Ein Haus in Ninh Hoa

Von besonderem Interesse.

Zwischen den Antipoden unseres eingeschränkten Vietnambildes von ‚Apocalypse Now‘ einerseits, dem monumentalen, filmischen Mahnmal zum Vietnam-Krieg und ‚dem Vietnamesen‘ an der Ecke mit dem schnellen Reisgericht andererseits erweitert Philip Widmann, der mit dem Protagonisten Nguyen Phuong-Dan auch das Drehbuch geschrieben hat, unseren Vietnamhorizont mit der eingehenden Betrachtung des Hauses der Familie von Phuong in Ninh Hoa.

Phuong lebt seit 42 Jahren in Deutschland. Er möchte sich seines Bildes von Vietnam als Auslandsvietnamese vergewissern, denn er ist sich nicht sicher, ob seine im Ausland geprägte Vorstellung seines Heimatlandes mit den realen Begebenheiten in Einklang zu bringen ist.

Phuong kehrt mit dem Dokumentaristen Philip Widman zur Familie und dem Familiensitz in Ninh Hoa, das am Meer liegt, zurück. Es ist ein Drei-Generationen-Haus, herrschaftlich in Ausstattung und Ausmaß. Es wird bewohnt von der Oma, 92 Jahre, von drei Geschwistern, zwei ledige Schwestern, ein verheirateter Bruder, dessen Frau und der Sohn, der studiert bereits in Hanoi. Der vordere Teil ist der repräsentable; im hinteren Teil und daran anschließend wird eine bescheidene Landwirtschaft betrieben, Hühner, Obst, ein Reisfeld; die beiden Schwestern betreiben auch etwas Handel.

Ein Anlass für die Reise in die Heimat ist die Suche nach den sterblichen Überresten von Ham, dem Onkel von Phuong, der im Vietnam-Krieg verschollen ist. Dadurch landet Phuong mitten in der lebendigen Tradition des Engagierens eines Mediums, das behauptet, mit den Geistern der Verstorbenen der Familie in Kontakt treten zu können. Eine ernsthafte Angelegenheit, die Geld kostet. Uns ermöglicht das einen Einblick in die Wichtigkeit von Schamanen, Medien und Geistern in Vietnam.

Aus Deutschland trifft auch eine Nichte ein, ganz in Weiß gekleidet, die ein Hausteil hat anbauen lassen und das vermieten möchte.

Der Krieg hat seine Spuren hinterlassen. Aber man muss ihn vergessen können. Zwischen den Ausgewanderten und den Daheimgebliebenen herrschte reger Briefwechsel.

Diese Erkundung ist vielleicht deshalb so eindrücklich, nicht nur weil sie voller Geheimnisse und Andeutungen bleibt und manchen Bezug erst am Schluss klar macht, sondern auch, weil der Dokumentarist die Position des forschenden Betrachters Phuong einnimmt, der Gebäudeteile, Gebäudeansichten auf sich wirken lässt, der mal nur auf dem Bett liegt und sinniert, der den Zuschauer selbst betrachten und nachdenken, Fäden spinnen, Details entdecken lässt und ihn nicht gängelt mit der unsäglichen Mäuschen-Methode (wie besonders häufig bei Abgängern von der HFF-München zu beobachten): sich erst ins Vertrauen der Protagonisten einschleichen, dann dabei sein und die Kamera drauf halten, um anschließend das Material irgendwie zu verwursten und zu verwerten – das ist hier nicht der Fall.

Hier gibt es Hausansichten und solche von tätigen Hausbewohnern und dazu ist der Verkehrslärm zu hören der Hauptstraße, die vorneheraus vorbeiführt und offenbar eine ewige Baustelle ist. Überhaupt scheint die Tonspur vor allem aus O-Tönen zu bestehen; gesprochen wird vietnamesisch; das ist mit gut lesbaren, deutschen Untertiteln versehen.

Eine unaufdringliche Doku, die zwischen den eingangs erwähnten Antipoden vereinfachender Vietnam-Pauschal-Bilder ein subtiles Gemälde voller Geheimnis und Unausgesprochenem entstehen lässt.

Zum Geld scheinen die Vietnamesen ein lockeres Verhältnis zu haben, das lässt eine Geldverbrenn-Opfer-Szene vermuten. Aber eine Regenjacke, in die leicht hineinzuschlüpfen ist und mit Kapuze dazu, die wird von der 92-jährigen Oma mit Dankbarkeit als Geschenk aus Deutschland angenommen. Der Film kann auch gelesen werden als ein mildernder Beitrag zur aus dem Ruder laufenden Migrationsdebatte. Trotzdem verliert Vietnam nach diesem Film sein Geheimnis nicht.

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