Kommentar zu den Reviews vom 27. Oktober 2016

Allein gegen die Kraft der Ahnen in Japan, allein gegen ein verrottetes Justizsystem in den USA, nicht ganz allein gegen die tumbe Vorherrschaft der Männer in Indien, allein mit verlogener Verwandtschaft in Australien, allein im Briefverteilzentrum von Amazon, allein in der okkulten Welt von Kamar-Taj, in der Gruppe allein gegen eine Zombiemaschinerie und dreimal allein mit deutschen Drehbüchern für die Integration, mit den zurückgebliebenen Jahrgängern im Herkunftskaff und gegen die Zeit; auf DVD erfreut der Blick in einen japanischen Künstlerhaushalt aus der Edo-Zeit und am Fernsehen gabs eine Prise von Helmut Dietls Künstlerleben sowie einen Kleinbubendrohnenspielereitatort.

KUBO: DER TAPFERE SAMURAI
Coming of Age mit der Kunst des Origami und des emanzipativen Geschichtenerzählens gegen die Fesseln der Ahnen.

DAS VERSPRECHEN – ERSTE LIEBE LEBENSLÄNGLICH
Hammerharter Justizthriller über einen begabten Deutschen aus behütetem Diplomatenhause, dem das Schicksal im empfindsamsten Moment eine elternmordende Frau über den Weg schickte. Kampf gegen eine amerikanische Monsterjustiz.

DIE ZEIT DER FRAUEN
Sicher, in Indien sind die Verhältnisse anders, aber vergesst nicht, bevor Ihr Euch besserwisserisch wegdreht: auch bei uns verdienen Frauen im Schnitt bei gleicher Position und Leistung deutlich weniger – kein Grund für Kulturüberheblichkeit.

DIE WILDENTE
Lieben, lügen, turteln, schießen, leiden, sterben.

STÖRCHE – ABENTEUER IM ANFLUG
Industriekritische Animation verquickt mit der Mär vom Storch, der die Kinder bringt.

DOCTOR STRANGE
Die Schulmedizin kann dem Neurochirurgen Doktor Strange nach einem Autounfall nicht mehr helfen. Er sucht Heilung im okkulten Himalaya-Milieu und bezahlt mit der Involvierung in eine innerokkulte Auseinandersetzung, die viel Zeit in Anspruch nimmt.

31 – A ROB ZOMBIE FILM
Kein Zombie-Film, aber wir machen hier mit Rob Zombie einen auf blutigen Horror um seiner selbst willen.

OSTFRIESISCH FÜR ANFÄNGER
Schaffen wir das? Nicht verzagen, Didi fragen.

NIRGENDWO
Für die Orientierung ist die Ortsbezeichnung Nirgendwo nicht unbedingt hilfreich; eine Geschichte, die sich zu sehr von Nebengeschichten ablenken lässt.

ALLEIN GEGEN DIE ZEIT
Fernsehübermut tut dem Kino nicht gut.

DVD
MISS HOKUSAI
Der indirekte Blick auf einen der berühmtesten japanischen Maler über seine hübsche, begabte Tochter ergibt eine überraschende Zeit- und Künstlerhaushaltsschilderung.

TV
SCHWERMUT UND LEICHTIGKEIT. DIETLS REISE.
Gängige Doku über den einzigartigen Münchner Helmut Dietl.

TATORT: WAHRHEIT
Vor lauter Drohnenspielerei und Wichtigtuerei mit separater Nennung in den Titeln kommen die Macher nicht dazu, das Titelversprechen einzulösen.

Störche – Abenteuer im Anflug

„Der Klapperstorch hat krumme Beine. Die Kinder werfen ihn mit Steine. Aber Kinder bringt er keine“; so radikal wie Ringelnatz das Thema Störche in seinem Kinderverwirrbuch behandelt hat, mag es Nicholas Stoller, der mit Doug Sweetland auch das Drehbuch für diese Animation geschrieben hat, nicht angehen, aber der Niedlichkeitskindertrip ist sein Ding auch nicht.

Das hängt bei ihm mit der Industrialisierung und dem IT-Zeitalter zusammen. Die Störche werden jetzt anders gebraucht für das Funktionieren der Gesellschaft, die alles bei Amazon bestellt. Sie sind den Drohnen zuvorgekommen und liefern aus einer gigantischen Verteilanlage die Pakete an die Endverbraucher.

Junior steht kurz vor seiner Beförderung zum Chef. Als erste Handlung soll er die untaugliche, den Betrieb störende Tulip, ein Waisenkind, feuern; hier wird harte Businessphilosophie ventiliert.

