Hallo, will hier jemand eine Geschichte sehen, die keine Hoffnung lässt?
Das Thema Euthanasie als eine Geschichte der Hoffnungslosigkeit erzählt und dass Aufsässigkeit sich nicht lohnt. Das kann nur in Deutschland passieren, dass in einer Geschichte, einer filmischen Geschichte, der Hoffnungsträger getötet wird. Hier werden Eigenschaften der Realität mit Eigenschaften des Geschichtenerzählens gröblich vermengt, das ist, als ob der tödliche Tropfen Gift statt in den Euthanasie-Himbeersirup in die Erzählung eingeträufelt würde. Es sei denn, man wähle das Genre des Dramas. Hat man aber nicht.
Ernst Lossa (Ivo Pietzker) ist ein aufgeweckter, wacher Bub, ein Glücksfall für einen Film mit einem Kind in der Hauptrolle. Leider sind wir im Biotop der deutschen Zwangsgebührenkultur, die generell große Probleme mit dem Erzählen hat. Der TV-Vielschreiber Holger Karsten Schmidt hat die Figur nach dem Roman von Robert Domes zur Hauptfigur gemacht. Dumm, dass es sich um einen deutschen Themenfilm handelt: Euthanasie, 3. Reich-Aufarbeitungsfilm.
Der Junge Ernst ist nach Heimaufenthalten als renitent in die von Nonnen geführte Nervenklinik Heiligenbrück verbracht worden. Weil sein Vater (Karl Markovics mit einem eindrücklichen Auftritt) ein Wohnsitzloser ist, ein Roma, ein Jenischer, muss der Junge auf Grund der Nazi-Rassenpolitik dem Vater weggenommen werden. Sobald er einen Wohnsitz hat, darf er wieder zu ihm. Beide träumen davon, nach Amerika auszuwandern.
Erzähltechnisch wenig attraktiv, dass dieser Junge, den wir vom ersten Moment an mögen und ins Herz schließen, der das reine Symbol für Hoffnung ist, den die Erzählung zwischenzeitlich – ein ziemlicher Makel – aus dem Auge verliert, weil sie das Thema Euthanasie ausladend illustrieren will, dass ausgerechnet dieser Junge am Schluss auf die Liste derjenigen kommt, die getötet werden sollen, damit das Volk, das wird im Film ausgiebig dargelegt, von Fällen, die es nur Geld kosten, befreit werde. Somit könnte über dem Film die Überschrift stehen, die über Dantes Portal zur Hölle steht: lass alle Hoffnung fahren.
Mir fällt jetzt kein vergleichbarer Film ein, der so seine Hauptfigur aus dem Film eliminiert bei gleichzeitigem Widerstand gegen die Dramenlösung, dagegen, die Geschichte als ein großes, persönliches Unglück zu schildern, sondern die Figur lediglich zur Themenillustration auszubeuten.
Dieser Filmintention ist Sebastian Koch als Dr. Walter Veithausen dienlich. Er spielt ihn so, dass er sich direkt anbietet als Protagonist für eine Arztserie, die damit wirbt, „der Arzt, dem die Frauen vertrauen“ (ohnbesehen des kleinen Schönheitsfehlers mit dem tödlichen Sirup oder der tödlichen Injektion). Geleckt, geschleckt und alle seine Handlungen wohl abwägend und begründend, immer nett und freundlich und die Menschen, Mitarbeiter und Patienten womöglich mit Namen anredend, „Frau Kiefer, würden Sie bitte Herrn Hechtle zur Hand gehen“ (die Darsteller: Henriette Confurius und Thomas Schubert) umschreibt die Aufforderung, den junge Protagonisten zu töten.
Dieses Formale hat sich in der ganzen Klinik ausgebreitet. Auch die kleinen Insassen reden schon so miteinander, immer mit Namensanrede. Vielleicht war das ja so, aber so wie es performt wird, wirkt es befremdlich, vielleicht hat da der Autor mehr gewusst als die Realisierer vor der Kamera? Oder ist es Fernsehmarotte, damit auch Zeitlupenintelligenzen in jedem Moment wissen, wer wer ist?
