Seenflimmern – Der Chiemsee (BR, Sonntag, 15. Mai 2016, 19.15 Uhr)

Erste Überlegung. Der Titel erweckt die Erwartungshaltung an einen entspannenden Film, der einen mit der Schönheit der bayerischen Landschaft einzuwickeln und zu besänftigen weiß, erweckt allerdings auch die Befürchtung reiner Postkartengefälligkeit. Die Erwartung ist, Ansichten zu Gesicht zu bekommen, die man so nicht kennt, Ansichten, die einen träumen lassen, die das Bild vom Chiemsee präzisieren und verdeutlichen.

Dies ist Teil 1 einer 3-teiligen BR-Reihe, in welchem „die Seen im Mittelpunkt der Erzählung“ stehen. Der BR verspricht in seiner Ankündigung „drei bayerische Seen in ungewöhnlichen Aufnahmen. Neben spannenden und unkonventionellen Protagonisten.“ Doch da keimt schon der Verdacht, es könnte sich mal wieder, wie schon so oft in ähnlichen Sendungen, vor allem um verdeckte PR für diesen oder jenen Geschäftsbetrieb handeln.

Zweite Überlegung. Die betrifft mich als Zwangsmitfinanzierer, der vom Staat gezwungen wird, diese Sendung mitzufinanzieren. Würde ich für so eine Sendung, für eine solche dokumentarische Arbeit, wie Lisa Eder-Held sie mit dem grünen Licht der Redakteure Ulrich Gambke und Sabine Scharnagl vorlegt, auch nur mit einem Cent freiwillig unterstützen? Das Fazit wird lauten, das kann vorweggenommen werden: Nein, nicht mit meinem Geld, so einen beliebigen Mix, der noch dazu Werbung für einen Fischräucherei und eine belanglose Musikband mir unterjubelt, und der es nicht schafft, ein spannendes Bild vom Chiemsee zu vermitteln. In einem freien Markt hätte diese Doku keinerlei Überlebenschance.

Genug der Vorreflektion, wie sagt der BR: Film ab!

Was bekommen wir nun zu sehen?

Einen wirrbeliebigen Kamerastrecken-Mix, bei dem ich zusehends grantig werde mit wenig aussagekräftiger Fotografie. Mich stört die Beliebigkeit der Auswahl, die kein überzeugendes Gesamtbild vom Lebensraum Chiemsee gibt und schon gar nicht die versprochenen, ungewöhnlichen Aufnahmen noch die spannenden, unkonventionellen Protagonisten.

Es ist die übliche, betuliche TV-Themenineinanderzopferei aus netten Multikopteraufnahmen, Sonnenuntergängen, Sonnenrefletkionen auf dem See, Naturaufnahmen, Fischerei, Landschaftspfleger, Touristen-Schlösser-Info, Kastellan. Kein Thema richtig, kein Thema gründlich. Das Produkt ist mir zu tranig. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die tranige Sprecherstimme. Gesamteindruck: Chiemsee bedeutet: Wasser, zwei Inseln, Schlösser, Fischerei, eine Fischräucherei mit Internetvertrieb und eine einzige Musikband.

Sprechertext: „Es ist, als gäbe es kein Entkommen. Die Inselbewohner sind von Wasser umgeben und sie hören es tagein, tagaus. Sie müssen es aber auch überwinden, um einzukaufen, um Freunde zu treffen, für Arztbesuche oder um auch einmal wegzukommen von den Inseln.“ Für solchen Text muss ich mir die Zwangsgebühr mit Kulturverzicht absparen.

Firma Fischerei Lex auf der Fraueninsel. Florian und Tassilo Lex. Zwillinge mit unterschiedlichen Lebensentwürfen (das erfährt man gegen Ende). Später: Fischräucherei. Werbung für bekannte Fischspezialitäten. Und Werbung für den Online-Verkauf des geräuchterten Fisches. Um über diese Spezialität informiert zu werden, bezahle ich Zwangsgebühr.

Es muss immer weitergehen, Hauptsache, es rührt sich was, meint Florian Lex. Das ist ein Teil meines Lebens, dass ich auch hier in dieser Umgebung wohne. Lex hat vorm Wasser keine Angst, eher vorm Wind. Er wird surfen. Er kennt die Hostpots des Surfens. Um das zu hören und zu erfahren, werde ich zur Haushaltsabgabe gezwungen, notfalls sogar per Gerichtsvollzieher oder muss womöglich in den Knast gehen.

Einer der wenigen Bewohner (20) der Herreninsel, der hier einen Job hat: Jakob Nein, Landschaftsgärtner. Nach zehn Jahren fühlt er sich als Insulaner. Bereitet Touristenattraktion vor: Fütterung der Wildtiere. Schloss Herrenchiemsee. Etwas Touristeninfo.

Info: Sauberes Wasser ist lebensnotwendig für Fische. Für diese Info bezahle ich Zwangsgebühr; lese gleichzeitig in der Zeitung, dass die Bodenseefischer um ihr Überleben kämpfen – wegen zu sauberen Wassers.