Junior bringt allerdings das Wort „feuern“ nicht über die Lippen; das ist ein Kabinettstückchen; so bleibt ihm Tulip erhalten und sie soll in der Briefabteilung stillgelegt werden, denn niemand schreibt mehr Briefe.

Bis auf Nate. Er ist das einzige Kind von Sarah und Henry, die rund um die Uhr mit Knopf im Ohr und Kopfbügelmikro zu ihren Kunden und Gechäftspartnern in Kontakt stehen und keine Zeit für ihren Buben haben.

Nate schreibt einen Brief an den Storch. Der Brief landet bei Tulip und setzt harte, fantasievolle Action in Gang. Denn es findet sich im Paketverteilzentrum auch noch ein Baby. Das muss an Nate ausgeliefert werden. Das führt zu einer turbulenten Reise, die mit einem originellen Flugzeug beginnt, das auch als Schlauchboot verwendet werden kann.

Die einmal vorgestellten drei Freunde von Tulip, die verlieren sich allerdings urplötzlich aus der Geschichte, das Huhn, das Emu und die Wachtel. Egal.

Es gilt, den Wölfen zu entkommen. Die haben ihre eigene Fantasie-Art, sich stark zu machen, sie können sich zu Formationen wie ein U-Boot oder ein Flugzeug oder ein Auto zusammenschließen, so wie die Turner eine Pyramide bauen (und richtig ironisch: zum gebrochenen Herzen).

Derweil hat Nate erreicht, dass seine Eltern sich Zeit für ihn nehmen und es wird alles megaüberdimensional zum Empfang des Brüderchens vorbereitet. Die Geschichte, die die Härten des Geschäftslebens und das Maschinenhafte der Industrie gnadenlos laufen lässt, wird recht süß mit Familienzusammenführung und Familienerweiterung enden.

Neckische Mischung aus Industriekritik und Klapperstorchmärchen. Die deutsche Synchro lässt sich anstecken von der industriellen Rasanz und kommt mit gutem Power rüber. Arbeitsweltkritische Animation und unterhaltsam dazu.

Doctor Strange

Doktor bitte, Doktor Strange, nicht Professor, nicht Meister, so korrigiert Dr. Finster, wie Benedict Cumberbatch diese Comicfigur anlegt, seine ihm angemessene Anrede, ein Running Gag, der gegen die Humorlosigkeit dieses Unternehmens „Marvel goes Okkultismus“ ankämpfen soll nebst Gags um der Gags und um des Lachens willen; denn die Substanz ist dünn und verlangt auch von den Schauspielern, namhafte Weltriege, wenig Differenzierungs- oder Emotionsvermögen; eingleisig funktioniert am besten.

Doktor Strange ist ein hochspezialisierter Neurochirurg, einer der besten, seiner Ansicht nach der beste überhaupt. Er hat eine Sammlung teurer Uhren und fährt einen Spitzensportwagen mit Overdrive, der auf enger, bergiger Kurvenstrecke auf kürzeste Distanz überholen kann. Diese Dinge sowie die Actionsszenen, die Hokuspokusszenen, die Spiegel- und Irrgarteneffekte, die beherrscht Regisseur Scott Derrickson (Erlöse uns von dem Bösen, Sinister, Sinister II), der mit Jon Spaihts auch das Drehbuch geschrieben hat, aus dem Effeff. Augen und Ohren sind dauerbeschäftigt, der Geist allerdings weniger.

Doktor Strange, dem sein Titel so wichtig ist, an einer Stelle begründet er das sogar treuherzig moralisch, macht mit seinem Sportwagen einen Ausflug in eine bergige Gegend, passt einen Augenblick bei mörderischem Überholtempo nicht auf, kommt ins Schlingern, touchiert einen anderen Wagen, der auch gut unterwegs ist, spektakulär gefilmt stürzen beide ab.

Der Doktor kann gerettet werden, ist aber in der misslichen Lage, dass er just einen Spezialisten, wie ihn selber, bräuchte. Seine Kunst ist eingangs detailreich anlässlich der Entfernung einer Geschoßkugel aus einem Gehirn augenfällig plausibel dargestellt worden; hierbei wird auch seine Operationsgehilflin Christine Palmer (Rachel McAdams) vorgestellt, die immer wieder auftauchen wird; die beiden lassen momentweise eine Ärzteromanze erwarten; die einzigen zwei Figuren im Film, die die Ahnung des Ansatzes der Entwicklung einer Beziehung zueinander zulassen.

Die Aussichten für Doktor Strange, ganz zu genesen und wieder arbeiten zu können, sind negativ. Die Schulmedizin wird ihm nicht helfen können, die Hände werden zittern, nur mit Mühe kann er sie überhaupt bewegen, auch solche Dinge erläutert Derrickson bildlich eindringlich.

