Hacksaw Ridge – Die Entscheidung

Mit voller Gemetzelfaust und Gefühlskeule aufs Auge

haut Mel Gibson mit dieser „wahren Geschichte“ (nicht etwa „nach einer wahren Geschichte“), denn Skeptizismus liegt ihm und seinen Autoren Andrew Knight und Robert Schenkkan fern.

Dabei hätte die Geschichte durchaus etwas Faszinierendes und Überraschendes. Der Soldat Desmond Doss (Andrew Garfield), ein Mitglied der Siebenten-Tags-Adventisten, will sich im Zweiten Weltkrieg zum Militärdienst melden, weigert sich aber aus Glaubensgründen, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Verkomplizierend kommt hinzu, dass er als streng Gläubiger am Samstag nicht arbeiten soll. Die Bibel mit einem Foto seiner Freundin und einem Stoff-Bändchen von ihr drin wird sein Kriegsbegleiter sein.

Bemerkenswert an dem Fall ist auch, dass das nach amerikanischem Recht tatsächlich möglich ist. Um das zu klären wird Desmonds alkoholkranker Vater und Erst-Welt-Kriegs-Veteran Tom (Hugo Weaving) einen bemerkenswerten Auftritt vor einem Militärgericht haben, um diese Info mit hochoffiziellem Siegel in die Verhandlung, die Desmond eben zum Gefängnis verurteilen will, einzubringen.

Noch ungewöhnlicher an dem Fall ist, dass der Kriegsverlauf Desmond bei der Schlacht um Okinawa die Chance zum Heldentum gibt. Er rettet im Alleingang 75 Soldaten vom blutigen Schlachtfeld, seilt sie mit übermenschlicher Anstrengung über eine Steilwand ab und wird dafür später als der erste von nur zwei Empfängern als Waffenverweigerer mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet.

Mel Gibson scheint dem heutigen Kino wenig Überzeugungsstärke zuzutrauen. Deshalb greift er zu den emotionalst möglichen Mitteln, wählt aus der Geschichte die Szenen mit dem stärksten Empfindungsgehalt aus, wo sich verabschiedet wird, eingerückt, wo gekämpft wird, Blut abgenommen, wenn Desmond als Bub seinen Bruder fast mit einem Ziegelstein erschlägt, in der Militärausbildung die Drill- und Schreiszenen oder die Verbindung von Blutabnahme und Liebesgeschichte zur Krankenschwester Dorothy Schutte (Teresa Palmer).

Was er sich an Kriegsszenen auswählt, das kann hochgerechnet werden, es wird sehr viel Bühnenblut fließen in einem blutrünstigen Schlachtfeldspektakel, einer Kanonenfutterorgie und es wird viel Pulver verschossen und Feuerzauber entfacht werden, es werden viele, übel zugerichtete Leichen zu sehen sein und es ziehen sich diese Schlachtfeldszenen mit kaum narrativem Gehalt, bei denen der Zuschauer keinerlei Orientierung hat, in die Länge.

Auf der Tonspur bedeutet der Zugang Mel Gibsons zum Kino: draufdrücken was an Phon und fetter Aufgeplustertheit möglich ist.

Meines Erachtens sind das Mittel, die einer altertümlichen Vorstellung von (unrealistischem) Kino entsprechen (der Held womöglich aus tiefer Perspektive fast überiridisch und kinoheilig), sie erzählen dauernd, dass Gibson glaubt, nur so seine Message vom braven Soldaten dem Publikum einflößen, einhämmern zu können, so wie Desmond den Schwerstverletzten gerne die Morphiumspritze setzt.

Richtig skurril sind am Schluss Statements von damals Geretteten, alten Männern, gezeichnet vom Leben und vom Krieg.

Mit Andrew Garfield in der Hauptrolle hat Gibson einen glaubwürdigen Hauptdarsteller gefunden.

