Kommentar zu den Reviews vom 15. September 2016

Kein Spaziergang: 3 mal harte Horror- und Witz-Kost aus den USA, 100 Minuten Musikkarrierewahnsinn, ein romantischer Besuch in einem deutschen Garten, die Weltsicht des Hieronymus Bosch, Musik zum Schmelzen von Yo Yo Ma, eine Schweizer Multiple-Sklerose-Erkundung, eine Mobilfunk-Strahlungs-Doku, eine Coming-of-Age-Ausbüchstour aus Hamburg, ein deutscher Liebesfilm in der Nachfolge von Seelchen Maria Schell, ein Kinderfilm aus dem Schoße des öffentlich-rechtlich-deutschen Weltverbesserungsfernsehens und harte, russisch-amerikanische DVD-Action-Münze. Im TV gab es eine Fortschreibung der Geschichte von Chodorkowski und eine Wolfsgemäldefantasie.

THE PURGE: ELECTION YEAR
Rette sich wer kann vor dieser Vorwahlnacht!

THE COMEDY
Komödie ist, wenn es nichts zu lachen gibt, und wenn der Witz, den jede Lebenssituation hergibt, von mitteljungen, bärigen Autorentypen gesucht wird – eine witztheoretische Feldforschung.

ENTERTAINMENT
Wenn der Witz auf dem Zahnfleisch geht und der blutige Urin im Sperma schwimmt, wenn der Humorernstfall eintritt, dann sollte ernstlich überlegt werden, ihn von Sicherheitsdiensten bewachen zu lassen. Roadmovie mit Witzeerzähler im filmschönen Westen der USA.

THE BEATLES: EIGHT DAYS A WEEK – THE TOURING YEARS
Der Wahnsinn des raketenhaftes Aufstieges der Beatles von 1963 – 1966 in 70 Minuten plus 30 Minuten Konzertmitschnitt.

RUDOLF THOME – ÜBERALL BLUMEN
Der Regisseur als Gärtner – der Gärtner als Regisseur; eine kleine Landpartie mit einer ganz persönlichen Begegnung. Ihm könnt Ihr schon ein paar Klicks und Likes geben, Link in der Review.

HIERONYMUS BOSCH – SCHÖPFER DER TEUFEL
Die Mühen eines Kompetenzteams, zum 500. Todestag des Hieronymus Bosch eine Ausstellung in seinem Herkunftsort auf die Beine zu stellen, könnten selbst das Topos eines Bosch-Gemäldes sein.

THE MUSIC OF STRANGERS – YO YO MA AND THE SILK ROAD ENSEMBLE
Gegen diese Musik ist jeder Widerstand zwecklos.

MULTIPLE SCHICKSALE – VOM KAMPF UM DEN EIGENEN KÖRPER
Ein junger Schweizer kommt mit dem Widerspruch zwischen Bewegtheitsanspruch des Kinos und der Tendenz zur Bewegungslosigkeit von Multiple-Sklerose-Patienten spannend klar; Hermann Hesse leistet ihm dabei Hilfestellung.

THANK YOU FOR CALLING
Fluch und Segen des Mobilfunks; wie gefährlich ist die Strahlung? Industrie- und Justizkrimi um die Forschung und deren kriminelle Verhinderung und die Möglichkeit, in Amerika gigantische Schadenansprüche stellen zu können.

TSCHICK
Integrations- und Wohlstandsverwahrlosung als Hintergrund einer Coming-of-Age-Freundschaft zweier Kids bei ihrer Spritztour in einem geklauten Lada.

SMS FÜR DICH
Früher hat die verliebte Frau am Stickrahmen gesessen und Liebesprüche liebevoll mit Kreuzstichen gestochen, heute genügen SMS; das Ziel ist ein Toter; der Empfänger ein Lebender.

AUF AUGENHÖHE
Auch Fernsehredaktionszwerge haben klein angefangen. Heute heißt es: sie sind die Größten und sie wissen, wie mit Zwergen pädagogisch wertvoll umzugehen ist.

DVD neu

HARDCORE (DVD)
Der Zuschauer wird zwangseingenistet ins Perzeptionszentrum einer gnadenlosen Killermaschine als sei der Film ohne Schnitt gemacht, Fluchtversuch aussichtslos.

TV

CHODORKOWSKIS NEUE FREIHEIT
Freiheit ist schwer und nicht so brisant für eine Geschichte.

POLIZEIRUF 110: WÖLFE
Christian Petzold münzt den Polizeiruf in eine Wolfsgemäldefantasie um und der Kommissar setzt zu einer Arie an, wenn er eine Apfelschorle bestellt.

The Beatles: Eight Days a Week – The Touring Years

Wie ein Tsunami rollten die Beatles in den frühen 60ern über die Welt, ein unkalkuliertes, unkontrolliertes Ereignis, wie es in der Musikwelt vorher und nachher nicht wieder passiert sein dürfte.

Wie ein Tsunami rollt nun die Erinnerung an diese Ereignisse nach dem Drehbuch von Mark Monroe in der Regie von Ron Howard über die Leinwand, ein Zusammenschnitt aus Archivmaterialien mit kurzen, neuen Statements von Paul McCartney und Ringo Starr, so nochmal zum Ereignis werdend.