Dann hört Doktor Strange von einem Sportler, der ebenso schlimm drangewesen sei und bei dem keine Hoffnung bestand, seine Bewegungsfähigeit je wiederzuerlangen. Heute sei der Sportler topfit. Das interessiert Doktor Strange. Die Aussichtslosigkeit lässt Patienten für Wunderheiler und Okkultismus hellhörig werden.

Strange hört von Kamar-Taj, einem mystischen Ort in Nepal.

So beginnt die Reise seiner Heilung durch Aberglauben und Gurubelehrung durch die Glatzköpfige (Tilda Swinton), religiöse Kultstätten, labyrinthische Spiegelkabinette, magischen Zirkus und Geisterbahn gleichermaßen, Mystizismus und Kämpfe und Zeitsprünge und Spiegel-, Prismen und Kaleidoskopeffekte sowie weiteren Postproduktions-Hokuspokus, basierend auf den Topoi religiöser Kultstätten des katholischen Westens wie des buddhistischen Ostens. Die Glatzköpfige setzt Strange – immerhin hat er die Hilfe eines Selbstkämpferzaubermantels – in ihre Auseinandersetzung mit dem Bösewicht Kaecilius (Mads Mikkelsen) ein. Dieser hatte, das war die Einführungsszene, ein Blatt aus einem okkulten Buch im Gral der Glatzköpfigen geklaut und wird somit zur Gefahr. Wie diese okkulten Bücher in eigenartigen Kettengefängnissen gehalten werden, zeigt Derrickson trickreich. Dadurch, dass die Glatzköpfige Doktor Strange in ihren Kampf miteinbezieht, verschiebt sich das Filmende bis zu dessen Heilung (dann war es doch ein Heilsfilm!) auf gegen zwei Stunden. Wie im richtigen Leben: immer kommt etwas dazwischen.

Ostfriesisch für Anfänger

Patentrezept.

Nette Illustration wie ein Schulaufsatz zur Optimismusmaxime der Kanzlerin („Wir schaffen das!“) im geschützten, weltfremden Raum des Kosmos der Zwangsgebührenkultur.

Toll, wie sie sich alle Mühe geben in dieser Kino- und Buddelshipbastelstunde für Gutmenschen mit dem Patentrezept für Integration: schickt die neu angeworbenen Fachkräfte zu Dieter Hallervorden ins Flachland zur Plattdeutschstunde und bald sind sie alle tadellos integrierte Enterpreneurs, Ingenieure, Ärzte.

Dieses Patentrezept von Sönke Andresen (Buch) und Gregory Kirchhoff (Regie), das diverse Filmförderer und Zwangsgebührentreuhänder vorbehaltlos in ihren Schulphilosophien für tauglich und also verbreitenswert halten, lautet folgerndermaßen: man lasse Dieter Hallervordern mit schlohweißem Haar einen verlotterten und überschuldeten Witwer und Tankstellenpächter spielen, dessen Haus gepfändet ist und der es unter der Bedingung zurückbekommen kann, dass er den Zuwanderern Deutsch beibringt.

Die zu integrierenden Fachkräfte aus aller Herren Länder rollen in einem Kleinbus in diesem gottverlorenen Flecken an und lernen bei Hallervorden ein überaus prononciertes Plattdeutsch, vermutlich in der Hoffnung, dass der Film in ganz Deutschland integrierbar werde.

Man geselle den Ausländern einige ulkige, ulkig intendierte, deutsche Figuren bei, eine Projektbetreuerin, einen Typen, der glasklarhelles, reines Hochdeutsch spricht und eine Pastorin, die sich alle bemühen zu zeigen, dass sie hier Komödie spielen und die mit ihren je eigenen, eng fokussierten Ambitionen für Storydynamik sorgen sollen, die eh schon unter mangelndem Rhythmusgefühl von Inszenierung und Schnitt leidet.

Ferner gehe man davon aus, dass ein arabischer Schiffsbauingenieur automatisch auch ein Top-Buddelshipbastler ist, damit man in den Film noch einen Buddelshipwettbewerb einbauen kann, um die Herrn von der Filmförderung und der Fernsehredaktion glauben zu machen, dass hier Lokalkolorit verbaut werde.

Aus demselben Grund muss auch ein Toleranzfest erfunden werden, womit ein musikalisches Duo eine Auftrittmöglichkeit erhält.