Ein Gefühlsschinken um den Satz: er wird behandelt wie ein Krimineller, weil er nicht töten will.
Man könnte sich seine eigenen Gedanken machen. Nach dem Satz, dass Soldaten Mörder sind, würde Desmond Mörderleben retten …

Comrade, Where Are You Today? (DVD)

Bogensee, DDR, war ein Zentrum zur Schulung und Verbreitung sozialistischen Gedankengutes weltweit, eine top geheime Eliteinstitution mit 400 Studenten aus über 80 Ländern, die hier jeweils inkognito ein Jahr verbrachten und sich für den Kampf in ihrer Heimat schulen ließen. Sie waren alle mit Pseudonymen, mit Kämpfernamen ausgestattet, keiner kannte die Klarnamen.

Über 20 Jahre später macht sich die Finnin Kirsi Marie Liimatainen auf den Weg, einige ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen von damals aufzusuchen. Sie möchte erfahren, was aus dem sozialistischen Traum von Freiheit und Gleichheit geworden ist. Die reale DDR ist kurz nach ihrer Rückkehr aus dem Institut als Höhepunkt der Perestroika zusammengebrochen.

Die Suche gestaltet sich nicht leicht (Problem: „Wie sucht man Menschen, die offiziell nie existierten und in einem Land studierten, das verschwunden war?“), da es in Bogensee kein Archivmaterial mehr gibt zu ihrem Jahrgang. Aber ein Kontakt ergibt den nächsten, Bilder werden herumgereicht und so kommen eine Anzahl von Begegnungen zustande in Chile, Bolivien, im Libanon, in Südafrika.

Eine Abenteuerreise mit viel Archivmaterial unterlegt von den Studienzeiten über die revolutionären Stationen in den verschiedenen Ländern und den verschiedensten Untergrundorganisationen.

Wobei sich der Kampf heute gewandelt hat. In Lateinamerika geht es inzwischen mehr um die indigene Bevölkerung, die Bewahrung ihrer Lebensweise, des Wassers und gegen die Konzerne. In Bolivien bekommt Kirsi mit ihrer Studienfreundin sogar ein Interview beim Präsidenten Evo Morales.

Die Ideale will keiner aufgeben, der bewaffnete Kampf hat sich nicht als sinnig erwiesen, in Südafrika herrscht faktisch immer noch eine Zweiklassengesellschaft, zu schweigen von den Verhältnissen im Libanon und in der arabischen Welt.

Bemerkenswert aber auch, dass keiner die damaligen Ideale vergessen will, wenn auch keiner mehr kämpft. Vom real existierenden Sozialismus in der DDR waren sie enttäuscht, das Spitzelsystem der Stasi haben sie nicht verstanden. Was ist aus all den Idealen geworden? Warum ist so wenig Freiheit real geworden? Warum ist die Umsetzung offenbar so schwer?

Kirsi selbt kommt aus dem Arbeitermilieu, ist in der Arbeiterklasse vor dem Hintergrund der kommunistischen Partei aufgewachsen. Für sie gehörte der Kampf der Arbeiterklasse zum Alltag, die Erkenntnis der Nicht-Privilegiertheit. Für so jemand war eine Institution wie Bogensee ein Traum. Den Satz gibt es noch: Transform the whole World in a better Place. Aber: Warum sind alle arabischen Revolutionen gescheitert? Wohin ist der Traum verschwunden?
Die Ziele konnten doch nicht falsch sein, die von Freiheit und Gleichheit.

Kommentar zu den Reviews vom 19. Januar 2017

Heute bohren die Filme tief nach dem Geheimnis: in Frankreich nach dem der „schönen Frau“, in der Bibel nach Munition gegen Maßregelungen, in Nahost nach Frieden, im Kambodscha nach dem der Liebe bei Aufbruchstimmung durch Globalisierung, im amerikanischen Ostküstenalltag nach Erlösung von der Schuld, in Wien nach dem Genre, in Indien nach der Unabhängigkeit der Frau, im Schrottuniversum nach der letzten Schraube, im Kindermund nach dem Weltfrieden und in einem Kurzfilm nach der Abhängigkeit des indischen Mannes; Action statt Geheimnis bietet van Diesel. Im Fernsehen gab es die eindrücklichen Lebenslinien über Verena Bentele.

Kino
PERSONAL SHOPPER
Ein Assayas-Film um die Leerstelle „schöne Frau“.

DER DIE ZEICHEN LIEST
Mit Bibelworten gegen den Vorwurf unkontrollierter, pubertärer Erektionen.

