Cobain – Montage of Heck

Auf dem heißen Spannungsbogen zwischen intimer Privatheit und Öffentlichkeit bewegt sich bewegende Kunst. Das private Glück, Unglück, die Einsamkeit des Sängers, der sich den Massen mitteilt, die sich vor den Rockbands in Arenen versammeln, das dürfte der Balanceakt von Kurt Cobain gewesen sein, der sich schon mit 27 Jahren umgebracht hat, der diese Diskrepanz, die ihm durch seine Heroinabhängigkeit vielleicht noch drastischer bewusst geworden ist, offenbar nicht mehr ausgehalten hat.

Brett Morgan hat jetzt aus dem Nachlass von Cobain mit dem Einverständnis jener Nahestehenden, die bei seiner Beerdigung in vordester Linie standen und unter dem maßgeblichen, mögliche widersprüchlichen Interessen neutralisierenden OK seiner Tochter einen der sicher aufregendsten Dokumentarfilme der letzten Zeit mehr montiert als gedreht.

Denn den üblichen Interviewinput bei solchen posthumen Dokus über Berühmtheiten hat er auf den engsten privaten Kreis reduziert, Vater, Mutter, Freundin und Frau und dazu noch sparsam eingesetzt; er dient lediglich dazu, einige unerlässliche biographische Infos einzustreuen.

Vor allem aber hat Morgan das erreicht, was er in dem 12 minütigen Interview erläutert, das hinter dem rasend schnell vergehenden 135 Filmminuten für die kurzzeitige deutsche Kinoauswertung noch angehängt wird: er möchte dem Zuschauer wie in einem Vergnügungspark ein Modul „Cobain“ einrichten, indem dieser wie über ein Bullauge ins künstlerisch-emotionale Innenleben von Kurt Cobain eine rauschhafte Fahrt unternehmen kann.

Das Material, was Morgen vorgefunden und in der Art des Gefühls, das ein Rockkonzert erzeugen mag, zusammengeschnitten hat, besteht aus Zeichnungen, Tonbändern, Mixtapes, Notizen, privaten Homemovies vom Familienleben als kleiner Bub in Aberdeen bis hin zur Zeit, wo er und seine Frau drogenabhängige Eltern einer kleinen Tochter waren oder wie sie gemeinsam halbnackt im Bad die Morgentoilette machen und auch Konzertmitschnitte, das meiste Material wild mit Handkamera gedreht.

Im Gegensatz zum Film über die Scorpions Forever and a Day von Katja von Garnier bekommt der Zuschauer hier einen lebendigen Eindruck von der Künstlerpersönlichkeit, vom Menschen Kurt Cobain, der ein hyperaktiver Bub war, ein erwartetes Wunschkind, dessen erster großer Schmerz die Trennung seiner Eltern mit 8 Jahren war, ein Verlust, den er vermutlich nie ersetzen, sondern nur zu kompensieren versuchen konnte, mit der Musik, mit der Gründung einer eigenen Familie. Seine Bauchschmerzen, die er ständig hatte, wie er mit Heroin anfing. Wie die Band plötzlich ganz oben stand und er dabei die Einsamkeit nur noch stärker verspürte.

Brett Morgan lässt eine richtige Rauschwelt auf der Leinwand entstehen; so hat Hisko Hulsing aus Bildmaterial von Cobain Animationen gezaubert, Tagebuchtexte sind so animiert, dass sie auf der Leinwand erst entstehen, Zeichnungen von Cobain sind zu sehen, chromatographische Effekte, Plakate, Zeitschriftentexte, News, Interviews, Fotos, der Tanzaffe, poetische Rock- und Liebestexte, Artefakte. Illustrationen zur Gastroenteritis, animierte Marionettenzeichnungen und der Rollstuhlauftritt, wo er zu Beginn eines Konzertes das Umfallen mimt, um dann die Perücke abzunehmen und wieder richtig aufzudrehen. Das alles und viel mehr verwirbelt Brett Morgen zu einem wilden, ekstatischen Trip in die Innereien der Rockmusik und des Rockfeelings der Nullbock-Generation. Deren Ziel dann doch nur war, to build a home, was bei Cobain zu einem maßlosen Junkie-Lifestyle ausgeartet ist, vor lauter Angst, geordnete Verhältnisse könnten seine Kreativität gefährden.

