Verfehlung

Nach Fernseh-Kriterien ein sorgfältig und ernsthaft gearbeiter Film. Das Spielfilmdebüt von Gerd Schneider zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche und dessen Vertuschung.

Schneider selbst hat katholische Theologie studiert und sich bereits auf das Priesteramt vorbereitet, als er sich entschieden hat, die Filmakademie Baden-Württemberg zu besuchen. Für das Thema seines Filmes ist er von seinem Werdegang her prädestiniert. Für das Thema wohlverstanden. Und fürs Fernsehen.

Der Film soll aber ins Kino kommen. Und will da bestehen. Dazu reicht allerdings theologische Vorbildung nicht aus. Im Kino muss, egal welches Thema behandelt werden soll, eine packende Story her, damit das funktioniert, damit ein Thema unter die Haut geht, damit die Leute ins Kino und nicht vor Ende Vorstellung wieder rausgehen oder einschlafen.

Es ist die alte Krux beim deutschen Film. Dass er fürs Fernsehen gemacht wird. Dass eine Riesenscheu davor besteht, einen klaren Protagonisten zu definieren, mit dem der Zuschauer mitleiden und durch die Wirren des Problems geschüttelt werden kann. Auch Gerd Schneider konnte sich dafür nicht entscheiden. Er will sein Thema seminarhaft behandeln. So verteilt er die verschiedenen Argumente auf verschiedene Darsteller. Diese sollen daraus nachvollziehbare, vernünftige Schauspielerei machen. Eine nur mit Tricks und Technik zu meisternde Aufgabe.

Da krampfen sie sich ganz schön ab, allen voran Sebastian Blomberg, der am meisten das Manko der Durchdringung seiner Figur durch das Drehbuch empfindet und entsprechend mit Mimik und Sprache in vielen Szenen mit unnatürlichem Druck zu kompensieren versucht und inkludiert dahinein noch die Verzweiflung und das Entsetzen des Durchschnittszuschauers über Missbrauch. Denn er ist in keiner Weise angefochten. Er will ernsthaft Priester werden, ist allerdings für einen Nachwuchs vielleicht schon etwas alt und auch zu dick, man vergleiche den Cast in der französischen Fernsehserie mit den Priestern, Dein Wille geschehe; wie waren da die Priester sinnlich, erotisch, immer am Rande der Verführbarkeit, da war nachvollziehbar, dass Dinge passieren können, die nicht passieren dürfen, wenn Priester und Zöglinge physisch einander näher kommen.

Das fehlt hier völlig. Hier wird im Subtext nicht Erotik geliefert, hier heißt es im Subtext: Vorsicht, wir behandeln ein heißes Eisen. Der Freund von Jakob, Dominik besetzt mit Kai Schumann, ist auch ein gestandenes Mannsbild, dem man nicht mal das Feeling für Pädophilie zutrauen würde, auch in seiner Verhaltensart eine Fehlbesetzung, genau so wie der erste Jugendliche, den wir kennenlernen, der schon richtig erwachsen scheint.

Auch das Gespinst der katholischen Hierarchie, die die Geschichte vertuschen will, kommt lediglich verbal, nicht aber empirisch nachvollziehbar rüber; da müssten sich einem doch bei realistischer Darstellung, und so muss sie sein, die Nackenhaare sträuben. Nichts davon. Lediglich Schauspieler, die ihre Texte abliefern, aber auch nicht so, dass das als Methode erkennbar wäre (im günstigsten Fall als geschulte Sprecher).

Oder die Psychologin, sorry, das nimmt man ihr nicht ab, die Gefängnispsychologin, die arme Frau, was kann sie dafür, wenn ihre Rolle nicht besser geschrieben ist.

Lange vertuscht der Film auch, um was es wirklich geht. Ein Film mit einem unklaren Kern. Ein Film über Vertuschung, der selbst vertuscht. Alles gut gemeint. Aber es kommt nicht gut rüber.

Die Kamera steuert zur Misere Horrorfilmehrgeiz bei, in öffentlichen Räumen oft ganz tief stehend, dass die Figuren abstrakt, fremd, überlebensgroß, horroraffin wirken. In dem hier dargestellten unsinnlichen Milieu kann Missbrauch doch gar nicht gedeihen.

Auch die arme Mutter des ersten Missbrauchsfalles kann einem leid tun. Sie muss Wäsche in die Waschmaschine stopfen oder man ist, wie im guten deutschen Themenfilm mal wieder beim Essen ohne weiteren Storyzusammenhang. Oder Mutter kommt mit Post nach Hause, die aber für den Film keine Folge hat. Während Jakob im Supermarkt einkaufen darf, jede Menge Chipstüten. Wozu? Die kommen nie wieder vor (für das Catering beim Dreh?).

Blomberg auf Gelbsucht geschminkt.
Farbe: kirchlich-klerikales Blau-Grau.
Pfarrer, der häufig Scheiße sagt (vermutlich anekdotisch verbürgt; dürfte der Regisseur erlebt haben; wird für den außenstehenden Zuschauer von der Charakterisierung der Figur her nicht plausibilisiert).
Nicht Fisch, nicht Fleisch.
Film um eine verschwommene Tat.
Blomberg spielt Entsetzen.

Dogmatik statt Menschenwürde. Der Inhalt des Filmes verteidigt die Menschenwürde kontra Missbrauch. Die Form des Filmes ist dogmatisch. Er interessiert sich nur für seine These und nicht für die Figuren. Missbraucht insofern die Figuren und nimmt ihnen die Würde.

Finanziert von mehreren Fernsehsendern, SWR, arte, BR und Filmförderern dazu.

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