Arcade Fire „The Reflektor Tapes“

Der Filmemacher Khalil Joseph hatte die Möglichkeit, die weltberühmte kanadische Band Arcade Fire auf ihrer Tournee The Reflektor Tapes zu begleiten (Jamaica, Haiti, Los Angeles, London, New York) und hatte ungehinderten Zugang zu Backstage und den Auftritten, die vor Massenauditorien stattfanden.

Joseph hatte kein Interesse, eine der üblichen Dokus über solche Bands zu machen; er ließ sich inspirieren von deren theoretischen Position, dass sie offen seien für alles, interessiert daran, was sich mit Musik alles machen lässt (wobei so eine Rock-Band aus kommerziellen Gründen offenbar niemals auf die massenelektrisierenden Rhythmen und die Bässe verzichten kann), Kierkegaard wird einmal zitiert, wobei sich mir der genaue Zusammenhang nicht erschlossen hat.

Joseph nutzte das Material, was er geschossen hat, als Exploitation- und Experimentier-Material, stellt damit ein eigenes Filmkunstwerk her, einen aufgebauschten Musikvideoclip bestehend aus Konzertmitschnitten, ganz keck ein Song aus Mitschnitten verschiedener Konzerte ineinandergeschnitten, aus Backstageimpressionen, extrem belichteten Schwarz-Weiß-Aufnahmen besonders auf Haiti und dort vom Karneval, ferner jede Art von Überblendungen, Verfärbungen, Ineinander- und Nebeneinanderschnitt verschiedener Rahmenformate und Bildgrößen oder auch von Zeichnungen auf Glasschablonen, die er vor die Kamera hält: ein Montage-Bilderrausch kinematographischer Fantasie und Spielerei, der die geübte Dokumentarfilmerwartung kaltschnäuzig unterläuft mit rasanten Schnitten, angereichert mit wenigen Statements aus der Gruppe und kaum länger als eine Stunde. Über den ellenlangen Abspann lässt er einen einzigen Musiktitel laufen, der Konzertmoment im Film.

Der informative Wert über die Musik und die Gruppe hält sich dabei in Grenzen; vielleicht ist auch nicht mehr zu rausholen. Weil nun aber ein Film im Kino doch gut anderthalb Stunden lang sein sollte, wird nach dem Abspann ein zerredendes, geschwätziges Interview mit viel Footagedoppelung angefügt. Der Spiritus Rector der Band flankiert von seiner Frau und einem weiteren Musiker quasseln über die Dreharbeiten mit Khalil, sein Vorgehen, versuchen den Film zu erklären, der keiner Erklärung bedarf. Das ist unergiebig und wirkt wie ein Erlebniskiller.

Man lernt nie aus – The Intern

Diesen Film von Nancy Meyers anschauen heißt, zwei angenehme Stunden im Kreise eines auserlesenen Castes von intelligenten Schauspielern zu verbringen, die alles liebe und praktisch konflitkfreie Rollen spielen und die davor warnen, mit zuviel Hybris und Vorurteil dem Alter gegenüberzutreten.

Diesen Film schauen heißt auch, zwei Stunden Robert De Niro zuzuschauen, wie er just in den Räumen, in denen er jahrzehntelang eine führende Position in einer Telefonbuchdruckerei eingenommen hat, in einem inzwischen da eingezogenen, supersmarten und supererfolgreichen Startup von Jules Ostin, gespielt von der schlank und schnell aus der Kehle sprechenden Anne Hathaway, sich als „Senior Intern“, was in etwa Altersreferendar oder Alterspraktikant bedeuten dürfte, bewirbt und auch genommen wird.

Denn De Niro, hier heißt er Ben Whittaker, aber was tut das zur Sache, wenn De Niro ihn spielt, muss ein Altersloch füllen. Er ist allein, verwitwet, sein Sohn mit Familie wohnt weit weg und braucht ihn auch nicht dringend. Er hat zwar seine Alltagsroutinen entwickelt vom Aufstehen bis zum Ausgehen und im Café die Zeitung lesen, ganz befriedigend ist das nicht, er möcht sich nützlich machen und so kommt ihm die Ausschreibung von Jules Firma nach älteren Praktikanten gerade recht.

Das Schöne an diesem Film, an dieser Romantic Comedy ist, dass alles so kommt, wie es auf die Schiene gesetzt wird und dass es bei diesen Besetzungen die Freude daran ist, ihnen beim Umsetzen des Drehbuches zuschauen zu dürfen, zu sehen, wie die anfängliche Skepsis der karrierefokussierten Jules allmählich Verständnis weicht, wie sie, das erzählt die kleine Rahmenhandlung im Park, das Atmen wieder lernt.

Aber nur weil Whittaker sich an den Tipp eines Youngsters hält, im Gespräch mit Jules zu zwinkern, erhält er den Job überhaupt. Das übt und macht er mit viel Komik, sei’s drum, es wirkt. Er kommt ganz in die Nähe der gestressten Chefin, erst will sie ihn wieder ersetzen, aber das passiert mit einer so grobmaschigen Fahrerin und Beinahunfall, dass sie sich ganz schnell auf Ben besinnt, der ihr, weil sie sich beobachtet gefühlt hat, unangenehm geworden ist.

