Kommentar zu den Reviews vom 22. Dezember 2016

Weihnachten naht: Tiefe Tiefen der Wirksamkeit von Literatur von Tom Ford in schicke Form gebracht, ein Agenten-Love-Krimi als Genusskino pur, eine schöne Bescherung aus Schweden, Ethnographisches von Disney präpariert, einem alten Kauz in Paris wächst eine WG zu und da die VIER GEGEN DIE BANK Angst vor Kritik haben, gibt es stattdessen eine Review zu einem Film, den es gar nicht gibt; dazu zwei Kurzfilme aus München, einer nimmt gallig den Winterzirkus unter die Lupe und der andere die Flüchtlingsintegration am Beispiel des Fußballs.

Kino
NOCTURNAL ANIMALS
Im eleganten New Yorker Galeriebusiness ist mittels Literatur Abgründiges auszumachen.

ALLIED: VERTRAUTE FREMDE
Kann Liebe lügen?

EINE SCHÖNE BESCHERUNG
Der Titel meint den Unterton im Text, Weihnachtstory aus Schweden.

VAIANA
Südsee, Coming-of-Age, Seereisen und Abenteuer, um ein Herz dahinzubringen, wo es hingehört.

GEMEINSAM WOHNT MAN BESSER
Auch wenn erwartbar ist, dass der alte Finsterling durch sein frische Mitbwohnerin vom Lande aufweicht, so ist es doch des Sehens wert, denn es kommen noch andere Bewohner dazu.

DIE ÄNGSTLINGE – DER FILM. VIER GEHÖREN AUF DIE BANK
Es waren einmal vier Helden mit irrer Angst vor Kritikerzeilen.

Kurzfilm
PISTENZAUBER
Der Zauber dieser Piste dürfte mehr für die Aktionäre des Skizirkus sichtbar sein.

IN OUR COUNTRY
Flüchtling aus Eritrea muss lernen, dass Begeisterung für Fußball fürs Profitum nicht reicht.

Gemeinsam wohnt man besser – Adopte un Veuf

Die komödiantisch-boulvevardtheaterhafte Variante zu Frühstück bei Monsieur Henri. Verbiesterter, eigenbrödlerischer alter Mann in großer Pariser Wohnung wird aufgemischt von nicht gewollter, unerwünschter Mitbewohnerin und wird aus seiner selbstverordneten Isolation herausgerissen.

So weit so nachvollzieh- und erwartbar und hier im Film von Francois Desagnat nach Treatment und Drehbuch von Jérome Corcos und Catherine Diament amüsant allein durch schauspielerischen Elan und Generationenanstachelung. Wobei die Begeisterung für die Begeisterung fürs Genre gerne ins Kraut schießt.

Es gibt die kleine Rahmenhandlung für die Lebensroutine des kinderlosen Witwers und Geburtshilfearztes Hubert Jaquin (der fabelhafte André Dussolier). Er will mit seinem Freund Samuel (Nicolas Marie) nach Mallorca fliegen. Allerdings überfordert ihn die Tatsache, dass Samuel zwei kesse, junge Bienen als Begleiterinnen aufgetan hat. Herbert macht konfus rechtsumkehrt, lässt die zwei Frauen im Wagen seines Freundes zurück.

In der Bäckerei mit einer paradehübschen Bäckereiverkäuferin findet er die Annonce einer Putzfrau mit vietnamesischem Namen. Durch einen kleinen Erreur taucht bei ihm aber Manuela (Bérengère Krief, eine weitere wunderbare, französische Darstellerin) auf. Sie sucht ein Zimmer. Lässt sich als vermeintlicher Putzfrau erst die geräumige Wohnung zeigen, die sich genau so gut als Pension eignen würde.

Nach ein paar dramturgischen Kniffen hat sie die widerwillige Zusage. Sie zieht als erstes die Vorhänge auf, die ewig schon geschlossen gewesen sein müssen. Alles erwartbar, aber weil prima gespielt, ebenso genießbar.