Es ist dem Film gegenüber eine verdammte Ungerechtigkeit, ihn als Kinofilm vorzustellen, dafür ist er einfach nicht gut genug, da reicht solch themenfokussiertes Zwangsgebührenfernsehweltverbesserungsdenken nicht aus, wie viel Mühe sich auch alle Beteiligten gegeben haben mögen. Es ist vergebliche Mühe, es ist lediglich Mühe für Funktionäre und an den realen Problemen unserer Gesellschaft vorbei. Wie viel näher dran am Leben war doch der Film Gestrandet.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Kubo: der tapfere Samurai

An dieser Heldengeschichte comme-il-faut (der Junge Kubo ist der Held, er muss wilde Abenteuer erleben, um zu sich selbst zu kommen) faszinieren und begeistern mich zwei Dinge, die mit dieser Mischung aus amerikanischer Produktion, Buch Marc Haimes + 3, und Regie: Travis Knight, und japanischen Elementen zusammenhängen.

Zum einen ist es der Beizug des Elementes des Origami, der japanischen Papierfaltkunst, in einer Animation. Kubo verdient sich als Junge mit Liedersingen und dem Erzählen von Heldengeschichten auf öffentlichem Platz ein Geld. Er lebt allein mit seiner Mutter. Der Vater ist gestorben. Er begleitet sich auf einem dreieckigen Zupfinstrument, der Schamisen. Vor sich hat er einige aus Papier gefaltete Figuren aus seiner Geschichte. Während er singt, bewegen sich diese, fliegen und auch Papierblätter schweben wie von einem unsichtbaren Sog in die Luft, formen sich selbst zu Figuren und illustrieren so seine Heldenstory.

Dann bricht das zweite in Japan wichtige Element in sein unbesorgt-fröhliches Jungenleben ein: die Ahnen melden sich. Die haben die Japaner viel mehr im Griff als bei uns. Die sind phantasievoll animiert, erinnern eineseits an Reisbauern aus Vietnam mit den breiten Hüten, aber auch an Vogelscheuchen auf Stangen in ihren schlanken, grauen Erscheinungen, gemein sind sie dadurch, dass sie Anker an Eisenketten abschießen auf ihr Nachfahren und diese so an sich binden und an der freien Entfaltung hindern.

Gegen diese Ahnen hat Kubo nun zu kämpfen. Wie es sich für einen Abenteuer- und Heldenfilm gehört, gesellen sich ihm zwei Weggefährten bei: Monkey (eher aus dem Bereich amerikanischer Clobürsten-Animationsfilme stammend) und Beetle, der mit einer Rüstung wie eine Kackerlacke sich panzert.

Das Trio muss die Monster der Vergangenheit bekämpfen, was sich nach einem Weg über Schnee und Wasser und in Ruinen und dazwischen erholsamem Lagerfeuer, in einem ausgewachsenen Drachenkampf zuspitzt, bis die Geister endlich beruhigt sind und die Generationen sich friedlich begegnen können.

Im Abspann wird gezeigt, wie eines der Monster im Studio hergestellt und hochraffiniert bewegt wird: dort wird es sich im nächsten Moment den Regisseur krallen – zum Glück war der Film schon im Kasten.

Diese verschiedenen Elemente des Japanischen, es gibt auch ein herbstlich rotes Schiff, das sieht aus, wie aus lauter Papierherbstblättern zusammengesetzt, sowie die Animation der Figuren geben dem Film ein individuelles Cachet, wobei ich auf 3D einmal mehr gerne verzichten könnte, mich aber die amerikanischen Sprecher dafür umso mehr begeistern.

Was die Geschichte schön vermittelt, dass der Mensch ohne Geschichte, individuelle und familiäre und ohne das Geschichtenerzählen, nichts ist, keine Zukunft hat.

Die Zeit der Frauen

Wir brauchen gar nicht die Nase rümpfen, ‚indisches Frauenemanzipationsmovie‘, dabei ist Gewalt in der Ehe und Gewalt gegen Frauen auch bei uns kein unbekanntes Phänomen, sonst bräuchten wir keine Frauenhäuser und die Verbrechensberichte in den Zeitungen wären weniger.

Allerdings scheinen die familären Strukturen und Hierarchie-Vorstellungen zwischen Mann und Frau besonders im ländlichen Indien doch deutlich erstarrter. Dafür hat dieses ländliche Indien in diesem Film von leena Yadav, die mit Spratik Sen auch das Drehbuch geschrieben hat, einen unendlichen Reichtum an Kulissen von Wohnungen und Häusern und der Ausstattung an Stoffen und Gewändern und auch Schmuck zu bieten, die allein diesen Film schon zum Schmuckstück prädestinieren. Wobei es darum ja gar nicht geht.

Es geht darum, dass die Witwe Rani (Tannishta Chatterjee) ihren halbwüchsigen, aber schon machohaften Sohn Gulab (Riddhi Sen) an Janaki (Lehar Khan) verheiratet. Janaki ist allerdings in einen anderen Boy verliebt, der sie auch weiterhin mit Büchern versorgt, was auf dem Land nicht gern gesehen ist.