Zu sehen ist allerdings auch, wie die Teens, die sie bei ihren ersten Pilzkopfauftritten 1963 noch waren, in den drei Jahren der Tourneen erwachsene Männer geworden sind, denen die letzte Welttournee keinen Spaß mehr gemacht hat. Sie hätten da auch längst nicht mehr gut gespielt. Sie wollten Musik und nicht Zirkus. Tiefpunkt dürfte die Fahrt aus einem Stadion in einem Panzerwagen gewesen sein mit der Innenausstattung einer Konservendose.

Der Rummel um die Musikgruppe war unvorstellbar und wuchs sich innnert kürzester Zeit aus zu nie erlebten Konzerten in Stadien mit Zehntausenden von Zuschauern rund um die Welt mit kreischenden Mädchen und solchen die in Ohmnacht fallen. Dagegen scheinen alle heutigen, kalkuliert geplanten Musikkarrieren und auch das damit einhergehend gezüchtete Fantum wie ein blasser Abgeschmack.

Der Aufstieg der Beatles wirkt so besehen wie ein Phönix, der aus den Trümmern Liverpools nach dem Krieg erwuchs. Sie sind ausgezeichnete Musiker und Texter, die schon lange vor dieser Entwicklung kontinuierlich und viel gearbeitet haben und die sich nach diesen Wahnsinnserfolgen nach nichts mehr gesehnt hatten als nach ruhiger Studioarbeit und diese nach dieser Tourneezeit kreativ nutzten und damit musikalisch an der Spitze blieben und überraschten.

Es sind jede Menge Beatles-Lieder zu hören, jede Menge Konzert- und Probenmitschnitte. Nach dem ca. 70-minütigen Schnelldurchlauf durch jene kurze Zeit des phänomenalen Aufstiegs in eine Musikweltklasse, die es so bis dahin nicht gegeben hat, wird noch ein 30-minütiger Ausschnitt aus dem Shea-Stadium-Konzert von 1965 zu sehen sein.

Mich faszinieren vor allem die frühen Beatles, die mit einer Unverbogenheit und natürlichen Direktheit und keckem Witz ihre Lieder vortragen in den Anzügen, die ihnen ihr erster Manager verpasst hatte, und wie sie Interviewfragen beantworten. Nicht zu erwarten, dass die ein Fach „Umgang mit den Medien“ in ihrem Ausbildungsprogramm gehabt hätten. Auch hätten sie das Konzert in Jacksonville glatt abgesagt, da dort noch Rassentrennung galt, falls diese nicht für das Konzert aufgehoben worden wäre.

In den 60ern ist die Beatlemania wie eine Epidemie über die Welt gekommen. Jetzt gibt es eine späte Nachlese in 100 Filmminuten zu drei Jahren Musikwahnsinn. Das Ereignis muss so gigantisch gewesen zu sein, dass es offenbar erst heute möglich ist, mit viel, viel Distanz es so zusammenzufassen.

Tschick

Absicht und Stil sind gut: einen nüchternen Blick zu werfen auf ein Stück ungeschminkter bundesdeutscher Realität, auf Verwahrlosungen in unterschiedlichen sozialen Bereichen hinzuweisen.

Da ist der 14-jährige, pubertierende Junge Maik, der noch wie ein Mädchen aussieht, aber schon eine etwas tiefere Stimme hat. Er kommt aus erfolgreich kaputtem Hause. Mutter Alkoholikerin, Vater auf Geschäftsreise mit junger Mitarbeiterin, Vorzeige-Luxushaus, betonklotzartig, mitten in einem leeren Baugebiet, in welchem aus Naturschutzgründen nicht weiter gebaut werden darf.

Tschick, der russlandstämmige Junge, der aus dem Heim kommt, Anand Batbileg, ist 15 und wirkt reifer. Dann noch das Mädchen, das die beiden auf ihrer sommerlichen Ausbüchstour unterwegs auflesen.

Über die Stränge schlagen, einfach losziehen. Ein Auto klauen, durch Maisfelder fahren, über einen schwankenden Holzrollensteg steuern, in einem Stausee sich mit Seife waschen und schwimmen, unter Windrädern campieren, moderne und altmodische Romantik gemischt, in der Nähe picknickt eine gräfliche Familie.

Erstaunlich, dass die Kids bei ihrem Coming-of-Age-Rodamovie-Abenteuer nicht zu Alkohol und Drogen greifen. Ein Klischeeverzicht. Zigaretten sind das einzige.

Es gibt Probleme mit der Benzinbeschaffung, mit einem Fahrradpolizisten und auch mit der Polizei. Es gibt Frühstück bei einer Famillie auf dem Bauernhof mit Erziehungs- und Lehranspruch, Captain Fantastic-ähnlich; die ausbüchsenden Jungs stehen beim Wissensspiel belämmert da, immerhin wissen sie, dass Berlin die Hauptstadt von Deutschland ist.

Fatih Akin (The Cut) erzählt in klaren Bildern. Nüchternes Protokoll einer Reise von Kids, die keine Regeln außer vielleicht einer Ahnung von Freundschaft kennen.

Über die sehr klaren Bilder wird – und das nicht zu knapp – eine zudröhnende Jugendmusik geknallt.

Die Absicht ist gut, die Bilder sind klar. Die Probleme fangen für mich beim Drehbuch an. Es handelt sich um die Verfilmung einer Romanvorlage von Wolfgang Herrndorf nach dem Drehbuch von Lars Hubrich und Hark Bohm.