Ganz schnell lässt der Alte sich zu ebenso erwartbarem Fez verführen, Tanz und Capirinha. Jetzt ist die Atmosphäre so locker, dass er bereit ist, einen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot in Paris zu leisten. Ein Kandidatencasting lässt den Anwalt in Scheidung J.P. (Arnaud Ducret) und Marion (Julia Piaton) in zwei weitere Zimmer einziehen.

Somit kann das Leben losgehen in der Bude, können Autoren, Regisseur und Schauspieler zuschlagen und sie haben so viel Spaß dabei und Angst davor, es könnte langweilig werden, dass sie zur Illustration des WG-Wonnegefühles nebst diversen Beziehungsstories auch noch eine kleine Schelmengeschichte einbauen, die mit Reptilien zu tun hat, eine abenteuerlich geheimnisvolle nächtliche Aktion wie im Kinderabenteuerfilm.

Alles halb so wild, halb so ernst, die Musik erzählt definitiv und in erster Linie: hier geht es darum, ein gutes Gefühl zu erzeugen und nicht um die Erklärung oder Ergründung der tieferen Ursache von Konflikten auf der Welt, sondern darum, lustvoll über die Untiefen des Lebens zu segeln und über die Runden zu kommen. Einigermaßen gelungen.

Unterhaltsam in und wegen seiner absehbaren Folgerichtigkeit und Rückvermenschlichung der Hauptfigur, ausgelöst durch eine Unachtsamkeit, wohl: Freudsche Fehlleistung des Hauptakteurs.

Allied: Vertraute Fremde

Hier ist alles in der Schwebe, vielleicht weil Robert Zemeckis auf solidem erzählerischem Grund baut, auf dem Buch von Steven Knight (Bauernopfer – Spiel der Könige, Madame Mallory und der Duft von Curry, No Turning Back)

Die Geschichte ist so spannend wie in Zemeckis‘ Vorgängerfilm The Walk (auch Flight ist von ihm): der Gang des Seiltänzers Philippe Petit über das Seil, das er zwischen den beiden Türmen des im Bau begriffenen World Trade Centers gespannt hat. Abgrund allerorten.

Ähnlich ergeht es den beiden Protagonisten Max Vatan (Brad Pitt) und Marianne Beauséjour (Marion Cotillard). 1942 würfelt sie ihr Agentenschicksal im von den Deutschen besetzten Französisch-Marokko als vorgebliches Ehepaar zusammen.

Max landet mit dem Fallschirm in der Sahara. Ein Fahrer holt ihn ab. Er erhält minimale Informationen, dass Christine seine Gattin sei, dass sie am Vögelchen auf dem Schultertuch zu erkennen sei, dass sie mit Freunden in Casablanca im Kaffee sitze, dass er, der Brite, der hier einen Franzosen aus Paris mimen muss, einige Tage Urlaub habe, um sie mit seiner Gattin zu verbringen.

Schnell noch den Ehering angesteckt, die Papiere mit der neuen Identität durchgeschaut, den Koffer mit den Waffen im doppelten Boden erkundet – so wird er vom Fahrer mitten in der quirligen Stadt abgeladen. Auf ins Kaffee. Eine Seiltanzpartie von höchster Konzentration, nur kein Ausrutscher, die neue Identität perfekt spielen, auf Anhieb, ohne Proben, ohne vorheriges Kennenlernen.

Ein Grundsatz bei solch falschen Spielen unter Agenten ist, keine persönlichen Beziehungen entstehen zu lassen, die Liebe nur vorspielen, sie nicht sich entzünden lassen. Wobei da und dort ein Kuss sein muss. Man wird beobachtet. Man muss glaubwürdig bleiben, überzeugend wirken.

Es kommt härter: ein deutscher Offizier erkennt Max, der hier nicht Max ist, sondern Maurice heißt, während Marianne hier nicht Marianne ist, sondern Christine heißt. Der Auftrag der beiden ist es, ein Attentat auf den deutschen Botschafter in Casablanca auszuführen, ihn zu eliminieren. Im Gegensatz zum Einzelgängerattentat von Elser funktioniert das hier reibungslos.

