Parchim International

Die Leere auf dem Flugfeld unter konsequentem Chronologieverzicht.

Oder die Geschichte der Herren Pang aus China und Knan aus Bayern und was sie in Mecklenburg-Vorpommern verbindet.

Herr Knan soll für den Investor Pang aus China den ehemaligen Militärflughafen von Parchim zum internationalen, chinesischen Stützpunkt-Flughafen in Europa ausbauen, einem Flughafen, auf dem die Chinesen die Herren sind und nicht die sie anderswo schikanierenden Deutschen oder Europäer.

Die Pläne sind hochfliegend. Herr Pang hat Beziehungen zu vielen Fluggesellschaften aus Nigeria und Polen, die unserein nicht unbedingt ein Begriff sind. Er träumt von einer großen Transitzone mit einem Spielkasino. Er träumt von Lagerhallen, in denen Teilelieferungen aus aller Welt zu fertigen Produkten zusammengesetzt werden. Er träumt von einem Dubai in Mecklenburg-Vorpommern – und die Bundeskanzlerin ist wohlgesonnen.

Herr Pang hat den Flughafen für 30 Millionen gekauft, für 47 Millionen inzwischen ausgebaut und stellt weitere 100 Millionen für Investitionen im Flughafen und drum herum in Aussicht, ein Hotel muss gebaut werden. Er orientiert sich an arabischen Drehkreuzideen. Er weiß genau, was er will. Er ist Pragmatiker; ihn interessieren bei Pannen nicht Schuldzuweisungen, sondern wie er weiterkommt.

Herr Pang ist ein Ausdauermensch, er ist dauernd am Joggen, in Parchim, Shanghai oder in Peking. Der Bayer Knan kämpft vor Ort mit provinzieller Kleinkariertheit und Gerüchtemacherei von wegen Landebahnverlängerung und dergleichen.

Aufgeben kommt für Knan, der aus einfachen Verhältnissen in Zentralchina kommt, nicht in Frage. Er könnte sich selbst nicht mehr ernst nehmen.

Einen unerwarteten und heftigen Gefühlsausbruch erschüttert ihn und den Zuschauer bei einem Besuch bei seiner Mutter, wie er an den Tod seines Vaters denkt. Er konnte nicht nach Hause, weil er gerade dabei war, geschäftlich in Nigeria Fuß zu fassen. Nach Hause zu reisen, hätte bedeutet, das Geschäft sausen zu lassen; ein elementarer Konflikt.

Herr Pang rechnet in Zeiträumen, die nicht unbedingt mitteleuropäisch zu nennen sind, er rechnet in Jahren, Jahrzehnten, ja Zentenarien, obwohl es doch auch bei uns heißt: Rom ward nicht an einem Tag erbaut.

Diese Ausdauer hat der Dokumentarist Stefan Eberelin, der mit Manuel Fenn auch das Drehbuch geschrieben hat, nicht. Er ist über eine Zeitspanne von etwa 5 Jahren dran geblieben an Parchim International. Jetzt wollte er den Film fertigstellen, obwohl der Ausgang des Investments noch offen ist. Insofern ein unfertiger Film.

Immerhin haben wir schöne, unaufdringliche Landschaftsaufnahmen, ganz pastellen aus Mecklenburg-Vorpommern gesehen, Peking im Smog, einen Textilspediteur, der in drei Jahren Flughafenbetrieb nicht einen Frachtauftrag erhalten hat, einen Privatflieger, der für eine Land-and-Go-Übung 10.61 Euro bezahlt, inklusive Rausklauben von Centstücken, wir haben von Frau Merkel schwärmen gehört und wie sie für Parchim-International schwärme, wir haben Parteisekretär Xu empfangen und zu unserer Lieblingsfigur ist der Mann im Tower avanciert, der auch nach 90 Minuten noch im alten Container von Kontrollturm sitzt mit einem krächzend rotierenden Markierungsscheinwerfer auf dem Dach, mit einer Klimanlage, die krank macht im Sommer und im Winter nicht wärmt und wir haben mit der Feuerwehr einen zünftigen Schweinebraten, gesponsert von Herrn Pang, vertilgt.

Wir hoffen, dass das alle noch lange so bleiben möge, denn wir würden auch gerne mal diese Landung mit Gleich-wieder-Abheben für 10.61 Euro üben und sowieso törnt nichts mehr zum Träumen an als die Leere.

