S‘ Lichtl (JU Filmfestival Freiung)

Eine strahlende Kurzfilmperle in Schwarz-Weiß. Philipp Wagner hat eine Sage aus dem bayerischen Wald nach einer wahren Begebenheit, „wenn’s weihrazt“ von Karl-Heinz Reimeier, mit der großen Barbara Dorsch als Erzählerin und Protagonistin bebildert. Die Dorsch ist eine Nachfahrin der berühmten Käthe Dorsch, ist aus dem gleichen Holz geschnitzt und bekannt als die niederbayerische BR-Betthupferl-Erzählerin. Sie spielt verbindlich und mit archaischer Wucht die Sennerin, die in einsamer Anmaßung mehr zu fühlen und zu ahnen glaubt als andere; auf der Tonspur erzählt sie die Geschichte in einem Niederbayerisch, das zur Seele geht.

Die Sennerin vom Petzihof lebt zurückgezogen und kinderlos. Sie hat es sich mit den Leuten verdorben.

Die Gruberbauer-Töchter Lisa und Gitti, Vanessa Calvano und Eva Wagner, sammeln Beeren im Wald, hören den Wind pfeifen, scherzen, ob sie das Lichtl oder das Waldmännlein gehört haben. Der Vater habe das Lichtl gesehen. Immer zu Lichtmess erscheine es; keiner wisse, woher es kommt, keiner, wohin es geht. Alle wüssten davon, aber keiner traue sich, darüber zu reden, geschweige denn, sich ihm zu nähern. Mädchen können darüber plappern. Sie sind ja zu zweit. Sie brauchen keine Angst haben, auch im Wald nicht. Die Zweisamkeit schützt sie gegen die Unbill und die Fährnisse der Welt, bewahrt sie vor dunklen Ahnungen.

Die quicklebendigen Mädels sind ländlich-frisch aufgemacht mit ihren Zöpfen, jugendlich lustig und neugierig, sorglos, sie können über das Lichtl daherreden, den Ernst der Lage begreifen sie nicht, dass es um mehr geht als nur um ein paar reife Beeren. Das Schnarchen der Sennerin amüsiert sie. Aber wie die Sennerin plötzlich vor ihnen steht mit der Mistgabel, laufen sie erschreckt davon – es gibt Dinge, die in ihrem Erwartungshorizont nicht vorgesehen sind.

Doch die Sennerin ist neugierig. Sie will wissen, was es mit dem Lichtl auf sich hat. Sie versteckt sich hinter einem Baum. Ihr wird eiskalt den Buckel ab. Sie wird geblendet, will es fangen und mitnehmen. Das ist menschliche Hybris, die nicht ungestraft bleiben kann. Keiner hat die Sennerin seither gesehen. Das Lichtl ist nicht mehr gekommen. Es hat sich gefürchtet vor der Gier der Leute.

Zum Glück gibt es Menschen, die diese Geschichte um ein elementares Geheimnis und um das Geheimnis an sich erzählt und weiter erzählt haben, so dass uns jetzt dieses verlorene, rätselhafte Lichtl als wundersamer kleiner Film in Erinnerung bleiben wird – auch wenn er sich richtigerweise scheut, das Geheimnis zu lüften.

Mit dem Freilichtmseum Finsterau hat der Film auch vom Namen her einen stimmungsvollen Drehort gefunden.

Ephraim und das Lamm

Intellektuell romantisierendes Coming of Age eines zarten äthiopischen Jungen in pastellener, von Dürre betroffener äthiopischer Landschaft. Der Junge kocht lieber als mit Ochsen den Acker zu pflügen, ein in sich versunkener Junge, die Mutter ist gestorben, der Vater auf Arbeitssuche in Addis Abeba, hat ihn bei Verwandten abgeliefert. Dort lebt er recht für sich, seine einzige Vertrauensperson ist sein Schaf Chuni.

Es gibt noch das Mädchen Tsion, das Zeitung liest und von der Verwandtschaft entsprechend schräg angeschaut wird, was sie da alles für Wissen draus zieht. Mit ihr ist eine Art stummes Verständnis da oder auch mal eine Unterstützung.

Ephraim, so heißt der Junge, bereitet ausgezeichnete Samosas zu und kann die für ein paar Birr auf dem Markt verkaufen. Dort aber haben es Straßenjungs auf ihn abgsehen, verprügeln ihn oder nehmen ihm das Geld ab.

Sein Onkel möchte, dass Ephraim zur Initiation sein Lamm schlachtet und so zu einem Mann wird. Ephraim bringt das nicht übers Herz, muss seinen Liebling woanders unterbringen. Das Initiationsfest wird daher überraschend anders verlaufen, und das Geld, was er für die Reise nach Addis Abeba zurückgelegt hat, das wird einem neuen Zweck zugeführt.

Der Film peilt eine internationale, kinematographische Entwicklungshelfer-Garde an, die bereitwillig Geld für so ein Projekt locker macht, das Äthiopien so zeigt, wie die erste Welt es sehen möchte: rückständig, arm, von Dürre bedroht, von der internationalen Agrarindustrie bedroht (hier drängt sich ein Hinweis auf Landraub auf), ein Opfer des Klimawandels (das wird deutlich artikuliert), mit einer miserablen Gesundheitsversorgung und mit viel, viel sanftgrüner Landschaft wie Irland, aber hügeliger, felsiger; dazu ein Schuss Folklore, Tanz, Essen, Fest und Pope, vollgestopfter Überlandbus mit Ziege drauf, lange, leere Straßen, ein Kostümfest und ein Fest der Ausstattung von Holzhütten, mehr Fundus denn Doku und ein Junge, der egozentriert ein armes, anrührendes Schicksal hat, was das Herz eines jeden westlichen Missionars erweicht.