Es ist ein Perspektivenproblem. Der Film heißt Tschick, hat also den genial natürlich spielenden Asien-Zuwanderer mit lässiger Berliner Schnauze im Visier und kündet ihn als Hauptperson an. Der Icherzähler aber ist Maik. Der ist nun noch ein recht grüner Junge, eine auch durch die Besetzung unklare Figur, ok, sicher gestört durch die familiären Verhältnisse. Es scheint also um Maikes Faszination durch Tschick zu gehen. Eine ungefestigte Person, eine, die gerade anfängt, einen existentiellen Wandel durchzumachen (Signal sind die langen Haare, Symbol der Verpuppung, die dann auch, das ist zumindest theoretisch plausibel, als Zeichen der Entwicklung abgeschnitten werden).

Es geht um ein Coming-of-Age inmitten gesellschaftlich-sozialer Verwerfungen; das ist vielleicht auch ein Handicap – einerseits – vielleicht aber auch der Schlüssel zur Freiheit, die sich die Jungs nehmen; oder das Milieu, in dem sich so ein Prozess überhöht darstellen lässt.

Ja, vielleicht ist das mein Problem mit dieser Geschichte, dass ich dem Jungen diese Erzählung nicht zutraue. Ok, der mag das später als Autor aufgeschrieben haben. Als Roman. Aber wie das zu einem Drehbuch umarbeiten, das einen vom ersten Moment an fesselt? Müsste dann die Hauptfigur, also Maik, nicht viel gründlicher beleuchtet werden? Ihn nur mit einem haarbevorhangten, unsicheren Jungen zu besetzen, ja, vielleicht ist es ein Besetzungeproblem, scheint mir nicht zu genügen. Wenn er später ein Autor wird, so müsste er doch mindestens als ein aufmerksam beobachtender Junge dargestellt werden; was mir so nicht der Fall zu sein scheint; damit das spätere Aufschreiben der Geschichte eine Plausibilität erhält. Es müsste seine Empfindsamkeit für die Situationen spürbar sein.

Auch das spätere Geständnis von Tschick, er sei schwul, kommt wie aus heiterem Himmel. Mindestens erahnen müsste man das; so wirkt es irgendwie unplausibel, warum er mit dem grünen Jungen überhaupt anbandelt.

Der Darsteller des Tschick mit seiner unverschämten Lockerheit und Natürlichkeit wirft ein anderes Problem auf, lässt den übrigen Cast weit im Schatten stehen, lässt ein Besetzungsproblem spürbar machen. So wirkt der Film wie eine brave Ab-Blatt-Inszenierung. Das Problem ist, dass mit der Hauptfigur Maik keine besondere Empathie entsteht und damit auch keine Spannung, dass wie mir scheint, eine unüberwindliche Diskrepanz zwischen Erzählung von Maik und der Besetzung und Darstellung von Maik sich auftut.

Hieronymus Bosch – Schöpfer der Teufel

Wie kaum ein zweiter Maler dürfte Hieronymus Bosch einen Schatz für das Kino bergen, nicht nur wegen der überbordenden Phantasie, der auch die Computeranimationstechnik bislang nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen hat, sondern auch wegen all der kleinen, winzigen, großartigen Miniaturen und Details, die zu studieren und voll aufzunehmen im Museum ein Ding der schieren Unmöglichkeit ist, auch weil normalerweise die Zeit fehlt und die anderen Besucher drängeln; behelfsweise allenfalls mit Katalogen und Fotobänden der Gemälde.

Die Leinwand kann die Boschwelt neu entdecken. Wobei ich einschränkend hinzufügen muss, dass ich diesen Film von Pieter van Huystee, online gesichtet habe; aber ausgehend vom Film „Meine Zeit mit Cézanne“ und dem großartigen Schlussgemälde dort in etwa die Wirkung hochrechnen zu können mir erlaube.

Der Film hat eine Story. Er begleitet ein Team bestehend aus einem Kunsthistoriker, einem Kunstwissenschaftler, einem Fotografen und einem Restaurator, die vor Ort ergänzt werden von Holzexperten, Forschern, Kuratoren und anderen Spezialisten, auf der Recherchereise für die Jubiläumsausstellung zum 500. Todestag des Malers in seinem Heimatort Den Bosch in den Niederlanden, der selbst allerdings über kein einziges Bosch-Werk verfügt.

Die größte Hieronymus-Bosch-Sammlung findet sich im Prado in Madrid. Das hat mit der holländisch-spanischen Geschichte zu tun, mit dem spanischen König Philipp II.

Die spannende Story ist also die, wie viele Boschs wird das Kompetenzteam ausleihen können, existieren doch insgesamt nur 25 – 30 Bilder. Andere Museen wollen den Todestag auch würdigen: der Prado, aber auch Rotterdam. Und die Leute aus Den Bosch wollen keine Werke aus der Werkstatt, von Assistenten oder Schülern von Bosch, sie wollen nur Originale.

Im Rahmen dieser spannenden Story, in der das Team in Spanien, Frankreich, Italien, England, Deutschland und den USA zugange ist, werden immer wieder einzelne Gemälde genauer unter die Lupe genommen. Beispielsweise die Jahrringe auf den Holztafeln, aus denen zu ersehen ist, ob ein Baum zu Boschs Zeiten überhaupt schon zu Holz verarbeitet worden sein konnte. Es werden einzelne Bilder, Triptichen oder Zeichnungen ausführlich und detailreich vorgestellt, auch mit Röntgen- und Computerverfahren.