Oder mit dem schwarzen Mercedes über die leere Piste touren und Hasen beobachten.

X-Men: Apocalypse

Den Fans wird’s gefallen: zweieinhalb Stunden, dazu in 3 D, also mit zweimaligem Aufschlag auf dem Eintrittsgeld werden sie für ihr Fantum blechen resp. von den Machern abkassiert, dürfen sie ihre Lieblinge aus dem Marvel-Universum Professor Charles Xavier, Magneto, Raven, Hank McCoy, Apocalypse, Stryker und und und mit den Augen und Ohren verschlingen.

Und sie lösen sich auf und mutieren und mutieren und lösen sich auf und die Computerspezialisten können nicht genug davon kriegen, sie wieder auzuflösen und wieder zusammenzusetzen wieder zu mutieren, für den Kinomenschen wird es schnell anstrengend und wieder und wieder, so wie für kleine Kinder die Märchen auch immer wieder wiederholt werden müssen.

Der Vorgängerfilm X-Men: Zukunft ist Vergangenheit hatte mich noch versöhnlich gestimmt; inzwischen wurde Gods of Egypt auf den Markt geworden, in dem die Computeranimiererei sich als Bildschirmtäterei bloß gestellt hat, was das Auge dafür schärft und unglücklicherweise fängt diese X-Men-Folge, auch wieder von Bryan Singer nach dem Buch von Simon Kinberg, in Ägypten an, pompös und so offensichtlich computeranimiert, dass der Fokus verschärft auf die inszenatorischen Stehparties gerichtet ist, die doch recht langweilig gebaut sind, Aufzug, Dialog, Abgang, irgendwas ist immer zu verhandeln bis die Welt wieder gerettet ist, bis die paar versprengten Aufrechten vor dem Hintergrund der Familie die Welt einmal mehr vorm Untergang gerettet haben und dann die pompöse Musik und der bedeutungsvolle Sprechduktus und die entsprechende Theaterei.

Den Computeranimateuren hätten ein paar Zügel gut getan, so wirkt doch vieles wie Hokuspokus, der noch dazu in dumpfem Rhyhtums vorgezaubert wird; stellenweise kommt der Verdacht auf, Roboter hätten die Regie geführt; so wirken die Figuren oft einsam, als ob sie vor leerer Leinwand spielten; und groß ist der Qualitätsverlust bei Absetzen der 3D Brille nicht.

Die Zerbröselffekte der Mutationsvorgänge lassen an Max und Moritz erinnern nach dem Durchgang durch die Mühle: „Hier kann man sie noch erblicken, fein geschroten und in Stücken“ wenn sie am Schluss gemahlen sind und aus dem Mehl ihre Zeichnungen auf den Boden erscheinen („Doch sogleich verzehret sie Meister Müllers Federvieh“); so viel Witz ist dem Marvel-Universum allerdings nicht gegeben.

Es scheint auch vom Buch her der Ehrgeiz, die ganze Welt und die Weltgeschichte erklären, begreifen, beherrschen, zerstören und retten zu wollen, über die Hutschnur gegangen. Jedenfalls hatte der Regenguss nach dem Kino für mich deutlich mehr Realitätsthrill als der ganze Film, dessen Fantasien in den Spielereien, die die Computerbildmanipulation ermöglicht, verdorrten.

Die Bildwelt auf der Leinwand tendiert dadurch in Richtung Tapisserie-Dekor wie in alten barocken Schlössern, nur eben mit den Pixel-Mitteln.

Und dann die Heilsbotschaft, nach dem „lost everything“ oder die Ermahnung „you cannot give yourself up“ wirkt wie Flohmarktkino, deutlich weniger aufregend als ein Zinnfigurenspiel, welches die Fantasie mehr fordert, die muss bei diesem die Belebung vornehmen, während sie einem hier in mikropixeliger Feinheit zermampft serviert wird.

The Witch

Mit heiligem Ernst

Mit heiligem Ernst zeichnet Robert Eggers Siedler in Neu England, die mit heiligem Ernst gute, ehrliche Christen sein wollen, und dabei einem ungebremsten Fanatismus anheim fallen.

