Toni Erdmann (Filmfest München 2016)

Der Humanismus als Klumpfuß des Kapitalismus

Hier geht es um Menschlichkeit, um Humanität. Es geht darum, wie ein Mensch, ein Vater, Peter Simonischek als Winfried Conradi, der Anspruch auf Gehör und Anwesenheit eines nahen Menschen stellt, seiner Tochter, Sandra Hüller als Ines Conradi, einer Karrieristin, in die Quere kommt, gezielt dazwischen funkt in ihr gelecktes Leben. Er hat nichts von seiner Tochter, die er doch aufgezogen hat, und fordert von ihr gemeinsame Zeit. Die Tochter hängt selbst in Gegenwart ihres Vaters pausenlos am Telefon. Sie arbeitet in einer Beratungsfirma, die dadurch brilliert, dass sie Arbeitsplätze wegrationalisiert, um die Gewinnmargen der Unternehmen zu erhöhen.

Maren Ade hat zu diesem Thema Bilder gefunden, die einen über den Tag hinaus beschäftigen. Sandra Hüller und Peter Simonischek sind ein fabelhaftes Schauspielergespann.

Ade spielt das Prinzip der stalkenden Belästigung, die den Humanismusanspruch mittels Herbeiführung hochnotpeinlicher Situationen artikuliert, in verschiedenen Varianten in einer Aneinanderreihung liebenswürdiger bis bösartiger Szenen durch. Ein Mensch als Klumpfuß des Kapitalismus.

Ade baut auf den Satz vom steten Tropfen, der den Stein höhlt. Sie wiederholt diese Belästigungen, die Wilfried vor allem als seine Kunstfigur Toni Erdmann mit schwarzlockiger Billig-Perücke und einem Scherzartikel-Rossgebiss vollzieht, so lange, bis seine Tochter alle Hüllen fallen lässt. Insofern kann nicht unbedingt von einem spannenden dramaturgischen Bogen gesprochen werden. Eher von einer Anhäufung möglicher Schadenfreude beim Zuschauer, der sich an immer neuen Einfällen zum Thema Peinlichkeit ergötzen darf.

Das Prinzip der Szenen ergibt sich aus folgender Grundsituation. Ines hat in Bukarest in Rumänien zu tun. Sie soll bei einer Ölfirma Stellen abbauen. Ihr Vater reist ihr nach und quert in den unmöglichsten Momenten und Verkleidungen ihren Weg, der auf solche Begegnungen nicht vorbereitet ist. Wie ein Deus ex Machina taucht er allüberall auf. So etwas kann zu Verfolgungswahn führen.

Der Zuschauer kann sich dank dieses Wiederholungsprinzipes mit den Darstellern in ihre Rollen einwohnen. Thema Karrierismus und Menschlichkeit. Über die Unpässlichkeit von Menschlichkeit in der modernen, gewinnmaximierungsorientierten Geschäftswelt. Dagegen setzt Winfried als Toni trotzig die vom Chef von Ines als Business-Idee apostrophierte Behauptung, er habe zuhause eine Ersatztochter engagiert, weil die eigene Tochter ja nie da sei. Als ironischen Hinweis schenkt er ihr eine absurde Designerkäsereibe zum Geburtstag.

Maren Ade fungiert als Drehbuchautorin und Regisseurin (und auch als Produzentin von Komplizen-Film). Insofern redet ihr keiner drein, hat sie sich also künstlerischen Freiraums erboxt, den sie nutzt, allerdings scheint ihr dadurch auch jemand zu fehlen, der den Stoff nach dem Motto „Kill your Darling“ nochmal durchgebürstet und manche Szenen im Hinblick auf einen Verkaufserfolg als verzichtbar markiert hätte. Was schade ist, denn selten kümmert sich jemand im deutschen Kino so gründlich um die Figuren und ihr Verhältnis zueinander, um damit eine tiefmenschliche Aussage auf die Leinwand zu bringen.

Insofern wirkt die Nacktparty gegen Ende nur wie ein Beispiel unter vielen und nicht als der zwingende Höhepunkt einer stetig gesteigerten Genervtheit der so coolen Businessfrau; wobei die Entwicklung der Reaktion auf die penetranten Interventionen ihres Vaters in ihren Business-Alltag vermutlich viel länger eiskalt weggesteckt werden müssten, um die Form zu wahren und um sich dann in dieser Nacktparty explosiv zu entladen, mit einem Knall. So aber erhält die Geschichte einen sentimentalistischen Touch.

Ade inszeniert so, als gebe die Tochter zusehends auf, als verliere sie ihre Rolle, als bröckle ihre Fassade step by step, als verliere sie ihren Business-Pli, den sie anfangs so grandios und mit den kleinen hingeworfenen Nebenbemerkungen spielt.