Aus seiner Beobachtung und seiner Altersreife heraus fängt Ben langsam an, die Firma, das Privatleben der Chefin zu bereichern wie ein guter Onkel, ein Ratgeber, ein Coach. Er selbst kommt mit der Firmenmasseuse unerwartet auch auf seine Kosten. Zu Ehren kommt auch im Sinne der Old Gentlemen’s School das gute alte Einstecktaschentuch. Der Film legt es selbst mit Augenzwinkern und den entsprechenden Saitenakkorden auf Rührung an und leistet sich als Intermezzo eine kleine Einbruchskomödie, denn die gestresste Chefin hat ihrer Mutter ein Mail geschickt, was von deren Computer sofort verschwinden muss.

Schmidts Katze

Hier wird mit lähmender Sorgfalt und mit schwäbischer Gründlichkeit dem Kino das Kino und der Komödie der Humor asugetrieben, wird einmal mehr bewiesen, dass es keine deutsche Kinokultur gibt und auch beim Nachwuchs keine Hoffnung besteht: es handelt sich um den Debütfilm von Marc Schlegel.

Das Drehbuch haben Stephanie Töwe und Marc Schlegel geschrieben, vielleicht war es ja gut, nicht aber nach der supervisionierenden Zwangsgebührentreuhänderin, SWR-Redakteurin Stefanie Groß. So stehen im Abspann noch Julie Alfonsi und Matthias Drescher, die den Krampf als Drehbuchbearbeiter komplettiert oder womöglich erst angerichtet haben.

Was ich weder als Zwangsgebührenzahler noch als Schreiber über Filme überhaupt nicht abhaben kann, das sind dumme und dümmliche Figuren im Film und solche, die sich lächerlich machen. Schon dass der Baumarktangestellte Werner Schmidt, gespielt von Michael Lott, ein Terrorist ist, indem er mit Explosiva gefüllte Spielzeugautos per Fernsteuerung unter Limousinen platziert und dann explodieren lässt, entbehrt jeder Grundlage, wird nicht plausibel eingeführt.

Der Biedermann als Zündler, gut, das ist an sich eine faszinierende Idee, kommt bei Max Frisch wunderbar und deutlich differenzierter rüber. Hier aber fehlt jede Basis für diese Handlungen, jede Charakterisierung der Figur Schmidt, die diese nachvollziehbar macht. Ist es sexuelle Verklemmung, Wut auf Frauen oder Limousinen oder ist es Frust im Job, die ihn das tun lässt?

Von der Darstellung her kommt es so nicht rüber. Auch dass er bei seinen Attentaten stümperhaft viel zu nah an die Objekte seiner Zündelwut heranfährt und so von allfälligen Augenzeugen direkt mit den Explosionen in Verbindung gebracht werden könnte, lässt ihn als dummen Menschen erscheinen, als Tölpel.

Der Begriff Tölpelhaftigkeit ist vielleicht ein Begriff, der für die meiste Action in diesem Film zutrifft. Wie Schmidt die Frau im bereits explodierten und brennenden Auto entdeckt und rettet, wie er beim Versuch, sie in den Kofferraum zu hieven, selbst mit reinfällt, so dumm kann kein Esel sein, wie er seine eigenen Katze überfahren hat und diese unter den Augen der wachsamen Nachbarin im Müll entsorgen will, wie er die Nachbarin und deren Mann, seinen Kumpel, mit einem Schlafmittel betäubt, und die sofort wegtreten, das ist alles nur unglaubwürdig und tölpelhaft.

Tölpelhaft an diesem Film ist leider schon das Buch, das konsequent auf Handlung, Konflikte und damit Entwicklung der Figuren verzichtet. Es führt nur die Figuren in ihren bescheuerten Handlungen vor; möglicherweise orientiert an einer Idee von naiver Malerei oder von frühem Slapstick, das könnten allfällige Verteidiger des Filmes anzuführen versuchen. Selbst dass Schmidt am Schluss durch Sibylle, die gerettete Frau, die bei ihm vor Gangstern Zuflucht sucht (auch das eine unausgegorene Story) zur Liebe findet, das wird zwar theoretisch festgestellt, ist aber in keiner Sekunde praktisch nachvollziehbar in Szene gesetzt.

Bei solch tönerenem Drehbuch werden die Akteure, wann es denn keine großen Kaliber sind – und solche würden sich zur Recht weigern, so wenig durchdachte Figuren zu spielen – zu mehr oder weniger hilflosen Hampelmännern; noch schräger wirkt die Anglegenheit durch den kruden Sprach- und Dialektmix.

Detail: der überdeutliche Untertext des Protagonisten, der mit jedem Satz, mit jeder Geste deutlich erklärt, er sei unbeholfen und leicht belämmert, mehr Masche als Figur, mehr Getue als Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit (gilt erst recht für die Terrorismus-Seite).

Interessant wäre zu erfahren, was Macher und Produzenten sich an Begründungen einreden, warum sich im Kino kein Mensch diesen Film anschauen wird; dass er dazu einfach zu grottenschlecht gemacht ist, das zu sagen werden ihre Lebenslügen nicht zulassen. Sie werden jammern, dass niemand Arthouse-Filme sehen will, dass niemand sich für ihre so kostbaren Fürze interessiert.