Verbunden mit diesen Detailerörterungen ist eine Betrachtungsschulung, etwa die Erwägung, welche Figuren auf dem Tableau im Auge mit etwas Rot bedacht wurden, welche nicht, wo sie hinschauen, wie damit der Betrachter angesprochen sein könnte. Faszinierende, surrealistische Details zwischen Himmel und Hölle erscheinen großformatig. Auf 20 von 25 Tafeln ist eine Eule zu finden, der Dichter selbst, im Dunkeln, der das Böse sieht und kennt?

Die Bilder verführen den Betrachter allerdings auch zu einer kleinen Perzeptionsextrapolation. Er stellt sich vor, er mache sich die Optik des Hieronymus Bosch zu eigen und betrachte so diese Experten, die, teils mit weißen Handschuhen, teils mit Ehrfurcht, um die Gemälde herumschwirren. Das ergibt eine erheiternd komische Wirkung, speziell im Hinblick auf den teils kleinkarierten Hickhack um die Gemäldeausleihungen. Das kann das Vergnügen am Film doch glatt verdoppeln.

Wobei die Computertechnik wiederum postboschsche Effekte ermöglicht, zum Beispiel einen Ohrenvergleich aus verschiedenen Bildern. Was selbst wieder ein „lauschiges“ Bild ergibt. Oder es wäre ein Computervergleich vorstellbar, der als „Bosch-Rechtshänder-Assisten-Linkshänder-Diskurs“ betitelt werden könnte.

The Music of Strangers – Yo Yo Ma and the Silk Road Ensemble

Kulturelles Spa und Wohlfühlmassage von Morgan Neville, der Garstigkeit, Boshaftigkeit und Gemeinheiten der Welt nicht ausblendet, ihnen aber wenig Chance gibt, denn die Protagonisten dieser Dokumentation über das weltberühmte Silk Road Ensemble, dessen Spiritus Rector der Weltklassecellist und ehemaliges Wunderkind Yo Yo Ma ist, sind alles hervorragende, optimistisch eingestellte Künstler.

Sie machen Musik trotz oder wegen der Kaputtheit der Welt, sie wollen Hoffnung wecken und etwas verändern. Sie wollen Tradition, aber gegen ihre Erstarrung arbeiten, wollen einen Pferdefurz dagegen setzen, einen mongolischen, wie Yo Yo Ma es ausdrückt – und den das Orchester urgewaltig umsetzt.

Die Instrumentalisten sind in ihren Ländern berühmt, sind mit der Musik aufgewachsen, sind selber geflohen, ausgewandert aus China, Iran, Damaskus und sie wollen auch wieder zurück.

Sie wollen musikalisch offen bleiben. Deshalb finden sie immer wieder zusammen, um mit ihren Instrumenten, vornehmlich Saiteninstrumente aber auch Querflöte, Schlaginstrumente oder Dudelsack, der Tradition auf den Grund zu gehen, diese erfrischend neu zu mixen.

Zum angenehmen Gefühl, das der Film verbreitet, tragen nicht nur die vielen Musikausschnitte bei. Es gibt kleine Homestories, historische Aufnahmen, wie John F. Kennedy dem Wunderkind Yo Yo Ma lauscht oder Leonard Bernstein ihn vorstellt oder von der Grünen Revolution im Iran.

Wir erfahren dass Kayhan Kalhor, der iranische Kamatschenspieler wegen der Mullahs nicht zurück kann, dass er seine Frau in Istanbul trifft. Wir sehen den syrischen Klarinettisten Kinan Azmeh in Jordanien in syrischen Flüchtlingslagern Musikworkshops geben. Oder wir sind mit Christina Pato, der galizischen Gaitaspielerin in ihrer Heimat. Die chinesische Piga-Spielerin entdeckt in der Provinz ein Familienorchester mit umwerfendem Temperament und brillanten Schattenspielern.

Der Film kann gesehen werden als ein Werbeprodukt für diese völkerverbindende Idee. Er ist auch – ein höchst gepflegter – Fanartikel. Er fragt nicht nach der wirtschaftlichen Seite des Unternehmens. Dieses Thema hakt er mit dem Beispiel des kleinen Jungen ab. Auf die Frage, was für einen Beruf er ergreifen möchte, antwortet er: Musiker. Die barsche Antwort lautet: das schließt sich aus.

Bei einem Wunderkind wie Yo yo Ma, was offenbar seiner Lebtag und bei allem Erfolg die Wunderkindhaftigkeit nie verloren hat, scheint noch ein Spanne zu Unerfülltem vorhanden: sein Traum wäre Buschmann in der Kalahari.

Die Frage, ob sie die Welt verändern oder nicht, kann nicht beantwortet werden; wenn es nur ein kulturelles Spa ist, so sind die Menschen nachher wieder gestählt für die harte, kapitalistische, nicht musikalische Welt. Zumindest bekommen sie Balsam auf die Wunden, die die Welt, der Alltag, der Überlebenskampf reißen.

SMS für dich

Auferstehung eines Toten dank SMS.

Der Traum einer jeden Frau vom großen starken Mann, zu dem sie hinaufschauen kann, an dessen behaarter Brust sie sich anlehnen kann, der sie auf seinen starken Armen ins Bett trägt, wenn sie eingeschlummert ist, und die sich, das ist jetzt eine Extrapolation des kritischen Zuschauers, für ihn sicher auch verschleiern würde.

Ein Seelchen von Frau, die das träumt, eine Maria Schell unserer Hipster-Generation, so zumindest stellt Karoline Herfurth ihre Protagonistin Clara Sommerfeld dar, so inszeniert sie sie, in jeder Sekunde süßes, weiches, wunderhübsches Püppchen und makellos schön und so hat sie die Figur im Drehbuch, das sie selbst mit Malte Welding, Andrea Wilson und vielen anderen im Abspann Genannten nach dem Roman von Sofie Cramer geschrieben hat, entworfen.