Wobei es gewiss nicht unrealistisch und vermutlich leinwandwirksamer wäre, wenn sie sich stattdessem nur heftiger hinter dem perfekten Rollenduktus versteckte, diesen vollends zur entmenschlichenden Bewaffnung ausbaute. Das könnte die Komödie auf eine neue, noch groteskere Ebene schrauben. Das mag sogar, Indiz dafür ist die erwähnte Nacktparty, so angedacht sein, aber es muss eben auch durchgeführt werden.

Vor diesem Hintergrund wirkt das Kapitel, in welchem sich Simonischek als deutscher Botschafter ausgibt und die benutzt wird, um einen Blick in rumänische Familienverhältnisse zu werfen und Ostereierbemalgebräuche zu zeigen, so nett wie auch als Bremsklotz.

Auch der Besuch auf der Baustelle wirkt eher so, als möchte Ade den koproduzierenden Fernsehredakteuren noch beweisen, dass man auch einen Schuss Lebensrealität (ergo: Sozialkritik!), Wissen vermittelnd, in den Film einbringt, wenn schon in Rumänien gedreht wird.

Selbiges gilt für die Gesangseinlage der beiden Protagonisten, so schön die ist, aber sie spitzt den Konflikt nun nicht gerade zu, erschwert sogar den empirisch zwingenden Nachvollzug der angedachten Zuspitzung auf die Nacktparty hin .

Dabei gerät das Thema des Konfliktes zwischen Vater und Tochter zusehends aus dem Blickfeld. Wobei die Schlusssequenz mit der Gorillaverkleidung ein gigantischer Höhepunkt sein könnte, wenn vorher zielbewusst auf die Steigerung des Konfliktes hingearbeitet worden wäre. Aber Maren Ade behauptet ja nicht, sich mit Billy Wilder messen zu wollen. Wenn überhaupt, dann eher mit einem Achternbusch.

Vor dem Hintergrund des zur Zeit durchaus beliebten Genres „Businessbashing“ jedoch ragt dieser Film meilenweit heraus: Christoph Hochhäuslers verworrene Die Lügen der Sieger, Die dunkle Seite des Mondes, die sich im Unterholz verläuft oder die schnöselige Zeit der Kannibalen.

Zum Vortrag all dieser Ideen, schlägt der Film von Maren Ade ein gemächliches Tempo ein. Winfried Conradi nennt seine Tochter Spaghetti – ist da nicht auch eine Idee abschätziger Haltung erkennbar, wie er sie doch seiner Tochter vorwirft?

Originalsatz: „Selbst wenn ich aus dem Fenster springen wollen sollte, würde mich die Käsereibekombination nicht davon abbringen“. Das ist doch reichlich komplex geschrieben. Auch für die Klappbettunfallstory und ihre Folgen lässt sich Ade gemütlich Zeit, die vom anfänglich behaupteten Thema ablenkt oder es in den Hintergrund drängt oder um viel zu viele Winkel versucht, ein Link hin zur Nacktparty zu bauen.

So wirkt aber die Lustigkeit auch sehr von der sich anbietenden Oberfläche genommen unter Vernachlässigung des Themas. In solchen Momenten kommt einem die euphorische Reaktion der hell mit- und weiterdenkenden, mitunter den Nachvollzug vernachlässigenden internationalen Presse in Cannes doch eher wie ein Strohfeuer vor. Ebenso die Handschellenszene, da fängt Vaters Störaktion an, sich totzulaufen.

Ungelöstes Hauptfigurproblem. Das machen Autoren gerne, wenn sie ein Thema bedienen wollen: Karrierismusbashing. Die Begründung der Nacktparty verliert an dramaturgischem Effekt durch die allzu ausgebaute Rückenreißverschlussnummer von Ines; lässt den Entschluss als Impulshandlung aus einer kleinen Verzweiflung dastehen und leider nur theroetisch aufgrund alles Vorangegangenen als dezidiertes Höhertreiben der Dramatik.

Ade präsentiert uns einen Musterkatalog wunderbarer Szenen für das Karrierismus- und Kapitalismusbashing.

Ein schönes Beispiel für den Kapitalismus, der hier gegeißelt wird, liefert just zum Filmfest die Stadt München unter OB Dieter Reiter, indem sie den gut bewohnten Rest der Sendlinger Straße in jene Art Fußgängerzone verwandelt, in der Behinderte und Mobilitätseingeschränkte als Störfaktoren gewertet und deshalb mit bürokratischen Schikanen abgeschreckt, vergrämt werden sollen. Mobilitätseingeschränkte Menschen hindern den Fluss des Geschäftes als Klumpfuß des Kapitalismus und sind also unerwünscht.

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