Mit ihrer Freundin Lajjo (Radhika Apte), die kinderlos ist und von ihrem untauglichen Mann geschlagen wird, kann Rani alles besprechen. Zu den beiden stößt das Tanzmädchen Bijli (hört sich an wie das englische Wort „bitch“ und ein bisschen ist dem auch so), auch sie eine alte Freundin von Rani, aber sie führt ein anderes Leben als Tänzerin und Freudenmädchen, sie kleidet sich frivoler.

Es gibt im Dorf einen guten Menschen, den Textilunternehmer Kishan, der den Frauen textiles Arbeiten, Herstellen von Stoffen beibringt und sie seriös bezahlt, ein Mann der Fortschritt ins Dorf bringt. Die übrigen Männer sind Taugenichtse, Trinker und Nuttengänger. Die Frauen dürfen die Probleme ausbaden.

Lajjo, Rani und Bijli halten zusammen, seuchen die Probleme, die sich aus ihren Leben und deren Umständen ergeben, gemeinsam durch bis zu einem Befreiungsschlag.

Einen Vorgeschmack darauf bietet ein Ausflug mit dem Zirkusmottorrad, eine malerisch fröhliche Angelegenheit, deren Ziel eine Höhle ist, in der Lajjo einen Mann trifft, der ihr zur Schwangerschaft verhilft. Nicht etwa, dass ihr eigener, unfruchtbarer Mann sich später darüber freuen würde.

Es ist indisches Kino, das aus einem unendlichen Fundus hübscher, sinnlicher, begabter und auch gut zu unterscheidenden Charaktere auswählen kann, die in erotisch aufgeheizter Atmosphäre und eiliger Erzählweise bei guter Nachvollziehbarkeit für immer neue schöne Kinoblüten sorgen. Und auch erotische Schilderungen beherrschen sie, das mit der Rakete, dagegen verblassen deutsche Vorstellungen von gleißenden Gefühlen.

Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich

Dokumentation über eine Tragödie klassischen Ausmaßes, einer Verkettung von Schicksalen und Umständen, die zu maximalem Unglück führt; ein Justizthriller mit einem glaubwürdigen Empathieträger als Protagonisten, dem Deutschen Jens Söring, der seit über 20 Jahren unschuldig – die Behauptung legt diese erstklassige und spannende Dokumentation von Karin Steinberger und Marcus Vetter glaubwürdig dar – in einem der schlimmsten, hinterwäldlerischsten Knaste in den USA einsitzt.

Markus Vetter hat schon beeinruckt mit The Forecaster (ebenfalls mit Karin Steinberger) und
The International Criminal Court.

Hier schildert er mit seine Koautorin und Koregisseurin den Leidensweg von Jens Söring, einem hochintelligenten Dipolmatensöhnchen, das in einer geschützten Blase aufgewachsen ist, Diplomatenmilieu und feine Privatschule, und der mit 18 nach dem Gewinn von gleich zwei Spitzenstipendien in den USA bei seinem ersten Schritt in der freien Wildbahn in Virgina verhängnisvoll der älteren Elizabeth Haysom begegnet, sich Knall auf Fall verliebt in sie, und sich von ihr manipulieren lässt mit brutalen Folgen.

Elizabeth selbst ist ein klassischer Tragödienfall, von der Mutter seelisch missbraucht, sie sollte die perfekte Tochter sein, wodurch sie das Lügen von der Pieke auf gelernt hat, Vorzeigestück für den Vater, all das, was sie Männer hassen und benutzen lässt, was sie unfähig zur Liebe macht. Parallelen sind in Pedro Almodovars Julieta zu finden. Wobei hier nicht der Wunsch besteht, die Mutter zu töten.

Elizabeth aber will ihre Eltern, die sie gezeugt, erzogen und gleichzeitig verhindert haben (meine Interpretation) aus dem Wege schaffen. Sie zieht Jens mit hinein in das Komplott, obwohl er nie am Tatort gewesen sein kann, wie mehrere Spuren von Anfang an und inzwischen auch DNA-Spuren glaubwürdig belegen, auch seine frühe Aussage vor Gericht, die ermordete Mutter hätte Jeans getragen, hätte als Indiz für seine Ahnungsosigkeit genommen werden müssen.

Da ist aber diese Vernarrtheit in Elizabeth, der zuliebe er bereit war, ein Alibi abzugeben, ja sogar den Mord zu gestehen. Sein schlaues Kalkül war, dass er als Diplomatensohn mit leichten Blessuren davonkommen würde. Er will mit ihr rund um die Welt zu fliehen. Er beginnt Scheckbetrug mit ihr, die sich als dicke Lügnerin entpuppt. Er handelt inspiriert von Charles Dickens und von Romeo und Julia. Vermischung von Realität und Bildung oder wie Liebe blind machen kann.