JUNCTION 48
Mit Musik gegen Unterdrückung und Mauer.

DIAMOND ISLAND
Am Zipfel der Globalisierung in Kambodscha von der Liebe angehaucht wie einsten im Neorealismus oder in der Nouvelle Vague.

MANCHESTER BY THE SEE
Christliches Schuldbewusstsein kann tiefe Gräben zu den Mitmenschen aufreißen.

VERBORGENE SCHÖNHEIT – COLLATERAL BEAUTY
Postmoderner Begriff für Trost?

DIE HÖLLE – INFERNO
Wiener Genrefilm mit Schmäh und Identitätsproblemen, insofern auf unsicheren Beinen, vielleicht wandelt er sich deshalb zum Revengefilm.

WHERE TO, MISS?
Die Inderin Devki entdeckt als Taxifahrerin Freiheit und Selbständigkeit.

RITTER ROST – DAS SCHROTTKOMPLOTT
Schrottland muss bis auf die letzte Schraube verteidigt werden.

NICHT OHNE UNS
Ein Leckerbissen für dattergreisige Kinderfilmjuries.

Kurzfilm
SEARCHING FOR WIVES
Ein Amuse-Geul als Gegenposition aus Singapur zum heute startenden Where to Miss?.

Action
xXx: RETURN OF XANDER CAGE
Der Eierkopfheld jagt hinter der Büchse der Pandora her.

TV
LEBENSLINIEN. VERENA BENTELE – UND PLÖTZLICH POLITIK
Von der Olmypiamedaillengewinnerin in die Bundesregierung, weil sie sich auskennt.

xXx: Die Rückkehr des Xander Cage – xXx: Return of Xander Cage

Dem Terrorismus ans Schlawittchen.

Wenn die Welt einen breit grinsenden, muskelbepackten, glatzköpfigen Bodygard wie Xander Cage (Van Diesel) hat, so kann sie nicht untergehen, selbst wenn der Terror inzwischen gezielt Satelliten auf die Welt abstürzen lässt.

Um das zu verhindern, muss Cage der Büchse der Pandora habhaft werden. Der jagt er um die halbe Welt nach. Ihn begleitet ein Team vor allem desginhaft jugendlich und schick aussehender Männer und Frauen, super bis bikinihaft gekleidet, mit Gesichtern, die mehr hübsch sind als dass sie schon was erlebt haben. Sie bilden das ästhetische Gegengewicht gegen den mit diversen Erlebnissen gewaschenen Eierkopf.

Xander wird wieder kämpfen und schießen und Spiele mit bereits gezündeten Handgranaten treiben. Er wird tollkühne Stunts ausführen, er oder gut geschulte Doubles oder die Postproduktion, er wird eine waghalsige Passstraßenabfahrt in der Hocke auf dem Skateboard machen; sein Gewicht wird ihm mächtig Schub verleihen; er wird auf dem Motorrad, das Wasserskier untergebunden hat, durch den Wellentunnel surfen; er wird coole Kommentare von sich geben, nie die Ruhe verlieren und schon gar nicht ins Schwitzen kommen.

Kamera und Tricks und Schwenks und schnelle Schnitte tragen das ihre bei, dass keine Ruhe eintritt, so dass 3 D schnell mal ins Schleudern kommt und die Ausbeute an geschrotteten Autos ist nicht gering.

Fazit: Wo van Diesel drauf steht, ist van Diesel drin, aber auch Samuel L. Jackson hat seinen Auftritt. Die Regie besorgte D. J. Caruso nach dem Drehbuch von F. Scott Frazier nach Charakteren von Rich Wilkes. Hätten wir doch so einen Xander Cage zum Schutze unserer inneren Sicherheit … Wunschtraum, der vom Versagen der Behörden im Falle Amri ablenkt.

Junction 48

Mit Musik gegen die Gewalt, die Lebensbeengung und die Unterdrückung durch Israel angehen und nicht mit Gegengewalt, das ist das Prinzip von Kareem (Tamer Nafar) und seinen Rap-Band-Mitgliedern.

