Das Gelände

Kein Actionfilm, kein Thriller, kein Liebesfilm, kein Historienschinken und schon gar kein deutscher Zwangsgebühren-Themen- oder bedröppelter Aufarbeitungsfilm, auch kein Film mit Geschichten, die das Leben schrieb; andersrum: ein Film über Geschichten, die die Geschichte schrieb, die Geschichte eines Geländes, des Geländes, auf dem einst die SS-Zentrale mit Folterkeller stand, die Geschichte eines Geländes, das bis weit in unser Jahrtausend hinein wie eine schwärende Wunde mitten in Berlin lag, eine Brache, dann Biotop, dann Brache, Baustelle, Brache, Biotop.

Inzwischen ist die Wunde behandelt, abgedichtet, definitiv versorgt mit der Errichtung und Eröffnung des Dokumentationszentrums in der Topographie des Terrors, eine internationle Touristenattraktion.

Ein Film für Philosophen, Fährten- oder Spurenleser, Träumer, Denker, für Menschen, die sich über die Menschen, ihre Taten und Untaten wundern, auch über ihre Bemühungen im Umgang mit den Relikten solcher Taten, wie sie sich schwer tun damit, und wenn es sich nur um eine Brache handelt, die vom Giftgeist einer Zeit wie verseucht scheint, ein Wortlaut, der im Film garantiert nicht vorkommt, sich wundert vielleicht auch darüber, welche Texte verschiedenster Provenienz (im Abspann werden die Sprecher mit ihren Berufsbezeichnungen oder Funktionen erwähnt) zu so einer geschichtsbelasteten Brache entstehen („der Mythos Folterkeller“) von Leuten, die in der einen oder anderen Funktion damit befasst sind, sei es als Planer, Touristenführer, Archäologen oder Spaziergänger.

Am skurrilsten mutet die Geschichte um den Architekten Zumthor an und das von ihm entworfene Monument, das nie über einen (faszinierenden) Ruinenzustand hinausgekommen ist mit seinem markanten, gelben Kran, ähnlich einem Kran in einem Schiffshafen zur Verladung sperriger Güter und von Containern, aber dieser Kran stellte nicht eine der geplanten Stelen auf. Er steht jahrelang zur einer irren Tagesmiete ungenutzt auf der Brache herum, umgeben von Gebäudeansätzen, die wie unfertige, zusammengepresste Silos aussehen, runinenhaft; Zumthor schreckt davor zurück, dass letztlich doch wieder die Monumenthaftigkeit des Monumentes zur Geltung kommen würde, was er nicht zulassen kann. Wodurch, nachdem schon Millionen in das Projekt geflossen sind, die Übung abgebrochen, Kran und Gebäudeansätze abgebaut resp. zerstört werden.

Auch die kleine Geschichte mit den Knochen des Soldaten ohne Kopf, wie behutsam seine Knochen aus dem Boden gebuddelt werden, gereinigt, fotografiert, in Kartons gelegt und schließlich in einer Art Minisarg in einem Testauto eines deutschen Automobilherstellers zur Kremation gebracht werden.

Jetzt ist die scheußliche, lebensfeindliche Aura, die wie Atommüll ewig zu strahlen schien, mit der Eröffnung des Dokumentationszentrums anno 2010 endlich wie der Geist, der in die Flasche zurückkehrt, versiegelt.

Ein regelmäßiger Spaziergänger meint, damit habe das Gelände für ihn den Reiz verloren, das Aufregende. Business as usual, wie er darum herum immer stattgefunden hat mit Kneipen, kleinen Läden, Dönerbuden, Hotels oder die Berliner Mauer, die längst auch das Zeitliche gesegnet hat, das Alltagsleben mit den Geschichten, die das Leben schreibt, aber nicht mit jenen, die diese Brache geschrieben hat. Friede dem Gelände.

Der Film von Martin Großman umspannt Aufnahmen ab Mitte der 80er Jahre bis zur Eröffnung des Dokumentationszentrum durch Bundespräsident Horst Köhler 2010 und dem daraufhin einsetzenden, pausenlosen Strom der Touristenbusse.