Polizeiruf 110: Und vergib uns unsere Schuld (ARD, Sonntag, 20. Januar 2016, 20.15 Uhr)

Schuld und Vergebung: ein ambitioniertes, deutsches Thema, mit dem dieser Polizeiruf titelt.

Eines der ikonographisch beklemmendsten Schuldgeständnisse der jüngeren, deutschen Geschichte hatte der Bundeskanzler Willy Brandt mit dem berühmten Kniefall in Warschau abgelegt. Bei seinem Filius Matthias, inzwischen Fernseh- Polizeikommissar Hanns von Meuffels, darf es trotz „von“ im Rollennamen eine Nummer kleiner sein: nicht Kniefall, sondern sitzend auf einem Sofa mit Knautschmimik und anschließendem Erbrechen im Kornfeld.

Das Thema ist anspruchsvoll. Meuffels, den immer alle mit Familiennamen ansprechen, als ob er ein berühmter Fernsehkommissar und ein Seelendoktor dazu wäre, hat den Falschen für den Mord an einer jungen Frau dem Gericht zum Einknasten serviert.

Das war zur Zeit des Fußball-Sommermärchens in Deutschland. Lange her, das Märchen ist längst im Korruptionssumpf versunken, aber das ist noch nicht bis zur ARD vorgedrungen; das Sommermärchen wird hier abgegriffen aus einem diffusen Stimmungsbildfundus, zeitschindend, unkritisch, thematisch unrheblich (Schuld und nicht Korruption wird ja vorgeblich behandelt), somit billiger Quotenschieltrick.

Wie denn sowieso viel Zeit mit unnötigen Szenen vertan wird auf Kosten des spannenden Themas: ob nämlich die Schuld des Kommissars individuell war oder ob es sich um ein institutionelles Versagen handelte. Das wäre besonders interessant vor dem Hintergrund des NSU-Prozesses und der NSU-Untersuchungsausschüsse. Nichts davon in diesem öffentlich rechtlichen TV-Fastfoodprodukt.

Stattdessen wird mühsam und kaum glaubwürdig der Fall eines nicht geplanten Mordes in Rückblenden aufgerollt. Vielleicht war einfach keine Zeit, das psychologisch exakt zu recherchieren, wie so etwas bei einem unbescholtenen Mann, der nicht weiter charakterisisert wird, außer dass er von Karl Markovics dargestellt wird und hier Herr Baumann heißt, überhaupt passieren kann.

Baumann begegnet einer jungen Frau in einem Kiosk. Er kauft auf ihre Bitte hin eine Flasche Schnaps für sie, da sie noch keine 18 ist. Später liest er sie als Mitfahrerin vom Straßenrand auf, wo sie sich am Rad zu schaffen macht. Plausibel erzählt sind diese initiierenden Begegnungen nicht.

Baumann und sein späteres Opfer verbringen den Tag an einem See, nackt, und wie es zur Tötung kommt, da kann man sich nur die Haare raufen ob solch frei erfundener Herleitung ohne jede psychologische Fundierung, so ganz unzwingend der Mord, noch dazu, da das Gedächtnis des Täters – und damit die Rückblenden des Filmes – Löchrigkeiten aufweist.

Ein im Dorf bekannter, etwas unbeholfener Junge ist verurteilt und eingknastet worden. Wobei der Film auf establishing Shots verzichtet, die verständlich machen könnten, dass es sich offenbar um ein kleines Kaff handelt, in dem jeder jeden kennt. Die Fundamente der Geschichte hängen so sehr in der Luft, dass es sich der BR hätte überlegen sollen, den Film so überhaupt zu produzieren, in diesem storymäßig unausgegorenen Status.

Viel Zeit wird mit den wenig überzeugenden, wenig genau inszenierten Rückblenden vertan oder auch mit Heintje-Hören oder damit, dass einer ewig den Boden fegt, bis endlich der Kommissar auftaucht. Viel Zeit damit, dass der Täter von damals bei der Polizei um Gehör bittet – und warum meldet er sich ausgerechnet jetzt? – und erst mal abgewiesen wird, aber auch diese Spiele oder die Texte dazu kommen in Klompen daher, in Holzschuhen. So bleibt den beiden Protagonisten nichts übrig, als auf ihre beachtliche Berufsroutine zurückzugreifen, ab und an einen Gefühls- und Betroffenheitsausbruch zu mimen in einem Drehbuchleerraum, der dafür keinen tragfähigen Bühnenboden zur Verfügung stellt.

Als Tüpfelchen auf dem i versucht Brandt stattdessen einen auf Derrick zu machen mit dicken Tränensäcken, einer fetten schwarzen Brille (wobei die Continuity mit dieser Requisite, die dem Darsteller offenbar nicht geläufig ist, noch notleidend ist, plötzlich, mitten im Verhör, ist die Brille wieder weg, nachdem sie kurz vorher noch auf der Nase, dann zwengs unentschiedenen Spieles in den Händen war), einer stets akkuraten Frisur und diesem Versuch des unergründlich stoischen Blickes – epigonal as epigonal can be.