Sie und ihre Familien wohnen an der Bahnkreuzung 48, einem Nicht-Ort, einem Un-Ort, der sogar einen Namen hat und den bis zu diesem Film keiner kennt, namens Lod oder Lyd oder Lydda, eingekeilt zwischen Gleisen, immer wieder kommen Bewohner durch vorbeifahrende Züge um. Und wenn kein Gleis sie eingrenzt, so ist es eine hohe Mauer.

Ständig werden Polizeirazzien durchgeführt, dazu gibt es einen Rap „Wirf es weg, George“, will heißen, wenn die Polizei im Anflug ist, gilt es, den Stoff, der hier das Leben erträglich macht, wegzuschmeißen, zu verbrennen.

Und wo ein Durchlass zum Rest der Welt ist, da machen sich Checkpoints breit und wenn sie sich langweilen, können sie recht schikanös werden, auch so eine Anekdote wird hier von zwei Israelis erzählt, wenn sie gemeinsam ein Wannenbad mit Kareem nehmen.

Die Band träumt vom Erfolg, träumt davon rauszukommen aus dieser Orstschaft die kleiner sei als die Pussy einer Frau, wie sie an einer Stelle sagen, dieses „Ghetto von 8500 Bewohnern“.

Sie sind eingeladen, die 3 Männer und ihre Sängerin, in einem israelischen Klub zu singen, was sich auch ganz gut anlässt, da sie ja nur von sich erzählen wollen, und dies mit Humor und nicht mit Hass tun. Sie kommen gut an. Mit steigendem Erfolg und den aussagekräftigen Plakaten der Band melden sich die Cousins der Sängerin, sie würden ihre öffentlichen Auftritte nicht gern sehen und falls sie weiter mache, könne ihr was geschehen.

Regisseur Udi Alon, der nach dem Buch von Oren Moverman und Tamer Nafar gearbeitet hat, inszeniert den Film mit bescheidenen Mitteln als authentisches Grassrootsmovie bewusst ‚unpolitisch‘, so wie auch Kareems Philosophie für seine Songs ist – wobei das alles hochpolitisch ist, aber eben nicht aufstachelnd.

Dabei kommt noch die Geschichte von Talal aus der Band dazu. Das ärmlichst wiederaufgebaute Haus seines Vaters soll von den Behörden abgerissen werden, um Platz für ein „Museum der Koexistenz“ zu machen, ein grotesker Euphemismus. Alltag in den besetzten Gebieten.

Aber nicht nur Talal, sondern auch Kareem erlebt einen Schicksalsschlag. Seine Eltern verunfallen auf der Nachhausefahrt von einem Konzert, der Vater stirbt, Mutter kommt in den Rollstuhl (sie ist nicht nur Sängerin sondern auch Geistheilerin). Damit ist der Vater-Sohn-Konflikt von Kareem gelöst, denn Vater war ein Vertreter der klassischen Musik, während Kareem den Rap vertritt, der seine Zuhörer ermuntert, sich zu wehren, nicht aufzugeben, für den Frieden sich einzusetzen.

Dass der Film trotz aller Tristesse dieses eingezwängten Lebens der Palästinenser keine Negativgefühle entstehen lässt, liegt vielleicht auch daran, dass die Leute hier oft singen, nicht nur bei den Auftritten und so von ihrer Lage berichten, ohne zu jammern oder Mitleid zu heischen, ihre Würde wahrend. Das ist groß. Ihr palästinensisches Minderwertigkeitsgefühl formulieren die Bandmitglieder nach einem erfolgreichen Auftritt in einem israelischen Club so, dass sie sich als Pussys vorkommen.

Ebenso auf friedlich-musikalischem Wege wirbt Ein Lied für Nour und auch Eine Geschichte aus Liebe und Finsternis aus dieser Weltgegend, in der sich die Menschen seit Jahrzehnten nach dem Rachemodus immer nur und immer neue Verwundungen zufügen, da sind das bemerkenswert Versuche, moderatere und versöhnlichere Töne anzuschlagen. Es geht darum, erst überhaupt zu beschreiben, wer hier wie lebt, ohne gleich in den Ruch der Parteilichkeit zu geraten.

Searching for Wives (Kurzfilm)

Wie ein dialektischer Vorfilm zum heute startenden Where to, Miss? (einem Film der Filmakademie Baden-Württemberg) kann dieser leichte, schnelle, unterhaltsame, von Peter Lim geschmeidig gschnittene Kurzfilmtupfer von Zuki Juno Tbgye gesehen werden.

