuntmänner mit Migrationshintergrund in Berlin: Can (Can Yadin), Cha (Cha-lee Yoori), Phong (Phong Giang) und U-Gin (Eugene Boateng). Sie absolvieren Castings in der Hoffnung, an bezahlte Jobs zu kommen.

Mit so einem Casting-Kampf gegen eine Übermacht maskierter Angreifer fängt der Film an, der das Augenfällige auf Kosten des Spannenden offenbar zu seinem Prinzip erhebt. Der Zuschauer hängt erst mal in der Luft, weiß nicht, in welchem Film er sicht befindet, er wird mitten in die unrealistischen Kämpfe hineingeworfen.

Die Truppe bekommt den Gig nicht, das ist das erste Geheimnis, das der Film lüftet. Aber er behält das Geheimnis, dass diese vier die Protagonisten sein werden, erst mal für sich. Und beginnt damit einen katastrophalen Fehler, er verpasst die Chance, dem Zuschauer die Möglichkeit zu geben, Empathie für die vier lustigen Jungs zu entwickeln und somit Interesse für den Film.

Die Haltung der Darsteller und Macher ist zwar eine maschenhaft selbstironische, versucht auch, sich der Slang-Realität im Stunt- und Fightmilieu anzunähern, was dem Begriff Scheiße Konjunktur beschert.

Die Story, die folgt, ist ausgelutschtestes Klischee, könnte aber genüsslich konsumiert werden, falls eben die Empathie bei den vier kleinen Loosern wäre (zuhause müssen sie den Müll in den Keller tragen und der Manager, der zum Kampf nichts taugt, ist ein schwacher Rechner).

Sie geraten durch die mathemathische Schwäche ihre Managers in einen haarsträubenden Großkriminellen-Zusammenhang, der faktisch auch nicht als solcher dargestellt wird, das ist mehr eine verbale Behauptung. Sie laufen blindlings in eine erpresserische Geiselnahme, die aus einem Gangster Wissen herauspressen will.

Das Drehbuch erfindet eine naive Schnitzeljagd, die zum dem Ort des Versteckes führen soll. Der Adressfehler passiert, weil der Manager der Stuntis 96 und 69 durcheinanderbringt. Das wäre alles zu ertragen, wenn nicht lautstark die oberste Intention deutlich würde, dass diese Jungs vor allem ein Demoband für ihre Kampfkünste herzustellen versuchen.

Der Ansatz selbstironischer Betrachtung in der Nähe von Alltagsflachsereien wird durch den Regieehrgeiz zunichte gemacht, mit Kurzfrequenzschnitt so reißerisch wie möglich zu sein und am liebsten direktes, hartes Scheinwerferlicht einzusetzen und mit der hochaufgerüsteten Musik an Trommelfeuer zu gemahnen. Dazu tragen auch der hackelige Schnitt und der nicht abgeschmeckte Erzählrhythmus bei. Der Film ist garantiert kein Demoband für kinematographisches Erzählen; vor diesem Anspruch wirkt der Film seltsam TV-hohl.

Born to Be Blue

Bitteres Biopic.

Ein cleaner Film über einen uncleanen Musiker oder über die Schwierigkeit bis Unmöglichkeit, vom Heroin wegzukommen oder die Problematik des Heroinkonsums vorm Hintergrund der fabelhaften Jazzmusiker-Karriere von Chet Baker, der im Original viel mitgenommener ausschaut als Ethan Hawk, der ihn in diesem Bio-Drogenentzugs-Pic nachspielt und dieses Defizit mit einem eher schuldbewussten bis weinerlichen Habitus zu kompensieren versucht.

Robert Budreau hat das Drehbuch verfasst und die Regie geführt. Er fängt fingerzeigdick symbolisch mit einem Bild an, das Baker auf dem Boden zerstört zeigt und die Trompete neben ihm.

Er fängt an im Jahr 1966 in Lucca in Italien. Baker ist dort im Gefängnis. Er kommt überraschend frei. Ein Hollywood-Produzent will sein Leben verfilmen mit ihm als Hauptdarsteller. Dann springt der Film ins Studio und zurück ins Jahr 1954, die nachgestellten Originalsszenen werden in Schwarz-Weiß gezeigt. Eine Groupie-Frau verführt ihn zum Heroin.