In meinem Kopf ein Universum

Nach einer wahren Geschichte hat Maciej Pieprzyca diesen Film gedreht.
Mateus wurde mit einer zerebralen Bewegungsstörung geboren und galt über 20 Jahre lang als geistig behindert, weil er nicht sprechen kann. Selbständig fortbewegen konnte er sich nur über raupenhafte Bewegungen auf dem Rücken auf dem Boden liegend oder er musste im Rollstuhl geschoben werden oder mit den ganzen Kräften einer Begleitperson beim Gehen mehr getragen denn gestützt werden.

Mateus wächst mit Vater, Mutter, einer älteren Schwester und einem älteren Bruder auf. Sein großes Vorbild ist der Vater, den er für einen Zauberer hält, der sich ihm widmet und der allerlei handwerkliches Geschick zeigt. Der ihm Wahlsprüche fürs Leben mitgibt, wenn man was erreichen will, muss man gelegentlich mit der Faust auf den Tisch hauen.

Dass Mateus hellwach ist, beweisen die Voice-Over-Texte, die in der Ich-Person gesprochen werden. Der Zuschauer kann also erwarten, dass eines Tages die sprachliche Kommunikation zwischen Mateus und seiner Umwelt in Gang kommen wird, denn irgendwem muss er diese seine Eindrücke ja geschildert haben.

Was seine Lektionen sind, dafür gibt der Film schöne Beispiele, die Handwerkskiste seines Vaters ist eine Offenbarung genauso wie ein Geschenkpaket aus einem anderen Land, das eröffnet die Geographie oder wenn Mutter einer Kundin ein Kleid absteckt, so studiert Mateus wachen Auges die weibliche Anatomie oder er beobachtet genau das Leben seiner Nachbarn.

Am liebsten träumt Mateus von den Sternen. Deshalb schneidet der Filmemacher immer wieder das Sternenzelt zwischen verschiedene Kapitel dieses chronologischen Lebensberichtes, der am meisten erschüttert, wie Mateus nach einem Sturz der Mutter in eine Anstalt für Behinderte verbracht wird, wo er sich gar nicht wohl fühlt, wo er unqualifiziertem Personal ausgesetzt ist und das auch hellwach mitkriegt, die ihn im Liegen füttern, so dass er sich immer auf die Lippen beißt oder ihn sogar mit nach Hause nehmen in eine feine Familie, um dort mit ihm als Behinderten zu protzen und das Image des Schwarzen Schafes zu pflegen, ein schlimmer Missbrauch von Mateus.

Eines Tages kommt eine Sprachlehrerin in die Anstalt. Nicht für Mateus. Aber er kriegt alles mit, kann sich bemerkbar machen und wird schließlich „entdeckt“ von der Lehrerin Jola, was den Anfang seiner Möglichkeit zur sprachlichen Kommunikation bedeutet.

Ein Film aus einem tiefhumanem Geist heraus, ein cinéma humain, zu vergleichen am ehesten mit dem französischen Die Sprache des Herzens, wobei dieser polnische Film deutlich schmerzhafter, erschütternder ist, weil er viel Zeit darauf verwendet, die Unsensibiliät und Ignoranz zu zeigen, die die tumbe Umwelt dem scheinbar behindertem Mitmenschen gegenüber an den Tag legt, bloss weil er seinen Bewegungs- und Sprechapparat nicht beherrschen kann; weil der Zuschauer bald über seine Intelligenz Bescheid weiß, darüber, dass sein Gehirn „kein Gemüse“ sei und dabei in keiner Weise sich verständlich machen oder eingreifen kann. Ganz am Rande, vor allem um 1989 herum, spielt auch die politische Entwicklung Polens eine Rolle, der Weg weg von der Diktatur, die ersten freien Wahlen.

