Alles steht Kopf

Bewährte, alte Animationstricks frisch aufgetischt mit einer Story, die behauptet, ins Hirn eines Menschen sehen zu können und die steuernden Emoticons zu kennen, so da sind die Freude, rehäugig, strahlend wie eine atomare Glühbirne, die Angst, ängstlich, die Wut, ein kleines rotes Rumpelstilzchen, der Ekel, eine Skelettfigur, der Kummer, kümmerlich und leicht trutschig; ein neu erfundenes kleines Animationstheaterensemble, das als Doublage der Haupthandlung, des Umzuges von Püppchen Riley mit seinen Eltern von Minnesota nach San Francisco und Rileys Problem mit dem Glücklichsein als Bericht aus der Steuerungszentrale menschlichen Handelns nochmal erzählt.

Wenn des Menschen Handlungszentrum so einfach gebaut wäre, wenn das Hirn so eine plastische Kommandozentrale wie in einem ovalen Raum und umgeben von Inseln wie Quatschmach, Freundschaft, Familie, Persönlichkeitsinseln, die mit dünnen Nervenfäden gleich Brücken verbunden sind, dann müsste doch das Menschsein und das Glücklichsein leicht sein. Vermutlich wird das Hirn hier simplizistisch dargestellt und das Thema, dass und wie ein Mensch verantwortungsbewusst handeln soll, das hat schon gar keinen Platz mehr; es geht mehr um widerstreitende Gefühle; es geht um Gefühlskonflikte, aber nicht ums Denken als Grundlage des Handelns; es geht offenbar um emotionsgesteuerte Menschen. Hauptsache es tut sich etwas, die bunten Figuren geraten aneinander, sie haben Interaktion mit der spießigen Familie, vom Vater, der sich am Handy ständig um Investitionen kümmert und Mutter um das Töchterchen Riley, elf Jahre. Der Reiz dürfte hier nicht die dröge Haupt-Geschichte sein sondern die Machart von deren Verdoppelung in einer Art bunter, detailverliebter, animierter Wimmelbildwelt. Aber, wo nun wirklich das Handlungszentrum des Menschen ist, das wird versteckt wie in einer russischen Puppe, denn die einzelnen Emotionsfiguren sind ja auch wieder Figuren mit eigenem Handeln und wenn das hier behauptete Handlungsmuster zuträfe, wären in ihren Hirnen auch wieder diese verschiedenen Funktionen; somit ein Film, der die Verantwortung für menschliches Handeln unendlich weit von sich schiebt und sich auf eine unterhaltsame Ersatzwelt kapriziert.

Ein Problem macht dem Hirn des Töchterchens zu schaffen. Die Familie ist vom Minnesota nach Kalifornien umgezogen in eine freudlose Gasse, Herr Papst lässt grüßen, aber nur kurz und verschwommen; denn in so einem Kinderanimationsfilm müssen auch die Freudlosigkeit oder der Kummer lustig sein; so ein Film will keine intellektuellen Diskussionen noch Erkenntnisse auslösen.

Wie die Leute zum Lachen zu bringen sind, das weiß die Trickfilmindustrie Hollywoods am besten und seit Stummfilmzeiten, wenn einer eine Torte ins Gesicht bekommt, den Gag findet man hier zwar nicht; wenn aber die zwei Emotionen Freude und Kummer aus dem Hirn von Riley abgezogen wurden und ihren eigenen Abenteuerfilm mit vielen bekannten Tricks durchlebt haben und wenn sie wieder zurückkommen und werden über eine schwankende Pyramide aus Jungs wie mit dem Golfballschläger an die Fensterwand des Kommandozentrale „Gehirn von Riley“ geklatscht, dann ist das lustig, dann darf und muss, Gruppenzwang, gelacht werden.

Immer wenn etwas zerbröselt, wenn es wen zerbröselt, wenn es einen durch die Luft schleudert und wenn er sich dann wieder waghalsig und gegen alle Gesetze der Physik auffängt oder wenn in der Traumfabrik eine Sendung hergestellt wird und etwas schief geht, immer wenn was schief geht, ist es lustig. Sysiphos lässt grüßen, wenn Freude und ein inzwischen dazugesellter rosa Elefant, der Bonbons weint und die Zuckerwatte symbolisiert, in den tiefsten Tiefen des Hades gelandet sind und aussichtslos versuchen Geröllhalden der entsorgten Erinnerungskugeln hinaufzuklettern und immer wieder abrutschen und wenn sie endlich den Schlitten mit zwei Raketenbesen wieder finden und fahrtüchtig machen, das ist die Mühe des Menschen, die ewige Mühe und kommt doch nicht vom Fleck und mit Vollgas versuchen sie aus der Tiefe die Oberfläche zu erreichen und wieder runtersausen und wieder versuchen und wieder runtersausen und wieder versuchen und dann schafft die Freude es und das rosa Elefäntchen verschwindet im Geröll des Vergesssens – war ja nur eine Zuckerwatte. Mit Verlusten muss man rechnen – der Merchandising-Effekt ist eh gerettet.