Es folgt eine handfeste Szene mit seiner Frau, die dazukommt. Aber den ersten Schuss hat er intus. Das macht der Film fast wie ein Drogenaufklärungsfilm überdeutlich klar, dass der erste Schuss die sofortige Abhängigkeit nach sich zieht.

Der Film fährt jetzt fort als eine Art bittere RomCom mit der Geschichte zwischen Baker und der Schauspielerin Jane (Carmen Ejogo), die seine frühere Gattin Elaine zu spielen hat.

Wobei die Story mehr illustrierend passiert. Wie sie Bowling spielen, wie er mit ihr seine Eltern in ländlicher Einsamkeit aufsucht, wie er vorher von Schlägern zu Boden geworfen und getreten wird, eine Abrechnung von früher, was ihn die oberen Zähne kostet (bisher hat er deutlich sichtbar eine Zahnlücke von einem Zahn gehabt, auch die wird später in einem Gespräch erklärt); wie er wieder am Boden zerstört ist; wie er den Entzug mit Methadon versucht und mit Hilfe von Jane.

Auch diese Liebe wird mehr markierend und erinnernd vorgetragen. Wie er mit künstlichen Zähnen und mit eisernem Willen wieder zu üben anfängt; das ergibt jede Menge hübsch-fotogener Bilder in idyllischer Umgebung.

Es kommt zu einem Konflikt zwischen ihr und ihm, weil sie auch ihre Schauspielerkarriere weiterverfolgen will. Er nimmt sie nebst dem Bewährungshelfer als selbstverständliche Entzugshilfe in Anspruch und natürlich auch als Geliebte. Mit kleinen Auftritten im Jazzclub „Pizza-Jazz“ wird er als Musiker wieder aktiv und übt weiter, bis er in New York spielen und wieder zur Weltklasse aufschließen kann.

Wobei just zu diesem Zeitpunkt, von dem seine Zukunft und eine Europatournee abhängt, Jane ein Casting in L.A. hat. Das bedeutet für ihn: Krise. Sofort liegt das Heroin griffbereit.

Ein gewisser Widerspruch in diesem Film scheint mir seine cleane Machart, alles ganz klar und sorgfältig darzustellen, fast auszustellen, besonders die Gefahren des Heroins, nebst schönen musikalischen Auftritten, während Jazz als Musik den Rhythmus und das Gefühl und die Urkräfte feiert und gerade nicht das absehbar Geregelte.

So wirkt der Film gelegentlich mehr wie ein Aufklärungsfilm über die Gefahr der Sucht und weniger als ein Einführungsfilm in den Jazz von Chet Baker. Da fehlt es dem Film an Rhyhtmus, an Swing, an Wagemut, an der Grenzherausforderung, die der Jazzer sucht.

Die Schmerzen, die er mit den künstlichen Zähnen hat, die werden ganz dick herausgestellt, teils mit eigens geschossenen Großaufnahmen auf sein Gesicht und wie er reibt und schluckt. Oder das Gespräch mit Jane, wie beide auf dem Bett liegen und über den Zahn reden, das kommt wie eine eigene Kunstaktion rüber.

Anständige Nachbebilderung. Schönes Beispiel für die llustrationsintention, die auf die Darstellung innerer Konflikte verzichtet, ist die Garderobensituation vor dem eminent wichtigen Auftritt in New York. Er sitzt vor dem Spiegel. Vor ihm liegt Methadon und Heroin. Zu welchem wird er greifen? Er guckt eine Weile unentschieden in den Spiegel. Das müsste eine Szene von höchster Intensität und Zerreißspannung sein, ist es aber in der Regie von Robert Budreau nicht. Das kann sich der Zuschauer selber im Kopf ausrechnen. Wie so eine Szene als Kabinettstückchen, allerdings komödienhaft, ausgeschlachtet werden kann, ist im Theaterstück Lumpazivagabundus von Nestroy vorgegeben, wie der Knierim allein an einem Tisch vor einem Schnapsglas und einem Geldstück sitzt. Und bis zuletzt unklar bleibt, wofür er sich entscheiden wird.