Er berichtet nicht von der Emanzipation der Frau in Indien, sondern von der Nicht-Emanzipation eines indischen Mannes, von Shanmugavel Pathakarnan, 34, der in einer Variante der Tradition eine Frau sucht.

Sein Problem: er ist indischer Gastarbeiter in Singapur. Er hat das Geld für eine eigenes Haus zusammen. Aber er hat keine Gelegenheit, Frauen aus seiner Heimat kennenzulernen. Der Brauch ist, dagegen wehrt er sich nicht, dass die Familie die Braut aussucht und die Hochzeit die erste Begegnung der beiden ist.

Entscheidend für die Brautsuche ist also das Foto (Ganzkörperfoto), das er nach Hause schickt und welches in Frage kommenden Frauen gezeigt wird. Es sollte aus diesem Grund ein besonders attraktives Foto sein. Die Dokumentaristin ist beim Fotoshooting dabei. Sie befragt ihn auch zu seiner Haltung. Ihn interessiert eine Liebesheirat nicht. Die Frau muss zuverlässig und herzlich sein.

Allerdings stellt er fest, dass immer weniger Frauen bereit sind, auf diesem Wege ihren Mann zu suchen. Dazu liefert „Where to, Miss?“ ein Gegenbeispiel. Dieser Kurzfilm hier stammt auch aus Singapur, von der The Puttnam School of Film und dem Lasalle college of the Arts.

Where to, Miss?

Modellhaft-schematisch zu nennender Bilderbogen einer Doku zum Thema Frau in Indien mit einer eindrücklichen Protagonistin, Devki, in den Funktionen Tochter, Gattin, Mutter – und möchte doch am liebsten selbständige Taxifahrerin sein, ein in Indien noch revolutionärer Wunsch.

Im ersten Teil ihres Filmes schildert Manuela Bastian in diesem Crowd-Funding-Projekt der Filmakademie-Baden-Württemberg den Moloch Dehli in seinen unprägnanten Erscheinungsformen als überfüllte Straßen oder leere, düstere, angsteinflößende Gassen, schildert Dehli als für Frauen gefährlich, referiert auf die Frau als Opfer der Übergriffe von Männern.

Devki wohnt wieder zuhause bei ihren Eltern. Ihr Vater ist Fliesenleger. Devki ist zwar verheiratet, ist von ihrem Mann abgehauen, der hatte sich als ‚Niete‘ erwiesen, hat sie geschlagen. Das war sie gewohnt, ihr Vater habe das oft zwei bis drei Stunden lang getan. Das spiegelt sich in ihrem Gesicht, das überhaupt wie ein untrüglicher Indikator für den Zustand ihrer Seele wirkt – nie als Maske; auch später bei Glücksmomenten nicht.

Devki will nicht wieder heiraten. Sie will als Taxifahrerin arbeiten. Die Mühen des Erlernens des Autofahrens und der Prüfung, die sind ein Zwischen-Kapitel; augenfällig dabei, dass die Fahrschülerinnen eigens blaue Uniformen tragen. Bitterlich weint sie, wie sie die Prüfung erst nicht besteht. Umso glücklicher sehen wir sie nach bestandener Prüfung und wie sie in diesem Beruf ihr eigenes Geld erwirbt; plötzlich wirkt sie selbstsicher; vorher hatte sie auch einen Selbstverteidigungskurs absolviert.

Über den Beruf lernt sie Badri kennen. Nach einem Jahr sind sie sich einig. Sie heiraten. Devki ist wieder auf die Traditionsschiene geraten.

Der Film verlagert sich von Dehli in die bergig-ländliche Provinz Garhwal, wo eine andere Sprache gesprochen wird. Hier versucht Devki im Sari sich als Schwiegertochter eines erzkonservativen Mannes, als Ehefrau (obwohl Badri weiter in Dehli arbeitet) und als Mutter eines munteren Söhnchens anzupassen.

Allerdings hatte sie als Taxifahrerin die Freiheit geschmeckt. Das wird sie nicht loslassen. Das kann sie nicht vergessen.