Die weiteren Mitspieler in diesem grausamen Drama sind die Justiz, die Politik und der Strafvollzug von Viriginia, hilflos altertümlich, hilflos provinziell, einem hochintelligenten Menschen wie Jens in keiner Weise gewachsen und ihn allein als Fremden von vorneherein verdächtigend, tumb und blind gleichermaßen.

So kommt ein Drama zustande, das nicht nur Leben und Zukunft von Jens kaputt macht, sondern auch das seiner ganzen Familie, seine Mutter habe sich zu Tode getrunken.

Looser in dieser Angelegenheit ist sicher auch der Staat Viriginia und damit das Amerika unter Obama, das ein peinlich vorgestriges Bild abgibt (der Richter sei mit der Klägerpartei seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden!).

Aber auch der deutsche Staat muss erwähnt werden, insofern, als er in diesem Film keine Erwähnung findet, das wundert nicht nach dem Fall Kurnaz. Hier hat ein deutscher Außenminister den deutschen Bundesbürger wissentlich in Guantanamo schmoren lassen. Dieser deutsche Außenminister ist jetzt wieder deutscher Außenminister und er scheint wieder zu feige zu sein, sich mit Amerika wegen so einem Einzelfall anlegen zu wollen (und so einer will Bundespräsident werden!), wobei es sich sogar um den Sohn eines Mitarbeiters seines Ministeriums handelt. Aber so ein Außenminister lebt offenbar nicht weniger in einer Blase, als der junge Jens es getan hat, Blasen, die Dramen, wie das hier beschriebene befeuern.

Lob gebührt den öffentlich-rechtlichen Sendern, die mit der Unterstützung dieses Filmes ihrem Auftrag essentiell gerecht werden.

Der Film ist eine Zusammenstellung aus Archiv- und News-Footage, von heutiger Recherche und einem einzigen, erlaubten Interview mit Jens Söring im Gefängnis.

Zum Thema Drama: speziell die Aussagen von Elizabeth in ihrem Prozess sind nicht weniger faszinierend als es diejenigen irgend einer Hollywood-Leinwandgöttin sein könnten: dieses feine Gesicht, die leise Stimme, die hohe Konzentration; mit Lady Macbeth hat sich Elizabeth identifiziert. Auch die vielen Nebendarsteller, die meisten unfreiwillig, wie Anwälte, Journalisten, Detektive, Polizisten, Profile, Psychiater, Pfarrer sind ein hervorragender Cast, würde man in einem Spielfilm sagen. Sie tragen das ihre bei zu einer aufregenden Dokumentation, die selbst zum Mitspieler wird, der zur Auflösung der dramatischen Situation beitragen soll.

Nirgendwo

Verschwiemelter deutscher Kinofilm.

Danny (Ludwig Trepte) und Susu (Saskia Rosendahl) sind ein Paar in der Abizeit. Mit einer schönen, teils in Schwarz-Weiß gehaltenen Fotografierszene mit Fernauslöser im Bett werden sie uns vorgestellt und damit die Ambition von Danny. Die Szene erinnert an die Beat-Generation, ihre Schwarz-Weiß-Filme, diese Stimmung der Offenheit, die sich um sie selbst und ihren geistigen Horizont und die Liebe und das Kino dreht.

Nach dem Abi stiebt die Landjugend aus dem titelgebenden Ort „Nirgendwo“ auseinander.

Danny studiert dem Wunsch seines Vaters folgend BWL in der Hochhausstadt. Imposant und extrovertiert fotografiert wird das von Thomas Schiller. Matthias Starte, der nach seinem eigenen Drehbuch die Regie führt, schildert in kurzen Flashs Stationen aus dem Studium, allein in der Stadt, tanzend in der Disco mit Frauen. Beziehungen werden keine gezeigt, die Anrufe der Ex-Freundin geblockt.

In Frankfurt hat unser Protagonist offenbar kein erzählenswertes Innen-, Seelen- und Liebesleben, das erzählt die Fotografie. Er hat keine besonderen Probleme, scheinbar auch nichts Besonderes zu entdecken, keine geheimen Wünsche, keine Sehnsüchte, kein Geheimnis.

Die Nachricht, dass der Vater gestorben ist, beendet diesen frappierend schönen Expositionsbilderbogen.

So begleiten wir ihn zurück in die Provinz nach „Nirgendwo“ und harren der Dinge, die da kommen sollen.