Mit heiligem Ernst und ausgebleichten Farben, mit dem Ernst eines romantischen Malers, bei dem der Mensch in der Natur aufgehoben ist, pinselt Eggers das isolierte Leben der Familie des vierschrötigen William mit tiefer Stimme und Jesus-Frisur fein ziseliert auf die Leinwand als ein Sujet, das besonderer Hingabe und Feinheit bedarf.

Gerne heißt es in Filmen „nach einer wahren Begebenheit“. Robert Eggers kommentiert seinen eigenen Film damit, dass er für sein Drehbuch Märchen aus Neuengland genommen habe und aus denen teils wörtliche Zitate für die Dialoge. Eine Wahrheit also, bei der es heißt, doppelt vorsichtig sein oder es bleibt zu vermuten, dass der Kern wahrer sein könnte als jedes Märchen mit der Moral, dass Isolation Menschen verhexen kann.

Die Siedlerfamilie steht im Mittelpunkt der Handlung. Es sind ganz strenge Christen, ultraorthodox. In den Wald darf man nicht, der ist verhext. Die Familie ist arm dazu, wohnt in einem abseitigen Gehöft; niemand besucht sie.

Der Sohn Sam ist abhanden gekommen. Er ist in den Wald gelaufen und kam nicht zurück. Unfassbar für bibeltreue Christen. Ein Sündenbock muss her. Ob das ironisch ist, dass sie auf dem Gehöft einen schwarzen Geißbock haben? Eher nicht.

Die Familie ist besessen von der Angst vor Sünde. Tochter Tomasin, Anya Talor-Joy, bereits erwachsen, fühlt sich sündig. Sie hat den Vater zu einem Ausflug in den Wald begleitet. Er will mit Jagen gegen den Hunger ankämpfen. Die Mutter darf davon nichts wissen. Die Lüge zum Überleben als weitere Sünde. Der Überlebenstrieb, der Hunger macht sündig. Die Strafe folgt auf dem Fuße: der kleiner Bruder Caleb, der ausdrucksstarke Harvey Scrimshaw, eine Frauenerscheinung, bekommt Krämpfe, ringt mit dem Tod, spuckt einen Apfel aus.

Nach einem Apfel sehnt sich die sündophobe Familie wie nach nichts. Aber der Bub muss dafür an der Schläfe zur Ader gelassen werden. Vater William, Ralph Ineson, ist ein gutmütiger Trottel mit tiefer, vielleicht etwas zu freier deutscher Synchronstimme. William möchte das ehrbare Leben seiner Frau nicht gefährden, darum jagt er heimlich.

Faszinierend an diesem Horrorfilm ist seine Dezenz, seine Lauterkeit wie seine Lautarmut, das sind seine Sätze, die teils wie aus einem Märchenbuch sich anhören, ist seine malerische Ausstattung, eine Art verhaltener Natur- und Interieurromantizismus ohne knallige Farben wie Gelb, Rot, Blau, Grün, die sind ganz weg; das Gemäldehafte dominiert; Vater William sieht aus wie Albrecht Dürer; auf die Idee kommt man, wenn er im Wald versucht, einen Hasen zu schießen. Der sieht, während er in den Lauf der Flinte starrt, genau so aus wie auf der berühmten Zeichnung des Nürnbergers.

Auch das Hexenhafte, das Sündige, das Verbrechererische, welches alles im Namen des Glaubens und der Glaubensgtreue passiert, kommt gemäldehaft schön und diskret daher, anfangs nackte Frauen, wie aus der Natur entsprungen und in ihr aufgehend, ganz unaufgeregt.

Das Thema Hexerei ist ein Dauerthema in der Familie. Denn auch Sam sei von einer Hexe geholt worden. Die Familie ist gefangen in ihrer Glaubenswelt, die Elementares tabusiert und so gefährlich macht.

Die deutsche Synchronfassung passt sich dezent in den leisen Film ein, in dem das Ungeheuerliche mal nur als schwarzer Handschuh über die Schultern eines Frauenkopfes mit langem Haar vor dunklem Hintergrund sichtbar wird.

Isolation führt zu Extremismus. Wahrheitsfanatismus, der erkennt, dass einer nicht beten kann, dass die Mutter zur Selbsterkenntnis des zänkischen Weibes gelangt. Dieser Versuch der Rechtgläubigkeit führt immer wieder zu dramatischen Szenen und Auseinandersetzungen.