Wer will im Kino so schlechtes Theater sehen, wie die Rettungsaktion der rotkleidigen Sybille, die sich aus dem Keller befreien will und im Gitterrost sich verfängt, hängen bleibt, und wie Katzenschmidt ihr Schmiere am Po auf das rote Kleid reibt, dabei ist sie doch gar nicht dort hängen geblieben? Egal, der Zwangsgebührenzahler muss blechen dafür.

Oder die Beerdigung der Katze, die wird vom ganzen Team ins Lächerliche gezogen und dazu noch ein Ave Maria, auch lächerlich gesungen, nicht zu fassen. Das ist Verhohnepiepelung des Zuschauers und erst recht des Zwangsgebührenzahlers. Hier sind die Menschen kaum mehr eindimensional zu nennen. Mit denen kann man gerade mal eine kleine Parade obszöner Gesten in einem Baumarkt als Werbeveralberung inszenieren; dürfte mit dem Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soviel zu tun haben wie die Zuständigkeit des Staates für die private Kackgewohnheit.

Diese Filmemacher scheinen in keiner Sekunde ans Publikum gedacht zu haben. Sie wollen nur die Fernsehredakteurin und ihr offensichtlich schlichtes Gemüt befriedigen und kitzeln. Das heißt, Geld herauskitzeln aus dem Gebührenkuchen. Hier schweigt der (Gebühren)Kuchen und der Krümel feiert Urständ.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Maze Runner – Die Auserwählten in der Sandwüste

Hat der Vorgängerfilm Maze Runner – Die Auserwählten im Labyrinth noch vom geheimnisvollen Gegensatz einer idyllischen, grünen Lichtung mit Pfadfinderlageratmosphäre und einem anrainend hinter einer hohen Mauer geheimnis- und fantasievoll-bedrohlichen Labyrinth gelebt, so ist jetzt zeitgenössische Dystopie angesagt.

Die Auserwählten, die nicht wissen wie ihnen geschah und wie ihnen geschieht und was vor ihnen liegt – das immerhin ist ein schönes Bild für die Situation am Beginn des definitiven Eintritts ins Erwachsenenleben, in einem Beruf oder in eine Position – gelangen erst in eine Art Internat oder Kadettenschule, ohne Tageslicht, ohne Grün. Sie verbreiten das Gefühl dieser Wohligkeit in einer Gruppe Abhängiger in gleicher Lebenssituation.

Täglich werden aus ihrer Mitte einige aufgerufen. Sie verschwinden unter Begleitung der Autoritäten hinter einer Tür, von der bald klar wird, dass keiner der Zöglinge mehr zurückkehrt.

Eben hat es Theresa erwischt, auf die Thomas ein Auge geworfen hat, daran erinnert man sich noch aus derm Vorgängerfilm. Das beunruhigt Thomas sehr. Er fängt an mit einem Kollegen vom Schlafsaal, den er mit seinen Freunden teilt – ein Cast voll sympathischer, erwachsener, aber noch keinesfalls machohafter Männer, offen, neugierig und interessiert – über Lüftungsschächte den tabuisierten Bereich zu erkunden. Er macht schreckliche Entdeckungen, schockierende, alarmiert seine Gruppe und sie versuchen den Ausbruch aus dieser bösen Zone.

Bis dahin hat der Film wunderbar diese Stimmung, auch von Gemeinsamkeit, am Anfang des Ernstes des Lebens rübergebracht, auch dass dem Zuschauer schwant, dass dieses nicht zimperlich mit den Menschen umgehen wird, dass sie am Ende doch ziemlich anders und beschrieben aussehen werden als heute, geprägt und vielleicht gebeutelt. Aber das sind Fantasien, die über den Ist-Zustand dieses Filmes hinausgehen.

Auch der Chef Janson, Mr. Chance, Aidan Gillen, spiegelt diese Situation mit seiner freundlichen Kumpelhaftigkeit ausgezeichnet, Schullehrer mit einem Hauch Schuldirektorenhaftigkeit.

Thomas und seine Gruppe brechen mit der befreiten Theresa aus. Die Liebe als Motor. Was nun folgt sind gegen zwei Stunden Verfolgungsjagd mit altbekannten Actionmitteln und viel Schießereien – die Waffenindustrie als bewährter Pate der Filmindustrie – Durchquerung dystopischer Wüsten- und Hochhausruinenlandschaften, Begegnungen mit bissigen und teils angeleinten Zombies, Produkten misslungener Experimente von Dr. Paige, Patricia Clarkson, mehr Geisterbahn und Geisterspuk denn Coming of Age oder Lehr- und Wanderjahre, bis auf die kleine Begegnung mit dem Tod von Winston, die offenbar nach wenigen Sekunden des Stehenbleibens der Gruppe als Schattenfiguren, ein Andachtsbild an der Wüstenskyline, abgehakt ist.

Das ist zweifellos gut gemachte Action, aber irgendwie hat sie mit dem exponierten Thema, dass diese Menschen am Anfang von etwas stehen so gar nichts mehr zu tun. Es wird lediglich eine Flucht-, eine Hit-and-Run-Geschichte mit der dominierenden Textzeile „Go!, Go!, Go!, Let’s go!“.