Wie Mateus durch den Zugang zur Kommunikation als Mensch Akzeptanz findet, das ist ergreifend.

The F-Word – von wegen nur gute Freunde!

Von der Diskrepanz zwischen dem Liebestraum vom Prinzen und der Liebesrealität.

Diskrepanzen prägen diese muntere, nicht perfektionistische, kanadisch-irische RomCom. Die Diskrepanz zwischen den Schmetterlingen im Bauch, die hier wunderschön zeichnerisch eingesetzt werden; das Bild der Zeichnerin Chantry, in die er sich verliebt, verwandelt sich in den Augen von Daniel Radcliffe als Wallace, in den Schmetterling, der im Kopf hrrumschwirrt, während Radcliffe das nicht mehr spielen muss.

Köstliche Diskrepanz auch zwischen dem Thema Liebe und dem dafür symbolischen Gegenstand, dem „Fools Gold“, das ist eine Art megagroßer Sandwich oder Calzone Calzone, aus einem Weißbrot, das dick mit Butter bestrichen und dann gebacken wird. Nachher wird das Weiche herausgenommen und ersetzt mit neuer, schwerer Füllung aus massig Erdnussbutter, Marmelade und gebratenem Bacon.

Fools Gold: Ein merkwürdiges Symbol für die Liebe, die das Thema im Film ist, nämlich die zwischen zwei Menschen, die eigentlich nur gute Freunde sein wollen. Chantry hat schon einen Freund, der ist ein trockener Mensch wie Wallace, der das Medizinstudium abgebrochen hat und jetzt Gebrauchsanleitungen für anspruchsvolle Computer schreibt. Ben, so heißt dieser Freund, arbeitet bei einem UN-Programm mit und soll für einige Zeit nach Irland, dem Koproduktionsland dieses von Michael Dowse aus lockerem Handgelenk inszenierten Filmes nach einem Drehbuch von Elan Mastai, der das Stück „Zahnpaste und Zigarren“ von T.J.Dawe und Michael Rinaldi zur Grundlage hatte.

Für Ben ist die Karriere wichtiger als die Beziehung. Trotzdem wollen Wallace und Chantry gute Freunde sein, wobei hier eine weitere Diskrepanz akut wird: theoretisch, denn leinwandpraktisch tut sich erotisch gar nichts zwischen dem begabten Radcliffe und der begabten Zoe Kazan. Insofern sind die gezeichneten Schmetterlinge hilfreich.

Ben wohnt mit dem Kumpel Allan zusammen, von Adam Driver mit zungengewandter Schnauze und dem entsprechenden Verhältnis zum Thema Liebe und Frauen charakterisiert. Außerdem ist er einen Kopf größer als Wallace. Dieser lernt Chantry kennen, Zoe Kazan, die Enkelin des weltberühmten Regisseurs hat Filmblut in den Adern und Charme dazu; bei Wallace löst sie sofort die Schmetterlingsfantasien aus.

Den Kanadiern geht es nicht primär um eine stringente Story. Sie lieben das Geplaudere, mal geistreich, mal zynisch, mal belangloser. Pausenlos wird geplaudert, wird über die Gefühle hinweggeplaudert. Wie ein munterer, ungestümer Bergbach blubbern und plappern und quirlen die Dialoge über Liebe, Sex und Beziehung pausenlos über die Leinwand. Wobei sich die deutsche Synchronisation ganz gut macht.

Fantasie ist eines und sie realisieren ist ein anderes, erst recht bei einem, der lieber um Schamhaare für ein Kissen bettelt als um Zuneigung. Dazu kann es schon knapp zweier Filmstunden bedürfen, denn es schwirren noch so viele andere hübsche Frauen herum.