Zemeckis erzählt das hochspannend, ihre Vorbereitungen, wie die beiden Schießübungen machen, wie sie Liebe vorspielen, wie sie sich näher kommen, das Prickelnde, die Einladung zu der Veranstaltung zu erhalten, immer schwebt das Misstrauen mit, gibt es kleine, unerwartete Identitätstest, kleine Fallen – ein Fehltritt und die Mission ist gescheitert, die Agenten können sofort tot sein.

Das Attentat ist also gelungen. Nur ist der Film noch nicht aus, er ist noch keine Stunde alt, da ist Max zurück in England, ist weiter beim Militär beschäftigt. Er schafft es, das eiserne Gesetz, Beziehungen unter Agenten nicht aufkommen zu lassen, zu durchbrechen; Marianne folgt ihm, sie heiraten, haben ein Kind; aus gespielter Liebe ist „echte“ Liebe geworden. Eine atemberaubende Szene ist die Geburt von Anna mitten in einem „blitz“ zwischen zusammenbrechenden Häusern und Bomben auf der Straße in London.

Kurz denkt der Zuschauer, hm, was soll jetzt noch kommen? Aber hier weiter zu erzählen, das halte ich nicht für angebracht. Das große Erzählekino von Zemeckis hat noch einige Twists auf Lager, hat noch einige Pfeile im Köcher, verliert keineswegs an Spannung. Und entlässt den Zuschauer glücklich und befreit, dass es so ein Kino gibt, das meisterlich die Kunst der Erzählung pflegt.

Vaiana

Schon Monate vor dem Filmstart hatte Disney zu einer frühen Präsentation dieses Filmes eingeladen. Dabei wurden von der Produzentenin Osnat Shurer die Grundzüge der Entwicklung der Story und einige Szenen präsentiert. So dass man sich schon ein präzises Bild vom Film und den dahinter steckenden Erfolgsrezepten machen konnte.

Der eine Aspekt sind Geschichte und Kultur der Südseeinseln Fidschi, Samoa und Tahiti. Faszinierend zu hören, wie die Vorfahren ohne technische Hilfsmittel auf einfachen Schiffen und Katamaranen den Pazifik durchpflügten. Wie sie dann auf einen Schlag sesshaft wurden für 1000 Jahre und dann ging die Seefahrerei plötzlich wieder los, erwachte offenbar das alte Kulturgut zu neuem Leben.

Einen solchen Vorgang bauen die Autoren Jared Bush, Ron Clements +3 und die Regisseure Ron Clements und John Musker + 2 elementar in ihre Story ein. Sie gehen von der sesshaften Inselkultur aus. Der Stammeschef ist ein bulliger Typ mit Lockenmähne und Halsgepränge aus Zähnen und Muscheln und volltätowiert (die Tattoos werden Analss zur Animation eines Klein-Maui geben); er will nichts von der Seefahrervergangenheit wissen.

Mauis Tochter ist die Hauptfigur des Filmes und heißt Vaiana. Sie wird zuerst als kleines Mädchen zu sehen sein, wie es am Wasser spielt und Beziehung zum Wasser, dem die Filmemacher auch eine Seele und einen Charakter attestieren, aufnimmt. Das Wasser ist wohlwollend zu ihr, bildet einen Gang, wenn es hineinschreiten will, wie einst das Meer um Moses oder bringt es auf einer Schale zurück an den Strand und winkt ihm mit einer Welle humanoid zu. Damit ist auch diese Beziehung charaktersiert als eine furchtlose, Vertrauen erweckende.

Von der Oma (die sich selbst als schräge Alte charakterisiert) hört Vaiana die Geschichten ihres Stammes, die Seefahrergeschichten. Oma wird sie in eine geheime Höhle führen, jetzt ist Vaiana eine junge Frau, 16, Coming-of-Age, auf der Suche nach Identität und Selbstbestätigung.

Diese Höhle sieht aus wie ein Schiffahrtsmuseum. In ihr sind die Schiffe aus früheren Zeiten aufbewahrt. Hier erwacht der unbändige Wille der jungen Frau hinauszufahren über die Meere der Welt.

Nebst dem Abenteuerwillen und der Selbstsuche gibt es einen ganz konkreten Zweck: den Fidschi soll das Herz aus der Sage zurückgebracht werden. Als Reisebegleiter wird Vaiana unterwegs den wieder zum Leben erweckten Maui haben. Ziel ist die Rettung ihres Stammes.