Der Filmemacher Yared Zelke, der mit 1 Mitarbeiter und zwei Übersetzern auch das Drehbuch geschrieben hat, beherrscht sein Handwerk, lässt sich Zeit für Vorgänge des Alltages, für episches Erzählen, zelebriert die Geschichte wie die Heilige Geschichte; er hat in den USA studiert und hat wohl auch gelernt, wie man an internationale Gelder kommt, unter anderem auch an deutsche Zwangsgebührengelder von ZDF und arte (die sich somit früh an der Entmündigung solcher Filmemacher üben), ob er aber im Herzen wirklich diesen rührseligen Film machen wollte, das ist eine andere Frage und auch ob uns westliche Konsumenten nach solchen Filmen ist.

Bridge of Spies – Der Unterhändler

Ganz so brutal und vergiftet wie der Ost-West-Konflik im Kalten Krieg wirklich war, ist er bei Steven Spielberg, der nach einem Drehbuch von Ethan und Joel Coen und Matt Charman gearbeitet hat, nicht. Denn primär macht Spielberg Family-Entertainment und will sanft an die Grundwerte der amerikanischen Demokratie erinnern mit einer anrührenden Hommage an einen brillanten Rechtsanwalt, Tom Hanks als James D. Donovan, der vom Gericht bestallt wurde zum Verteidiger des mutmaßlichen Russenspions Rudolf Abel, lakonisch bis abgebrüht und fern der Welt und durchaus der Paraderolle von Hanks ebenbürtig dargestellt von Mark Rylance.

Family-Entertainment, das enthält wohlvorbereitete, nette Pointen, der Bub von Donovan, der in der Schule Selbstschutz vorm herbeigeunkten, baldigen Atomangriff der Russen lernt und diesen Schutz tatsächlich musterschülerhaft für sich selbst umsetzen kann, wie anonyme Schüsse auf die Wohnung von Donovans abgegeben werden, weil, und dies ein kleiner historischer Hinweis auf den Hass, der im Amerika der 50er Jahre gegen Russland bestanden hat, weil er einen Russen verteidigt. Oder die kleine Nummer mit der Marmelade. Weil Hanks seiner Frau, da der Auftrag top-geheim ist, vorlügt, er sei in London, und sie ihn um eine bestimmte Marmelade als Mitbringsel bittet. Er bringt die Marmelade aus dem Supermarkt ums Eck mit, was seiner Frau sofort auffällt, womit die London-Lüge auffliegt.

Donovan war in Berlin. Das gleich aus mehreren Gründen. Rein produktionstechnisch dürfte sich Spielberg für einen Stoff entschieden haben, der in Deutschland spielt wegen offensichtlichen Schielens auf deutsche Fördergelder und auch auf nicht so teure und gewerkschaftlich nicht so strikt organisierte Schauspieler wie in Hollywood. Deutschland macht lieber für Hollywood den Billig Jakob statt eine eigenständige Filmkultur zu entwickeln. Wobei es eine uralte Politik Hollywoods ist im Hinblick auf die internationale Vermarktbarkeit seiner Produkte ab und an Stars aus wichtigen Konsumentenländern zu engagieren, um den dortigen Verkauf anzukurbeln.

Den Part durfte hier Sebastian Koch übernehmen. Er war sichtlich aufgeregt, wie er die erste Szene mit Tom Hanks zu spielen hatte; als Indiz dafür mag der zweimalig ausgestreckte Zeigefinger gelten, ein Gestiklapsus, der üblicherweise Laien unterläuft. Es ist auch kaum zu erwarten, dass Koch in den amerikanischen Kopien so prominent im Abspann erwähnt wird wie hier mit einem speziellen „und“ direkt nach den Stars. In den USA wird er tief unten unter „ferner liefen“ zu finden sein. Die deutschen Schauspieler sind meist so dumm, zu glauben, Steven Spielberg hätte sie engagiert, weil er sie für so super gut hält. Gut, das Gegenteil würde einem feinen Herren wie Spielberg auch nie über die Lippen kommen.

Aus der Verteidigung von Abel, bei dem zum Vornherein klar war, dass er aus Gründen des Lynchdrangs des Publikums verurteilt wewrden muss und da Hanks, der als der positive amerikanische Held schlechthin mit kaum Charaktermacken außer dem Ding mit der Marmelade darauf pocht, dass die USA im Gegensatz zu Russland eine Verfassung haben und dass die darin geregelten Rechte nach amerikanischem Selbstverständnis genauso einem russischen Spione zustehen, so erreicht er mit Raffinesse, dass der Spion am Leben bleibt. Donovan führt als Argument das Faustpfand an, das Abel lebend abgeben würde. Bald schon stürzt Gerry Powers in Russland bei einem geheimen Spionageflug ab; auch die Geschichte fädelt Spielberg zeitig ein. Den Absturz gestaltet er familientauglich, ganz offensichtlich ist das im Studio, wenn Powers trudelt im Cockpit oder am Fallschirm hängt.

Beide Seiten haben jetzt einen gefangenen Spion. Keiner gibt es zu. Offiziell kann nicht darüber verhandelt werden. So soll Donovan nach Ostberlin fahren und den Austausch organisieren. In seiner Durchtriebenheit gelingt es ihm, und da ist er ein gewiefter Taktiker, dem die Machtverhältnisse in der Sowjetunion glasklar durchschaubar sind, noch einen harmlosen Studenten, den die DDR vorsichtshalber gefangen hat, mit zurückzutauschen; ein Verhandlungs- und Taktikmeisterstück, bis zur letzten Minute spannend, denn auch diese kleine, wichtige Nebengeschichte wurde entsprechend und rechtzeitig eingeführt.