Auch ein Hochzeitsfilm und einer, der Spaß am Unappettitlichem der Liebe hat, der beim Essen davon redet, dass Elvis, als er starb, noch 40 Pfund Unverdautes in seinem Darm gehabt habe, bon appetit! Ein Patchworkfilm, ein bunter Bildeteppich um die Liebe, die erfüllte, die ganz, ganz schmutzig sein kann, wie es heißt, und eben die unerfüllte. Der Traum von der „Braut des Prinzen“, auch so eine Diskrepanz, der Titel eines Kinofilmes, den beide unabhängig von einander anschauen.

Eine sympathische RomCom, die sich gerne im Detail aufhält, zum Beispiel die Nummer mit Ben, der beim Kochen Pepperoni ins Auge bekommt und deshalb aus dem Fenster fällt. Liebe und Anekdotisches köstlich verbunden, ein Sammelsurium von Liebesanekdotischem.

Dabei fallen auch immer wieder respektable Pointen und harte Wahrheiten ab, sofern der Kochtopf mit der Musik nicht gerade am Überlaufen ist.

Ungestüm ist vielleicht die Charakterisierung dieses Stückes, das nachschaut, ob die richtigen Leute zusammenfinden. Kanadische Frische paart sich hier mit irischem Eigensinn und mit Spötteleien über Europa als asiatischem Subkontinent. Die Hauptlocations sind Toronto und Dublin. Es käme aber auch Ostasien, Taiwan als Testdistanz für die wahre Liebe in Frage, die romantisch erträumte Liebe, die das Anbaggern und das Sicheingestehen sich nicht traut.

Wenn einer Medizin studiert, können Medizinerwitze abfallen: Obdachlose sind in diesem Fall Wartefleisch für angehende Ärzte zum Sichausprobieren. Dieses kanadische Kino ist solches nicht.

Winnetous Sohn

Wer nix kann, der kann immer noch Kindertheater oder Kinderfilm, das ist ein Satz, der sich einem bei diesem Film, der sich tatsächlich ins Kino traut, förmlich aufdrängt.

Das kann doch ein jeder, eine Story zusammenstiefen, es müssen Kinder vorkommen, am besten ein dicker Bub und ein dünner, schauspielerisch begabt müssen sie nicht sein. Dann eine Geschichte, die etwas mit Indianern und den Karl-May-Festspielen zu tun hat, und sofort fließen unbesehen die Gelder von ZDF und Kinderkanal und von wem sonst noch immer, wo vertrocknete, verhirnte Funktionäre sitzen, die sich wie die Maden im Speck vom Filmsubventionsland breit machen.

Denn wichtiger als der Film selber sind die Begleitschreiben, die Exposés, die dem Drehbuch beiliegen, wie pädagogisch wertvoll der Quatsch doch sei, den man hier verbrate, wie förderlich für die Kinder und wie fantasieanregend und wie Indianer zur hiesigen Kinderkultur gehören. Dazu kann man André Erkau als Regisseur verpflichten (der hat schon mit Das Leben ist nichts für Feiglinge Pech gehabt).

Hier entsteht der Eindruck, dass zum einen das Buch mit wenig Ahnung vom Kinoerzählen angefertigt ist (Thomas Brix, Anja Kömmerling), ebenso die Besetzung zusammengestellt und dass aus diesen schlechten Voraussetzungen auch Erkau die Darsteller mehr zu als auf, mehr steif als glaubwürdig macht. Sprechen tun die Darsteller immerhin versuchsweise wenig übertrieben.

Mit einem Kaltstart steigt der Film bei einer Probe der Indianerspiele ein. Es passiert ein Unfall. Der Bub, der den jungen Winnetou spielt, muss ersetzt werden. Die unorganische Figur des Generals und Regisseurs versucht Uwe Ochsenknecht zu spielen, bös und humorlos bringt er die Moral in den Film, dass das Ergattern der Rolle den Buben in eine andere Welt katapultieren würde, „der Tag, der Euer Leben für immer verändern wird“. Aus den Niederungen der Alltäglichkeit hinaus in eine bessere Sphäre, die laut Moral von ZDF und Kinderkanal erstrebenswert ist.