Damit kann das Roadmovie zu Meer losgehen, fehlen nur noch ein paar Disney-kompatible Begleitfiguren, alle leicht beschädigt oder eingeschränkt, aber voller Herz, Hei Hei, „der dämliche Hahn“, wie das Presseheft ihn beschreibt oder Pua „ein putziges Hausschweinchen“, das all die netten Regungen zeigt, die auch jedes Raubtier, wenn es klein ist, als süß ausweisen, mit niedlichen Reaktionen, die im Zuschauer den Mutterinstinkt oder in Erinnerung daran das Lachen hervorrufen.

So eine Reise braucht Gefahren. Das kann eine Insel mit einem riesig hohen Nadelberg von Felsen sein oder die seeräuberischen Kohorten der Kokomora, Massen von Kokosnüssen auf gewaltigen Kriegsschiffen.

Ist die Story noch ethnologisch begründet, so wird auf der Abenteuerreise das typische Disney-Comedy-Sortiment und gekonnter Routineblödsinn eingesetzt werden, Gags über Gags, alle paar Sekunden einer, auskalkuliert bis dort hinaus und zwischendrin immer mal wieder ein erwartungsgemäß mitreissender Song.

Nach dem Screening des gesamten Filmes entsteht der Eindruck einer gewissen Widersprüchlichkeit zwischen dem Perfektionsanspruch an Geschichte und Darstellung einerseits und einer gewissen Willkür und Beliebigkeit des Einsatz von mirakulösem Hokuspokus und Niedlichkeitselementen andererseits (diese des Schweinchens und der Welle und auch mal des Hahns); auch scheinen sich die Filmemacher in ihrer Idee der tanzenden Tattoos verliebt zu haben und diese etwas zu oft um ihrer selbst willen eingesetzt zu haben.

Der Start um Weihnachten herum bringt uns frierigen, fröstelnden Mitteleuropäern immerhin Südseesonne und eine elementar-kulturelle Geschichte großzügig angereichert mit Disney-Lustigkeit an Gags und Figuren.

Nocturnal Animals

Rätsel – oder keines.

Tom Ford hatte 2009 mit A Single Man Stil und Geschmack bewiesen und Interesse und Bewunderung geweckt.

Für seinen zweiten Film hat er den Roman „Tony und Susan“ von Austin Wright zur Verfilmung gewählt. Der plakative Inhalt ist der, dass eine erfolgreiche Galeristin, Amy Adams als Susan, von ihrem lange verflossenen Ex (Jake Gyllenhaal), der Autor ist, ein Buch erhält.

Das Buch ist Susan gewidmet. Darin wird sie als „nächtliches Tier“ gezeichnet. Durch die Lektüre des Buches geht in ihr eine Veränderung vor sich. Der bislang konsequent sorgenvolle Gesichtsausdruck weicht einem entspannten, Rouge und Schminke sind weg.

Formal ist dadurch eindeutig eine Forderung an klassisches Erzählkino erfüllt, dass die Hauptfigur durch die Erlebnisse, die sie in der Geschichte durchmacht, eine Wandlung – idealerweise zum Guten – erfährt.

Die Besonderheit hier ist, dass sie statt eine Abenteuerreise zu bestehen, nur ein Buch liest. Und dass der Filmemacher Szenen aus diesem Buch verfilmt.

Egal, was Tom Ford sich vornimmt, stilistisch ist es vom Feinsten, vom Auserlesensten. Überraschend oder rätselhaft allerdings ist das, was sich in dieser Lektürengeschichte, die zwischen das hochelegante, hochluxuriöse Galeristinnenleben geschnitten wird, abspielt: es ist eine extrem abgelutschte Wild-West-Selbstjustizgeschichte.

Darin spielt Susan die Hauptrolle und ihr Ex-Mann und Autor ist da noch ihr Freund. Mit diesem Ex-Freund und ihrer Tochter ist sie in einem geräumigen Wagen nächtens unterwegs im Niemandsland des Westens. Sie werden angemacht von drei unangenehmen Typen, die ebenfalls auf der leeren Straße unterwegs sind. Die Sache endet so, dass Susan, die Lesende, ziemlich mitgenommen wirkt; die erfundene Story trifft sie im Innersten.