Die Erinnerungen werden dargestellt als magische Kugeln. Anfangs wirkt der Film wie ein althergebrachter amerikanischer Aufklärungsfilm, der uns weis machen will, wie das menschliche Hirn funktioniert, da ist Emanzipation nicht vorgesehen, eher schöpfungsgeschichtlicher Glaube, Glaube an die Schöpfungskraft der Götter der Animation.

Kartenhäuser stürzen zusammen. Einen Dream-Boy gibt es auch. Immer wieder schleudert es Dinge durch die Luft in diesem Film von Pete Docter und Ronaldo del Carmen. 3D ist vollkommen überflüssig, aber warum soll man diese Zusatzeinnahmen nicht mitnehmen. Wie immer ist die Sprecherkultur für die Figuren hervorrangend und macht Spaß im amerikanischen Original zu hören, während die deutsche Nachsynchronisation für diese metaphorischen Figuren keine zwingende Lösung finden konnte.

Artistik aller Art, in gewagte Höhen und über hohen Abgründen und, aber das kennen wir schon lange, die Eisenbahn, die ihre Schiene vor sich her produziert und den Schienenstrang mitten durch die Luft legen kann – das sei der Gedankenzug, der somit zum Bild einer willkürlich bis gewagt oder gedankenlos aus der Luft gegriffenen Autonomie des Denkens wird, und dass der im Schlaf nicht fahre, das negiert jegliche denkerische Gehirntätigkeit und Träumerei im Schlaf. Denn hier in der erfundenen Filmmärchenwelt, fährt er nicht, wenn Riley schläft. Darum muss Riley geweckt werden, damit die beiden Emoticon-Abgänger den Zug wieder nehmen können, um in Rileys Kommandozentrale zurückzukehren; es scheint, als wolle das Studio hier die Kraft des Denkens verleugnen (die den Menschen erst zum mündigen Menschen macht), um das Modell seines Disney-Park-Gehirnes nicht zu gefährden und auch nicht die Folgeauswertungen, denn als Vorankündigung zu verstehen ist der Knopf in der Schaltzentrale, auf dem steht „Puberty“. Der steht bereit, als nächstes gedrückt zu werden. Was ist Pubertät? Das werden die Gehirnfiguren im nächsten Film wohl erzählen. Und selbstverständlich gibt es auch eine Kommandozentrale in Vaters Hirn und in Mutters Hirn und als Abspanngag je eine im Hundehirn, im Katzenhirn – zuverlässig nette, systemisch-endemisch-industrielle Belustigung.

2 Gedanken zu „Alles steht Kopf“

  1. Du meine Güte – man darf sich auch einfach mal unterhalten lassen, ohne gleich Gefahr zu laufen, seiner Denkfähigkeit beraubt zu werden! Sie mögen wohl nur psychologisch ausgefeiltes und möglichst komplex-kompliziertes Arthouse-Kino? Dazu noch eine Vorliebe für ellenlange Schachtelsätze… kann funktionieren, muss aber nicht (s.o.).

  2. Vielen Dank Leo, für Ihren Beitrag. Selbstverständlich steht es jedem frei, den Film nach seinem Gusto zu genießen und das haben bereits über drei Millionen Kinobesucher in Deutschland auch getan – ob sie dabei ihrer Denkfähigkeit beraubt worden sind oder ob diese dabei sogar stimuliert worden ist, dürfte schwer zu eruieren sein. Da dieser Unterhaltungsfilm mit dem anmaßenden Anspruch antritt, Einblick in das Funktionieren von Gefühlen in einer drögen Umgebung zu geben, so darf und muss er daran gemessen und überprüft werden. Dieses Nachfragen hat meinem Vergnügen deutlich Grenzen gesetzt. An Fantasie ohne belehrenden Anspruch kann ich mich sehr wohl ergötzen, Vorfreude auf „Die Winzlinge – Operation Zuckerdose“, der voraussichtlich am 14. Januar in die Kinos kommt und der garantiert kein “psychologisch ausgefeiltes und möglichst komplex-kompliziertes Arthouse-Kino“ ist.

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