Oder wollt sich gar einer einen Jux machen mit dem heiligen Ernst?

Nur Fliegen ist schöner

Nach dem Kinobesuch fällt mir ein Werbeprospekt im Schaufenster eines Reisebüros auf: Traumreisen. Genau so eine habe ich doch eben hinter mir; im Kino, im Film des Franzosen Bruno Podalydès.

Es ist wie ein Sekundentraum. Du sitzt vorm Computer, der Screensaver ist ein unaufhörlicher, graphischer Wellengang. In diese Wellen hinein sackst Du ab in die Träumerei des Bruno Podalydès, der hier Michel heißt, gut verheiratet ist, zwei erwachsene Söhne und einen Job in einer Designbude hat.

Mit Michel tauchen wir ein in diese tiefenentspannte Sekundenträumerei, die 104 angenehme Kinominuten einnimmt, die uns den Traum von der Leichtigkeit, von der Einheit zwischen Physis und Psyche erfüllt.

Vom Fliegen hat er immer geträumt. Jetzt mit 50 scheint der Traum virulenter zu werden: gegen die Behäbigkeit der Gewohnheit, des Alltagsglücks, des gerundeten Bauches. Aber die Flugangst ist stärker. Es bleibt bei der Verehrung des Flugpioniers Mermoz, der auch Saint Exupéry inspiriert hat.

Die Kausalkette zur Reaktivierung des Traumes baut Podalydès, der selbst die Hauptrolle spielt, ausgehend vom nachdenklich machenden Geburtstag über Geistessport auf der Suche nach Palindromen. Dabei stößt er googelnder Weise auf das ihn sofort elektrisierende Nomen „Kajak“.

Die nächsten Schritte sind zwingend. Bausatz für einen Kajak bestellen, das Boot bauen, Trockenübungen auf dem Hausdach; die sind zum Abheben schön: das Memorieren des Traumes von der Leichtigkeit.

Allerdings würde Michel ohne seine Frau den Kick-Off nicht schaffen. Die hat ein Eigeninteresse daran, sie möchte sich auf den Yoga-Kurs konzentrieren – jedoch just nicht dort, wo er vermutet. Allerdings stammen seine sms‘ und Fotos auch nicht unbedingt von dort, wo er vorgibt zu sein.

In seinem Traum, in der Kajakfahrt, entsteht so etwas wie eine Wiederholungsschlaufe. Er bleibt schon nach 4 Kilometern hängen an einem idyllischen Ort am Fluss, bei einem kleinen Restaurant, was von der matronenhaften Agnès Jaoui betrieben wird. Wobei Podalydès keck genug ist, sie an einer Stelle wunderschön wie eine pralle Venus von Rubens ins Bild zu setzen, mit Post-It-Zetteln an den delikaten Stellen versehen, was hier oder da anzustellen sei. Bildgenuss auch bei den Naturaufnahmen. Das ruhige Paddeln im Fluss.

Ein Film, bei dem der Zuschauer nicht mit mühsamer Plotrekonstruktion beschäftigt ist, sondern sich diesem ganz und gar anvertrauen kann, weil er keine Fallen stellt, sich reinziehen lassen und tragen lassen kann. Alles ohne den verbissenen Ernst, mit dem manche Entspannungsphilosophen ein hartes Regiment führen.

Hier ist auch Platz für komische Situationen und Figuren, ja für tragikomische wie Mila, Vimala Pons, die immer bei Regen einen Tränenschub kriegt, oder die beiden Floßbauer, die Hof-Faktoten bei Jaoui, die eine Fähre nach Nirgendwo bauen oder der alte Fischer, der sich durch den Paddler massiv gestört fühlt.

Dann geht es doch nur um die Venus, wie im Chanson, die aus einer Laune heraus geboren ist und dann wächst wie die Kirschen.

Die Sorgfalt, mit der Podalydès seinen Film gemacht hat, zeigt sich in der vernarrten Liebe zu Details, zu einem orangenen, altmodischen Rundfunkempfänger, der in einem Baum hängt oder zu dem 2“-Zelt, das sich in zwei Sekunden öffnet; das wirft Michel in zusammengelegtem Zustand in die Luft über den Bildrand hinaus – und herunter kommt das fertige geöffnete Zelt. Oder, schönes Symbol, ein Geschenk, was Michel zum Geburtstag bekommt, das ist eine Stehlampe mit dem Lampenschirm in Form eines aufgeblähten Luftsackes, wie er auf Flughäfen Verwendung findet. Keine Gags mit dem Holzhammer, alles ergibt sich aus einer entspannten Atmosphäre heraus und wie selbstverständlich.