Bei einem von Susans Wegen durch die Galerie hält die Kamera pointiert auf einige referentielle Kunstwerke: eine Märtyrer-Installation, nicht der Heilige Sebastian sondern ein schwarzer Bock, eine Bildtafel mit dem Wort „Revenge“ und ein Foto mit einer Wild-West-Schießerei.

Was allerdings die Performance zu Anfang des Filmes anlässlich einer Vernissage mit überdicken, nackten Frauen mit der Story zu tun hat, bleibt mir schleierhaft, auch wenn eine minimale Referenz in einer der Wildwestszenen, in einer Art Spelunke zu finden ist, in Form einer dicken Frau, die auf einem Stuhl sitzt, nuttenhaft.

Auf einen Unterschied zwischen dem Autor und der Galeristin macht ein Gespräch aufmerksam, sie behauptet, im Leben zu stehen und er würde das nicht tun.

Stichwörter, während des Screenings notiert: Edelhorror? Stylish Movie. Hollywoodschöne Männer – Nuscheln als Accessoire. Zeigt sich in der zusehenden Aushöhlung des Western-Genres eine kulturelle Veränderung? Alles irrsinnig malerisch, hochglanzmagazinhaft.

Eine schöne Bescherung – A Holy Mess

Dass die Familie der erste Ort für Toleranz und Kompromisse ist und dass Weihnachten als das Familienfest schlechthin (und schlachterdings… und Heilige Familie) ist, bei dem diese Kriterien hart auf den Prüfstand gestellt werden, erzählt Helena Bergström nonchalent in ihrer turbulenten Familienweihnachtskomödie.

Simon (Anastasios Soulis) und Oscar (Anton Lundqvist) sind die beiden Liebenden, die ihre Familien zu diesem Fest in ihr neuerstandenes Haus einladen. Ein Fest voller Überraschungen – da haben sie dann ihre Bescherung (a holy Mess, wie der internationale Titel dieses schwedischen Filmes heißt), denn bei ihnen ist auch die hochschwangere junge Frau Cissi (Rakel Wärmländer) und es gibt ein Zimmer, das wollen sie dem Vater von Oskar Ulf (Robert Gustafsson), einem konservativen, wenn nicht reaktionären, Staatsanwalt, nicht zeigen, dafür entdeckt dieser bei der Hausführung durch seinen Sohn in einem überquellenden, verstaubten Abstellraum einen Saab-Oldtimer. Darum geht es nun aber wirklich nicht, so sehr dieser Fund den Vater aufregt.

Aber es ist auch schwer, beim Zusammensein einer so zahlreichen Familie zu Wort zu kommen, um etwas loszuwerden, was einem auf dem Herzen liegt. Denn nebst Vater und Mutter (Maria Lundquist) von Oscar und dessen Schwester sind auch der Vater von Simon Millitiadis (Michalis Koutsogiannakis) und dessen Exfrau mit ihrem neuen Freund Rami (Peshang Rad), einem Araber und Muslim, anwesend, sowie der kleine Bruder von Simon, der Familiengeheimnisse umgehend über Instagram verbreitet, und noch die Oma. Die Eltern von Oscar hatten im Hotel schon eine Begegnung mit dem Vater von Simon, unbekanntweise und nicht von der besten Seite, was zu einem klassenspezifisch sehr komischen Dialog über Beschäftigungsverhältnisse führt.

Dabei haben sich Simon und Oscar so viel Mühe gegeben mit den Vorbereitungen, um jegliche Vorurteile aus dem Weg zu räumen, sie haben den Garten dekoriert wie die Weltmeister, sie haben gebacken und gekocht und Glühwein selber gemacht was das Zeugs hält und sind sogar bereit das gewohnte Fernsehprogramm mit Donald Duck um 16 Uhr anzuschauen – aber in der Familie äußern sich auch ganz ungeniert private Vorlieben, Unverarbeitetes, nicht für alle Ohren Geeignetes, wodurch Helene Bergström Stoff und Power genug für eine kraft- und dialogvolle Regie, die auf Slapstick nicht verzichtet, bezieht.