Der Film ist fotogen-malerisch in seiner Bildgestaltung, Jean David Günther versetzt sich ganz in indische Stimmungen. Das indische Frauenemanzipationsproblem aus europäischer Sicht ganz sich hineinfühlend dargeboten als Variante zu 7 Göttinnen oder die Zeit der Frauen.

Der Film selbst ist unterteilt in die Kapitel: Vater, Ehemann, Sohn – als Ausdruck der herrschenden Verhältnisse, denen eine indische Frau ausgesetzt ist mit ihren reziproken Pflichten als Schwiegertochter, Ehefrau, Mutter.

Personal Shopper

Dieser Film von Olivier Assayas (Clouds of Sils Maria, Die wilde Zeit), kreist um eine doppelte Leerstelle (wenn nicht gar eine dreifache, wir werden sehen).

Es sind Leerstellen im Leben der Protagonistin Maureen (Kristen Stewart, die wiederum selbst mit einem in keiner Weise anbiedernden, fast leeren Modelblick wie eine Leerstelle wirkt in ihrer abweisenden Fokussiertheit).

Die eine Leerstelle ist ihr Zwillingsbruder Lewis, der gestorben ist; Herzinfarkt. Auch Maureen hat eine Anlage dazu, muss sich deshalb regelmäßig durchchecken lassen. Er war ein Medium und wollte sich aus dem Jenseits melden. Das gibt Assayas die Gelegenheit, sich im Genre des Spukfilmes ertastend zu versuchen.

Es gibt niedliche, höchst diskrete Computeranimationen von kleinen Gespensterräuchlein oder Gläser, die linkisch durch die Luft getragen werden und dann auf den Boden knallen in Paris oder in Muskat. Das ergibt die Gelegenheit für einen Exkurs zu einem Youtube-Video über Victor Hugo, der in Jersey Séancen abgehalten haben soll.

Die zweite Leerstelle im Leben von Maureen ist ihre Auftraggeberin, Kyra (Nora von Waldstätten), eine berühmte, wohlhabende Schauspielerin. Maureen ist für sie als persönliche Einkäuferin (personal Shopper) tätigt. Sie fährt mit ihrem Mottorroller durch Paris, an den Armen die Tüten von Cartier und Chanel, die wehen mit ihrem wertvollen Inhalt im Wind. Durch diese Sicht wird die Schauspielerin zur Leerstelle, die lediglich durch Klamotten und Schmuck definiert ist.

Leerstelle schöne Frauen. Hier ist Assayas mehr in seinem Milieu, dem Künstlermilieu, von dem er in Clouds of Sils Maria ein bestechendes Innenbild geliefert hat.

Jetzt ist er nicht mehr so realitätsnah, denn er will die Leere dieser Welt schildern. Das geht offenbar nicht ohne Mystizismus und Horror.

Die dritte Leerstelle ist die ausführliche Texterei mit einem Unbekannten (also der Austausch von SMS), der Maureen in ein Hotelzimmer bestellt, wo sie ihm via Mobilfoto exquisite Garderoben ihrer Chefin vorführt, was sie gar nicht dürfte. Es gibt auch Textstellen über Angst. Dieser Unbekannte, aber da habe ich eine Lücke, hat möglicherweise etwas mit der Leerstelle Ingo (Lars Eidinger) zu tun, einem undurchsichtigen, deutschen Bekannten des Stars.

Einen künstlerischen Bezugspunkt, der vielleicht zur Entschlüsselung dieses Filmes beitragen kann, gibt Assayas mit Hilma of Klint und auch Rudolf Steiner wird bemüht – hm, Anthroposophie und Gespensterwissenschaft, sollen die womöglich etwas gemeinsam haben?

Manchester by the Sea

Bildknabbermaterial, Bildknackmaterial. Oder: eine sehr christliche Weltsicht auf einen freudlosen Alltag.

Amerikanische Ostküstenethik-Film mit Ansprüchen ans Kino und vor christlich-moralischem Hintergrund. Ganz zum Hiob macht der Filmemacher Kenneth Lonergan den Schauspieler Casey Affleck als Lee Chandler jedoch nicht, wenn auch der Familiengrabstein gut gefüllt ist mit den Namen seiner Nächsten.