Es wird das abgebrochene Jugend-Liebe-Lagerfeuer-Feeling evoziert. Es geht weiter, wo es vorher aufgehört hat. Vielleicht war der Drehbuchautor so überwältigt von der Fülle der Erinnerungen nach der Leere der Großstadt, dass er möglicherweise seine ursprüngliche Absicht, ein Problem von Danny zu schildern, schnell und immer wieder aus dem Blick verliert und abschweift zu den Problemen seiner Freunde und Freundinnen und seiner Ex-Freundin.

Das Thema ist offen, ob die beiden jetzt sollen oder nicht. Sie ist enttäuscht ob seines Auszugs aus der Provinz und dass er sie weggedrückt hat, wenn sie anrief. Sein Problem wird sein, dass das Erbe des Vaters mit der Auflage verbunden ist, BWL fertigzustudieren. Seine Herzensangelegenheit aber ist die Fotografie. Hinzu kommt der Wunsch seiner Freundin nach Zusammensein, Heirat, Familie. Der wird immer mal wieder erinnert, nicht aber so vorgetragen, dass daraus eine Spannung entstünde und man unbedingt wissen möchte, wie er sich entscheidet.

Währenddessen werden wir ungefragt mit anderen Konflikten anderer Paare behelligt, die Sache mit dem Absetzen des Verhütungsmittels oder die mit der vorm leiblichen Vater geheim gehaltenen Schwangerschaft.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Rollen vornehmlich mit Schauspielern besetzt sind, denen man ohne weiteres Begabung attestieren kann, die aber total angepasst wirken; vielleicht war das die Intention des Regisseurs; wobei der merkwürdige Nebeneffekt ist, dass vielmehr der Eindruck einer gesichtslosen Großstadtjugend entsteht und nicht der einer doch gerne etwas deftigeren Provinz-Jugend.

Sie heißen Kirsten, Rob, Tom, Fresi, Mischa – und sind alle nett, beanspruchen ihr Recht auf Erscheinen in der Geschichte, pochen auf Erwähnung, wenn dem Zuschauer auch jegliche Basis für Empathie vorenthalten wird, weil er auf Danny angesetzt wurde, der sich zeitweilig aus der Geschichte verkrümelt.

Das gibt dem Film zusehends einen Drall in Richtung Soft-Daily-Soap. Der süß-zuckrige Musikscore trägt zu diesem Eindruck bei und erzählt mehr über die emotionale Begeisterung des Filmemachers für seinen Stoff, als dass er diesen plausibel machte. Danny, der Protagonist, hat schöne, ernste Momente, aber sein Lächeln setzt er etwas zu oft und zu gekonnt auf.

Allein gegen die Zeit

Dieser Film überspült einen mit einem Zusammengewürfele eines Genreversuches mit B-Picture-Ambition aus Abenteuergeschichte, Spukgeschichte, Horror-Mystery (altgermanischer Kult), Klassenfahrt, Coming-of-Age, Action und den Themen Liebe und Verrat.

Der Film hält einen beschäftigt, wie das ausgeht mit dieser Klassenfahrt zum Dom von Hildesheim, in dem ein Schüler einen Vortrag halten soll. Unter den Schülern hat Jonathan eine Sonderrolle. In einer trauten Minute lässt er die Info, dass sein Vater gestorben sein, in den Film einfließen, um mehr geht es dabei nicht, nicht etwa darum, Mitleid oder Empathie für ihn zu empfinden.

Diese Info ist wichtig für die kommenden Geschehnisse: die Explosion in der Kirche während dem Schülervortag, die Verschleppung der Schüler auf eine Burg, die merkwürdige Verwandlung einer Lehrerin.

Mit dem Titel „Allein gegen die Zeit“ ist gemeint, dass eine Uhr tickt. Bis zu einer Sonnenfinsternis müssen die Schüler, die sich haben befreien können, den rettenden Eingriff gegen die geplante Zeremonie eines mysteriösen Kultes erfolgreich vornehmen.

Wobei sie so allein nicht sind. Es sind zwei Jungs und zwei Mädels und die haben dabei noch genügend Zeit, in bester Hitchcock-Suspense-Manier ihre Liebesprobleme zu besprechen; für den einen oder anderen Jungen dürfte die Philosophie des begehrten Mädchens schwer verdaulich sein, den einen zum Freund und den anderen zum Geliebten zu haben.

Christian Theede (Im Weißen Rössl – Wehe Du singst) inszeniert diesen Mischmasch skizzenhaft nach dem Drehbuch von Michael Demuth und Ceylan Yldirim und erweckt dabei den Eindruck, er möchte lediglich andeuten, wie bei ihm ein knalliger Genrefilm aussehen würde, welche Zutaten er dazu mixen würde, welches Tempo er vorgeben würde.

