Paradies

Aus der schauderhaften Holocaust-Geschichte pickt Andrey Konchalovskiy, der mit Elena Kiseleva auch das Drehbuch geschrieben hat, drei Schicksale heraus, die miteinander Verknüpfungen aufweisen und breitet diese drei hypothetischen Figuren in der Art eine Dokumentation, in der sie bis nach ihrem Tod Interviews in eine Super-8-Kamera geben, vor uns detailgenau aus.

Der Untertext, die Alltäglichkeit oder Banalität des Bösen, ist bekannt: jeder ist ein Mensch und ist nur ein Rädchen in einem monströsen Vernichtungswerk.

Konchalovskiy dreht den Film in Schwarz-Weiß, so dass die Spielszenen, die Situationen aus dem Leben der drei Personen zeigen, ebenfalls dokumentarischen Charakter erhalten, dazwischen geschnitten die Interviews, die Monologe, die direkte Ansprache ans Publikum im Sinne der eigenen Handlungsbegründung. Es handelt sich durchs Band um Menschen, die in einem bestimmten Bereich reflektierte Menschen sind.

Die Spielszenen sind mit großer Meisterschaft und ruhiger Kamera verhalten aufgenommen; was da passiert, ist teils grauenhaft genug und begründet schon aus sich heraus, dass das Thema immer wieder erinnert werden muss.

Konchalovskiy bietet einen erstklassigen cineastischen Beitrag, der sich deutlich von der üblichen deutschen Holocaust-Verarbeitungsindustrie abhebt und der nachhallt. Er hat für die drei Figuren Schauspieler ausgesucht, deren Gesichter nicht kinoverbrannt sind und zwar aus drei Ländern.

Olga (Yuliya Vysotskaya), exilrussische Aristokratin, Moderedakteurin bei Vogue, die in Paris verhaftet wird und im KZ landet, weil sie zwei jüdische Kinder versteckt hat. Helmut (Christian Clauss) ein deutscher Adeliger, der in preussischer Diszipliniertheit das KZ Dachau auf Vordermann bringt, der aber Olga aus Goldenen Zeiten aus Italien kennt. Jules (Philippe Duquesne), ein französischer Polizeiinspektor, der unter der deutschen Besatzung brav weiter Dienst schiebt, gut lebt, sich chauffieren lässt und ein herrschaftliches Haus sein eigen nennt, nebst Frau und Sohn, mit dem er gerne Ausflüge in den Forst macht.

Jules ist als erster mit Olga beschäftigt, soll sie ins KZ schicken. Er hat allerdings keine Skrupel, sich von ihr verführen zu lassen, sie zu einem Nachtessen einzuladen. Sein patriotisches Herz muss in einer kleinen Kammer schlagen. Aber er ist stolz darauf, kein Nazi, sondern Polizist zu sein.

Im KZ entdeckt Helmut sie. Er kämpft dort gegen die allgegenwärtige Korruption. Die ist nicht zu bekämpfen; das wird deutlich in der Kleiderkammer, in welcher die Gefangenen Häftlingskleidungen und -gegenstände sortieren müssen, was die sich alles selber einstecken, es dürfe nur nicht auffällig viel werden.

Helmut kommandiert Olga zu sich als Haushaltshilfe und pflegt das Verhältnis zu ihr. Er trifft seinen früheren Kumpel Vogel (Jakob Diehl), den der Krieg lädiert hat und der schier durchdreht. Mit ihm schaut er gemeinsam Fotos an in einem Fotoalbum vom Ukraine-Feldzug. Vogel selbst hat die Bilder geschossen.

Ds gibt auch Fotostrecken im liebevollen Album von Krause (Peter Kurth), der die Scheusslichkeit im KZ, Leichenberge, festhält. Krause regt sich auf über defekte oder schlecht funktionierende Öfen.

Ganz ohne Hoffnung entlässt uns Konchalovskiy nicht aus seinem bannenden Film, es kommt eine Flucht für Olga ins Gespräch und es nahen schon die Flugzeuge der Alliierten.

Auch nach ihrem Ableben im Film erzählen Olga, Jules und Helmut weiter aus ihrem Leben. Ein Faszinosum dieses Filmes, was ihn uns allerdings nicht unbedingt leicht zugänglich macht, ist die Mischung aus synthetischer Figurkonstruktion (die sich aus gründlichen Recherchen über die Zeit ergeben habe) und dem dokumentarischen Erzählduktus; das gibt dem Film eine wie schwebende, non-aggressive Künstlichkeit zur Erhellung dieser Details aus dem Holocaust, erhebt sie in einen reinen Erkenntnisbereich noch vor dem Impetus, im Zuschauer Schuldzuweisungen oder Gegengefühle hochkommen zu lassen. Konchalovskiy will den Geist beschäftigen und nicht die leicht entzündbare Emotion.

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