Eine Muschelforscherin, die auch Muscheln züchtet und gemerkt hat, dass Muscheln faszinierende Tiere sind. Das zu hören bezahle ich Zwangsgebühr.
Aussetzen von im Labor gezüchteten Muscheln in Lochplattenkäfigen. Bisamratte als Feind. Muscheln bis zu 80 Jahre alt. Kartieren das Vorkommen und geben es weiter an die Fischer. Details zu Muschelarten. Schulunterricht über Muscheln. Naturkundesendung? Kann ich doch alles längst im Internet und schneller und gründlicher nachschauen. Aber für das hier bezahle ich Zwangsgebühr.

Info: Die Menschen haben gerade im 20. Jahrhundert die aquatischen Verhältnisse stark verändert. Thema Sauberkeit. Etwas über die wissenschaftliche Forschung.

Am Ostufer des Sees probt die Lischkappelle für ein Konzert. Sie scheint die einzige Musikkappelle am Chiemsee zu sein. Sie ist jedenfalls die einzige, die in diesem Film erscheint, und das gleich dreifach, bei der Vorstellung, bei einem Konzert und bei einem Fotoshooting. Sie sehen sich in der Tradition der Chiemgauer Volksmusik, aber mit frischem Wind. Und ich bezahle Zwangsgebühr für diesen kostbaren Werbeplatz für eine Band.

Fraueninsel: 200 Menschen auf nur einem 15tel der Herreninsel. Silvia Lex, die Mutter von Florian, der eine Tradition fortführt, beantwortet die Frage, welche Eigenschaften muss eine Schwiegertochter mitbringen? Und ich bezahle dafür Zwangsgebühr.

„Immer aber übt er (der See) einen Sog aus, dem er sich nur schwer entziehen kann“..“das macht es auch leichter, hier zu leben, wenn man sowas mag“.

Wichtige Info: der Chiemsee hat 80 km² Oberfläche und wird das bayerische Meer genannt; um das zu erfahren, bezahle ich Zwangsgebühr; das kann ich im Internet doch längst gratis haben.

Und dann: auf der Fraueninsel leben 6 Fischerfamilien. Der Dienstälteste, Großvater Holmer-Lex. Seit Jahren gibt es keine weiteren Lizenzen. Für Opa mit 80 immer noch ein Traumberuf. Bla bla über die Liebe zum Beruf. Um das zu hören bezahle ich …

Und dann wieder Herrrenchiemsee, die Fledermausinsel. 16 von 23 in Bayern bekannten Fldermausarten leben hier, allerdings nur in den Sommermonaten. In der kühlen Jahreszeit: Winterquartier in den nah gelegenen Bergen, wo sie monatelang einfach nur schlafen. Und dann wieder Jakob Nein, der die Morgenstunden am liebsten mag und erzählt, dass die Einsamkeit mit dazu gehört….und bla und bla… um mir das anzuhören, zwingt mich der Staat die Zwangsgebühr aufzubringen.

Für den Ausstoß so bescheidener TV-Ware versorgen wir Zwangsfinanzierer den Chef des BR, Herrn Ulrich Wilhelm, mit einem Gehalt vergleichbar mit dem der Bundeskanzlerin. Da stimmen die Relationen längst nicht mehr.

2 Gedanken zu „Seenflimmern – Der Chiemsee (BR, Sonntag, 15. Mai 2016, 19.15 Uhr)“

  1. Dann geh doch ins Internet und lass den Fernseher aus – es gibt auch noch Leute, die nicht nur im Internet sind und für die solche Dokumentationen interessant sind. Man kann nicht über alles umfassend berichten – muss es auch nicht – manchmal geht es nur um einen Eindruck, der vllt Lust auf mehr macht – sich über Dinge zu informieren, auf die man sonst nicht unbedingt aufmerksam wird (auch nicht durchs Internet)

  2. Hallo Andrea, vielen Dank für Ihr Feedback.
    Ihre Argumente wären vermutlich sogar zu vertreten, wenn nicht die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nach dem Modell von Prof. Kirchhof so eine undemokratische Fehlkonstruktion wäre, die je kleiner das Einkommen eines Haushaltes ist, diesen entsprechend stärker belastet; aus diesem Grund muss an das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks inzwischen ein umso härterer Maßstab angelegt werden, ob es das wert ist, dass Leute sich zu dessen Finanzierung Geld von der Kultur oder gar vom Mund absparen müssen. Was im hier diskutierten Beitrag garantiert nicht der Fall ist, wobei gravierend das Problem mit der Werbung für herausgepickte einzelne Betriebe oder eine Musikgruppe hinzukommt, was nicht im Sinne der Erfinder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein kann. Es wäre dann allenfalls an eine Art Dokumentation zu denken wie aktuell im Film über Peggy Guggenheim, der einem systematischen Inhaltsverzeichnis gleichkommt, das genau so die Lust und Neugier nach mehr Information auch anstacheln kann.

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