War Teil eins noch eine spannende Bebilderung einer pubertären Beengungs- und Behinderungssituation, so scheint dieser Prozess abgeschlossen, jetzt rennen sie um ihr Leben. So hat dieser zweite Teil eher mit dem Einrücken zum Bund oder in eine Lehre etwas zu tun. Dieses Momentum der Jugend zwischen Adoleszenz und Eintritt in die Erwachsenenwelt ist hier anfänglich vorhanden, verschwindet dann vollkommen aus dem Film. Der dritte Teil wird die Antwort auf die letzte Frage an Thomas geben: so, was ist denn dein Plan? Diese Antwort hätte ruhig hier schon gegben werden können, denn die ganzen Actionssequenzen schieben sie ja nur auf.

Die Regie besorgte Wes Ball nach dem Buch von T.S. Nowlin, der den Roman von James Dashner zur Grundlage hatte.

Capital C

Timon Birkhofer und Jorg M. Kundinger informieren mit diesem unkonventionellen, deutsch-amerikanischen Dokumentarfilm mit drei animierenden Geschichten und vielen, anregenden Statements zum Modell Crowdfunding, wie dieses der turbokapitalistischen Hochfinanz zeigt, was eine Harke ist, nebst anschmiegsamer Musik von Glasperlenspiel und Moonlander und mit schmerzhaft-schönen Kinobildern als Zwischenmarkern.

Crowdfunding demokratisiert die Produktentwicklung, es geht um künstlerische Produkte, um fantasieverlangende, fantasievolle Produkte, es entmachtet das Großkapital, es könnte rein theoretisch bis zu 5 Milliarden künstlerischer Impulse geben, so viele, wie Menschen übers Netz erreichbar sind; Crowdfunding nimmt kreativen Einfluss auf den künstlerischen Prozess, bei der Spieleentwicklung, bei der Produktion von Freakers, das sind gestrickte Flaschenwärmer oder Flaschen-Mäntel. Crowdfunding braucht soziale Netzwerker, braucht Fans. Bringt im Gegenzug eine erhöhte Verantwortung ihnen gegenüber, eine Verpflichtung, man möchte seine Crowd nicht enttäuschen.

Wer das einmal macht, also seine Fans enttäuscht, der hat auf diesem Parkett nichts mehr zu suchen, wird an einer Stelle geäußert. Insofern handelt es sich bei diesem Film um einen Beitrag zu einer filmpolitischen Diskussion, denn die Überdüngung des deutschen Filmes mit Förderung und Zwangsgebührengeld dürfte einer der Gründe für seine fehlende Attraktivität sein, da er gerade nicht im Feedback mit Fans entwickelt wird. Crowdfunding ist eine Herzensangelegenheit, die sich selbst ermächtigt, die nicht auf profitversessene oder subventionsskrupulöse Geldgeber hören muss.

Allerdings gibt der Film auch klar zu verstehen, dass das Crowdfunding, was er hier im Sinne einer werbenden Weiterempfehlung vorstellt, nur bedingt anwendbar ist, dass es sich um ein Nischenprodukt handelt.

Am Crowdfunding für diesen Film haben sich nebst einer ellenlangen Latte von Namen im Abspann auch zwei deutsche Filmförderungen beteiligt; der Film ist trotzdem ein viel frischeres, weniger anpasserisches Produkt geworden als ähnliche Dokumentationen, die praktisch nur von Filmförderer und Fernsehredaktions Gnaden abhängen; so ein Crowdfunding kann der Produktion einen gehörigen Schub verleihen, den spürt man durchaus in diesem Film. Schönes Beispiel ist das Motiv: „Liebe stinkt“, ein umgekehrtes Herz, was wie ein Po ausschaut, scheißt lauter kleine Herzchen.

Zach und seine Freaker sind ein Trio junger Menschen, die in North Carolina mit gestrickten Flaschenmänteln, Flaschenüberzügen oder Flaschenwärmern Furore und ein Geschäft machen. Ohne Crowdfunding hätten sie die Produktion gar nicht starten können. In ihrer Geschichte kommt auch der Ideenklau vor. Eine große Firma hat, von Freaker inspiriert, mit der Billigproduktion von Freaker-Imitaten begonnen. Freaker hat den Fakt netzöffentlich gemacht. Ein Shitstorm der Fans hat die große Firma dazugebracht, das „sold out“-Schild ins Netz zu setzen. Zur Bekanntheit der kleinen Bude trägt ein Auftritt in einer Kapital-Live-Show „Shark Tank“ zur Hauptsendezeit bei; Kapital sucht Anlagemöglichkeiten; da das Kapital aber mit 50 Prozent bei ihnen einsteigen wollte, und damit logischerweise mitreden, hat Freaker darauf verzichtet.

Brian, der Entwickler des Videospiels „Wasteland“ hat dieses 20 Jahre lang Kapitalgebern und Produzenten gegenüber gepitcht, erfolglos. Erst die Idee mit dem Crowdfunding hat ihm zum Durchbruch verholfen. Ungewöhnlich für ihn ist jetzt, dass er das Folgespiel in Rückkoppelung mit der Fangemeinde entwickeln muss, dass er bereits während des Produktionsprozesses die Fans informieren muss, dass er die Kontaktpflege mit der Crowd nicht vernachlässigen darf.

