Über künstlerische Radikalität.
Mit 90 soll der greise und längst berühmte Künstler Hokusai, der in der Edo-Zeit in Japan lebte, gesagt haben, er möchte noch nicht sterben, denn wenn er noch 5 Jahre weiter übe, so werde vielleicht doch noch ein Künstler aus ihm. Der Satz wird in diesem japanischen Animationsfilm von Keiichi Hara nach dem Drehbuch von Miho Maruo nach dem Manga von Hinako Suiura gegen Ende zitiert.
Der Film selbst kann gesehen werden als eine für dieses Genre unkonventionlle Schilderung, Bebilderung eines radikalen Künstlerlebens in Tokyo, das damals noch Edo hieß. Im Film kommen drei Töchter von Hokusai vor, seine Frau lebt getrennt.
Der Film gibt vor, das Leben seiner Tochter O-Ei zu schildern. Das wirkt wie eine Finte aus Ehrfurcht vor der Größe von Hokusai selber, um ihm nicht zu nahe zu treten und doch über ihn respektvoll zu berichten, seine Lebensumstände, sein konsequentes Künstlertum.
O-Ei war auch Malerin. Sie sei sogar besser im Zeichnen von Frauen als er. Sie wohnt bei ihrem berühmten Vater. Der Künstlerhaushalt wird als ungepflegt, verlottert, verdreckt gezeichnet, keiner kümmert sich um den Hausputz, Abwasch. Wenn eine Wohnung zu sehr zugemüllt ist, wird umgezogen.
Hokusai ist pausenlos am Malen. Er ist voll darauf fixiert. Sein engeres Umfeld besteht aus dem Schüler Kuninao, aus Brazen, dem Trunkenbold, sowie Käufern und seiner Tochter.
Die kleine Schwester von O-Ei, O-Nao ist blind. Viel Zeit verwendet der Film auf die Paarung O-Ei und O-Nao. O-Ei führt O-Nao auf ihre Brücke, einen ihrer Lieblingsaufenthaltsorte, erklärt ihr die Geräusche, macht mit ihr eine Bootsfahrt. Die Welt der Blinden und der Sehenden. Es gibt auch lustige Szenen mit dem kleinen, blinden Mädchen, das den Winter erlebt, den Schnee, den man von den Bäumen schütteln kann – wie sorglos die Welt doch sein kann.
Es gibt esoterische Elemente im Film. Ein Besuch in großer Besetzung, Vater und Tochter im Freudenhaus bei einer bekannten Geisha. Hier werden merkwürdig esoterische Träume ausgetauscht. Hokusai erzählt einen Traum aus seiner Kindheit, wie er Gobelins zeichnet, von länger werdenden Fingern, die sich zu Figuren formen. Einen solchen erlebt die Geisha in der Folge. Es geht um Drachen, um die Hölle, um Zeichnungen, die sujetmäßig mit westlichen Darstellungen der Hölle in Beziehung gesetzt werden können.
Die Musik nimmt sich alle Freiheiten, von traditionell japanisch bis zu popkulturellem Mixsound oder voluminösem Orchester, wenn ein Sturm aufkommt und mal wieder alle Zeichnungen von Hokusai und seiner Tochter durcheinanderwirbelt.
Utamaro wird erwähnt und es geht um das Leben der Bilder.
Es gibt eine Szene, von einem Bettler, der Vögel in einem Korb hat und wenn man ihm Geld gibt, so werden sie freigelassen. O-Ei spendet. Ihr Vater Hokusai meint anschließend trocken, denen seien die Flügel gestutzt und sie würden alle wieder zurückkehren.
Bemerkenswert ist auch die Zeichnung des Gesichtes von Hokusai mit den paar Bartstopeln, ein eindrücklicher Schädel mit unbestechlich wirkendem Blick. Anhand seiner jüngsten Tochter, der Blinden, wird auch das Thema Sehen gestreift.
Es wirkt so, als sei Hokusai ein unanfechtbarer, erratischer Block in einem wie beliebig um ihn herum tobenden Leben, wobei er sich zwar inspirieren zu lassen scheint, ihn aber nichts vom Malen abbringen kann. Indirektes Portrait einer kristallinen, unbeugsamen Künstlerpersönlichkeit.
Über künstlerische Radikalität. Mit 90 soll der greise und längst berühmte Künstler Hokusai, der in der Edo-Zeit in Japan lebte, gesagt haben, er möchte noch nicht sterben, denn wenn er...