Monsieur Chocolat

Und wieder führt ein französischer Schauspieler Regie, Roschdy Zem nach dem Buch von Cyril Gely, Olivier Gorce, Gerard Noiriel und ihm selbst. Und wieder kommt ein prima genießbarer französischer Film heraus, der an das große epische Kino eines David Lean erinnert, langsame, gut buchstabierte Erzählung, die in ein tief menschliches Drama mündet, das einen von Akt zu Akt mehr gefangen nimmt und nicht unberührt lassen kann.

Es geht um Vorurteile, Rassismus, Kolonialismus, Emanzipation, Klischees, Befreiung und Ausbeutung, die Suche nach sich selbst und den Selbstwert. Die Figur, die das alles großartig verkörpert, ist Omar Sy (Ziemlich beste Freunde) als Rafael Padilla genannt „Chocolat“.

Ein Immigranten-, ein Flüchtlingsschicksal, das ist der Anknüpfungspunkt an das Heute; in Frankreich auch an die Schicksale der „Sans-Papiers“, der Menschen ohne Papiere, ohne Aufenthaltserlaubnis.

Die Geschichte spielt Ende des vorletzten Jahrhunderts und geht bis gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, bis zum frühen Tod von Padilla. Sie fängt museal und zeitlos an mit der Schilderung des Zirkus Delveaux, eines mäßig erfolgreichen, in geleckter Armutsmanier gezeigten Zirkus‘, die Einnahmen dürften gerade so reichen oder auch nicht, den Bären, den wir in einer Probe kennenlernen, wird er nicht mehr ernähren können.

Der Zirkusdirektor ist auf der Suche nach aufregenden, bezahlbaren Nummern. Der Clown Footit, James Thiérrée, bringt nur mit Mühe und Krampf die Leute zum Lachen.

Aus einer Kolonie entflohen ist Padilla, genannt „Chocolat“. Er tritt mit einem Menschenaffen auf und spielt den Kannibalen, verschreckt die Leute.

Footit entdeckt das komische Talent von Chocolat, überredet ihn und den Direktor, mit ihm als Clown aufzutreten; Prinzip, der Weiße schlägt, der Schwarze hält den Kopf hin. Das wird das Urprinzip des Weißen und des Dummen Clowns.

Ihre Nummer wird bald zum Erfolg. Der Zirkus Delveaux hat ausverkaufte Vorstellungen. Die beiden Clowns werden für den Nouveau Cirque in Paris mit 1500 Plätzen entdeckt und dort schnell zu Stars. Sie entwickeln ihre Professionalität in immer neuen Nummern. Ihre Charaktere sind verschieden. Footit ist seriös, verschlossen, keine Weibergeschichten, überhaupt keine Geschichten. Wie umgehen mit dem Erfolg, das ist die Frage.

Chocolat lässt sich teuer einkleiden, kauft Luxuswagen, verfällt der Spielsucht. Er ist permanent gefährdet und Frauengeschichten hat er auch. Er engagiert sich jedoch auch als Spitalclown. Einen schnippischen, missgünstigen Kollegen verprügelt er. Im Knast lernt er einen Tahitianer kennen, seinen intellektuellen Sidekick in Bezug auf Befreiung und Emanzipation. Und wie so mancher Schauspieler ist er nicht glücklich, immer nur die gleiche Rolle, den geschlagenen Schwarzen, zu spielen. Er träumt von Shakespeare, von Othello. Diese Premiere ist der angepeilte Höhepunkt.

Im Film wird er zum Wendepunkt. Zur Erniedrigung gesellen sich Suchtverhalten und überhöhte Empfindlichkeit, was den Gang durch ein Berufsfeld, das gerne Haifischbecken genannt wird, nicht leichter macht.

Roschdy Zem hat für seinen Film ein exzellentes Ensemble zusammengestellt; der Film träufelt sich einem ganz langsam ein ins Gefühlszentrum.