Der Film fängt nicht mit seinen Protagonisten an, sondern mit der konfusen Probenszene mit Unfall. Dann erst wird der dicke Bub von Mama zu Elvis Ranch gebracht, einem Sommercamp im Indianerambiente. Langweiliger kann man eine Hauptfigur wohl kaum einführen unter unverzeihlichem Verzicht auf eine Charakterisierung.

Später kommt der dünne Bub dazu. Es gibt eine böse Bemerkung. Dafür wird der dünne Bub sich mit Verzögerung entschuldigen und den dicken Bub für das Casting für die Kinderrolle trainieren. Auch davon wird es einige Szenen geben.

Ab und an haben die Autoren Indianerweisheiten in den Kindermund gelegt. Das kann man aus Nachschlagewerken abkupfern. Pädagogisch wertvoll fanden die fördernden Redakteure sicher auch, dass die Eltern des dicken Buben nicht zusammenleben. Scheidungskinder, ein Zeitproblem. Kinderkino am Puls der Zeit.

Es kommen ad hoc Heldentaten vor. Der dicke Junge wird die Pferde, die ausbrechen, schlecht inszeniert aufhalten. Das wird ihm beim Vorsprechen zugute kommen.

Der Film soll den Kindern zeigen, dass sie Mut brauchen. Dick aufgetragene Moral. Dass sie gscheite, moralinfreie, nicht-didaktisch-aufbereitete Filme schauen sollen, das sagt ihnen niemand. Denn dann wäre das bequeme Geschäftsmodell dieser Macher im Eimer.

Schmerz führt zur Weisheit, heißt es an einer Stelle. Ob der Schmerz über einen so unbedarften Film bei den Machern und Förderern zu Erkenntnis führt, dass sie so ihren öffentlichen Auftrag nur unbefriedigend erfüllen, darf bezweifelt werden. Das Dauergitarrengeklimpere kann nicht darüber hinwegtäuschen. Krackelige Kinoschrift ohne jede Schnittgeschmeidigkeit oder Ahnung von Montage. Der Film verführt zu dem Satz: Wer nix wird, wird Wirt – oder ZDF- und Kinderkanal-Kinderfilmemacher.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Halbe Brüder

Deutsche Komödie, die unter ihrer unerträglichen Plotlast zusammenbricht.

Nach den gefühlt zwei Stunden Spieldauer und nachdem man sich endlich etwas für den Film erwärmt, tut es einem unendlich leid, dass die Darsteller und Regisseur Christian Alvart so ein kompliziertes Drehbuch von Doron Wisotzky (Schlussmacher, What a Man) und Michael Ostrowski als Basis ihrer Filmarbeit hatten.

So übel sind die Typen ja nicht, abgesehen von den Besetzungen der Frauen, die unter Schauspielerei zu vestehen scheinen, Weibchen mimen. Die drei halben Brüder könnten ein unterhaltsames Trio abgeben, könnten einen auf einen Road-Movie Trip auf der Suche nach dem gemeinsamen Vater wunderbar unterhalten. Aber das war dem Autoren-Duo zu wenig. Sie wollten mehr.

Wie schon bei 3 Türken und 1 Baby ist der Plot heillos überladen, wird dadurch verwirrend, schwierig zu spielen. Zuerst wird Yasin vorgestellt, der ein Familienvater und ein Spieler dazu ist. Das wäre schon ausreichend Stoff für einen ganzen Film, siehe amerikanische Spielerfilme wie The Gambler oder Wild Card. (Die Deutschen wollen doch immer mit dem Amis gleichziehen. Warum kommen sie nicht endlich auf die Idee, einmal ein paar Drehbücher der Amis ganz genau zu studieren?).