Spielberg inszeniert extrem sorgfältig wie ein pinggeliger Buchhalter, damit kein Sachverhalt, keine Entwicklung, kein Vorgang dem Zuschauer rätselhaft oder nicht begreifbar bleibt. Da kann jeder deutsche Filmemacher sich eine dicke Scheibe abschneiden davon.

Andererseits traut Spielberg sich in cineastischer Hinsicht grad so rein gar nichts, setzt konsequent auf Nummer Sicher und auf Nummer Bewährt, das wirkt direkt ängstlich, schullehrerhaft. Dem kann man mit Achtung begegnen und dankbar sein für das kleine Stück Geschichte, das er auf diese Weise seinem Familienpublikum als Demokratielektion näher bringen und gleichzeitig Amerika ermahnen will, in Krisensituationen nicht seine Grundsätze, die es groß und begehrenswert gemacht haben, preiszugeben, wie es beim Antiterrorkrieg handfest und schauderhaft passiert ist und immer noch passiert – Guantanamo ist noch nicht geschlossen und der den Terrorismus befeuernde Drohnenkrieg geht auch unter Obama unverdrossen weiter. Ein sacht staatbürgerlicher Film auch.

Eine kleine Meistersequenz seiner Regiekunst liefert Spielberg gleich zu Beginn. Wie das FBI im größten Gewusel der New Yorker U-Bahn in Brooklyn Abel beschattet und verfolgt. Nicht zufällig sind Hunderte von Komparsen zum Verwechseln ähnlich gekleidet und mit ähnlichem Gang und Tempo zugange wie der Verfolgte als auch die Verfolger. Ein faszinierendes, Rebus zu nennendes Figurenspiel.

Arlo & Spot

Produktionszwang.
Große Studios wie Pixar müssen ihre Maschinerie am Laufen halten, müssen ständig neue Filme herausbringen, Blockbuster am Besten, müssen die Menschheit beglücken und Umsatz generieren. Also müssen sie neue Geschichten erfinden, neue Titel, Arlo & Spot ist nun nicht unbedingt ein assoziationsstarker Titel, Ariel und Sport oder Algorhythmus und Spott, hm, da kann man sich so gar nichts drunter vorstellen.

Die Story wird vorsichtshalber vor über 50 Millionen Jahre angesiedelt. Das erlaubt spekulative Freiheit in der computergenerierten Gestaltung von Saurierviechern. Das wars dann schon mit der künstlerischen Freiheit. Denn die Geschichte soll sich ja verkaufen.

Also Nummer sicher statt Freiheit und Fantasie. Rückgriff auf die klassische Geschichte von der Reise in den mythischen Wald und gereifte Rückkehr in den Schoss der Familie.

Familie ist das A und das O eines solchen Kinderfilmes. Immer wieder fürsorglich umfangende Gesten zwischen computergenerierten Wesen. Beginn mit der Idee, sein Gärtchen zu bestellen, sein Haus, eine Familie zu gründen. Herr und Frau Saurier haben das schon hinter sich. Drei Tiere sind kurz davor, aus den Eiern zu schlüpfen, um gleich Liebe zu verlangen oder herumzutollen. Mei wie süß, mei wie niedlich. Der Niedlichkeitsfaktor ist in solchen Tier- und Familienfilmen nicht zu unterschätzen, wie der süchtig machende Zucker im Kaugummi oder in den Bonbons.

Die Saurierfamilie lebt landwirtschaftlich ordentlich. Sie haben ein Maisfeld. Mit ihren Schnauzen ziehen sie die schnurgeraden Furchen zur Anpflanzung von Mais. Dann muss der Mais geerntet und in einem Silo aus Steinen vor Schädlingen gesichert werden. Wenn die Eltern ihr Erntewerk vollbracht haben, tun sie das mit einem Abdruck ihrer Pfoten auf einem Silostein kund. Erinnert an die Abdrücke, die Stars am Hollywood-Boulevard den staunenden und bewundernden Zeitgenossen hinterlassen. Oder auch an Orden aus der Denklage des Militärischen oder Güte-Siegel à la TÜV. Bierernst biederbürgerlich. Auch die Kinder dürfen nach einer Prüfung stempeln. Aber dem Kleinsten, das ist Arlo, gelingt seine Aufgabe, den Schädling nach einer Methode aus Ritterfilmen zu fangen, nicht.

Der Vater nimmt Arlo mit zu einem Ausflug in die Umgebung, den Fluss entlang. Der schwillt plötzlich an, reißt den Vater mit. Auch der Tod kann ein Thema in Kinderfilmen sein oder ein Insekt, das geköpft wird, das machen Kinder ja auch. Jetzt ist Arlo allein. Zu ihm gesellt sich der Schädling Spot; das ist die Miniausgabe eines Früh- oder Ur-Neanderthalers mit Höschen, das sich auf allen Vieren bewegt wie ein Äffchen. Die beiden haben für die Geschichte Weggefährten = Freunde zu sein und begeben sich auf ein gefährliches Roadmovie; die Diskrepanz zwischen Klein und Groß und das Thema Freundschaft gehören zum Must der Ausstattung eines solchen Familienfilmes.

Sie haben im folgenden viele Begegnungen mit computergenerierten Wesen in Zamperl-, Wurzelsepp- oder Neanderthalerästhetik, was nicht unbedingt der Geschmacksbildung junger Menschen dienlich ist.

Das Schöne beim Animationsfilm ist, dass jede Aktion und jede Reaktion, jede Gefahrenstelle und jeder Gag ganz genau ausgeklügelt und pointensicher inszeniert wird, hier von Peter Sohn nach dem Drehbuch von Meg LeFauve.