Die Prüfung

Bericht von Till Harms von den Aufnahmeritualen einer Schauspielerschule mit 10 Dozenten in Hannover. Harms beschränkt sich darauf, während der Verfahrenstage Mäuschen zu spielen und angenehm wenig Statements von Beteiligten einzusammeln. Sein Material schneidet er flüssig und spannend aneinander; es dürfte vornehmlich für Insider und allenfalls Kulturphilosophen von Interesse sein.

Es gibt Hunderte von Bewerbern und Bewerberinnen für zehn Studienplätze. Es gibt mehrere im Anspruch sich steigernde Runden. Nach jeder Runde wird gesiebt. Es ist ein großer bürokratischer Aufwand, es gibt verschiedene Kommissionen.

Und immer wieder wunderschön graue Bilder, teils verschneit, von einer Straßenbahnstation im Niemandsland, so wie auch dieses Institut wirkt wie ein Biotop für sich, wie ein Ballon. Immer wieder kommen viele an und reisen andere ab, ihre Rollköfferchen ziehend. Das sind die Scharnierszenen, die Hannoveraner Oedland-Poesie verbreiten.

Man kann versuchen, den Film kulturkritisch zu betrachten, sich klar zu machen, dass dieser Lehrkörper darüber entscheidet, ob diese jungen Menschen einen begehrten Studienplatz für eine Karriere, bei der Berühmtheit und Startum mögliche Ziele sind, erhalten.

Man kann sich wundern über die Argumente, die diese Menschenrichter austauschen, man fragt sich, woher diese die Qualifikation nehmen für solche Urteile und ob sie es sind, die darüber entscheiden, aus was für Personal unsere nächsten deutschen Komödien bestückt werden.

Oder man kann beruhigt feststellen, dass letztlich Sympathie und erotische Anziehung die ausschlaggebenden Kriterien sind; wobei so ein Lehrkörper aus vielfältigen, teils divergierenden Eigenschaften und Vorlieben sich zusammensetzt.

Oder man kann sich darüber wundern, wie sie einen Kandidaten ablehnen, weil er nicht richtig atmen würde, als ob es nicht die Aufgabe so einer Schule sei, die Studenten von solchen Hemmnissen zu befreien.

Interessieren würden Background und Motivation des Lehrkörpers. Ob die das schon immer wollten oder ob dieser Job lediglich Ersatz für nicht erfüllte, eigene Künstlerwünsche ist?

All die Fragen interessieren Harms nicht. Man könnte ihn einen nüchternen Präparator nennen. Seine Meinung muss der Zuschauer selber bilden. Der Film bleibt insiderisch; er endet an einer Haltestelle des öffentlichen Nahverkehrs im niedersächsischen Niemandsland. Er zeigt das komplizierte Prozedere, die Mühsal, die so eine Schule sich aufhalst, um sich für die letztlich doch beliebig erscheinende Auswahl zu rechtfertigen, fragt nicht nach den Begründungen für das Verfahren und ob es nicht auch ganz andere Möglichkeiten gäbe, denn angenehm ist es weder für die Abgelehnten noch für die Ablehner; diese Grundsituation verbreitet in mir ein flaues Gefühl.

Bösartig könnte man sogar behaupten, glücklich, wer in Hannover nicht genommen wird – oder möchten Sie jahrelang von diesem Lehrkörper kujoniert werden?

Es gibt gegen Ende Statements, die ganz offensichtlich der Selbstüberzeugung der Lehrkörpers dienen. Denn wie will er aufgrund dieser Übungen und Vorsprechen sicher sein, ob ein Student „ausbildbar“ sei, ein Begriff, der dringend näherer Untersuchung bedürfte, der aber hier als nicht weiter hinterfragbar eingesetzt wird.

Nicht zu vergessen: in wie vielen Künstlerbiographien, ob Schauspieler oder Regisseure, steht zu lesen, dass sie an solchen Instituten durchs Band abgelehnt worden sind oder diese spätestens nach einem Semester verlasssen haben, freiwillig oder auch nicht.

Das ist vielleicht der krasseste Widerspruch: einerseits will der Lehrköper Menschen, die „ausbildbar“ sind, andererseits sollen die Studenten künstlerische Autorität entwickeln und nicht Untertanentum; darauf läuft allerdings diese Art von Verfahren zielbewusst hinaus. Worin liegt also die Kompetenz des Schwarmurteils eines Lehrkörpers?