Mein bestes Stück – Si jétais un homme

Geschlechtsergänzung.

Audrey Dana ventiliert in ihrer lockeren Art, die sie schon in French Women praktiziert hatte, nach dem Buch von Maud Ameline die Idee, wie es wäre, wenn sie ein Mann wäre.

Wobei sich die Differenz auf das physische Anhängsel des Pinpin reduziert. Es geht ihr nicht um tiefgründige, psychologische Analyse von Verhaltensweisen. Es wirkt mehr so, als würden zwei Frauen sich auf ein Thema festbeißen und das dann einen Kinofilm lang in Hausmacherart durchratschen, ohne vom Thema lassen zu können, was durchaus seinen Charme hat.

Jeanne (von der Regisseurin selbst gespielt) ist eine Frau, die das Leben schlecht behandelt hat, der Mann ist weg und gewinnt vor Gericht sogar das Sorgerecht für die beiden knuddeligen Kinder. Von Beruf ist sie Architektin, muss Baustellen inspizieren, aktuelles Projekt ist die erste Erneuerbare-Energie-Schule.

Es geht ihr nicht gut, jetzt soll sie außerdem mit ihrem schmierigen Kollegen Merlin (Eric Elmosnino) die Baustelle abnehmen. Es ist hundslausige Arbeit geleistet worden, aber sie mag nicht böse sein; sie ist in einer weinerlichen Stimmung, alles haut sie um und mit ihren Highheels stakst sie durch den Baustellendreck. Ein Stück heulendes Elend ist diese Frau.

Austauschen kan sie sich mit ihrer Nachbarin Marcelle (Alice Belaidi). Nachts wacht sie wie aus einem Alptraum auf. Es ist ihr ein Penis gewachsen. Daran ergötzt sich der Rest des Filmes. Es ist jedoch kein Film über Androgynität und deren flatternden Reiz. Sie hat jetzt dieses Teil, muss umgehen damit und läuft saukomisch eiernd herum.

Docteur Pace (Christian Clavier) wittert eine medizinische Sensation. Sie geht ab sofort mit den Geschlechtsantrieben von zwei Geschlechtern durchs Leben, sie wird plötzlich erfolgreich in der Behandlung der Männer. Sie steht auf Frauen.

Das wird exzessiv und übertrieben dargestellt, sie kann nicht genug kriegen davon. Sie wird sogar die einzige jungfräuliche Mitarbeiterin des Architekturbüros entjungfern.

Sie ist ab sofort ein straighter Mann ohne Zwischenwelten in der Verpackung einer Frau. Auch wenn das Thema über die Unterschiede nicht abendfüllend ist – für das Drehbuch seien immerhin jede Menge Männer zu intimen Interviews gebeten worden (laut Presseheft), so dass viele Drehbuchtexte einen authentischen Einsprengsel über männliche Befindlichkeit enthalten –, so ist solches aus der französischen Filmkultur doch weit erträglicher, als wenn in Deutschland so ein Film gemacht werden würde.

Mann im Spagat: Pace, Cowboy, Pace

Realitätstüftler.

Dieser Film von Timo Jaobs, der mit Federico Avino auch das Drehbuch geschrieben hat, ist eine Verbeugung vor der Mutter. Der Film ist der Mutter des Filmemachers gewidmet und bezieht seine helgeschneiderhafte Lebenslakonie aus ihr und für sie.

In der Art freischnauzig berliner Bohèmetums erzählt er die Geschichte eines Sohnes, der seine Mutter in einem Pflegeheim unterbringen will. Ideal wäre das Soho-Savoy-Ritz. Das ist aber teuer. Deswegen will der Sohn (Timo Jacobs als Cowboy) sich ein Geld verdienen. Dazu erfindet er eine Radralley, den Berlin Damage Drive.