Damit der Film nicht zu kurz wird und die Heldenreise gut auszukosten ist, schwemmt das nächste Hochwassser Arlo und Spot weit weg von zuhause, so dass sie einen lange Rückweg mit vielen Abenteuern und Gefahren und weiten Prärien vor sich haben. Die sind zauberhaft schön, diese Wildwestlandschaften, so schön, dass die Zeichner nicht umhin konnten, auch noch eine Büffelherde mit urzeitlichen krokodilartigen Cowboys samt Lagerfeuerromantik an den Computern zu entwerfen.

Damit es allerdings nicht zu gemütlich wird, setzen die Zeichner und Autoren noch einen Angriff von bösen Vögeln dagegen, und wen im Publikum wird es nicht freuen, wenn Spot, der auf einem einsamen Baumstamm gegen sie kämpft, einem solchen ein Loch in den Flügel beißt, so dass er beim Abflug umgehend in den Fluss stürzt.

Dann edlich tauchen am Horizont die heimatlichen Bergzacken auf und über einige Nebelpassagen hat der Jungsaurier seine Heldenreise überstanden und darf dem Getreidesilo seinen Pfotenstempel aufdrücken nach herzzerreißender Begrüßung durch seine Mutter und die beiden älteren Geschwister.

So ist nach 90 oder 100 Minuten die Welt wieder in Ordnung. Und hoffen wir, die Kasse der Inhaber der Pixar-Studios auch.

Ewige Jugend – Youth

Ob ein Künstler aufhören kann, ob ein Künstler in Ruhestand gehen kann und nur noch apathisch die Tage verbringen will, obwohl er fit ist wie ein Pferd, nicht mal die Prostata zeigt Schwächen, das ist eine der Fragen, die Paolo Sorrentino („Il Divo“, La grande Bellezza) in seinem neuesten, man darf es ruhig so nennen: Meisterwerk, welches rund und eckig zugleich ist, untersucht.

Wie in einer Monade, die das große Ganze der Künstlerwelt spiegelt, versammelt Sorrentino auf seinem Labortisch unter der Lupe einige Vertreter dieser Spezies in einem Schweizer Alpen-Kur- und Spahotel in Wiesen, Graubünden.

Weit über die Hälfte des Filmes bleibt das hermetisch, funkt die äußere Welt nur mit kuriosen Auftritten herein durch einen Emmissär von Her Britannic Majesty the Queen, die unbedingt ein Konzert von Fred Ballinger in London dirigiert haben möchte mit den „Simple Songs“, die ihn einsten berühmt gemacht haben.

Michael Caine spielt diesen Ballinger, den der Karriere gegenüber renitent und resistent gewordene Dirigenten mit stechenden Augen als Grandseigneur von Weltklasse. Aber er hat den Beruf hinter sich gelassen trotz bester medizinischer Checkresultate, er muss der Welt andauern erklären, dass er jetzt seine Tage nur noch apathisch verbringe.

Teils mit Gesprächen mit dem Filmregisseur Mick Boyle, den Harvey Keitel im Gegensatz zu Caines Ballinger eher nervös spielt. Boyle ist dabei, seinen finalen Film vorzubereiten. Er ist umgeben von einer Corona launig typisierter Nachwuchsintellektueller als Drehbuchschreibern.

Die Themen der beiden Herren gehen über frühere Liebschaften, das Erlernen des Radfahrens oder über Altherrenprobleme mit dem Wasserlösen, was zu trockenen Pointen im einstelligen Tropfenbereich führt oder plötzlich werden die beiden Alten im Wald Voyeure einer Sexszene – das ist kurios bis an die Grenze eines Altersnihilismus.

Familiär sind die beiden verbandelt. Die Tochter von Caine ist mit dem Sohn von Keitel zusammen. Die Tochter von Caine, Rachel Weisz als Lena Ballinger, ist auch die Managerin ihres Vater. Sie wird in diesem Film die Trennung von Julian verkraften müssen.

Die beiden alten Herren schließen im Dinner-Raum Wetten ab über das Verhalten anderer Gäste, ob ein Ehepaar an einem Nachbartisch überhaupt ein Wort miteinander sprechen werde. Das sind Momentaufnahmen aus dem Esssaal, die erinnern in ihren detailgenauen Beobachtungen an den Esssaal im Restaurant von Jacques Tatis „Ferien des Monsieur Hulot“ und können zum großen Puzzle zusammengesetzt werden kann.

Die Masseuse von Caine mit der Zahnspange ist so eine wunderbare Figur. Oder der Typ wie ein Sumo-Ringer, der schwer atmet, aber als Linksfüßer großartig mit einem Tennisball spielt. Es ist eine verspielte Welt, eine aufregende Welt aus lauter aufregenden Figuren, die gleichzeitig alltäglich sind, aber auch mal ein versponnener Einfall, der an Theaterinstallationen von Christoph Marthaler erinnert, Schlaglichter auf die verschiedenen Gruppen von Personal werfen oder wie Caine versonnen auf einer Kuhwiese sitzt und anfängt das Kuhkonzert zu dirigieren – und die Kuhherde reagiert tatsächlich auf sein Dirigat, hier könnte er von Carl Valentin inspiriert sein.

Ein gewisse Doppelung dieses Einfalls bietet das Konzert der Kuckucksuhren in einem völlig überladenen Souvernirshop. Jede Szene, jede Einstellung gibt einen neuen Blick auf diese merkwürdige Einrichtung in der Nähe von Davos, da kommt einem Thomas Mann der Zauberberg in den Sinn.