Aber der Verlobte ist tot, vor ihren Augen in ein Auto gelaufen. Jetzt schreibt sie ihm SMS.

Der Film spielt im Berliner Künstlermilieu. Clara ist eine erfolgreiche Kinderbuchautorin und Zeichnerin von Geschichten von einer Raupe. Die Reinkarnation ihres Verlobten wird ein Zeitungsjournalist sein, ein Sportreporter, Friedich Mücke stemmt die Rolle mit Anstand.

Damit es soweit kommt, braucht es ein Mobilfunkversehen; die SMS landen auf dem Handy des Sportreporters. Womit aus dem Trauer-nicht-Verarbeiten-können-Film unversehens ein Anbandel-, Blind-Date- und Liebesschmachtfilm wird, in dem man weinen soll; jedenfalls wurden bei der Pressevorstellung vorbeugend massenhaft Papiertaschentücher verteilt. Ich habe sie ungenutzt mit nach Hause mitgenommen.

Durch die Schilderung des Künstlermilieus wird der Film in gewisser Weise auch ein Selfie einer erfolgreichen Noch-nicht-alt-aber-längst-nicht-mehr-richtig-jung-Generation einer im Subventionsfilmland erfolgreichen Darstellerriege mit der Alterspatronin Katja Riemann als Schlagersängerin (Referenz an Katja Ebstein?), die mit einer Fernsehtanzummer den Zuschauer beschwingt aus dem Kino entlassen und beim langen Abspann nach dem langen Film halten soll.

Sefie einer Generation, die birst vor Jokes, die ich mir nicht merken kann und die ich schon vergesssen habe, bevor die letzte Pointe gesprochen ist.

Selfie einer Generation, die man als Etagengeneration bezeichnen könnten, schön im eigenen Saft köchelnd, rundum mit sich beschäftigt und der Frage nach der Liebe, und so gut wie keine Ankergeneration darunter oder einer Hoffnungsgeneration darüber.

Selfie einer Generation, die einen schicken Lebensstandard und keine finanziellen Sorgen hat. Selfie eines Generationenspektrums, das einem altväterlichen Frauenmodell wie beim Trachtenumzug nachhängt, aber statt mit Texten bestickte Borte gibt es heute die deutlich weniger romantische Möglichkeit der SMS. FFA und Medienboard Berling Brandenburg halten jedenfalls die Verbreitung dieses abgestanden, pseudoromantischen Frauenbildes für förderungswürdig.

Selfie einer Generation von Schauspielern, die ihre Text wie aus der Pistole geschossen und viel zu laut abfeuern.

Selfie einer Generation, die auf Trauer nicht vorbereitet ist und damit auch nicht umgehen kann, die sie lieber schwammig-naiv in ein übliches Konzept von Liebesgeschichte umwandelt.

Angenehm sind die ersten Szenen des Filmes, weil in ihnen kaum gesprochen wird. Wobei Karoline Herfurth beim tödlichen Verkehrsunfall ihres Verlobten, den sie von einem Lokal aus beobachtet, eine merkwürdige Nummer an Mimikveränderung in Zeitlupe zelebriert, im Fachjargon würde wohl von einer „stummen Jule“ gesprochen, die zäh wie Kaugummi oder zerlaufendes Kerzenwachs wirkt. Dass sie darob in untätiger Trauer versinkt, wirkt plausibel. Weniger plausibel dagegen der Übergang zur Romanze. Die Schmetterlingssymbolik passt zur Attitüde von Kleinmädchenpoesiealbum.

Selfie einer Hipster-Generation aus Figuren, die alle einsam wirken. Das zu verbrämen wird laute, teils schmalzige und Discomusik drübergehauen über die zerfaselte Bildmontage. Was alles kein Beweis für Humor ist.

Es scheint, dass die ganze Corona von Mitschreibern unter Drehbuchschreiben verstehen, Witze, Jokes, Pointen auf Teufel komm raus aneinanderzureihen (für eine Pointe geh ich über Leichen), und dies ganz ohne jeden Anflug von Selbstironie. Studienhalber wäre diesen Schreibern eine Sichtung von The Comedy und Entertainment zu empfehlen, die ebenfalls heute ins Kino kommen; da könnte ihnen bewusst werden, dass sie wohl noch die Milchzähne drin haben.

Die kindischen Anbandel- und Blind-Date Szenen erinnern an typische Filmstudentenfilme; dazu sind die hier besetzten Darsteller allerdings zu alt.

Rudolf Thome – Überall Blumen

Soigner son jardin.

Ein Kritiker setzte Rudolf Thome auf eine Stufe mit Rivette, Renoir, Rossellini. Die Golden Palme von Cannes ist ihm versagt geblieben. 28 Spielfilme hat er gemacht. Seinen 29. zu finanzieren mit dem Titel „Überall Blumen“ hat ihm Degeto verweigert.

Auch Crowd-Funding, wofür ihn seine Tochter Joya unterstützen wollte, funktionierte nicht. Er möchte seine Leute bezahlen können, er möchte nicht mehr so improvisiert arbeiten wie mit 30, dazu fehle ihm die Kraft, glaubt Thome, deutscher Filmemacher mit Inidividualität, der sein Werk hegt und pflegt wie seinen Bauernhof, ein „Unikum“, wie seine Eltern ihn zu titulieren pflegten.

