Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern

Projekt: Wie kann ich aus einem heißen Thema einen provokanten Film machen, zum Thema „Behinderte und Liebe“, scheint sich Regisseurin Stina Werenfels, die mit Boris Treyer auch das Buch geschrieben hat, gefragt zu haben.

Der Titel deutet auf die These hin, die der Film vertreten will, dass nicht die Behinderten behindert seien, sondern, zumindestens in sexuellen Dingen, die Eltern neurotisch. Klare Schuldzuweisung. Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft die ihn ablehnt, abgewandelt. Damit konnte man vor Jahrzehnten noch Aufregung verursachen.

Das Thema wurde vor kurzem von der Kanadierin Louise Archambault charmant und anrührend behandelt. Bei Archambault war präzise definiert, woran die Hauptfigur leidet. Hier bei dieser schweizerisch-deutschen Koproduktion ist das nicht der Fall.

Die Hauptfigur Dora ist volljährig und gilt als mündig. Sie schneidet viele Grimassen, macht Verrenkungen mit den Gliedmaßen und den Händen und tut sich schwer mit dem Sprechen. Sie kann sich aber durchaus artikulieren oder am Marktstand Äpfel verkaufen. Ob sie ein selbstständiges Leben führen kann, das ist aus dem Film nicht zu erfahren. Wie es denn sowieso scheint, dass die Szenen einzig zur Bekräftigung der These des Filmes dienen, ein typischer Themenfilm und fürs Fernsehen geeignet, aber nicht dazu, eine Geschichte zu erzählen.

So wird in der dreckigen Wäsche gewühlt, auf dem Klo gesessen, gefickt, gekocht, gefrühstückt oder als Ausdruck des Glücks einmal ein Ausflug im offenen Cabriolet mit Glücksäußerungen und Sausekamera gezeigt, es werden Zähne geputzt, es kommt auf der öffentlichen Behindertentoilette zum Geschlechtsverkehr zwischen Lars Eidinger und Dora.

Die Figur Eidinger ist vom Drehbuch her nicht weiter studiert. Deshalb verwundert es, wieso er sich auf eine Beziehung zu Dora einlässt. Die Unklarheit der Rolle übertüncht Eidinger geschickt mit verschlossenem Gesichtsausdruck. Soll der Zuschauer hinter sein Geheimnis kommen.

Die Eltern von Dora müssen die Verstörten sein, die damit nicht umgehen können, dass Dora schwanger wird. Auch ihr Verhalten scheint weiter nicht durchdacht vom Buch her. Der Papa muss für eine Phase des Filmes in Zürich sein, damit er von einer Aussichtsterrasse Handygespräche nach Berlin führen kann, vermutlich aus dem einzigen Grund, weil auch in der Schweiz ein paar Fränkli Fördergeld locker gemacht wurden. So schamlos wurde das selten in einem Film ausgestellt; Stinkefinger an die Schweizer Förderer.

Es ist alles kopfig. Der Zuschauer wird wie ein dummer Schuljunge mit Situationen konfrontiert, dass der Freund von Lars mit diesem und Dora einen flotten Dreier ausprobieren möchte, er wird damit konfrontiert, dass man kaum etwas erfährt über die Eltern von Dora und auch nicht kapiert, warum sie ausgerechnet Süßigkeiten für Burlesk-Parties herstellen; das wirkt so, als wolle die Filmemacherin zeigen, wie aufgeschlossen sie dem Obszönen gegenüber sei und wie kühn sie dieses inszeniere (was überhaupt nicht der Falle ist, es wirkt eher bemüht); vom Vater war einmal die Rede, dass er Privatdozent für Wirtschaftsprüfung ist. Auch das Verhältnis von Eidinger zu den Eltern der von ihm geschwängerten Dora bleibt nebulös. Alles zu dünne Informationen, um einen Geschichtsfaden daraus zu spinnen. So wirken die Situationen gewollt und themenorientert zusammengebastelt.

Es gibt fette Produktwerbung im Film. BMW ist deutlich zu lesen, Air Berlin und das Pharmazeutikium Vigorin; das wird in einem Apothekenschaufenster richtiggehend als Werbung präsentiert von Lars Eidinger; hoffentlich hat er sich das entsprechend honorieren lassen. Vigorin, gut für die Schwängerung von Behinderten. Die Firmen sollten sich genauer überlegen, in welchem Zusammenhang sie ihre Produkte präsentieren.

Die ersten Sequenzen wirken stylish. Schön, wie es anfängt, wie delirial auf unzusammenhängende Details fokussiert, seifenblasenhaft; Subjektive einer Verwirrten, Gestörten. Aber wie klar wird, dass es hier nur um die Konfrontation des Publikums mit Thesen geht und nicht um eine anrührende Geschichte, desto mehr verliert dieser Effekt seinen Reiz. Stellenweise erinnert der Film an jene merkwürdigen Aufklärungsfilme aus dem Amerika der 50-Jahre. Dieser Film fällt mehr mit seiner Provokationsintention durch seine Themenphilosophie denn durch seine Kinophilosophie oder -könnerschaft auf.

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