Lonergan scheint wie auf einem Flickenteppich lauter Szenen zusammgetragen zu haben, die ein Bild von Lee abgeben, wie er in seinen Lebenssituationen im titelgebenden Örtchen Manchester by the Sea in Massachusettes gefangen ist. Keine Befreiungstheologie spricht aus den Bildern.

Lee arbeitet als Hausmeister, repariert tropfende Wasserhähne. Immer tropft etwas, immer ist etwas undicht. Hier kennt ein jeder jeden und die Szenen und Begegnungen mit den verschiedensten Menschen in dem Käffchen geben Anlass, diese und jene Info über das Leben von Lee durchsickern zu lassen.

Obwohl sein Bild ein konstant freudloses ist, so zuverlässig wie seine Miene, als ob er nie eine hoffnungsvolle Zukunft gehabt hätte wie der „Schwede“ in Amerikanisches Idyll. Eher tendiert Lee zur Schuldbewusstigkeit. Dies drückt seine Stimme in ihrer depressiven Wegnuschelintonation aus.

Gegen die vorherrschende Tristesse gibt es Ansätze, Bemühungen um Lustigkeit, Leichtigkeit. Die Verantwortung für seinen Neffen Patrick (Lucas Hedges) bleibt nach dem Tod von Lees Bruder an Lee hängen. Der ist auf dem Weg, ein ähnlich dröger Existenzmuffel zu werden wie sein Onkel Lee.

Patrick ist noch nicht 21 und anfänglich in Liebesdingen unterwegs. Vielleicht muss man in so trostloser Welt mit dem Humor vorsichtig umgehen, ihn eingehend vorbereiten. Aber immer, wenn er mit seiner Freundin zur Sache kommen möchte, klopft deren alleinstehende Mutter an die Tür. So bittet denn Patrick seinen Vormund und Onkel Lee, ihn beim nächsten Date, zu dem er ihn eh fahren wird, bei der Mutter zu bleiben, sie in Beschlag zu nehmen, damit sie nicht gleich wieder an die Tür klopft und sowieso, die Mutter sei recht angetan von Lee.

Allerdings geht den beiden im Salon unten schneller die Gesprächspuste aus als die Liebeertastenden oben ihre Klamotten ausgezogen haben. Das ist der Humor hier, der ab und an in trockener Pointe gipfelt.

Es ist eine Welt ohne Erotik, ohne verführerischen Charme, da ist das generelle Schuldbewusstsein – vielleicht auch das Manchester-by-the-Sea-Bewusstsein – davor, eine Welt unausgelebter Gefühle.

Die suchen sich ihre Bahn in scheinbar unmotivierten Schlägereien, Explosionen, Anzetteln einer Schlägerei in einer Kneipe oder im Einschlagen einer Fensterscheibe, so dass Lee nachher einen dicken Verband um seine blutende Hand gelegt haben wird.

Lee wirkt nicht frei. Also könnte es um Freiheit gehen in diesem Film. Er wirkt wie ein Gefangener seines Manchester-Alltags, oft wie ein Halbmensch. Es gibt einen Hausbrand mit Toten, der ihn in einer Rückblende heimsucht und belastet und vielleicht etwas erklären kann.

Lee steht in der Welt, mustert sein Gegenüber messend, abschätzend, als wolle er sagen, du, es gibt da eine Differenz zwischen dir und mir und brauchst keine Angst haben, ich stelle schon keine Ansprüche.

Momentweise wirkt der Film auf mich allerdings wie ein Schauspielerworkshop, in dem immer neue Manchesterszenen mit dem festgeschriebenen Charakter Lee zu tun haben müssen, Alltagsszenen, Möbel in den Müll schmeißen oder Besuch der Pathologie, auch mal ein Essen und viele Autofahrten mit seinem Neffen Patrick, die recht eintönig verlaufen, da sich der junge Schauspieler offenbar dem älteren, den er sicher als Vorbild sieht, annähern möchte.

Über weite Strecken seines Filmes legt Lonergan eine feierlich vorweihnächtliche Musik, die den Ernst seiner Kunstübung hervorhebt, so dass auch alltägliche Handlungen bedeutungsvoll werden.