Dieser Spielfilm könnte als eine fiktionale Ergänzung zum deutschen Dokumentarfilm Vier werden Eltern gesehen werden, wobei auch hier die Frage „Wie habt Ihr das gemacht“ neugierig im Raum hängt: „nach Kopenhagen zur Insemination?“.

Pistenzauber (Kurzfilm)

Die Kunst des Kurzfilmes. In zwanzig Minuten etwas erzählen, das aufschlussreich ist, das man rekapitulieren kann, das zu schauen Vergnügen bereitet.

Das ist Korbinian Dufter hier ganz gut gelungen (er hat dafür den Shocking Shorts Award 2016 gewonnen).

Dufter nimmt mit seiner schwarzen Komödie auf weißer Piste in dunkler Nacht den Skizirkus auf die Schippe, resp. dieser geht bei ihm von der Schippe. Er zeichnet ihn als das absurde Ineinandergreifen eines Räderwerkes aus lauter indivduellen, nicht synchronisierten Rädern mit eigenen Zielen – Assozitation: Tinguely-Maschine – aus den Bedürfnissen Yoga und Skifahren, Ficken und Blasen, Pistenraupenvorschriften und knarzende Kette, Schredder und Selbstanzeige, aus bunten Bällen auf der Piste, Erste-Hilfe-Kurs, Disko, Anmache und Lächerlichmachung durch Liebesbriefe.

Nur das Rad der alpen- und menschenvernichtenden Ski- und Tourismus-Industrie, der Investoren, der Geldmacher, das dreht sich rücksichts- und gnadenlos, planiert mit der Pistenraupe alles andere unter sein Ziel des Geschäfts, schaufelt wie ein großes Zahnrad (der Seilbahn) unaufhörlich sich drehend den Gewinn herbei.

Super geschrieben, super inszeniert, super gespielt und last not least, super gefimt von Tim Kuhn, mit dem die aktuelle Ausgabe von Kameramann, Bild, Ton & Schnitt ein Interview führt.

In Our Country (Kurzfilm)

Ein positiver Spot auf das Flüchtlingsproblem, ein edel gesinnter Blick ist dieser Kurzfilm von Louisa Wagner, die mit Saskia Hahn auch das Drehbuch geschrieben hat.

Er könnte als Vorfilm zu Willkommen bei den Hartmanns gezeigt werden; auch er ist eine Illustration zum Satz „Wir schaffen das“, selbst wenn die Kanzlerin davon längst abgerückt ist.

Allerdings bekommt der Flüchtling Tekle (Alexes Feelmo) seine Grenzen zu spüren: er will Fußballstar, Abwehrspieler, werden; dazu reicht es nicht, da ist er zu spät dran; das will ihm der Auftritt in der kleinen, bayerischen Fußballmannschaft aus wohlerzogenen Jungs zeigen; er ist zwar laufstark aber nicht begabt genug.

Dass er seinen Traum nicht erfüllen kann, beschert ihm ein Problem hinsichtlich seiner Heimat Eritrea; denn die Eltern werden dem Staat viel Geld zahlen müssen für die Flucht der beiden Söhne.

Der Bruder ist in der Wüste zurückgeblieben, verdurstet. Die Bilder aus der Vergangenheit werden in brenzligen Fußballsituationen als Flashbacks dazwischengeschnitten.

Nach misstrauischem Beäugen und nachdem unser Protagonist sich mit dem Deutschen Anton (Toto Knoblauch) angefreundet hat, nimmt ihn der Rest der Mannschaft an, eine sympathisch gecastete Truppe junger Talente, und die Schlagwörter zum Zuprosten, die hat der Immigrant schon drauf.

Ute Bolmer verfolgt diese Annäherung mit empathischer Kamera, die ständig in aufmerksamer Bewegung ist. Über sie ist mehr zu erfahren im „Kameradialog“ in der aktuellen Ausgabe von Film & TV Kameramann.

Die Ängstlinge – Der Film. Vier gehören auf die Bank

Dies ist eine Review über einen Film, der nie gedreht worden ist; die Charaktere sind erfunden, die Handlung ist fiktiv; Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits gestorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Es ist ein Film über einen Film hinter einem Film.