Das ist in Kürze der Plot, der vollkommen ausreichend ist für eine ausgiebige Schilderung eines Menschentums, das schier zu zermalmen droht zwischen den Mechanismen von Gelderwerb, Materialismus und Macht und der spirituell-geistigen Welt eines Menschen auf dem Höhepunkt seines Allgemeinwissens, was üblicherweis in etwa dem Stand des Abiturs entspricht – und der einen ethischen Weltverbesserungs- bis Weltrettungsanspruch vertritt.

Dieser Mann, der Cowboy, steht vor unendlich vielen Konflikten, weil die geistige Welt vielseitigen Bedrohungen ausgesetzt ist. Und nicht nur diese. Zum Beispiel das Trinkwassser, es gibt Tendenzen, dieses zur Handelsware zu machen. Der Cowboy befürchtet, dass das auch mit der Atemluft passieren könnte.

Das ist der Dauerspagat, in dem er sich befindet. Aber da sein Vater ein Tänzer war, könnte ihm der Spagat gelingen. Der Vater sei nach Russland geflohen und dann vom Eisernen Vorhang erdrückt worden, erzählt die Mutter.

Es ist ein buntes, teils schrilles, fantasievolles Figurenpanoptikum aus einer Palette von bekannten (von Clemens Schick bis Meret Becker) bis zu unbekannten Schauspielern, die mit Hingabe Jacobs eigenbohrerische Weltsicht, die sich in jeder Szene von Routine und Anpassung fernzuhalten versucht, zum Ausdruck bringen.

Die Sprache ist eine, die teils der Theorie und rein geistigen Welt entspringt. Der Alltag ist geistdurchdrungen, aber auch das Alltagspraktische fehlt nicht. Es vermischt sich wie auf dem Türvorleger, auf dem steht WATCH YOUR SPIRIT. Es geht um den Schutz der Welt, um Liebe und Herzensgüte, es geht um den Freischwinger, der kopfüber wie ein Pendel an einer Appartur hängt und das Hin und das Her, vielleicht auch die These und die Antithese symbolisiert. Es geht um Frieden und das Gefühl, die ganze Welt zu retten zu haben. Es geht um den richtigen Weg, den man erst kennenlernt, wenn man von ihm abkommt. Es geht um eine unbändige Melange aus individual-tüftlerischer Wort-, Bild- und Figurfantasie, die behauptet, das Rad neu erfinden zu müssen. Ich hab ne Weltagentur im Rücken, die reitet dir sowas von astral rein, warum trennst du deinen Mülle nicht..

Wort. Das Credo des Feischwingers: schwing dich ins Lot. Cowboys Agentur für Weltatem. Mutti war im Heim für Busfahrer und Briefmarkensammler gelandet. Meine Nase wittert Currywurst, Zahnstein und langsamen Tod. Wenn sich Wände vor ihm aufbauen, so schiebt er sie beiseits, nur so expandiert die Realität. Melancholie-Workshop mit Greta Garbo. Aber ich kann für Euch in Vorleistung gehen und meditieren. Ich war wieder offen für die Begierden der Stagnierten. Wir waren Visionäre … Weltveränderungsvokabular aus tiefem Sonnenstand beleuchtet …
Wir müssen lernen, das Kämpfen auszuhalten, ohne siegen zu wollen …wenn wir uns nicht korrekt verhalten, dann kommen Wolken, fucking-Karmawolken … und dieser Stillstand der Zeit, das war unser Glück.

Bild. kinematographische Spielereien mit Trick und Animation, Bildbearbeitung, -veränderung und -nachbearbeitung. Sein Ralleyrad, das crazy-Weltveränderungs-no-future Fahrrad, dazu der aufgeblähte rote Rennfahreranzug und die rote Sonnenbrille. Die Stadt riecht wieder nach Blumenwiese.
Fundstück: Flammenwerfer aus Hasenheide.
Piepsi als Gast auf dem Rikscharücksitz.

Figuren.
Sweet Pepper, der abgelaufenes Hasch verkauft.
Der Teufel vom Hermannsplatz.
Tschick Macqueen oder der Deckhengst aus Dresden.
Senior, dem die Herzensgüte eines Futuristen fehlt.
Angel, die Schönheitsqueen.
Fay, mit ihr, das war ein Highlight, nur dass sie gleich bei mir einzog, irritierte mich.