Das Prinzip dieser Filmemacher, Regie führt Kai Wessel, ist in etwa das: die bösen Figuren werden geleckt und freundlich dargestellt, also Dr. Veitshausen und die junge Schwester Kiefer, die im realen Leben mehr Augen für den Arzt denn für die Patienten hat, aber auf solche Spiele wird hier offenbar angesichts des Ernstes des Themas verzichtet. Während die Guten wie Schwester Sophia, Fritzi Haberlandt, verschlossen und dunkel gezeichnet werden. Moral: nicht jeder, der freundlich ist, ist auch ein guter Mensch. Menschenschmatismus, simplifizierendes Menschenbild.
Zum Verarbeitungsrezept gehört ferner, das ist doch schon was, nicht immer nur das Nazi-Verarbeitungs-Grau-Blau zu benutzen, sondern durchaus auf romantische Beleuchtungen zu setzen, Schlaglichter, die die Nasen nicht immer vorteilhaft aussehen lassen, romantischer Kinderplausch nächtens auf dem Kirchendach oder Gondelfahrt bei Mondschein.
Statt Hoffnung zu geben, versucht der Film die Hoffnungslosigkeit optimistisch zu verklären, die Tötung des Hauptdarstellers. Erst gibt es eine zähe Bilder-Arie vom Tötbefehl bis zum Verschwinden der beiden beauftragten Täter im Krankenzimmer, in dem Ernst liegt. Die Kamera verharrt lange und bedeutungsvoll auf der bösen Türklinke (aus Ehrfurcht vor dem Mord?). Als nächstes wird zum Seziertisch mit dem abgedeckt aufgebahrten, toten Ernst geschnitten und verharrt: schreiend-stummes Bild – der Zuschauer soll sich den getöteten Protagonisten vorstellen.
Und falls es jemand immer noch nicht kapiert hat, tritt jetzt der dumpfe Mitläufertyp von Hausmeister und Aufräumer Witt (Branko Samarovski) auf, darf das Leichentuch anheben, ohne dass der Zuschauer auch nur ein Stück Haut vom Toten zu sehen bekommt, er soll sich den Tod ausmalen, er soll also gleichzeitig vorm peinlichen Thema wieder geschützt werden. Jetzt darf Witt einen Ansatz von dumpfem Gefühl mimen, denn Ernst hat ihm ab und an assistiert.
Das wars noch nicht. Jetzt wird’s richtig gruselig. Jetzt kommt der schwarze Rabe aufs Fenstersims geflogen. Der Todesbote oder was auch immer (man denke an die Schwarze Katze in 24 Wochen). Nandl, das Mädchen mit dem Ernst den Ausbruch geplant hat, darf die Todesbotschaft in einer frohe Botschaft umwandeln. Flugs verkündet sie im Speiseraum, Ernst sei in Amerika.
So schminkt sich selbst der Film den Grusel weg. Und alle werden euphorisch einstimmen. Ob das allerdings reicht, dem Zuschauer sein saukomisches Gefühl in der Magengrube wegzuillusionieren, wage ich zu bezweifeln, ein Gefühl, was sich bei mir nicht aufgrund des Themas – da ist die moralische Haltung doch klar, da gibt’s überhaupt keine Diskussion über unwertes Leben und Euthanasie, das sind brutale Verbrechen -, sondern aufgrund der Behandlung des Themas einschleicht, wie es mit Watte behandelt wird, als ginge es nicht um ein Verbrechen, um vorsätzlichen Mord, sondern als handle es sich um einen kostbaren Gegenstand.
Mit diesem Jubelausbruch zum Schluss scheint es, will der Film den Todestrunk mit dem Geschmack von Himbeeren anreichern (diesen „Scheißgeschmack“ wie der Exitkandidat in Multiple Schicksale es nennt).
