Der große Trip – Wild

Jean-Marc Vallée (Dallas Buyers Club), der Regisseur dieses Filmes, der ein Drehbuch von Nick Hornbey nach dem Originalbericht von Cheryl Strayed zur Vorlage hatte, wirft uns gleich zu Beginn mitten in diese Reise, in das Leben von Cheryl. Mit schwerem Rucksack stöhnt sie schon im Off und ächzt und setzt ihn auf den Boden. Sie befindet sich in bergig-steinig-steilem Gelände. Die Füße schmerzen, sie sind wund – später werden wir erfahren, dass die ungeübte Wanderin anfangs viel zu kleine Schuhe hatte. Reese Witherspoon, die Cheryl fabelhaft darstellt, kämpft mit einem blutunterlaufenen, halb abgegangenen, großen Zehennagel und reißt ihn weg. Ein Schuh kollert den Abhang hinunter. Die Szene ist ein Ausschnitt aus dieser Wanderung, die sie drei Monate lang über den PCT-Weg, den Pacific Crest Trail, entlang der US-Westküste von Südkalifornien führen wird.

Eine Frau auf einem fordernden Trip. Das gab es letztes Jahr mit Spuren von John Curran. Hier ging es vor allem um die kinematographisch aufregende Auswertung eines Abenteuers, Frau allein mit Kamel unterwegs durch die Wüste Australiens, was noch keiner gewagt hat. Auch bei Vallée und Hornbey ist eine Frau allein unterwegs. Aber sie will nicht primär sich selbst und ihrer Umwelt Durchsetzungskraft beweisen; sie will nicht ihren Mann stellen. Der Trip ist selbstreflektorisch intendiert. Sie will einen Überblick über ihr bisheriges, zum Teil recht verrottetes Leben, Vater- und Drogenprobleme, gewinnen. So bauen die Filmemacher den Film auch auf als einen Dauerquell eines Streams of Consciousness eines ganzen Lebens.

Der Trip selbst bleibt ein leichter, nicht allzu dokumentarischer Leitfaden für einen pausenlosen, nahrhaften Bilderfluß über die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit ihres bisherigen Lebens, eine Reflektion, die nebenbei auch klar macht, dass ein Leben ohne Reflektion doch zumindest fragwürdig, womöglich eindimensional bis vielleicht inexistent sein könnte.

Selbstverständlich gibt es Begegnungen. Vor allem bärig-freundliche Männer, selten ohne Hintergedanken. Der Weg ist ein organisierter Weg. Es gibt Wegmarken, es gibt Boxen mit Büchern für Einträge, man kann dort auch Poesie oder Dichtung hinterlassen. Es gibt kleine Hütten oder Kioske, wohin die Wanderer sich Pakete schicken lassen können. Es gibt Zuspruch und Erfahrungsaustausch – und Anmache. Und die Wanderin, eine Ausnahme bei diesem offenbar männlichen Sport, kann auch plötzlich eines nackten Mannes, der ein Bad in einem Fluß nimmt, ansichtig werden.

Diese Wanderung wird zu einem Abbild des Lebens, in das der Mensch ohne jede Erfahrung und Vorwarnung hineingeworfen wird. So jedenfalls beginnt Cheryl, die nach der Scheidung von ihrem Mann den Namen Strayed sich zugelegt hat, die Umherstreunende in etwa, wobei ich das doch eher als ein Umherstreunen in der eigenen Geschichte interpretieren würde, und die ihre Wanderung, mit viel zu viel Gepäck belastet beginnt, mit lauter überflüssigen Gegenständen, mit dem falschen Brennstoff für den Kocher, so dass sie die ersten Tage immer nur ungekochten Brei vertilgen muss, dazu die erwähnten ungeeigneten Schuhe. Eine Reise, die der Wanderin auch das Reisen beibringt.

Das Leben, das sie ins Bewusstsein rückt, ist bemerkenswert, wird real. Sie stellt sich durch das Revue-Passierenlassen ihrer Lebensstationen, oder wie sie sich von selbst ihr in Erinnerung rufen, ein Nachdenken dar über Grundfragen des Lebens, von Glück und Unglück, vom Beherrschen des eigenen Lebens, von individueller Gestaltung, ein transskribierter Lebensweg am formalen Gerüst eines Reiseberichtes. Ein großer innerer Monolg. Ihre Mutter zum Beispiel sagt an einer Stelle, dass sie sich nie am Steuer ihres Lebens befunden habe.

Es gibt humoristische Einlagen im Sinne einer strahlenden Menschenfreundlichkeit und wie ärmlich doch viele agieren. Cheryl will ein Stück Strasse als Tramperin bewältigen. Ein flotter Typ hält an. Er ist Journalist. Er recherchiert gerade über Hobos (diese nordamerkanischen Wanderarbeiter) und ist begeistert, einem weiblichen Hobo zu begegnen. Der Journalist kommt von seiner vorgefassten Meinung nicht los, schafft sein Interview mit der vermeintlichen Hobo nach seinem Gusto. Cheryl kommt nicht dazu, den Sachverhalt aufzuklären. Der Journalist düst von dannen.

Nicht Cheryls Rucksack ist schwer, der ist nur das Symbol für die eigene, schwere Geschichte, die sie auf dieser Reise mitschleppt – und nicht abwerfen kann. Der ansprechende und anregende Versuch, ein ganzes Leben, seine Möglichkeiten, Vielschichtigkeit und Begrenzungen, das Eruieren von Handlungsfeiheit in zwei Leinwandstunden zu packen. Eine Erzählung nah am Ohr des Zuschauers, angenehm unforciert gespielt und gesprochen.

Und auf der Tonspur Ohrwürmer aus den 70ern.

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