Die Reise mit Vater

Unter dem Dach der Produktionsfirma Filmallee von David Lindner findet sich hier ein homogenes Dream-Team an Playern zusammen von der Art, dass eins plus eins eben mehr als zwei ergibt: ein Filmerlebnis, das einen tief hineinzieht in die Geschichte ihres Vaters, die die rumänische Regisseurin Anca Miruna Lazarescu hier erzählt, uneitel und kein bisschen ausgestellt, so dass die Kälte des Mechanismus der Macht, wie sie hier aus der Zeit des Kalten Krieges geschildert wird, frostig heutig schaudernd den Rücken runter zieht.

Weil sich die Menschen offenbar nicht verändern. Das ist einem Gespräch zu entnehmen zwischen Mihai Reinholtz (dem Bruder des Vaters der Regisseurin, dargestellt von Alexandru Margineanu), deutschstämmiger Arzt in Rumänien, und Ulrike von Syberg (Susanne Bormann), die im München von 1968 als Studentin in einer revolutionären WG lebt. Dass die Welt nicht zu verbessern ist, das ist die Meinung, die Mihai vertritt, während Ulrike von revolutionärem 68-er Elan mit roten Fahnen nur so strotzt. Ihr rumänischer Besuch versteht allerdings schwer, wie sie den immensen Reichtum und Wohlstand in Westdeutschland offenbar so gar nicht wahrnimmt.

Das haben die Filmemacher hervorragend gelöst, dieses heute nicht mehr vorhandene München glaubwürdig und stimmig rüberzubringen, auch mit einer kleinen schwarz-weiß Fotostrecke (noch Rollfilm!).

Nicht nur Mihai landet hier, auch sein Vater, Tata genannt (Ovidiu Schumacher), und sein kleinerer Bruder Emil (Razvan Enciu) sind hier gestrandet, überraschend und unversehens und vollkommen unvorbereitet. Im Freien Westen. Die Launen der Geschichte hat ihnen für kurze Zeit ein Türchen durch den Eisernen Vorhang geöffnet.

Eigentlich wollten die zwei Brüder mit ihrem Vater in die DDR fahren wegen einer Gehirnoperation, die dieser dringend gebraucht hätte. Der Überfall der Sowjetunion auf die Tschechei verschloss die Grenze, ließ 50 rumänische Familie an der DDR-Grenze stranden, weil Ceausescu als einziger Ostblockstaatschef den Panzereinmarsch verurteilt hat.

Die rumänische Diplomatie hat für die kleine Karawane in echt nostalgisch gepflegten Ostblockfamilienlimousinen den Weg zurück über die BRD freigemacht.

Der Konflikt in München zwischen den beiden Brüdern, der jüngere will demnächst in Rumänien anfangen zu studieren, ist nun der, ob sie die Chance, zu bleiben, nutzen oder nicht. So schnell dürfte so eine Türe nicht wieder aufgehen.

Aber Emil ist verliebt, das ist eine kräftige Macht und am Fernsehen sprach ein relativ junger Ceausescu mutig gegen den Einmarsch. Das lässt Hoffnung zu. Andererseits muss Emil mit Repressionen rechnen, falls nur er zurückkehrt und sein Bruder nicht; Sippenhaft.

Dann der Schock, wie die Jugend im Westen den Wohlstand so gar nicht schätzt. In der Essenz schmerzt das kalte Machtgebaren der Politik von den Staatschefs bis zu den kleinen Funktionären, wobei es auch hier wieder Ausnahmen gibt, aber dass es so schmerzhaft zu Tage tritt in einer vergangenen Geschichte und von heute so vieles sichtbar macht, die gesellschaftlichen Rückschritte in Russland, Polen, Ungarn, der Türkei, die restaurativ-nationalistischen Regungen allerorten, das fällt mir bei diesem Film besonders auf.

Es ist das Zusammenspiel der Details und der Gewerke, das diese Geschichte so schlagkräftig macht. Es ist die ausgezeichnete Besetzung, allein der beiden Brüder Mihai und Emil, des Vaters, der Deutschen und all der kleinen Nebenfiguren, die sich perfekt einfügen. Es ist die fabelhafte Kamera von Christian Stangassinger (siehe Interview in ‚Film und TV Kameramann 12/2016‘, erscheint am 20. November 2016), der gerade nicht den Ehrgeiz entwickelt, die großartige Ausstattung von Petra Albert als eigenständigen Akteur in den Vordergrund zu rücken, weil doch so viel Liebe und Können darauf verwendet wurde, sondern sie im Hintergrund als stimmige Grundmelodie versinken zu lassen; das dürfte just der Grund sein, warum der Film in keiner Sekunde museal wirkt.

Es ist die oft jazzige Musik von Ferenc Darvas, die ab und an behauptet, he, die Geschichte ist schon wichtig und Pep hat sie auch.

Es ist der Schnitt von Dan Olteanu und Altmeister Hansjörg Weißbrich, der gerade auch die gelegentlichen Kämpfe und Rangeleien und Ausbrüche heftig und glaubwürdig erscheinen lässt.

Und allen voran das Drehbuch und die Regie von Anca Miruna Lazarescu, die ihrem Vater Emil eine schönere Hommage nicht hätte schenken können.
Durch dieses wie selbstverständliche Eintauchen in die Kalte-Kriegs-Zeit werden deren Mechanismen als schockierend heutig spürbar.

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