Die Dramatis Personae sind Schrill Geiger (bekannt dafür, einen der wenigen deutschen Afghanistankriegspropagandafilme gedreht zu haben), Mandolina Keepsilent-Courter, Bullet Hereby und Jay Jay von Schlieben. Sie sind deutsche Subventionsstars, Hechte, die im trüben Karpfenteich des Kinolandes fischen.

Es sind Männer im Safte ihrer Kraft und ihres Erfolges, sie stehen mitten im Leben, haben allen Grund zur Selbstsicherheit, haben sich beachtliches Können erarbeitet, einen guten Ruf, kurz, sie haben alles erreicht, was man erreichen kann im Tümpel des hochsubventionierten deutschen Kinos und in so kurzer Lebenszeit.

Sie haben sich zusammengetan, um den großen Kino-Coup zu landen. Sie wollen allen zeigen, was fetziges Kino ist und Komödie dazu; sie wollen Ernst Lubitsch und Billy Wilder Mores lehren. Zu diesem Zwecke haben sie einen in Hollywood abgehalfterten deutschen Altmeister angeheuert (der hier frech nach mehr Subvention mosert). Der hat in einer Kommode, die er in der Heimat vergessen hatte, ein vergilbtes Manuskript gefunden, das vor Urzeiten Fernsehredakteure für drehenswert gehalten haben.

Mit dem aufgemotzten Altpapier wollen sie Furore machen. Es ist ihnen zuzutrauen. Sie haben öffentliches Geld zur Finanzierung aufgetrieben, Steuergelder, Zwangsgebührengelder. Sie stehen kurz davor, ihr Werk dem breiten Publikum zu präsentieren. Dazu macht so ein Projekt normalerweise aufgeregten, systematischen Medienwirbel, lädt, wer immer über Film bereichtet, zur Vorbesichtigung bei einer sogenannten Pressevorführung ein.

Doch just in diesem Moment verlässt unsere Helden (oder ihr Verleiher) die Courage. Sie geraten in enormen, inneren Konflikt. Die Scheißerei überkommt sie, die Angst, au, wenn die uns zerreissen, wenn die nicht gut über uns schreiben? Wie, wenn ein Blogger, womöglich einer aus Dinkelsbühl, uns nicht wohlgesonnen ist? Das ist eine ziemlich komische Szene, diese ausgewachsenen, millionenschweren Männer vor so kleinen Texten so riesenhafte Angst haben zu sehen, vor ein paar Wörtern und Sätzen, sie wie Espenlaub zittern sehen. Ängstlinge. Sie im inneren Monolog brüten sehen, oh, wie geschieht uns dann? Wir möchten doch geliebt und gehätschelt und verehrt werden. Wir sind Kritik nicht gewohnt. Kritik und Subventionskultur vertragen sich doch nicht, von Natur aus nicht. Unsere Beziehung zur Kritik ist im Eimer (das ist tatsächlich ein Problem, aber daran ließe sich arbeiten). Sie werden kurzatmig, ringen um Fassung, müssen sich auf eine Bank setzen.

Aus dem Hintergrund flüstert ihnen ein gewisser Bazin aus Frankreich beruhigend und suggestiv etwas zu über die Wirkkraft des Kritikers im Zusammenhang mit dem Fluss. Sie hören ihn nicht.

Sie hirnen und hirnen, wie sie es schaffen können, nur gute Kritiken zu erhalten. Sie lassen sich die Stirn mit kalten Tüchern abtupfen, denn so ganz sind sie von ihrem Werk doch nicht überzeugt und ein klitzekleines Bisschen Primadonnen sind sie inzwischen auch.

Mitten in die lastende Stille hinein hat so ein Vogel, der Oberschlaumeier von allen, die gloriose Idee: wir laden zur Pressevorbesichtigung nur Hofberichterstatter-Medien ein, dann bekommen wir garantiert nur Elogen. Heureka! Die Anspannung weicht aus den Gesichtern der Helden.

Und so halten sie es denn auch, wählen ganz streng aus, wer ist genehm und wer nicht, und nur wer unkritisch schreibt, bekommt eine Einladung zur Pressevorführung. Sie halten das für genial.

