Ausstellung: „Die Olympischen Spiele – Hinter dem Bildschirm“

Zur Eröffnung der Ausstellung Die Olympischen Spiele: Hinter dem Bildschirm (19.2.2015 – 26.1.2016) lud das Olympische Museum vor einigen Wochen nach Lausanne. Dort stellte man uns Journalisten nicht nur die Ausstellung selbst vor, sondern insbesondere auch die gewaltige Anstrengung, die diese erst ermöglichten.

Das Olympische Feuer brennt ständig. Im Hintergrund das Olympische Museum Lausanne.
Das Olympische Feuer brennt ständig. Im Hintergrund das Olympische Museum Lausanne.

Schwerpunkt der Ausstellung ist das Broadcasting, also die Berichterstattung über die Spiele im Verlauf der letzten 100 Jahre. Wer nicht zu den Spielen anreisen konnte, konnte schon in der Urzeit des Kinos Filmausschnitte in den Wochenschauen im Kino sehen oder Radio hören. Später wurde mit TV-Liveübertragungen begonnen – zu einer Zeit, als man die Anzahl der Fernsehgeräte quasi noch an einer Hand abzählen konnte – und schließlich gelangte man zu der ausgefeilten, aufwendigen Berichterstattung, die wir heute kennen.

Nimmt man die Organisation, die hinter der heutigen Berichterstattung steht, unter die Lupe, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist eine eigene olympische Leistung, hunderte von Kameraleuten und tausende von weiteren Mitarbeitern, vom untersten Assistenten bis zum obersten kreativ Verantwortlichen unter einen Hut zu bringen. Alles folgt einer kreativen Direktive, hat eine spezifische Bildsprache, einen eigenen Schnitt – als wenn 50 Regisseure mit 600 Kameramännern einen Film drehen, und es soll keinen Stilbruch geben. Eine herkulische Aufgabe.

Das IOC hat vor zwanzig Jahren damit begonnen, sämtliche Fotos, Filme und TV-Aufzeichnungen aller vergangenen olympischen Spiele zu sammeln, zu archivieren und zu restaurieren. Der Aufwand ist gigantisch: Nicht nur offizielles Material wird archiviert, sondern auch das von Privatleuten: Jedermann kann seine eigenen Aufzeichnungen und Fotos von Spielen, die er besucht hat, zur Digitalisierung einschicken.

Entstanden ist ein riesiges Archiv historischer Sportaufnahmen aller Art. Da man im allgemeinen nur die beeindruckendsten Momente und die großen Siege gezeigt bekommt, ist es umso beeindruckender, auch das übrige Material sehen zu können: Schmerz, Enttäuschung, Unfälle, die besonders enttäuschenden vierten Plätze, Freude daran, so eine Anstrengung überhaupt geschafft zu haben, Erleichterung, generell emotionale Ausnahmezustände und natürlich jede Menge Material davon, wie alles ganz normal läuft. Also die Dokumentation der Spiele aus vergangenen Zeiten und ihrer Umgebung.

Doch dem ist nicht genug: Zu jeden olympischen Spielen wird ein Filmemacher ausgewählt und damit beauftragt, einen offiziellen (Kino)film über die Spiele zu drehen. Der Hintergedanke hierzu war früher, dass man auf diese Weise den Menschen mehr als nur die Nachrichtenmomente nahebringen kann. Und da es „Live“ noch nicht gab, gingen die Leute natürlich einfach nach den Spielen ins Kino.

Großmutters Wohnzimmer im 50er-Chic am Eingang der Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wo die Liveberichterstattung erstmals massentauglich wurde.
Großmutters Wohnzimmer im 50er-Chic am Eingang der Ausstellung zeigt eindrucksvoll, wo die Liveberichterstattung erstmals massentauglich wurde.

Die zunehmende Verwöhntheit, alles immer sofort und auf Abruf zur Verfügung gestellt zu bekommen, setzt die Filmemacher unter Druck. Hitler und Goebbels dachten damals an ein paar Wochen für den Schnitt, Leni Riefenstahl dahgingegen hatte zwei Jahre für eine ordentliche Arbeit im Sinn. Kein Wunder: Allein die erste Sichtung allen Materials nahm Monate in Anspruch. Man kann sich gut vorstellen, wieviel mehr Material heute bei den Spielen entsteht.