90 Minuten Begegnung mit einem ungewöhnlichen Zeitgenossen, der mit einer Radikalität der Hingabe an die Filmemacherei nach einem möglicherweise veralteten Ideal des frühen 20. Jahrhunderts als „auteur“ lebt, ermöglicht uns diese Dokumentation von Serpil Turhan, die mit Eva Hartmann auch das Drehbuch geschrieben hat. Sie war, wie er sagt, nicht nur seine Assistentin, sondern soll auch die Protagonistin seines nächsten Filmes sein; sie haben einen vertrauten Umgang miteinander, sie soll oder will ihn beim Schreiben filmen; wobei er nie vergessen kann, dass eine Kamera ihn beobachtet und er sich überlegt, wie er sich selbst darstellen soll, als einer, der die Kamera bemerkt oder als einer, der die Kamera nicht bemerkt.

Als Zuschauer fühlt man sich wie ein Gast auf seinem Bauernhof, den er mit karger Schönheit gestaltet ohne diese eitle Manie modernen Gartenbaus.

Es scheint auch nicht so, als versuche Rudolf Thome etwas zu verbergen vor dem Zuschauer. Vielleicht seine Nacktheit, denn ohne Dokumentaristin würde er sich unangezogen rasieren, gibt er zu Protokoll, und vermutlich trüge er auch nicht dauernd frisch gebügelte Hemden.

Mit seiner Tochter Joya skypt er. Diese studiert in New York und hat das Gefühl, das erste Mal richtig zu arbeiten im Gegensatz zu ihrer Hochschule in Berlin. Sohn Nicolai hilft beim ausgiebigen Frühjahrsputz im Frosch- und Schwimmteich.

In kleinen Einsprengseln taucht Thomes Werk auf. Sei es, dass er in einem verstaubten Abstellraum nach alten Filmklappen wühlt. Das nennt er eine Macke, für jeden Film eine eigene Klappe liebevoll hergestellt zu haben; Minihinweise für die Hingabe an seine Filme. Requisiten und Kostüme hat er gesammelt in der vagen Hoffnung, dass sich vielleicht irgendwer irgendwann dafür interessieren werde. Danach sieht es nicht aus.

Rudolf Thome erweckt den Eindruck eines vergessenen Filmemachers. Andererseits meint er, er müsse nicht noch Spielfilm 29 machen mit 75 Jahren.

Wichtiger ist ihm, durch regelmäßiges Radeln sich fit zu halten. Dass er das Kind in sich bewahrt hat, was für einen Künstler eine essentielle Produktivitätsgrundlage ist, wird ersichtlich im Umgang mit seinem Blog („Hier kann man fast alle meine Filme online anschauen“) oder wenn er ein Filmchen bei Vimeo hochlädt über den Tanz dreier Schmetterlinge oder über die Fütterung junger Rotschwänzchen durch ihre Eltern und seine Versessenheit auf Klicks als Zeichen des Geliebtwerdens; dem kann nachgeholfen werden, wenn man die Tochter um Likes bittet.

Eine denkwürdige Begegnung mit einem Künstler, der verdammt jung geblieben ist – und der von unserer Zwangsgebührenkultur respektlos behandelt wird, dass man am liebsten im Boden versinken würde bei dem Dreck, den die andauernd fördern.

Multiple Schicksale – Vom Kampf um den eigenen Körper

Mit Hermann Hesse, Siddharta, lässt sich die Welt nicht retten, aber vielleicht erträglicher machen oder Hesse mag als Kunstgriff dienen für einen begabten, jungen Schweizer Filmemacher.

Gerade mal 18 Jahre alt ist Jann Kessler und filmbegeistert, da schnappt er sich eine Kamera und eine GoPro und will sich mit dem Schicksal seiner Mutter auseinandersetzen.

Diese liegt seit zehn Jahren mit offenem Mund und offenen Augen schier regungslos in einem erstklassig eingerichteten Pflegeheim. Ihr Schicksal, ihre Multiple Sklerose ist für den hellwachen und emotional elektrisierten Jann der Ausgangspunkt für eine Erkundungsreise innerhalb der Schweiz und immer mit der SBB unterwegs, das ergibt viele bewegte Bilder zwischen den Begegnungen mit vielfältig von dieser heimtückischen Krankheit Betroffenen.

Die Schweizer MS-Gesellschaft hat den Film gefördert, kein Fernsehsender ist erfrischender Weise beteiligt und der Hermann Hesse in Janns Hinterkopf dürfte zu einem Verhältnis zu seinen Interview- und Dokumentarpartnern geführt haben, dass sie frisch von der Leber weg und auch immer wieder mit Humor erzählen und so jede Betroffenheitsdusselei umschiffen.

Dass er Spaß an der Filmerei und auch ein Feeling dafür hat, zeigt die erste Szene, wie er mit der Oma und deren Hund Mutter besuchen geht: die GoPro hat er auf den Hund geschnallt.

An einen skurrilen Western erinnern die Bilder von Bernadette, wie sie mit einem Elektrogefährt mit einer GoPro vorne drauf in einem Supermarkt zum Einkaufen fährt.

Nicht auf den Mund gefallen ist Melanie, wie sie von einer Untersuchung und diversen Einstichversuchen im Krankenhaus erzählt, da leuchten Schwarze-Komödie-Qualitäten auf.