Der Spielkartenzeichner Jackson arbeitet in einem Fulltime-Job, hat Frau und zwei Kinder und ist wie fanatisiert vom Entwerfen neuer Tuschezeichnungen von Karten; die Familie leidet drunter. Gibt es nie ein Ende dieses Stresses? Auch diese Geschichte birgt Hoffnung. Dank Crowdfunding kann er sich selbständig machen, er zieht aus Kalifornien nach Texas und kann sich jetzt ganz seinem Extratalent, dem Entwerfen und Zeichnen von Karten widmen. Die Mutter hat vorher schon die Zeit davon laufen gesehen, denn es geht so schnell vorüber, dass die Kinder groß sind, und dann haben sie vom Papa, den sie nur als über seine Zeíchnungen gebeugt kennen, nichts gehabt und sie hat auch nicht geheiratet, um eine alleinerziehende Mutter zu werden, deutliche Worte. Kunst, Leidenschaft und Broterwerb in heftigem Widerspruch. Die Lösung heißt Crowdfunding. Er will nicht nur die 15 Minuten Ruhm, die der erfolgreiche Abschluss des Crowdfunding bringt.

Mehr Botschaftsfilm und Animierfilm, denn eine genaue Analyse, die auch die konkreten Schritte und Techniken des Crowdfundings offenlegt. Impulse geben wollen diese famosen Filmemacher.

Stella – Myn lilla Syster

Der schwedische Originaltitel dieses Filmes von Sanna Lenken, „meine kleine Schwester“ macht genauso wie die deutsche Variante „Stella“, das ist der Vorname dieser kleinen Schwester, bereits ein erzählerisches Grundproblem des Filmes klar: von wem wird hier erzählt, es geht doch um die Bulimie der älteren Schwester, die heißt Katja. Das wirkt wie ein Hirnsalto: Katja erzählt in diesem Film von ihrer kleinen Schwester, will damit aber ihr eigenes Problem, das der Magersüchtigkeit behandeln, pubertäre Magersüchtigkeit. Das soll aus der Sicht des Pummelchens Stella, einer bösartig-schönen Wonnepfropfen-Besetzung, behandelt werden.

Dass die Regisseurin dabei vor lauter Unklarheit des Erzählstandpunktes andauernd im Reminsizenzen versandet, mag ein Hinweis darauf sein, dass der Stoff autobiographisch unterfüttert ist, was für die Glaubwürdigkeit der Szenen von Vorteil ist, aber für die erzählerische Straffung des Stoffes hinderlich. Dazu kommt eine deutlich überstrapazierte Käfersymbolik, mit der fängt der Film an, ein Käfer wird von Stella liebevoll betrachtet, der über ihren linkshändigen Unterarm krabbelt. Das ist vielleicht sentimental, aber wen interessiert schon die Sentimentalität von irgendwem anderem?

Ein Thema, was in dieser Familie sicher ein bestimmendes Element ist, wird ausgeklammert oder nur naturalistisch eingeführt, das ist die Mutter (der Vater ist selbstverständlich auch vorhanden, womit die Familie aber ihr Geld verdient, das erfährt man nicht), die doch rein theoretisch eine sogenannte „Eismutter“ sein müsste; dann könnte man vielleicht die Essensverweigerung von Katja verstehen, die auf dem Weg zur erfolgreichen Nachwuchseiskunstläuferin ist, aber es bleibt unklar, ob von der Mutter gedrängt oder aus eigenem Willen; denn warum sollte sie diese Essensverweigerung haben, plötzlich das Essen mit dem Finger auf der Toilette wieder rauswürgen?

Dass das kleine Schwesterchen seine unrühmlichen Finger zur Beförderung des Dramas beiträgt, ist ein weiterer Strang der Geschichte, dass sie sich platonisch in den Eiskunstlehrer von Katja verliebt, ist noch einer; Themen und Szenen sind unökonomisch ausgewalzt, die auf Erlebnisse der Regisseurin schließen lassen; das Thema mit dem Schnurrbartwuchs, den Katja ihrer kleinen Schwester Stella einredet, wie sie sich versucht zu rasieren, wie sie blutet, wie sie unendlich lang diese Wunde mit dem Finger zu verdecken sucht: das sind mehr rührende Versuche und bleiben durchaus persönlich, bleiben aber im privatistischen stecken, schaffen es nicht, das Interesse des Zuschauers zu halten; lassen auf mangelnde Strukturierung des Stoffes im Vorfeld beim Buchschreiben durch die Regisseuring/Autorin schließen.

Was sich auf den Verkaufseffekt des Filmes negativ auswirken dürfte und schade ist; da die Konfliktsituationen des Aufwachsens ernst genommen werden. Aber sie müssen für den Zuschauer nachvollziehbar aufbereitet werden; es handelt sich vom Anspruch her weder um einen dokumentarischen Spielfilm noch um einen autobiographischen Film. Vielleicht war die Regisseurin zu sehr angefixt von ihrer kleinen Titelheldin.

Dass der Zugang sentimentalisch ist, belegt die kleine Szene fast am Ende, wie die beiden Schwestern nach dem Bulimiedrama von Katja sich wieder vertragen, die Köpfe inniglich zusammenstecken und die Technik unter dem Kinn von Stella ein helles Herzchen einblendet, uj!

Wenig förderdlich zum Filmgenuss ist auch die unemphatische, deutsche Nachsynchronisation. Vielleicht ist Bulimie ja auch nur das Ersatzthema für das Eismutterthema.

Es verwundert nicht, dass deutsches Fernsehen und deutsche Filmförderungen im Spiel sind.