Die Maske des Lee: vorwurfsvoller Blick. Ein modernes, amerikanisches Unglücksleben. Der Film wirkt mehr präskriptiv als analytisch. Aufklärerisch? Oder Negativbefund? Bittet der Filmemacher zur Andacht? Leidensstimme von Lee. Ein moderner Jedermann? Ein ganz gewöhnlicher Mann – wobei die Wahl seiner Berufes im handwerklichen Bereich insofern pikant ist, als der Darsteller das vom Typ her nicht hergibt, was reichlich akademisch oder gar theologisch anmutet: der Vater von Jesus, Joseph, war Zimmermann.

Schön ist der graue Schnee – selten zu sehen in einem Film. Zur Deckung eines vermuteten Dystopie-Bedarfs des Publikums? Kommentar zur Freudlosigkeit christlich (protestantischer?) Lebensbewältigung?

Verborgene Schönheit – Collateral Beauty

„Collateral Beauty“, im deutschen Titel vermutlich nicht ganz passend als „verborgene Schönheit“ übersetzt, das ist das magische Wort in diesem Film von David Frankel nach dem Drehbuch von Allan Loeb.

An dieser Stelle könnte jetzt ein Exkurs zum Begriff „collateral“ und dem Zusammenhang zum Begriff der Schönheit eingefügt werden. Dass der Begriff kollateral am bekanntesten bei uns ist vom Kollateralschaden eines Krieges, also negativ belastet, als unschöne Begleiterscheinung; während im Bankenwesen es mit dem Begriff vor allem um das Pfand, um Sicherheiten mittels Hinterlegung von Gegenständen, um zusätzliche Sicherheit geht.

Hier im Film steht der Begriff für das, was im Christentum der Trost wäre, den der Glauben an Gott und an die Auferstehung bietet, wenn ein Mensch in Verzweiflung gestürzt wird, in die Depression, weil er wie unser Protagonist Howard (Will Smith) sein Kind verloren hat. Da er offenbar kein gläubiger Christ ist noch sonstwie gläubig, wird er auf die „collateral beauty“ zurückgreifen müssen.

Das Problem bei Howards Rückzug in die Depression ist, dass die Werbeagentur, die er mit Partner Whit (Edward Norton) gegründet und zu Erfolg gebracht hat, durch seine Geschäftsunfähigkeit ins Straucheln zu geraten droht und dadurch auch die Mitarbeiter wie Claire (Kate Winselt) und Simon (Michael Pena).

Ihnen, die um ihre Existenzen bangen, stellt sich die Frage, wie können wir Howard wieder ansprechbar machen, wie können wir mit ihm, der sich in seiner Wohnung einschließt, keine Post beantwortet, Briefe an abstrakte Begriffe schreibt und abschickt und nur Spaziergänge in einen Hundepark macht, wieder in einen Dialog treten und ihn zu dringend nötigen Unterschriften bewegen.

Dem Autor Allan Loeb, der offenbar eine Liebe zum Theater besitzt, fällt dazu eine theateraffine Lösung ein. Die Stichwörter dazu fnden sich in den Briefen von Howard, die sich wiederum auf seine Geschäfts- und Erfolgsphilosophie berufen, was sind die wesentlich Punkte im Leben eines Menschen, über welche man in der Werbung ansprechen muss? Liebe, Zeit und Tod.

Dass die Geschichte gut ausgehen wird, ist bald klar, das liegt an der Inszenierung, die hochkarätig uninspiriert agiert, als ob die Schauspieler lediglich vor Stellwänden platziert seien (was sie zwar nicht sind), die schön absehbar von A nach B schreitet bar jeglicher Überraschung.

Der Film wirkt wie eine Pflichtübung und das Buch, als stamme es von einem jungen, idealistischen und leicht naiven Autor (dem ist allerdings nicht so, Allan Loeb hat als Autor und Produzent schon einiges vorzuweisen); so überrascht der Film dann doch noch kollateral.

Ein Cast aus lauter hochwertigen Prêt-à-Porter-Stars.
Penetranter sind Weihnachtsdekorationen selten so hochdosiert in einen Film eingebaut worden. Außerdem waren wohl Autor wie Regisseur verliebt in rekordverdächtige Domino-Aufstellungen.