Ein spielfilmfüllender Spieler allein reicht bei uns nicht aus. Der muss nicht nur klischeehaft Schulden haben bei einem Untergrundganoven, ebenfalls klischeehaft im U-Bahnbereich untergründig untergebracht, ok, solche Imitationen mögen angehen, nein, der muss auch noch zum Notar bestellt werden, um zu erfahren, dass er zwei Halbbrüder hat und dass ihre Mutter, das hats wirklich gebraucht für die deutsche Belustigung, eine Nonne war und dass sie ein Erbe hinterlassen hat. Allein das wäre schon Stoff für einen weiteren abendfüllenden Spielfilm.

Dann kommt der zweite der Brüder, der ist der Sohn von einem Geschäftsmann – Michael Mendl versucht einen Patriarchen zu karikieren, weil ja Komödie angesagt ist -, lässt sich enterben und ist dazu noch nierenkrank, braucht also die Dialyse; nur ist bei so viel Stoff keine Zeit, so ein Thema glaubwürdig und verbindlich darzustellen; so ist der der Input dieser Dialyse in den Film einzig der, dass der Darsteller am Schluss endlich im Bett liegt, aber was er da macht und was eine Dialyse ist, darauf wird kein Wert gelegt. Die Dialyse dient einzig dem dritten der Brüder, der als der Rapper Sido himself gut für einen weiteren abendfüllenden Musicvideoclip wäre, dazu, sich ständig im Wort Dialyse zu verheddern – wat haben wir jelacht.

Bei so enormer Plotüberfrachtung wundert es weiter nicht, dass die Handlung nur schwer in Gang kommt; weil eben nichts sorgfältig – dabei ist egal, ob Comedy, Drama, Lustspiel, RomCom – exponiert und in den Film eingebracht wird.

Erschwerend kommen hinzu die erbärmlich schwachen Dialoge mit einem Humorniveau auf dünnstem Eis, sowie die Fernsehinszenierung von Christian Alvart, die auf das Kinospezifische an Komödie, was hier Kino könnte, verzichtet.

Auch hier wäre das Umsonst dieses ganzen Aufwandes mit beachtlichem Talenteinsatz zu vermeiden gewesen, wenn die Geldgeber, das sind vor allem Förderer und TV-Redakteure, Ahnung vom Drehbuchlesen hätten. Haben sie offenbar nicht. So kommt eine weitere Verschwendung öffentlicher Gelder und von Rundfunkzwangsgeldern zustande. Schade. Schade. Schade. Wir gerne hätten wir gelacht; stattdessen: rote Karte des Zwangsgebührenentrichters.

Weil das alles nicht genug ist, muss auch noch eine unausgegorene Referenz an den französischen Film Paulette her. Der Musikscore versucht die eklatanten Drehbuch- und Inszenierungsschwächen zu übertönen.

Ein Beispiel für den Pfusch am Kino, der hier betreiben wird, ist die Szene mit der Statue auf freiem Feld auf Fehrman. Die halben Brüder vermuten, dass darunter das Erbe vergraben sei. Allein darauf muss man erst mal kommen. Das muss hergeleitet werden. Die vermuten das, weil es im Drehbuch steht. Es ergibt sich also das Problem, wie an den Schatz gelangen. Dazu muss die Statue entfernt werden. Wie dieses Problem lösen? Das sind Vorgänge, die ganz genau erarbeitet werden müssen, wenn sie im Kino wirkungsvoll entfaltet werden sollen. Eine große Chance fürs Kino sogar, die Wechselwirkung des praktischen Problems und der verschiedenen Charaktere mit ihren Lösungsvorschlägen. Da kann viel über die Menschen sichtbar werden. Ein jeder handelt in so einer Situation anders. Daraus ergeben sich Konflikte und Spannung und auch Situationskomik. Hier aber wird über die Widerborstigkeit der Realität hinweggeflunkert, so dass das Wort Kino beleidigt sein müsste. In „irgend“ einem Fernseh-Realismus-Gehabe, wo keiner sich was denkt dabei und also nicht als handelnde Person erkennbar wird, kippen sie die Statue; Hauptsache Drehpensum erreicht. Pfusch am Kino. So ein Film verdient kein Kinogeld. Spricht dafür; dass auch dieser Film ein typisches Pfründenprodukt ist; ein Subventionsnuckelprodukt. Jeder drückt ein Auge zu, weil es eh nur ums Geld geht. So wird das Produkt halbblind. Und die blinde Kuh, die will im Kino keiner sehen.