Es gibt Unterhaltung für die Herrschaften. Die Künstler, Sänger, eine Seifenblasenartistin und eine Alphornbläsergruppe stehen auf einer Drehbühne oder dem verehrten Publikum wird eine Hitlerparodie geboten; später wird der Darsteller darüber philosophieren ob es besser sei, Horror zu erzählen oder Sehnsucht/Lust.

Es schaut eine Miss Welt vorbei, die gar nicht so dumm ist, wie das Klischee von ihr verlangt. Mit Jane Fonda als Brenda Morel bricht wie eine Lawine eine ganz andere Geschäftsrealität in diese skurrile Alpengeruhsamkeit herein. Es kommt zu einem heftigen, höchst konventionell inszenierten Dialog und einer Abrechnung zwischen ihr und Caine, der sie in seinem letzten Film („Life’s last Day“) unbedingt drin haben möchte, schließlich hat sie ihm ihre Karriere zu verdanken.

Derweil bricht Caine aus dieser Monadenwelt aus, kann sich auf Drängen der Tochter doch zu einem Besuch bei seiner Frau in Venedig entscheiden, bringt ihr Blumen. Sie war einst seine Muse, seine Sängerin. Jetzt vegetiert sie dement vor sich hin. Das Grab der Strawinskys wird besucht, kannte der Dirigent doch den Komponisten.

So hat die Routinekulturaktivität plötzlich die Einfried-Stimmung eingholt und zerstört. So rafft der Film sich zu einem realkünstlerischen Schluss auf, der wiederum so konventionell schön ist, dass man das Kino gar nicht mehr verlassen möchte. So nah am Heute scheint mir Kino selten, am Thema Altern und Kunst und mit so viel Witz und Würde präsentiert mit einem handverlesenen und bestens eingesetzten Ensemble.

Zwischen Himmel und Eis

Dieses aufregende Stück Antarktis-Forschungsgeschichte von Luc Jacquet (Das Geheimnis der Bäume) über und mit dem visionären Glaziologen Claude Lorius hätte in Deutschland eine bessere Behandlung durch das Marketing verdient, zumindest was den deutschen Titel und das Presseheft betrifft.

Auf Französisch heißt der Titel schlicht „Der Himmel und das Eis“. Das löst nicht solche vom Thema ablenkende Fantasien aus, wie der Deutsche Titel mit „zwischen“ dazwischen, zwischen Himmel und Erde, zwischen Himmel und Hölle.

Noch stärker weist das hübsch gestaltete Presseheft weg vom Film. Mit der Medaille „Prädikat besonders wertvoll“ soll die Assoziation an einen besonders wertvollen Film, wie an einen besonders wertvollen Wein erweckt werden. Das mag noch angehen. Das Prädikat verdient der Film hundertmal. Nur ist die Frage, ob so ein Prädikat Zuschauer anlockt.

Weit schlimmer finde ich, dass der Film so angepriesen wird, wie diese modischen Naturfilme mit den grandiosen Kameras und den geistig bescheidenen Kommentaren, wobei der deutsche Sprecher noch eine Erwähnung wie ein Star bekommt. Das ist hier besonders peinlich, weil der eigentliche Star, Claude Lorius auf der Titelseite überhaupt nicht erscheint; obwohl er, wie ein paar überflüssige Reinschnipsel gegen Schluss des Filmes beweisen, oft in Talkshows gewesen ist, also nicht gänzlich unbekannt sein dürfte.

Hier also ein Max Moor als angepriesener Sprecher, der offenbar auch Moderator ist; er spricht so diskret, dass er als Voice-Over durchaus akzeptabel ist; da aber der Forscher in der Ich-Person erzählt, wäre es ein zusätzliches Plus für die deutsche Kopie geworden, wenn ein Schauspieler das gesprochen hätte, der die Rolle quasi auch studiert hätte. Denn Lorius ist mit seinen über 80 Jahren, mit denen Jacquet ihn nochmals aufs Artktiseis stellt, eine hellwache, neugierige, visionäre Person und Persönlichkeit.

Angemessen wäre ein reißerischer Titel: die irren Entdeckungen des Claude Lorius in der Antarktis. Er hat sehr jung schon, in den frühen 50ern an einer der ersten Antarktis-Expeditionen nach dem Krieg teilgenommen und ein ganzes Jahr mit zwei anderen Forschern auf einer abgelegenen Forschungsstation verbracht.

Die Antarktis hat ihn darauf hin nur noch mehr fasziniert. Im Laufe des Lebens ist er auf über 20 Expeditionen gekommen, die immer aufwändiger ausgestattet waren. Denn sein Vision hatte es in sich, hat überall auf der Welt aufhorchen lassen und ihm internationale Zusammenarbeit ermöglicht. Er war sich sicher und hat das bewiesen, dass im ewigen Eis, je tiefer er bohrt, anhand der Luftbläschen die klimatischen Bedingungen über die Jahrtausende abzulesen sind und damit die Zyklen von Eiszeit und Eisschmelze und hochaktuell immer noch für uns, für jeden Verbraucher, den Einfluss des CO2-Ausstoßes der Menschen auf diesen Zyklus, dass dieser ihn ernorm beschleunigt. Das ist heute Allgemeinwissen. Ein bisschen erfüllt ihn das mit Stolz, dass die Geschichte ihm inzwischen recht gegeben hat.

Diesen wissenschaftlich trockenen Stoff bereitet Jacquot nun überhaupt nicht lehrhaft auf. Er hatte Zugang zu Archivfilmen verschiedener Expeditionen, oft in Super-8. Das sind cineastische Fundstücken der Extraklasse.

Wenn eines von zwei Frachtflugzeugen, die in der Antarktiks verfügbar sind beim Start abstürzt, so stürzt das Lorius in eine große Krise, er befürchtet, die Amis würden keine weitere Expedition finanzieren. Aber für die ist so ein Flugzeug gar nichts im Gegensatz zum Wert seiner Forschungen.