Allerdings ist da ein kleiner Schönheitsfehler dabei: denn ihr Werk ist mit öffentlichen Geldern finanziert, diese nehmen sie skrupellos in Anspruch. Das inkludiert allerdings auch, dass die Öffentlichkeit ein Recht auf umfassende Information hat, erfahren zu dürfen, was sie mit dem Geld anstellen. Hier werden unsere sonst nicht um Statements verlegenen Hechte plötzlich wortkarg. Das ist ihnen jetzt gar nicht recht. Skrupulös und wie die Jungfrau, die sich ziert, sperren sie einen Teil der multiplizierenden Öffentlichkeit aus. Das ist vor dem Hintergrund, dass sie öffentliches Geld in Anspruch nehmen, selbstredend ein gravierender Fauxpas: Geld von der ganzen Öffentlichkeit nehmen, aber eine Teilöffentlichkeit bei der Information außen vor lassen, das geht gar nicht.

Und wie es so ist mit Dingen, die nicht in Ordnung sind, sie haben in einer Geschichte ihre Folgen. Denn es handelt sich nicht um einen minimalen Schönheitsfehler. Also bedient sich der Autor unserer Geschichte eines Trash-Elementes und lässt seinen Protagonisten dicke, eitrige Furunkel mitten ins Gesicht wachsen.

Aber sie sehen die Furunkel nicht. Sie tun so, als sei alles bestens. Und tatsächlich, ihr Rezept funktioniert. Der Film startet, begleitet und beworben nur von den begeistertsten Vorberichten. Die Kinosäle füllen sich, jeder will Zeuge des Jahrhundertwerkes werden, des Werkes, das Deutschland den ultimativen Spiegel vorhält, des Werkes, das dem deutschen Kino endlich zu Weltgeltung verhilft. Alles erstarrt vor Ehrfurcht vor diesem bedeutenden Kinowerk. Die Helden stehen kurz davor, in Siegestaumel auszubrechen, doch da platzt die Stimme eines kleinen Jungen aus der hintersten Reihe in die Stille hinein: „Die haben ja alle so einen fetten Furunkel im Gesicht!“

Fußnote: einer von den nicht genehmen Kritikern soll auf die Aussperrung hörbar erleichtert gäußert haben: Gottseidank, mir werden zwei Stunden Lebenszeit geschenkt.

Kommentar zu den Reviews vom 15. Dezember 2016

Schwerpunkt Hommage. Künstlerisch-reflexive Hong Kong Hommage eines Australiers, deutsche Künstlerinnenhommage mit Schwerpunkt auf dem Vornamen, Ami-Horror in Maine und als Kassenmagnet geplant eine amerikanische Hommage an die Rebellion. Auf DVD gibt es eine Hommage an eine Eminenz des deutschen Jazz sowie eine Doku über eine gendermultiple berliner Patchworkfamilie. Im Fernsehen gab es eine Hommage an Christine Ostermayer.

HONG KONG TRILOGY: PRESCHOOLED PREOCCUPIED PREPOSTEROUS
Eine verzwickte Sache: als weltberühmter Kameramann und Wahlhongkonger die Stadt in Bildern und Texten ihrer Bewohner loben und ergründen.

PAULA
Was hier in Haudrauf-Manier als ganz alltägliche Frau und Paula geschildert wird, war eine berühmte Malerin.

SHUT IN
Gepflegt bürgerlicher Haushalt in Maine mutiert vor unseren Augen zu einem Horrorhaus.

ROGUE ONE: A STAR WARS STORY
Imperial Kasse machen als Rebellenflüsterer.

DVD
CARLO, KEEP SWINGIN
Ein Muss für den deutschen Jazzfreund; wie der Jazz in Frankfurt über den Krieg sich rettet und dann wieder aufblüht.

VIER WERDEN ELTERN
Nicht, wie die Kinder gemacht werden, ist hier die Frage, sondern wie gleichgeschlechtliche Patchworkfamilien sich ihren Alltag organisieren.

TV
ANFANG 80
Blumen für Christine Ostermayer für diese Alters- und Geburtstagsrolle! Senioren RomCom made in Austria.