Empörung

Verführung Frau.

Der brave Metzgerssohn Marcus (Logan Lerman) ist ein hochbegabter Junge, allerdings weder fürs Metzgerhandwerk noch für den Krieg geboren; ihm liegt die analytische Philosophie von Bertrand Russell; er sieht sich als Atheist, ist jüdischer Herkunft.

Es ist die Zeit des Koreakrieges. Freunde von Marcus sterben dort. Er hat glücklicherweise ein Stipendium für das Elitecollege Winesburg in Ohio erhalten; das bewahrt ihn vorm Militäreinsatz.

Er war immer korrekt, nett, wollte keine Fehler machen, war bisher zuhause, hat auch in der Metzgerei geholfen, hat noch keine Liebesaffären gehabt, ein Sohn ohne Fehl und Tadel, kurz, eine Traumrolle für einen jungen Schauspieler, dieses unbeschriebene, wache Blatt zu spielen, dessen geistige Welt nun mit der realen Welt konfrontiert wird.

Es sind dies im College die Jungs, mit denen er das Zimmer teilt, der eine raucht und übt Shakespears Malvolio-Monolog, der andere hört Musik. Das stört die Konzentration. Immerhin leiht ihm der eine seinen schicken Wagen. Damit kann er Olivia Hutton (Sarah Gadon) ins Escargot ausführen. Er hat noch nie Schnecken gegessen. Aber im Auto kommt es zu einem unerwarteten Erlebnis.

Auch Olivia ist für eine Schauspielerin eine Traumrolle, Hollywood-Blondine, Verführerin, Männerkennerin, undurchdringlich, Narben am linken Vorderarm, keine menschlich glanzvollen Verhältnisse zu Hause, Vater ein bekannter Arzt. Diese Grundsituation erinnert verhängnisvoll an den Dokumentarfilm Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich.

Allerdings handelt es sich hier um eine fiktionale Geschichte, um die Verfilmung eines Romans von Philip Roth, den James Schamus zum Drehbuch umgearbeitet und mit höchster Konzentration und einem Cast alles andere als von der Stange und ohne jeden inszenatorischen oder cinematographischen Schnickschnack spannend ins Bild gesetzt hat. Als ein dichtes Kammerspiel, dessen Fortgang Satz für Satz gewährleistet ist und das auch längere Konversationen, die sich wie automatisch steigern, bestens erträgt.

Zentrale Auseinandersetzung ist die mit dem Schuldirektor Dean Caudwell (Tracy Letts), der ein gewisses Verständnis zeigt für den aufgeweckten, dialektischen Geist, der sich im Konflikt mit seiner Umwelt sieht, dies aber gleichzeitg wiederum vehement abstreitet, der ihn im Gespräch in die Enge zu treiben versteht; wobei der geplatzte Blinddarm wie eine absurde Beendigung des Gespräches anmutet.

Marcus möchte nichts, was ihn von seinem Studium ablenkt, aber Olivia lässt ihn nicht los. Auch Kommilitonen bearbeiten ihn, in die jüdische Studentenverbindung einzutreten oder die mahnende Worte der Mutter, die deutlich jüdische Autorität austrahlt, wollen ihn beeinflussen sowie die Begegnungen mit Olivia. Marcus muss sich entscheiden.

Statt sms und dergleichen werden hier noch Briefe geschrieben. Die deutsche Synchro braucht sich in ihrer Sorgfalt nicht vorm Original verstecken. Vielleicht ein Versehen: beim Eintritt in das College steht eine Willkommensüberschrift: Welcome Class of 1955. Später dann nach einiger Collegzeit ist plötzlich von 1951 die Rede. Meint die 55 das Jahr des Collegabschlusses?

Schönes Benjamin-Franklin-Zitat zur Frage, was Demokratie sei: wenn zwei Wölfe und ein Schaf wählen, was es zu Mittag geben soll.

Auf großer Klangwolke gleitet dieser besonnene, wache, aufmerksame Film ohne Ruckeln dahin.

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