Wie diese uralten Eisbohrkerne gefördert werden, wie sie verpackt werden, aber auch wie die Forscher bei eisigsten Temperaturen Transportfahrzeuge reparieren, wie sie die Ölfässer außen anzünden müssen, um den Sprit in die Tanks zu gießen, wie ein Mast mit Forschungsgeräten einknickt und mühsamst, verflucht seien die Konstrukeure, Schraube für Schraube wieder zusammengesetzt werden muss. In diesen Momenten wird dieser Film noch zusätzlich zum spannenden Abenteuerfilm genaus so wie beim lebensgefährlichen Weg über Gletscherspalten. Erfindung des Isotopenthermostates. Oder gar die Hölle auf Erden, die russische Station, in der es nach Kerosin und Wodka riecht.

The Gift

Zu Risiken und Nebenwirkung der Ehe konsultiere man diesen Film von Joel Edgerton, der nicht nur das Buch und die Regie übernommen hat, sondern auch noch den Ehegefährder Gordo spielt, gerne auch genannt „Weirdo“, kein Schmeichelwort, der die vergifteten Geschenke (Gifts) in diese Ehe bringt.

Rebecca Hall als Robin hat offenbar nicht genau hingeschaut, wer ihr Lover, ihr Bräutigam und dann ihr Ehemann geworden ist, wer Simon, Jason Bateman, wirklich ist, was er in seiner Vergangenheit – womöglich auch in seinem Charakter – für Hypotheken verborgen hat.

Der Film könnte gesehen werden als eine Illustration zum Weisheitssatz: Drum prüfe, wer sich ewig bindet.

Als Bühne für dieses Moral- und Konversationsstück wählt Edgerton einen stylishen und karg eleganten Flachbau mit breiter Fensterfront, eine Villa über L.A.. Den Locus Dramae zeigt er uns zuerst und leer. Man kann sie schon ahnen, die Geister die hier wirken werden.

Dann sind Stimmen zuhören. Es treten auf eine Maklerin mit dem Ehepaar Simon und Robin. Sie sind gerade dabei von Chicago nach Kalifornien zu ziehen, ein Karrieresprung für Simon. Aus den Umzugskartons ist die Info zu erhalten, dass es mit dem Kinderwunsch noch nicht geklappt hat, dass aber schon Vorbereitungen getroffen worden sind. Dieser wird, das ist die positive Nachricht, im Laufe des Filmes in Erfüllung gehen. Das zu bebildern wird ein kalifornisches Baby vor die Kamera gezerrt, was mir jedesmal in der Seele weht tut.

Unser Konversationsstück gibt Hinweise auf Talente von Robin, die sie aber nicht richtig nutzen kann, wirft einen Blick zu Nachbarn und in die Firma von Simon. Bei ersten Einkäufen in der City tritt der Vergifter auf den Plan. Er kennt Simon aus Schulzeiten. Dieser scheint sich nicht so richtig zu erinnern. Aber wer neu ist an einem Ort, ist froh, alte Bekannte zu treffen und einladen zu können.

So ganz geheuer ist Gordo, an den sich Simon allmählich zu erinnern scheint, nicht, auch dem Zuschauer nicht, denn gerade offen ist sein Blick nicht zu nennen; er bombardiert die Familie richtiggehend mit Geschenken, er lädt das Ehepaar in ein superreiches Anwesen ein, aber erklären kann er sein Geschäft nicht. Bald ist es um den Hund von Simon und Robin geschehen.

Gordos Anwesenheit wird die Ehe von Robin und Simon in ihren Grundfesten erschüttern. Solche Erschütterungen schlagen sich in der Psyche nieder, können zu Angstträumen und Hysterie führen, zu Eklats. Immer offensichtlicher wird, dass Robin, die glasklar wie über den Dingen agierende Rebecca Hall, nicht so richtig hingeschaut hat bei ihrem Ja-Wort und dass sich das nun massiv rächt. Die Musik fühlt intensiv mit, spürt den Ängsten und Drohungen skrupellos nach, nimmt den Zuschauer mit auf diese horrible Ehe-Gefängnisbesichtigung als einem höchst gepflegten Kammerspiel – einer Ehehorrordelikatesse.

Gleich zwei weitere Horrorfilme, die in feinen Villen um L.A. spielen, stehen in der Kinostartschlange: Knock Knock und The perfect Guy.

Love

Gaspard Noé beleuchtet zu lässigem Musikgroove zweieinviertel Stunden lang in leider wenig ersprießlichem 3D aber voller Neugier und unter dem Motto der Tabulosigkeit bildschön die Essenzen von Liebespraxis und Liebesphilosophie.

Dass die Erzählung, die eine Aneinanderreihung von still und leise und schnell aneinander geschnittenen Momentaufnahmen, auch in dieser Weise aufgelöster Szenen, besteht, kreisförmig ist, dürfte dem Aspekt der Reproduktion in der Betrachtung der Liebe geschuldet sein, ergibt sich naturgemäß.

Noé möchte zeigen, dass Liebe etwas Natürliches, Menschliches ist, was selbstverständlich zum Leben gehört, was eine Qualität und einen Gehalt von Leben ausmacht. Anders ausgedrückt: mit diesem Film gibt Noé zu verstehen, dass er nicht versteht, wieso Liebe und Sex im bürgerlichen Alltag immer noch in vielen Bereichen tabuisiert sind.

Der Protagonist Murphy, Karl Glusman, ist Leben und Liebe zugleich und hat auch kein Problem, sich mit Electra, Aomi Muyock, und mit Omi, Klara Kristin, gleichzeitig zu vergnügen – die Frauen ebensowenig.

