Hell or High Water

In den besten Familien.

Das kommt in den besten Familien vor, dass nach dem Tod der Mutter sich finanzielle Probleme auftun. Es kommt in den besten Familien vor, dass ein Sohn gut gelingt und der ander schlecht, dass ein Sohn heiratet und zwei Kinder hat, während der andere, hier der ältere, seine ‚Ausbildung‘ im Knast macht und auch, dass der verheiratete Sohn geschieden ist, und dass dieser Sohn sich bis zum Ende um die Mutter kümmert. Insofern eine ganz gewöhnliche Familiengeschichte.

Nicht ganz so gewöhnlich ist die Weltgegend, in der Taylor Sheridan (auch Drehbuch von Sicario) seine Geschichte ansiedelt, in Texas, im Wilden Westen, wo Waffengebrauch und Selbstjustiz keine Fremdwörter oder nur im Kino zu sehen sind, da wo es weite Prärien und menschenarme Siedlungen mit nur einer Bank gibt, bei der man es mit der Viedoüberwachung nicht so genau nimmt, aber auch eine Weltgegend, in der immer noch Öl gefördert und gefunden wird – in einer Kinogegend par excellence.

Die Brüder Toby, der Geschiedene (Chris Pine), und Tanner, der grad nicht im Knast sitzt (Ben Foster), stehen nach dem Tod ihrer Mutter vor dem Problem, dass deren Anwesen überschuldet ist. Um die Erbschaft zu retten und sich das dafür nötige Geld zu besorgen, fangen sie an, Banken zu überfallen, denen das Unglück geschuldet ist.

Mit ihrem ersten Überfall fängt der Film an. Die Brüder agieren dilettantisch, geben sich mit wenig Bargeld zufrieden, der Bankdirektor wird in der nächsten Szene recht verbeult aussehen, wenn die Gegenspieler auftreten, die zwei Cops Marcus, kurz vor der Rente (Jeff Bridges) und Alberto (Gil Birminghanm). Diese wiederum agieren aus einer Position der Erfahrung und es ist eh nie was los bei uns heraus. Statt Hektik zu verbreiten, geben sie lieber mal ein philosophisches Statement ab oder hocken sich hin, gerne auf den typischen Veranden in den typischen Stühlen, und versuchen sich in der Kunst des Profilings, was ihnen insofern recht gut gelingt, als sie zum Count-Down genau mit der Verspätung zur Stelle sind, die der Erzählung Spannung verleiht, auch wenn sich just hier ein Stück allzu bekannten Geschichtsverlaufs kurzzeitig einschleicht.

Dagegen setzt Sheridan ganz am Schluss noch eine Drüberstreuerszene, die sich über den Selbstjustizgedanken erhebt, derweil die Kamera ins Grab beißt – bildlich gesprochen.

Überhaupt die Kamera, Giles Nuttgens zeichnet für sie. Sie kennt die Geschichte in- und auswendig, umkreist sie, geht mit ihr mit, begibt sich in sie hinein, versucht, sie in jeder Sekunde aufregend zu erzählen, sie macht Räume auf, gibt Spielräume vor oder frei, weitet oder verengt sie, sie macht sich einen Spaß daraus, einem fahrenden Auto Konkurrenz zu machen, sie kann aber auch ablassen davon und das Auto aus dem Bild brausen lassen. Nie lässt sie ein Auto einfach ins Bild hineinfahren und anhalten, nein, wie beim Hasenzickzack sind da meist zwei Kurven zu bewältigen. Sie arbeitet als Drohne oder Stedaycam, sie hat aber auch die Ruhe weg, wenn die exzellenten Männerdarsteller in der betörenden Regie von David Mackenzie ihre Denkpausen und spröden Dialoge haben, wenn sie mehr gurgeln als sprechen.

Um den Film qualifiziert loben zu können, müsste ich ihn mindestens nochmal anschauen, um detailliert nachzuerzählen, wie die Musikstücke passgenau ausgewählt worden sind, wie eine kleine Szene in einem Restaurant mit einer alten Frau als Bedienung zum literarischen Kabinettstückchen (die Nummer mit den T-Bone-Steaks) avanciert oder wie die unwissentliche Begegnung einer weiblichen wie naiven Bedienung im Schnellimbiss mit einem Bankräuber von kribbelnder Erotik sein kann, denn das Trinkgeld lässt sich sehen. Wie dank Drehbuch und Regie die Figuren einen höchsten Grad von Glaubwürdigkeit entfalten; das sollten die Macher des Fernsehfilmes Die Diva, Thailand und Wir, der gestern im Fernsehen gezeigt wurde, mal ganz genau studieren. Es geht auch dort um kaputte Familienverhältnisse in exotischem Ambiente.

Oder die Zeichnung der beiden Cops, wie kraftvoll die sind, wie bei ihnen im Countdown Adrenalin und Jagdfieber sich hochschaukeln, wie korrekt sie immer angezogen sind bis auf das kleine Kettchen auf halber Höhe der Krawatte und immer den Mexikaner-Hut auf.

Mackenzie brilliert mit exakter Milieuschilderung, mit haarscharfer Menschenbeobachtung und schafft so glaubwürdige Charaktere und in jedem Moment packende Situationen.

Kleiner Gag en passant, wie Jeff Bridges im Sitzen den Hut abnimmt und auf dem Fuß des Beines, das übers andere geschlagen ist, selbstverständlich wie auf einem Garderobeständer ablegt, denn man muss auch mal plaudern und nachdenken dürfen. Hut ab.

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