Der Film ist das Resultat einer öffentlich-rechtlichen Fernsehserie. Hier im Kino hinterlässt er ein flaues Gefühl. Warum muss dieser Stoff ins Kino? Wie ist das mit dem Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begründbar? Denn der Stoff ist nur oberflächlich bearbeitet. So wird daraus linkisch-holpriger Trash.

Die Bearbeitung nutzt keinesfalls die Möglichkeiten des Kinos. Das wird besonders schmerzhaft deutlich, wenn ein Darsteller auch noch den Hinweis auf den Indiana Jones oder auf Star Wars bringt; unter dieser selbst gelegten Messlatte kann der Film aufrecht hindurchgehen und erscheint immer noch als Winzling. Gegenüber den selbst erwähnten Vergleichsprodukten verdient dieses hier nur die Benotung ungenügend, so sympathisch gerade der offensichtliche Verzicht auf Perfektionsanspruch wirkt.

Es scheint sich bei diesem Produkt um das Resultat persönlichen Ehrgeizes von Redakteuren oder Fernsehmachern zu handeln, sich das Messegewand des Kinos überzuziehen, sich selbst damit zu erhöhen, ohne inhaltlich und formal etwas dazu beizutragen oder einen cineastischen Mehrwert herauszuholen. Das ist Zwangsgebührengeldmissbrauch.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

31 – A Rob Zombie Film

Irgendwas stimmt da nicht. Ok, normal, dass da was nicht stimmt, wenn Menschen Menschen töten, bloss, weil andere Menschen in feinen Louis-Quatorze- oder wie auch immer -perücken eine Wette darauf geschlossen haben, wer überleben wird, eine Millionenwette, aber das ist das Genre, wie immer man es nennen will, Trash, blutig sowieso und helloweenhaft a bissl.

Es gibt Purge (zuletzt Purge Election Year) wo es um das pure Überleben geht, wo illustriert wird, zu was für Tieren die Menschen leicht mutieren können.

Hier bei Rob Zombie geht es um das Spiel um seiner selbst willen; die dünne Story muss lediglich her, damit er möglichst viele Genre-Bilder präsentieren kann.

Nach einer kurzen Schwarz-Weiß-Intro mit dem weiß-maskierten Doom-Head (Richard Brake) und einem gefesselten Opfer, wechselt Zombie (insofern handelt es sich doch um einen Zombie-Film) zu den abenteuerlich ausstaffierten Protagonisten, die in einem malerisch-originellen Bus in einer sonnigen Einödlandschaft unterwegs sind und rumalbern und witzeln.

Nach einem Zwischenstopp an einer verlassenen Tankestelle gelangen sie nachts an eine Straßensperre aus Vogelscheuchen mit Köpfen und Armen aus wilden Ästen.

Und schon sind sie drin, sind Gefangene des Spiels der feinen Perückenmannschaft in der Kathedrale des Horrors. Die ist wie ein kerzenbeleuchteter Dom ausgestattet. Ihnen werden die Spielregeln bekannt gegeben und dass sie 12 Stunden zum Überleben haben.

Irgendwas stimmt schon hier nicht, auch innerhalb des Genres. Das Ensemble wirkt zusammengewürfelt und bemüht. Jeder zieht seine eigene Show ab, versucht den anderen an Mimik- und Gefühlsexpressionismus zu übertrumpfen; jeder scheint sich den Untertext: ich spiele Horror, auf die Stirn gepinselt zu haben.

Nun kommt, was kommen muss, sie verlaufen sich in riesigen Fabrikräumen und -gängen. Ein Kleinwuchs, der auf Nazi getrimmt ist, kämpft gegen sie. Es werden Figuren mit Kettensägen auftreten. Zombie bringt auf die Leinwand, was ihm blutig und grausam scheint. Die Kampfszenen simuliert er mit aufgeregter Wackelkamera.

Es gibt Stundenangaben, aber irgendwie will die Zeit nicht so recht verfließen. Es fehlt schlicht das Spannungsmoment, das sich erst ganz am Schluss einstellt mit der Ankündigung des Auftrittes von Doom-Head, weil er eine minimale Geschichte bekommt, weil er der Unbesiegbare sei und weil die Wetten entsprechend laufen und weil von den Opfern nicht mehr viele übrig sind.

Es kommt alles so bemüht, so gewollt daher. Nazi- und Christentum-Symbole und die „Wet Kitty“, klassische Musik, Schlager, Kettensäge, Halloween-Masken, viel Blut im Gesicht, Geisterbahn, Ganzkörperbemalung, Leiche unterm Tischtuch und das mechanische Kasperltheater und der bedeutungsvolle Satz von Doom-Head, er sei kein Clown („I aint no fucking clown“), also wolle er sich gegen den Eindruck des Filmes wehren. Es dominieren die Fotoimpressionen vor der Story. Der Zuschauer orientierungslos.