Magie der Moore

Moore sind geheimnisvoll, sind undurchdringlich, die Moorbewohner oft gut getarnt und also nicht gut zu sehen. Insofern überrascht ein Film, der die Moore dokumentieren will, der das Schaurige der Moore, wie Annette von Droste-Hülshoff sie schilderte, entzaubern will.

Dieser Film des öffentlich-rechtlich (BR) sich finanzierenden Jan Haft (Das grüne Wunder – Unser Wald) nimmt dem Moor das Schauderliche in doppelter Weise. Einmal, indem er als Sprecher den Schleswig-Holsteiner Axel Milberg engagiert, der die beamtenhaft eher nüchternen Texte beamtenhaft nüchtern und bemüht bringt, was im Kino sogleich ein Atmosphäre von Schulstunde verbreitet; kaum zu erwarten, dass der Name auf dem Kinoplakat auch nur einen Zuschauer ins Kino lockt. Und zum anderen in der Beliebigkeit der Drehorte (was den Verdacht, der Mitnahme von Reiselust auf öffentlich-rechtliche Senderkosten bestärkt) zwischen Deutschland, Dänemark, Finnland, Norwegen, Tschechische Republik, Slowakei und Schweden.

Jan Haft hat sich das Problem sehr allgemein gestellt. Die Moore. Welche Moore? Er hat wie es scheint, beliebig in der Weltgegend rum fotografiert von Deutschland bis Skandinavien. Er scheint wenig Erzählkonzept gehabt zu haben, er scheint genommen zu haben, was sich zum Thema so filmen lässt und hat dann Droste-Hülshoff drübergestreut. Und schön im TV-Cliffhänger-Prinzip alle paar Minuten wie ein Seitenwechsel in einem Buch Flugaufnahmen über Moore, irgendwo, dazwischengeschnitten, aus purer Angst, die Zuschauer könnten abhauen, falls sie einem einzigen Vorgang mal länger folgen sollten.

So bleibt denn die Erzählung zufälliges Stückwerk, mag momentweise zu fesseln; großartige Naturfotografie, das sind wir längst gewohnt; das lockt auch keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Und irgendwie durfte alles doch nicht so viel kosten, man will ja ein Geld verdienen damit, auch wenn man im Hochglanz-Presseheft, wie bei solchen Naturfilmen inzwischen der modische Trend, groß angibt: „5 Jahre Drehzeit, 500 Drehtage, 80 Drehorte, 10 Flugtage mit Helikopter, Kamera-Drohne und Heißluftballon, 250 Stunden Rohmaterial, Pirschgänge mit der Kamera und tagelange Tarnzeltaufenthalte, Neueste Filmtechnik“, Pardon, dafür und vom Kinostandpunkt aus gesehen, ist das Resultat mehr als dürftig, das sollte sich Udo A. Zimmermann von der BR-Redaktion mal bewusst machen und sich überlegen, ob er künftig für solche Naturfilme nicht konzeptionellere, effizientere Macher verpflichten sollte.

Zum Beispiel die Bärenaufnahmen. Die wirken leider billig. Das ist praktisch nur ein Kamerastandort, das wirkt nicht teurer als Fotofalle. Und nicht ein Naturvorgang, der genau nachvollziehbar gezeigt wird. Sicher ist es schön, wenn Kreuznattern ihren Balztanz machen, aber der Rest der Paarung verläuft in getarntem Gestrüpp. Es stößt einem auf, gerade beim Thema Balz, wie schludrig der Text redigiert wurde, immer wieder kommen ähnliche Sätze vor, dass sich da in Jahren gewisse Traditionen herausgebildet hätten. Sicher sind die fleischfressenden Pflanzen faszinierend. Noch faszinierender das Getier im trüben Wasser des Moorsees. Das sind so geniale graphische Strukturen, aber die müssen auch schnell wieder geschnitten werden, aus der chronischen Panik vorm wegzappenden Zuschauer, so dass der Kinogenuss ein Interruptus der unschönen Art wird.

Anfangs nehmen sich Kamera und Technik viel zu wichtig mit Lichteffekten und dauernden Zeitrafferaufnahmen, vom Moor ablenkenden Kameraspielereien, dazu musikalisch richtiggehend störend aufgemotzt. Die knallt einem die Naturbetrachtung kaputt. Auch die historischen Infos über den Torf, über seine Funktion im ökologischen Gleichgewicht, über die Industrialisierung, die wirken beliebig und wenig durchdacht eingestreut, schnell, schnell mal gegoogelt.

Zu sehen gibt es unter anderem: Birkühner, Bären, Wollgras, Balzplätze, Sonnentau (fleischfressend), Elche und Elchkadaver, Wolfsriss, schwimmende Moosteppiche, Moorameisen, Zieralgen, Sumpfsaftling, Polarlicht, industrieller Torfabbau, Schilf, Birkhenne, Edellibelle, Kraniche, giftiger Beinbrech, Zwergmaus.

Man bekommt hier zwar ehrgeizige Naturfotografie zu sehen; aber nur schwer begreifbar einen Begriff vom Ökosystem „Moor“, dazu ist der Film zu oberflächlich zusammengebastelt.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Life

Der Begriff „Life“ aus dem Titel bezieht sich auf das berühmte amerikanische Fotomagazin. Der Film selbst erzählt die Geschichte eines Nachwuchsfotografen und einem Hollywood-Nachwuchsstar als Model. Dieser Film von Anton Corbijn, das Drehbuch stammt von Luke Davies, besticht sowohl durch seine Fotografie als auch durch seine behutsame Schauspielerführung.