So wie die den Film gemacht haben, wirkt es auf mich wie falsche Ehrfurcht. Ehrfurcht vor einem Thema, das solche in keiner Weise verdient. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die ausschließliche Reduktion auf dieses Thema, auf dieses Sonderbiotop des Dritten Reiches, mit kaum Außenausflügen; so als hätte das Thema Angst, mit einer realen Umwelt, die es in seine beschissenen Schranken weisen könnte, in Kontakt zu kommen. Der Bericht fängt mitten im Biotop an – wo soll der Zuschauer da andocken?
Muss mit den immer bedeutungsvoll gefilmten, langen Fluren immer wieder auf die Horrorlokalität aufmerksam gemacht werden? Haben wir das nach zehn Mal immer noch nicht kapiert? Dann wohl nie. Und natürlich die Drehbuch-Krux, dass der Junge eben doch nicht konsequent als Hauptfigur eingesetzt wird. Ok, das mag ein Kunsttrick sein, die Euthansasie wie ein Etepete-Produkt aussehen zu lassen. Oder ist da gar an die moderne Schönheitschirurgie gedacht?
Merkwürdigkeit: nach all den dauernden Namensnennungen im Film wird im Abspann zwar über das weitere Schicksal einzelner Figuren mit Texttafeln hingewiesen, aber konsequent ohne Namensnennung. Einzig das Mädel Nandl, von dem es heißt, dass es eine Kunstfigur sei, wird hier mit Namen angeführt; wobei sie auch konsequent als Fremdkörper inszeniert ist – oder ein Besetzungsproblem. Will uns mit dieser namentlichen Ansprache der Film signalisieren, dass es sich bei der Euthanasie – im Gegensatz zum anonymen Massenmord im KZ – um eine gepflegte Art des Tötens handelt?
Und dann kann der Film wieder nicht genug kriegen, vom Glöckner, der auf dem Dachboden des Kirchturms den Glockenstrick zieht, immer und immer wieder und am Schluss baumelt der Strick signalhaft dick im Raum. Wie viele Fingerzeige brauchen wir denn noch, um zu verstehen, dass Euthanasie etwas Schlechtes ist; warum kann man das nicht im Klartext aussprechen?
Von der Wahrnehmungsökonomie her ist das Requisit der Halskette, die Ernst von seinem Vater erhält, viel zu kurz eingeführt und durch das zwischenzeitliche Ausblenden des Storyfadens von Ernst, und dadurch, dass dieses Requisit erst am Schluss wieder bedeutungsvoll vorkommt, nie aber erinnert wird, wirkt es sich als Perzeptions-Stolperstein aus, wenn der Zuschauer sich die Frage stellen muss, Moment, wo ist die schon vorgekommen? Im Hinblick auf storyfördernden Umgang mit solchen Requistien wäre dem Regisseur zu empfehlen, Spielbergfilme zu studieren, schließlich tritt er hier mit Kinoanspruch an.
Die Begründung für die Tötung von Ernst hört sich merkwürdig an, er habe hier alle Chancen gehabt und nichts draus gemacht, da wird Dr. Veithausen zum richtigen Arschloch – dem keine Frau trauen sollte. Dabei ist er doch nur ein netter, akademisch gebildeter Gentleman-Mörder.
Der Autor macht es sich mit diesem simplifizierenden Menschenbild viel zu einfach, versucht zu leicht, denen, die von sich überzeugt sind, Rechtschaffene zu sein, recht zu geben.
Aus Pietät zum Thema verklemmen wir uns die Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers. Nein, erst recht: so ein Thema so scheinheilig zu behandeln: doppelte Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers!
Hallo, will hier jemand eine Geschichte sehen, die keine Hoffnung lässt? Das Thema Euthanasie als eine Geschichte der Hoffnungslosigkeit erzählt und dass Aufsässigkeit sich nicht lohnt. Das kann nur in...