Die Liebesakte selber sind achtbare Pornographie mit allem Drum und Dran, aber auch mit einer Ebene drum herum, mit Gesprächen oder auch heftigen Krächen bis zu Eifersuchtsszenen sowie voice-over gesprochenem, innerem Monolog von Murphy, den Noé an einer Stelle scherzhaft mit Murphys Gesetz in Verbindung bringt, dass bei ihm alles schief geht, was schief gehen kann; insofern hat er Reflektionsstoff genug und der bekommt mit jedem Erlebnis, mit jeder Erektion neue Nahrung.

Murphy scheint ein Gefangener seiner unersättlichen Liebessehnsucht zu sein, möchte einerseits nichts auslassen, andererseits Beziehungssicherheit bis zum Ende. Einmal stellt er immerhin fest, dass ein Schwanz kein Gehirn habe und darunter scheint Murphy zu leiden.

Er ist ein sentimentaler Amerikaner in Paris, der hier das Filmemachen lernen will. Das gibt Anlass für eine kleine Szene mit Omi und Kamera im Bett, die Variante „privates Sexmovie“.

Zwischen den Sexakten stellt Noé Murphy mit Handy in einen Türrahmen, fotografiert ihn von vorn und von hinten, statisch, wie er seinen Frauen nachtelefoniert, wie ein begossener Pudel allein zum Bett geht und sich unglücklich fühlt. Seine Bewegungen sind dann erotisch ruhig so wie seine Stimme – als könne er kein Wässerschen trüben, als sei er der Diener seines Schwanzes und dass er möglicherweise ein eitler Gockel ist, kommt in diesen Momenten schon gar nicht in Betracht. Das fällt erst auf, wie er mit einem Zwitter konfrontiert wird, der/die ihn anmacht. Da sind Murphy und seine scheinbare sexuelle Toleranz richtiggehend überfordert.

Den wichtigsten künstlerischen Vergleichshinweis liefert Noé mit dem Plakat von Salo, das in Murphys Zimmer hängt und einmal ist er ganz entsetzt, dass einer Frau 2001 von Kubrick kein Begriff ist. Und dann noch „Birth of a Nation“. Es gibt eine Drogensequenz, Disco, Swingerclub, wo auch das Zuschauen zelebriert wird, Vernissage, Polizeistation und ein Polizist, der ein Referat über die Franzosen und die Liebe hält.

Themen im Film sind: Liebe, Toleranz, Ekstase, Rausch der Liebe, Unersättlichkeit, Sex und Sentimentalität, Sehnsucht nach Allverschmelzung, Geheimnisse machen einen Menschen stärker, Leben und Tod (Friedhofspaziergang), die Leere, Lieben und Haben (à la Erich Fromm Haben und Sein), Liebe mache die Menschen helle, Liebe als Schutzraum, Liebesschwüre, Angst um Liebesverlust, Angst vor dem Verlassenwerden, vor der Einsamkeit.

Für Noé gilt: was ihn bewegt, das will er bebildern.

Highway to Hellas

Es geht um Einsamkeit. Im doppelten Sinne. Die Einsamkeit des Christoph Maria Herbst in seiner Rolle als Jörg Geißner und um die Einsamkeit dieses Jörg Geißner im Leben und in Griechenland.

Aus seinem Privatleben erfahren wir nur, dass er eine ganz böse Knallcharge von Chefin hat. Die so tot wie Leichinger heißt und ihn übers Handy anbellt, antreibt, anschimpft. Er solle vorwärts machen mit seiner Inspektion der griechischen Insel, auf der die Investoren loslegen wollen.

Er soll glaubwürdig machen, dass die keine Krankenstation und kein Elektrizitätswerk haben und berichten, wie der Strand sei. Einsam ist Herbst in seiner Rolle, weil er offenbar versucht, von früheren eigenen Erfolgen billig zu übernehmen, einsam in der eigenen Masche gefangen. So wirken die Auftritte immer wie auf lustig gemacht. Dabei bleibt auch der Zuschauer einsam.

Die Geschichte von Arnd Schimkat und Moses Wolff, die mit dem Regisseur Aron Lehman (der mit Kohlhaas oder die Verhältnismässigkeit der Mittel vorübergehend Hoffnungen geweckt hat) auch das Drehbuch verfasst haben, könnte, so viel ist abzulesen, zumindest den Schadenfreudenfaktor abzudecken versuchen, wenn Menschen versuchen, andere Menschen zu übertölpeln – dämlicher und leichter ist es mit Einsamen, die in ihrer Sehnsucht nach Menschentum geneppt werden.

Das verstehen die Griechen. Die Inselgriechen vielleicht noch besser. Besonders, wenn es darum geht, Geldströme aus Subventionen locker zu machen. So sinnen denn der Bürgermeister und seine Kumpane auf Listen, dem Kommissar, wie sie ihn nennen, eine Welt vorzumachen, die es so gar nicht gibt, damit die Bank sich nicht durchsetzen kann, denn die Einheimischen wollen aus ihrer Insel ein Galapagos machen, die Finanzhaie einen Ballermann.

Das Krankenhaus scheint tatsächlich zu existieren, und da dieser Befund witzlos ist, versuchen die Filmemacher mit dem Chefarzt und Chirurgos eine Nummer zu produzieren, dass er besoffen auf dem OP-Bett liegt und aufschreckt, wenn der Kontrolleur kommt.

Mit dem Elektrizitätswerk wird’s schwieriger, denn die Insel wird über ein Seekabel mit Strom versorgt. Wobei nicht ersichtlich ist, warum die Investoren auf einem eigenen Elektrizitätswerk beharren, wenn doch die Stromversorgung gesichert ist.