Robert Pattinson überzeugt als der Fotograf Dennis Stock, strahlt wunderschön auch die Einsamkeit dieses Berufes aus, der immer durch Linsen von seinen Mitmenschen getrennt ist, gar in der Dunkelkammer sich mit ihnen beschäftigt. Und der doch einen intimen Kontakt zu seinem Objekt braucht und sucht, der sich viel Zeit nimmt, viel Geduld aufbringt, die Kamera meist diskret griffbereit hält, um im entscheidenden Moment zu schießen.

Das Objekt, um das es sich hier handelt, ist James Dean. Es ist die Zeit kurz vor der Premiere von „Jenseits von Eden“ und der Zeit des Castings für die Hauptrolle in „…denn sie wissen nicht, was sie tun“, die Zeit des aufgehenden Startums von James Dean, die Zeit, in der noch spekuliert werden kann, wie groß er werden würde, in der ein Jack Warner, großartig dargestellt von Ben Kingsley, sich bei der Wahl der „…denn sie wissen nicht, was sie tun“-Hauptrolle doch lieber auf den Regisseur verlässt und gleichzeitg versucht, dem upcoming Star Dean „die Grundregeln“ als reibungsloses Zahnrädchen in der PR- und Verwertungsmaschinerie der Filmindustrie beizubringen, was nicht unbedingt leicht ist, aber genau diese Eigenwilligkeit macht mit den Reiz der Figur aus. Die kann Daane DeHaan, der mit der Dean-Rolle betraut ist, so nicht bringen; er ist schließlich ein anderer Typ, anderes Charisma, andere Leinwandausstrahlung. Aber Corbijn gibt sich alle Mühe, daraus eine sehenswerte Rolle zu machen, was ihm auch gelingt. Wer nicht mit einer dokumentarischen Erwartungshaltung ankommt, der wird den Kinoeintritt nicht bereuen.

Das zentrale Kapitel im Film sind einige Tage, die die beiden jungen Männer Stock und Dean um den 24. Geburtstag von Dean herum in der elterlichen Landwirtschaft in Indiana verbringen. Da entsteht die Fotoserie für das Life-Magazin, das einen wesentlichen Baustein zu beider Karrieren beigeträgt. Dean auf dem Bauernhof, Dean wie er seinem kleinen Bruder vorliest, Dean auf der Sweetheart-Party der Abschlussklasse 1955 des Colleges, das er einst besucht hat, Dean beim Lesen, Dean vorm Traktor, Dean auf einer Straße im winterlichen Indiana.

Die deutsche Synchronistation ist von auserlesener Sorgfalt und trägt das ihre zum gediegenen Gesamteindruck dieser bedächtigen, hingebungsvollen Hommage an die Fotografie bei. Zum Nachbuchstabieren schön und langsam.

Die Legende der weißen Pferde

Mädchen und Pferde, das ist der Stoff für Träume, für Geschichten und Filme. Pferde scheinen für heranwachsende Mädchen, für heranreifende Frauen wie die Beschützer ihrer in Aufruhr und Umbau sich befindenen Gefühlswelt zu sein, Stabilisatoren und Ausgleicher. Viele Mädchen scheinen während dieser schwierigen Zeit mehr Vertrauen zu Pferden zu haben als zu irgend jemand anderem. Pferde scheinen die Mädchen sicher durch diese schwierige Zeit zu begleiten, weil sie Disziplin erfordern und Zuneigung. So viel aus meiner Küchenpsychologie.

Es gibt Äonen von Filmen, die diese These bestätigen. Jetzt ist es Irland. Eine holländisch-irisch-deutsche Koproduktion (wobei der deutsche Beitrag vor allem in Geld und Special Effects bestanden haben dürfte) von Lisa Mulcahy, die mit Nadadja Kemper + 1 auch das Drehbuch geschrieben hat. Mickey (in der deutschen Routine-Synchronisation anfänglich als Nicki zu verstehen) hat nicht nur die Pubertät zu bewältigen.

Mickey muss mit dem Umzug ihrer Mutter und dem kleineren Bruder von New York aufs irische Land zurecht kommen, das ist einer merkwürdigen Erbschaft geschuldet, die sie in den Besitz des Gesindehauses eines Schloss bringt.

Mickey muss mit den Folgen der Verletzungen eines Sturzes beim Reiten am Strand leben, ein Bein hat sie in einer Schiene; sie wollte mit dem Pferd, damit fängt der Film an, über ein Boot am Strand springen.

Mickey muss weiter damit zurecht kommen, dass ihr Vater seit vier Jahren verschwunden ist und die Mutter sie über die Gründe im Unklaren lässt.

Schließlich kommt Mickey auch noch einer kriminellen Erbschleicherei auf dem irischen Schloss auf die Spur und ein Amulett ist ihr von dieser Frau, die den Besitz und nicht den Mann möchte, geklaut worden. Das ist noch nicht alles in dieser mit Problemen geradezu zugewucherten Adoleszenz.