Besonders beeindruckend ist die Erkenntnis, wie sehr Leni Riefenstahls Stil die filmische Berichterstattung über Sportereignisse noch heute beeinflusst. Sah man auf uralten Filmszenen vom Anfang des letzten Jahrhunderts zum Beispiel noch die Langläufer von der Zuschauertribüne aus die Ziellinie überqueren, so setzte Riefenstahl die Kamera auf Hüfthöhe direkt an die Ziellinie. Diese Entscheidung (und viele andere wie sie) rückte den Zuschauer mitten ins Geschehen, brachte ihm eine völlig neue, ästhetische Perspektive auf den Sport und erhöhte die Dramatik der Sache um ein Vielfaches.

So absurd es einem erscheinen mag, so einen Olympia-Film Monate nach dem Ende der Spiele anzusehen, so erstaunt wird man sein, wenn man sich diese Zeit tatsächlich einmal nimmt. Nirgendwo sonst gibt es Emotionen so ungefiltert zu sehen wie bei Olympioniken, die der Erfüllung ihres Lebenstraumes nahe sind.

Besonders beeindruckend, und dies sei als persönliche Anmerkung des Autors zu verstehen, ist das völlig eigene Universum von Dramaturgie und Bildsprache, das sich innerhalb des Genres Sport entwickelt hat. Da der Cineast sich üblicherweise nicht oder kaum mit diesem Genre auseinandersetzt, und sich den klassischen Genres des meist inszenierten Schauspiels widmet, läuft er Gefahr, etwas Gewaltiges zu verpassen: Echte, wirkliche Dramen und Emotionen auf der großen Leinwand – oder nur dem heimischen TV. Dieser Autor wird Sportberichterstattung von nun an mit völlig anderen Augen wahrnehmen.

Originalkostüme und eine von hunderten von Trommeln der Sommerspiele 2008 vor einer der bewegenden Videoinstallationen.
Originalkostüme und eine von hunderten von Trommeln der Sommerspiele 2008 vor einer der bewegenden Videoinstallationen.

Die Ausstellung im Olympischen Museum Lausanne (Schweiz) nimmt, zusammen mit der regulären Ausstellung, mehrere Stockwerke in Anspruch und ist in drei Teile bzw. sieben Abschnitte gegliedert. In der Broschüre ist mehr zu erfahren, besonders empfehlenswert ist jedoch die großartige interaktive Ausstellung: Sie enthält jede Menge Beispiele rund um das Thema Broadcasting the Games, so auch restauriertes Filmmaterial bis zurück nach 1904 (St. Louis, USA). Doch nur vor Ort kann man all die Gerätschaften sehen, die so eine Übertragung erst möglich machen, von der Kamera, die neben den Wasserspringern in die Tiefe rauscht, über die komplette, mehrere Meter breiten Regiepult-Simulation bis hin zur Rundum-Videokomposition, in der die Aufnahmen zusammenlaufen und einem das Erleben der Spiele erst so richtig nahe bringen.

Das Museum liegt wunderschön am Nordufer des Genfer Sees (Google Maps). Bei gutem Wetter kann man nach Frankreich hinüberblicken, genau genommen nach Evian, dem Evian. Vom ein paar hundert Meter westlich gelegenen Hafen von Ouchy kann man mit dem Schiff auch hinüberfahren. Die Anreise ist denkbar einfach, denn vom Hauptbahnhof Lausanne (zu dem es unter anderem eine direkte Zugverbindung vom Flughafen in Genf gibt), führt die derzeit steilste U-Bahn der Welt (M2) direkt bis zur Seepromenade hinunter. Zu sehen gibt es in Lausanne und generell der Schweiz natürlich noch viel mehr. Aber wer zum Beispiel auf der Durchreise ist, dem sei ein Stop und ein Besuch dieser Ausstellung hiermit dringend ans Herz gelegt.

Am 30. und 31. Mai gibt es ein Event-Wochenende um die Ausstellung.

(Für Kollegen: Pressebereich, Press Kit)