Die neue Wildnis

Survival of the Fittest, Wildnis, ist das titelgebende Thema dieses Filmes des Holländers Mark Verkerk.

Das Neue an dieser Wildnis ist, dass sie noch sehr jung ist und mitten in Europa im zivilisierten und kultivierten Holland in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Sie heißt Oostvaardersplassen und entstand auf einem Stück Landgewinnung. Hier wollten die Holländer Industrien ansiedeln. Stattdessen entstand diese neue Wildnis, die in 93 Minuten über alle vier Jahreszeiten eindrücklich und spannend potraitiert wird.

Am härtesten ist der Überlebenskampf im Winter. Es gibt Tiere, die nicht mithalten können, die sondern sich von ihrer Herde ab und legen sich in eine Kuhle zum Sterben. Die Landschaft besteht aus Wasser, Sümpfen, Grasland, Buschland. Sie beherbergt die größte Herde von wilden Konikpferden, die für aufregende Filmaufnahmen und auch Einblicke in ihre Sozialstruktur gut sind. Mit diesen Pferden unabdingbervunden ist der kleine Kreislauf an Lebenssymbiosen, der sich um deren Dung bildet, wie dieser sowieso für die soziale Kommunikation unter den Pferden von enormer Bedeutung ist.

Survival of the fittest auch unter den Pferden. Eine kleine Story ist die Geschichte des schwarzen Stutenfohlens, das von Anfang an schwächer ist als sein Bruder, das sich im Sommer nicht genügend Fett anfrisst und im Winter mit dem Leben dafür bezahlt. Aber das vielfältige Biotop dieser Wildnis deckt mit solchem Aas wieder den Tisch von anderem Getier, von Füchsen, Raben und Gewürm.

Die Kamera sieht im Flachland auch die großartigen Gelände- und Himmelsbilder, lässt das Wetter gelegentlich im Zeitraffer ablaufen. Vor einem Gewitter sind alle Tiere irritiert. Die Kamera geht, das ist technisch kein Problem mehr, sehr nah an die Tiere ran, dass man meint, ihren Atem zu verspüren.

Es kommen Vogelschwärme vor, die grandiose Zeichnungen am Himmel ausführen. Es gibt riesige Hirschherden. Ein einziges Mal sieht man zwei Menschen, die über Eis laufen als Schatten, sonst nicht ein Zeichen von Zivilisation, nicht mal Flugzeuge sind zu hören, die doch 30 Kilometer von Amsterdam entfernt bestimmt vernehmlich donnern. Vielleicht will uns der Film in dieser Beziehung mehr Zivilisationsenfremde glauben machen als wirklich da ist.

Es gibt Eisvögel, Graugänse, Frühlingsseidenbienen, Erdhummeln, Biber, die Nachtigall, Rohrdrommeln, Schilfrohrsinger, Silberreiher, Dungfliegen, Stieglitze, Fliegen, Kormorane, Kaulquappen, Wasserratten, Ameisen, Graugänse, Stabschwänze, Kohlweißlinge und undendlich viel anderes Getier, was da kreucht und fleucht.

Wohltuend an diesem Naturfilm ist, dass er sich auf ein einziges Biotop beschränkt und nicht dieses sensationsheischende Event-Hopping quer über den Globus betreibt. Ferner ist aufregend, dass diese Wildnis in unserer Zeit vor unseren Augen entstanden ist. Wobei mich schon interessieren würde, wie die Wildpferde dahin gekommen sind, und ob der Mensch da nicht mitgeholfen hat.