Um das Thema Exitus, Sterbehilfe, ist in der Schweiz nicht herumzukommen. Rainer, der an den Rollstuhl gebunden ist und auch nicht mehr die Zehennägel schneiden kann, möchte seiner Umgebung das Dahinsiechen ersparen und macht im Einverständnis mit Ehefrau und Töchtern den selbstgewählten Abgang. Seine letzten Worte: „so ein Scheiß-Geschmack“; eine Szene, in der Nähe des Gruselgenres anzusiedeln.

Exploitation schwerkranker Verwandter für den eigenen Film. Das war zuletzt in 23 Kilometres zu sehen, hier möchte eine Tochter ihrem an Parkinson erkrankten Vater näher kommen. Mit einem MS-Film beeindruckte letztes Jahr Sabine Volgmann, die etwas älter ist als Jann und bereits an einer Filmhochschule eingeschrieben, wie sie die Diagnose erhält; sie machte daraus den Selbsterfahrungsfilm Die kleine graue Wolke.

Der Film von Jann Kessler dürfte über das Biotop des reinen Jugendfilmes hinaus auf Interesse stoßen und Diskussionen auslösen über die nötige Transparenz im Umgang mit der Krankheit, auch weil er herzliche, attraktive Gesprächspartner gefunden hat.

Auf Augenhöhe

Das Thema Kleinwüchsigkeit ist im Kino nicht abendfüllend, geht es letztlich nur um eine Aufsummierung von Vorurteilen und Diskrimierungen.

Dies zu bieten gibt es verschiedene Zugänge. Mit Witz, Geist und boshaft schwarzem Humor. Das haben die Franzosen neulich geboten mit Mein ziemlich kleiner Freund, unterhaltsam und vergnüglich.

Die Deutschen Joachim Dollhopf und Evi Goldbrunner allerdings standen unter den Zwängen des pädagogisch hehren Anspruches der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ von ZDF und Kika, (darin gabe es bereits Ente gut!). Die beiden Filmemacher haben sich nicht für Witz, Eleganz, Charme und bösen Humor entschieden, dem öffentlich-rechtlichen Programm zuliebe setzen sie auf den pädagogischen Vorschlaghammer, damit der letzte Fernsehredakteur begreift, dass er Gott dankbar sein muss, dass er klein Kleinwuchs ist. Das ist schon schlimm genug.

Es gibt keine differenzierte Haltung zu einem Kleinwüchsigen. Bei der ersten Begegnung muss so einer gleich verspottet werden und der Bub aus dem Waisenhaus auf Vatersuche, der entdeckt, dass sein Vater kleinwüchsig ist, muss das verstecken, denn kleinwüchsig ist so schlimm, dass es nur mit dicker Zeigefingerpädagogik geheilt werden kann.

Für den Mangel an Humor und damit (nach Curt Goetz) auch an Herzensgüte spricht allein der Vergleich eines Erzählelementes, eines Hundes. In der deutschen Variante kommt eine Szene mit Hund nur im Abspann vor, die dann offensichtlich im immer noch zu langen Endprodukt nicht mehr zu sehen ist. Bei den Franzosen hat der Kleinwuchs, der hier mit dem großartigen, digital geschrumpften Jean Dujardin besetzt ist, als Running-Gag mit einem riesigen Hund zu tun, der bei jedem Betreten des Raumes umrennt, Slapstick pur und rabenschwarzer Humor.

Die Deutschen wollten einen Originalkleinwuchs-Profi-Schauspieler. Sie haben den eindrücklichen Kanadier Jordan Price gewinnen können, was allerdings den diskriminierenden Nachteil hat, dass er nicht die Sprache seines Filmsohnes spricht, sondern mit einer schauderhaft unpersönlichen, tödlich perfekten, seinen Charakter entstellenden Synchronsprecherstimme versehen wurde – so kann kein Gefühl zwischen Sohn und Vater sich entwickeln.

Überhaupt die Besetzung (resp. die Antwort auf die Frage: welchen Darstellern wurde die Gunst gewährt, aus dem Topf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und diverser Filmförderungen zu naschen?), aber vielleicht ist es auch die Regie: die meisten Schauspieler, gerade auch die Kinder, agieren unangenehm gekünstelt, das mag auch an der papierenen Themensätzen liegen, die Dialoge sein sollen, die klingen, als hätte sie ein Computerprogramm mit Küchenpsychologie-App geschrieben. Ausnahme: Anica Dobra als Frau Gonsalves; sie würde man gerne öfter sehen. Das macht vermutlich den wahren Star aus, dass er auch unter laienhafter Regie und mit dilettantischen, lebensfremden Texten glaubwürdig umgehen kann.

David Ossa hat dem Fernsehen zuliebe vermutlich und weil alles ja so schön ist und sowieso nicht richtig ernst, wir spielen das ja nur, eine schmierig-verlogene Soft-Süß-Happy-Musik-Soße drüber gelegt.

Auch das Drehbuch fängt katastrophal an, wenn man es als Geschichte erzählen sollte, würde sie so anfangen „Es war einmal ein Junge, der war im Waisenhaus, spielte andauernd mit den anderen Kindern Ball und hatte kein Problem“. Da ist die Geschichte schon tot, bevor sie angefangen hat. Derselbe missliche Erzählfehler wie er schon eklatant bei Hannas schlafende Hunde von Filmhochschulprofessor Gruber Hannas schlafende Hunde aufgefallen war.

Es mag auch die fahrige Kameraarbeit von Meister Jürgen Jürges nicht zu überzeugen – Ausdruck der Verzweiflung des bekannten Meisters?