Viel, viel Drehzeit geschunden mit nichtssagendem Ankommen, Begrüßen, Aussteigen, Einsteigen. Richtig peinlich wird es, wenn die Eltern des Opfers in ihrem Salon nebeneinander auf einem Sofa sitzen, in Zeitschriften blättern und sichtlich darauf warten, dass sich im Garten, wie vom Drehbuch her angekündigt, etwas tut; nach einer Ewigkeit erscheint endlich der Täter; die Gattin spielt mit viel komplizierter Kopfreaktion (passende Karikatur wäre das Schlüpfen einer Schildkröte aus dem Ei) das „Bemerken“; der Gatte greift sich mechanisch wie mit eingeübter Reaktionen roboterhaft einen Feuerhaken beim Kamin, um im Garten die Szene mit dem Täter abzuliefern und mit einem absurd falschen Abgang, der auf Kurzzeitdemenz schließen lässt (wo bin ich hergekommen?), aus dem Bild irgendwohin zu verschwinden, hoffentlich landet er nicht in Nachbars Froschtümpel – – – sorry, das ist nicht sendereif, Frau Ackers; das kann dem Zwangsgebührenzahler wütend machen, dass er für solch tv-erzählerischen Dilettantismus von Staates wegen qua Haushaltszwangsgebühr noch blechen muss – hier juckt ihn die Hand gewaltig nach jenem Feuerhaken.

Konträr zum dramaturgischen Konstrukt scheint des Täters Satz zu sein, ob er denn noch einen weiteren Mord begehen soll, damit der Kommissar ihm glaube; der Satz wäre bei einem Serienmörder sinnig und plausibel, aber bei einem, dem ein Mord gegen jede Absicht passiert ist, zeigt das lediglich, dass hier grob fahrlässig am Drehbuch gearbeitet worden ist.

Vielleicht sollte Frau Ackers, die verantwortliche Redakteurin eine Pause einlegen, damit sie wieder erkennen kann, ob ein Drehbuch drehtauglich ist oder nicht. Wenn der BR den Mut hätte, auf die Realisierung untauglicher Drehbücher zu verzichten, könnte er viel Geld sparen.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Aus den Dialogen, und man bedenke dabei die Schwere des Themas “Schuld und Vergebung“:
Ich wollte Ihnen danken, Sie sind ein guter Polizist.
Wo sind Sie, ich hol Sie ab (der besorgte Polizist weint),
ich brauch ne Mobilnummer, soofort… ja! Scheiße!
Sie sind der Kommissar, aber bitte, Sie müssen mir glauben.
Sie trauen mir nicht zu, dass ich M. getötet habe, muss ich noch jemanden umbringen, dass Sie mir glauben?
Da ist kein Floss.
Da war aber eins.
Ob hier im Sommer 2006 ein Badefloß war?
Warum haben Sie mir das nicht erzählt?
Scheiße, irgendwann ist Miriam Pommes holen gegangen.

Zeitschinderei: bis die Frau aus dem Off „Konrad“ ruft und stehen bleibt und fragt, Herr von Meuffels? Und nichts ist passiert außer dass die Kamera auf ein Kopfkissen mit einem Mädchenkopf drauf schwenkt.

Zeitschinderei nach Besuch bei Kriminalkollegen, von denen der Kommissar die Adresse von der Freundin des Opfers erfahren will, vielsagende, nichtssagende Blicke nach Abgang Kommissar, ohne was zu erzählen nach dem Satz „guad schaugst aus“.

Zeitschinderei: Bis sich nur das mit der Schwangerschaft der Toten geklärt hat, gibts jede Menge überflüssiger Szenen, die nichts aus dem bayerischen Leben berichten, nichts zum Thema Schuld beitragen, nur Klischeebefragungen und Kommentare.

Zeitschinderei: die Szene um den Wodka-Kauf für Miriam, weil sie gerade das Essentielle daran nicht offenbar, nämlich die Ingangsetzung der Beziehung Mörder-Opfer – die aber ist ein erzählerisches Sine-Qua-Non.

Zeitschinderei am Imbisstand mit Pommes und Zigarette und der Gewissenfrage, ob der Kommissar Haffling für schuldig hielt.

Zeitschinderei: Markovics sitzt im Regen im Auto und wartet, bis es hinten knallt und er aussteigen kann und eine noch unbekannte junge Frau fragen darf, ob ihr etwas passiert sei, Körbchen auf dem Boden. Und dann kommt der Kommissar aus dem Laden und wartet, bis er selber den Korb bemerkt und fragen kann: was machen Sie denn da? Die Frau meint, er würde glauben, sie sei verrückt.

Verabschiedung von Frau Springer, Brandt genervt, stößt Markovics physisch ins Auto, brüllt: steigen Sie ein, Mensch! Dann fahren sie lange schweigend Auto bis Markovics rauswürgt, er müsse ihn endlich festnehmen. Brandt hadert mit sich, dann stoppt er abrupt, schlägt gegen das Steuer und schreit, „ich weiß es nicht“.
Dann ruhig: „Jemand hat einen Fehler gemacht“.

In der Schlussszene nimmt der Kommissar selber die Schaufel entschlossen in die Hand; dieses Spatenstichbild in fataler ikonographischer Nähe zu einem Ausschnitt aus dem Nazipropagandafilm „Triumph des Willens“, der gestern zur selben Zeit auf ARD-alpha zu sehen war in Mein Kampf – Programm eines Massenmörders, ca. Minute 38.