Die deutschen Texte von Hannes Jaenicke sind zumindest nicht allzu störend, wiewohl er sie mit recht spitzer Zunge serviert.

Eine Sinfonie der Natur, den Eindruck erweckt die musikalische Untermalung.

Ein Film ohne Krebs, ohne Alzheimer, ohne deutsche Förderung. Dafür mit trauernden Pferden.

Naturfilme trauen den Zuschauern immer zu wenig zu. Dieser allerdings unerscheidet sich von einer ganzen Reihe neuerer Naturfilme (zuletzt Afrika, das magische Königreich) dadurch, dass er erzählt, was Wildnis ist, was Überleben in der Wildnis bedeutet – und das mitten im hochzivlisierten, hochsubventionierten Europa. Es bedeutet: dass die Schwächeren nicht subventioniert werden, dass sie eine Weile mitgezogen werden, wie das schwarze Fohlen, aber dass sie dann würdig zugrunde gehen dürfen.

Das Kaninchen bin ich (ARD-alpha, Freitag, 10. April 2015, 20.15 Uhr)

Ein Defafilm von Kurz Maetzig nach dem Drehbuch von Manfred Bieler, der über die Seitensprunggeschichte eines Richters raffiniert die schleichende Veränderung des Sozialismus von der idealistischen Utopie zum sozialistischen Unrechtsstaat mit seismographischer Empfindlichkeit registriert („Gibt es ein Recht für 1960 und eines für 1970?“, fragt sich Maria).

Maria, die sich selber in den Voice-Over-Texten als das Kaninchen apostrophiert, ist Kellnerin. Sie ist jung, attraktiv, bei den Männern begehrt. Jeden Abend könnte sie mehrere von ihnen abschleppen. Die Anmache findet ganz direkt statt.

Aber das ist nicht das, was Maria aus ihrem Leben machen will. Denn sie ist begabt und hätte das Zeugs zum Studieren. Aus Sippenhaftgründen geht das nicht, da ihr Bruder als Staatsverräter in einem Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu drei Jahren Knast verurteilt worden ist.

Maria weiß nicht, was sich ihr Bruder hat zuschulden kommen lassen, sie fragt sich, ob denn die Funktionäre Alleininhaber der sozialistischen Idee seien („Der denkt auch, er macht seinen Sozialismus ganz alleene“). Sie kann ihren Bruder lediglich ab und an im Knast in Brandburg besuchen.

Ein Mann, der besonders hinter ihr her ist, das ein Herr Deister. Schnell checkt sie, dass das ausgerechnet der Richter ist, der ihren Bruder so hart verurteilt hat. Mit ihm fängt sie ein Verhältnis an, wohnt einen Sommer lang in dessen Datsche. Im Dorfkrug kann sie servieren. Am Wochenende kommt ihr Liebhaber aus Berlin.

Der Fall eines Randalierers und dessen milde Verurteilung ermöglichen nun intensive Diskussionen über das Rechtssystem und dessen subtile Wandlung in den letzten zehn Jahren. Das wiederum bringt Maria in ihrem endlosen Versuch, ein Gnadengesuch für ihren Bruder an Deister, den Richter und Liebhaber zu schreiben, vorwärts und spitzt die Dynamik zwischen Liebe und ideologischer Diskussion zu. Maria entwickelt Selbständigkeit auch in der heftigen Auseinandersetzung mit der Gattin von Deister. So dass sie am Ende des Filmes sich nicht mehr als das von einer hungrigen Schlange bedrohte oder das eingesperrte Kaninchen sieht sondern als alter Hase.

Der Film ist mit großer Dringlichkeit und Präzision hochspannend und auch heute noch ungemein präsent wirkend gemacht und herrlich angereichert mit Berliner Humorwürze; ein exzellentes Beispiel für die engagierte DDR-Filmkultur.