So bauen der Bürgermeister und seine Kumpel einen alten Schuppen zur Fassade eines Elektrizitätswerkes um, prototypisches Beispiel für ein potemkinsches Dorf und bei der Besichtigung durch den volltrunkenen Geißner gibt es einen originellen Moment im Film, wenn gezeigt wird, wie die kreativen Griechen im Inneren des Schuppens den Sound eines arbeitenden Elektrizitätswerkes herstellen.

Leider, wir sind im Ödland der deutschen Komödie, und diese Klangaktion bleibt weit und breit der einzige erheiternde Moment in dieser faktischen Tragödie um Einsamkeit. Und das ist nicht lustig, wenn Einsame manipuliert werden. Um diesem traurigen Eindruck entgegenzuwirken, haben sich die Filmemacher ein Ende einfallen lassen, bei dem alle, auch der einsame Herbst, sich von der Mole ins Meer stürzen und juhuen. Wobei Panos, Adam Bousdoukos, als Deutsch-Grieche noch am ehesten Natürlichkeit in den Laden bringt, die urwüchsige, die wir von den Inselgriechen erwarten – im Film und im Klischee zumindest.

Hasret – Sehnsucht

Von Ben Hopkins, der mit Ceyland Ünal Hopkins auch das Drehbuch zu diesem Film geschrieben hat, gab es schon Welcome to Karastan, ein individueller Film.

Jetzt hat Hopkins eine Istanbul-Hommage versucht. Individuell auch diese. Dabei legt er im Film selber den ständigen Clinch, in dem er steht, offen, mosert darüber und hackt die unangenehme Seite entsprechend lieblos ab: nämlich die Forderung der Fernsehredaktionen, ZDF und arte, die ihm viel zu wenig Geld gegeben hätten, zu erfüllen. Die wollen, jetzt kommt es an den Tag: Info, Info, wie alt die Stadt sei etc. und viele Zeitrafferaufnahmen, die einen beängstigenden Eindruck vom Moloch Stadt machen sollen, das möchte die Fernsehredaktion, für die wir unsere Zwangsgebühren vom bescheidenen Budget abknapsen müssen. So weit, so einfach, man denkt, man guckt in Redakteurs Hirn wie der Zahnarzt in einen faulen Zahn.

Hopkins ist aber auch liebend gern ein Ego-Darstller, das war er schon im vorherigen Film. Aber Istanbul hat ihn deutlich fertiger gemacht als Karastan. Denn die Folge des wenigen Fernsehgeldes war, so stellt er es im Film mindestens dar, dass er und sein Team als blinde Passagiere in einem Frachtcontainer sich nach Istanbul verschiffen lassen müssen.

Dann gibt es einen netten, schwarz arbeitenden Hoteldiener. Hopkins trifft mit seinem Team auf syrische Alawiten (ist das nicht die Schicht um den syrischen Assad?), die auf dem Schwarzmarkt die Preise kaputt machen.

Istanbul verwirrt den Filmemacher, und die Forderung der Fernsehredaktion noch mehr. So dass nicht recht klar wird, was ihn überhaupt interessiert an dieser Stadt und weshalb er sie so liebt. Ein Türke scheint er jedoch nicht zu sein.

So entscheidet er sich für ein recht beliebiges Istanbul-Potpourri, non-touristisch, das schon, aber immer wieder der Fernsehanspruch, auch Bilder von der schönen Prinzeninsel zu schießen. Das erinnert an die Karastan-Situation (hier die Wünsche des Diktators, dessen Position im jetzigen Film die Fernsehredaktion einnimmt). Das Team von Hopkins ist auf dieser schönen Prinzeninsel fix und fertig, fragt sich, was sie da sollen. Denn zu sehen, und das nur von außen und hinter Mauern, gibt es lediglich ein leerstehendes Waisenhaus. Aber die Fernsehredaktion wollte es und bekommt Ratlosigkeit statt Spannung oder Erbauung geliefert, um den Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ad absurdum zu führen.

Es gibt eine Reihe von Bildern verschiedener Religionsgemeinschaften, einen kurzen Einblick in eine Tanzprobe von Kindern, viele nächtliche Schwarzweiß-Aufnahmen von leeren Gassen, gerne auch am Rande des Fotoexperimentes, Hinweise auf die rasende Gentrifizierung, die rücksichtlose Bauerei, der ganze Quartiere weichen müssen, eine Sufismus-Seance von Derwischen, Kaffees kommen vor und auch Friedhöfe genau so wie ein Tänzchen türkischen Tangos – kunterbunt durcheinander, was ihm vor die Kamera läuft – da wird sich mancher Zuschauer sagen, der nie ein Pauschaltourist sein will, das könne er auch und den Reisezuschuss von ZDF und arte würde er klaglos mitnehmen und dafür die verlangten Zeitrafferaufnahmen ohne Gewissensbisse liefern.

Als kleiner Storyansatz dient die Begegnung mit einem Exzentriker, der erzählt, Istanbul sei früher ein Katzenstaat gewesen und der sonderbare Telefonnummern von Toten weitergibt, es gibt eine geheimnisvolle Frau, die plötzlich auf Bildern auftaucht; alles recht konfus zusammengeschnitten.

Irgendwann reicht es dem Team von Hopkins. Sie wollen zurück nach Deutschland. Er lässt sie einen Container am Hafen besteigen und da erst 60 Filmminuten vorbei sind, bleibt Hopkins allein in Istanbul, beschäftigt sich mit den Geistern der Stadt, wenig ergiebig für den Zuschauer. Ein trauriges Beispiel für den verheerenden Einfluss des Fernsehens auf das Kino. Hopkins‘ Sehnsucht dürfte die nach einem nicht bevormundeten Kino sein.