Weitere Drehbuchfehlleistung: als erster wird der Name Justin gut hörbar und verstehbar genannt und dadurch noch wichtiger gemacht, dass betont wird, er müsse Englisch ausgesprochen werden. Justin feiert Geburtstag. Justin wird eingeführt, als sei er die Hauptfigur des Filmes und ist doch bloss ein kleiner Nebendarsteller. So verwirrt man den Zuschauer, verleidet ihm das Interesse daran, mitzugehen.

Sowieso scheinen speziell zu Beginn alle sehr überdreht zu spielen, wieso? Die Lust am Waisenhaus? Und einen establishing Shot haben solche von sich selbst überzeugten Meister des Kinos selbstverständlich nicht nötig.

Weitere Erzählschludrigkeit: woher weiß der Junge beim Ruderachter, welcher von den Ruderern überhaupt sein Vater ist? Da sollten diese „Filmemacher“ mal einen Spielbergfilm genau studieren, wie sorgfältig der aufbaut, wie kalkuliert und achtsam er mit der Perzeptionsökonomie des Zuschauers umgeht, wie der Zuschauer nie im Unklaren gelassen wird, woher eine Figur eine Info hat und wie genau die ist.

Dialogbeispiel: „Jetzt mal halblang“ sagt eine Figur, darauf der etwa zehnjährige Bub: „Das ist doch das Problem, dass er halblang ist“.
Dick themenlastig die Frage: „Wie ist es so, einen kleinen Vater zu haben?“

Und noch ein für erwachsene Theoretiker sicher von der pädagogischen Absicht her korrekter und plausibler Satz, dem Buben in den Mund gelegt, zur Sozialarbeiterin: „Warum müssen Sie alles durcheinanderbringen, warum bestimmen Sie eigentlich, wo ich leben muss?“.
Man möchte den Satz gerne variieren: „Warum bestimmen am Leben vorbei verdorrte Fernsehredakteure, was ein guter Kinderfilm sei?“ – „Und warum muss ich als Zwangsgebührenzahler auch noch bezahlen dafür?“.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers an ZDF und KIKA.

The Purge: Election Year

Keinesfalls geschönt ist der amerikanische Wahlkampf, den wir hier erleben, lediglich zugespitzt auf den offiziell nur im Film (hier bereits Nummer drei nach The Purge und The Purge: Anarchy) von James DeMonaco stattfindenden, jährlichen Purge.

Das Muster ist bekannt: ein Tag im Jahr ist Purge-Tag. Es gelten 12 Stunden Jagdfreiheit der Menschen auf die Menschen, da dürfen die Waffennarren von Amis abschießen, wen immer sie vors Rohr bekommen und sie gehen garantiert straffrei aus; die reinigende Wirkung soll für den Rest des Jahres zu einer gesunkenen Kriminalitätsrate führen.

Für den Zuschauer eine Nervenprobe schon bei Film Nummer eins und zwei. Im dritten Film muss James DeMonaco nicht mal mehr das Zeitmuster zur Spannungserzeugung nutzen. Hier hat er mit den aktuellen Präsidentschaftskandidaten krasse, reale Vorbilder, die sich eh schon bis aufs Blut und mit allen Mitteln bekämpfen, so ein Purge fügt sich da nur konsequent ein.

Die herrschend Partei ist erzkonservativ und reaktionär. Sie heißt NFFA. Sie will den Purge nicht nur zur Senkung der Kriminalitätsrate nutzen, sondern auch zur Reduktion von Armut durch Eliminierung von Menschen der unteren Schichten.

Herausgefordert wird der aktuelle Präsident im Wahlkampf von einer Frau, Senatorin Charlie Roan, Elizabeth Mitchell, die sich gegen überrissene Sicherheitsmaßnahmen für die Purgenacht sperrt und den Plan der NFFA durchkreuzen will.

Durch eine personellee Schwachstelle in ihrem Sicherheitsdienst gerät sie fast schutzlos in die Purge-Nacht hinaus, einzig begleitet von einem verlässlichen Security-Mann, Frank Grillo als patriotisch-heldenhaftem Sergeant, der sich selbst eine Kugel aus dem Leib operiert.

Um den Film nicht nur in der abgehobenen Washintoner Politklasse veröden zu lassen, hat James DeMonaco den sympathischen Joel, Mykeltie Williamson, erfunden, der in einem einfachen Quartier einen Deli-Laden betreibt und von dem deutlich wird, dass dieser sein Ein und Alles ist und dass er ihn auf keinen Fall durch den Purge verlieren darf. Aber da hat er die Rechnung ohne zwei freche Gören gemacht, die er am Vorabend beim Schockoriegelklau erwischt hat.

Der Purge wird von DeMonaco teils auch als ein malerischer Helloween geschildert, bunt, krass, fantsievoll, eine Maskerade und Schwärme von Mördertouristen fallen in die Vereinigten Staaten ein; auch das Purgeversicherungsgeschäft boomt und es gibt Inseln von lauter guten Menschen, die sich gegenseitig helfen … während die NFFA eine Art kirchliches Hochamt ihrer perversen Weltsicht und in Vorfreude eines baldigen Wahlsieges begeht.

Vielleicht kann man diesen dritten und voraussichtlich letzten Purge-Film als Barometer für die reduzierte Zivilisiertheit des Umganges beim Wahlkampf in den USA sehen. Keine Freude. Am Schluss suhlt DeMonaco sich noch ausgiebig im Show-Down.