Auf dem Schloss liegt seit Jahrhunderten ein Fluch, eine Geschichte von 7 Kindern und 7 Pferden; auch den will Mickey lösen. Dann sind auch noch die weißen Pferde, die zum Gut gehören, in Gefahr, die neue, kriminelle Schlossherrin will sie umbringen lassen.

Alle diese Herausforderungen meistert Mickey wie selbstverständlich, auch mit Hilfe des Schimmels Silver – und: unter tatkräftigem Einsatz der filmischen Mittel, die Lisa Mulcahy robust auffährt, vom dickem Griff in orchestrale Untermalung und Überhöhung über den gutgelaunten Einsatz der Kamera mit Fahrten und Positionen (man hört die Kamera förmlich jubilieren, sie könne hier Kinobilder nach Gusto und ohne diese blöde Rücksichtnahme auf Erzählung und Schnitt machen) bis zum Einsatz der technischen Bildnachbearbeitung. Im Film selbst kommen noch Tusch- oder Kohlezeichnungen zum Einsatz, die zur Illustration der Geschichte vom Fluch dienen.

Die kleine graue Wolke

Kein Film für Hypochonder, denn Multiple Sklerose, um die es hier geht, scheint durchaus auch mit Einstellungen und Einbildungen zu tun zu haben: wer fühlt nicht mal ein Kribbeln in der Hand, wer macht nicht mal einen Fehltritt, wer ermüdet nicht plötzlich, alles mögliche Symptome, wenn auch keine hinreichenden, für die rätselhafte, unsichtbare Krankheit mit dem Namen Multiple Sklerose.

Die Filmemacherin Sabine Volgmann erhält als Studentin diese von der Schulmedizin einem Verdikt gleichkommende, verheerende Diagnose, gegen die diese selbe Schulmedizin noch keinerlei Heilmittel gefunden hat, nur Mittel, die den Verlauf der Krankheit hinauszögern können mit oft gravierenden Nebenwirkungen.

Sabine Volgmann ist noch Studentin, wie sie die Diagnose erhält. Der Arzt spricht von einer kleinen grauen Wolke am Horizont. Für sie wird diese aber schnell zum grässlichen Gewitter. Sie will sich nicht abfinden mit der Irreversibilität der Diagnose. Sie fängt ein filmisches, persönliches Tagebuch an, das zuerst in träumerischen Impressionen die Intaktheit und Unbeschwertheit und Leichtigkeit der Bewegung und des Seins ausmalt.

Dann wird ihr Gesichtsausdruck ernster, ein Mensch der sich einem solchen Abgrund gegenübersieht, wird gezwungenermaßen ernsthafter; sie wird aber auch ihr Leben intensiver spüren und sinnvoller angehen. Auch mit diesem Film, der nicht unbedingt ein Votum für die Schulmedizin abgibt, wobei Volgmann es vermeidet, sich auf so eine Auseinandersetzung einzulassen, aber die buddhistische Akkupunktur einerseits und eine Frau aus einer Betroffenen-Gruppe andererseits zeigen Mittel auf, wie ganz ohne Schulmedizin Erleichterung gefunden, ja sogar Beweglichkeit zurückerobert werden kann.

Eine merkwürdige Feststellung trifft sie auch mit einer anderen Frau: dass es offenbar bei den weiblichen Betroffenen vor allem Frauen seien, die besonders agil im Leben gestanden haben, die nach Perfektion strebten und immer sich für andere aufgeopfert haben; eine interessante Feststellung zumindest; ähnlich klingt der Buddhist, der von Krankheiten redet, die durch bestimmte Gewohnheiten erzeugt werden.

Das andere große Problem mit so einer Krankheit, vielleicht gerade wegen ihrer Unsichtbarkeit, wegen des Urteils, das die Schulmedizin mittels ihrer ausspricht und auch wegen ihrer Schubhaftigkeit, ist die Reaktion von Familie, Berufswelt, Nachbarschaft. Das scheint die größere Schwierigkeit zu sein, dass die Umgebung sich schwer tut mit dieser Krankheit; weshalb es oft ratsam scheint, die Betroffenheit nicht groß rauszuhängen.

Sabine Volgmann hat sich auf die Suche nach anderen Betroffenen gemacht und dabei viele Einsichten gewonnen. Das Motto, aus eigener Kraft raus und nicht sich auf jemand anderen verlassen. Nicht die Verantwortung für den eigenen Körper anderen abgeben. Das Aushalten des eigenen Verfalls.

Anrührend ist das Ehepaar Silke und Peter, das zusammenlebt; wobei sie nur mit Mühe seinen Rollstuhl schiebt, ihn mit einer speziellen Vorrichtung mechanisch auf das Sofa setzen kann; er ist geistig fit, sie mehr körperlich, er ist praktisch bis auf den Kopf gelähmt, lässt aber den Mut nicht sausen; so schnell mal auf einen Kaffee über die Gasse, das geht bei den Einschränkungen gar nicht. So sind denn auch die Freunde aus dem Leben der beiden verschwunden. Sie müssen alles planen.

Das Thema der Selbstbeinflussung. Unsere Filmemacherin glaubt daran.
Die merkwürdigen Tests der Schulmedizin (und findet doch nichts); es heißt an einer Stelle, das eigene Immunsystem würde die Nerven angreifen.
Die Krankheit der 1000 Gesichter und der 1000 Geschichten. Das ist eine davon, bescheidet sich die Filmemacherin.