1001 Gramm

Ein Film von lakonisch-stoischer Größe und Erhabenheit um ein Urgewicht und ohne auch nur mit einer Faser dem Zuschauer eine Message aufs Auge drücken zu wollen. Gleichwohl fehlt es an Weisheitssätzen nicht. Dass, wenn man das Leben kapiert habe, es schon zu spät sei oder dass nichts schwerer zu tragen sei, als wenn man nichts zu tragen habe. Da mache mal einer einen Film darüber.

Bent Hamer aus Norwegen tut es. Von ihm wurde hier schon Home for Christmas besprochen. Hier lässt er sein Auge kaum von der natürlich-schönen Ane Dahl Torp als Marie. Wie sie trotz desolater, privater Lage ihren Job macht. Ihr Freund, ein Pilot zieht gerade aus dem gemeinsamen Haus aus. Dieses starrt leer bis sinnentleert. Marie hat noch ihren Vater. Der ist ein angesehener Mann und arbeitet wie sie im norwegischen Eichamt. Er hat einen Bauernhof geerbt, bewirtschaftet den aber nicht.

Anderer Zugang: um Requisiten können sich Geschichten ranken. Hier ist das Kernrequisit das norwegische Referenzkilo zum Urkilo in Paris und dessen Verpackung in einem Lederkoffer für die Reise zur Kalibrierung desselben in Paris. So ein Requisit scheint die skurrilsten Geschichten magisch anzuziehen. Allein, bis der Tresor geöffnet ist, in dem das heilige Teil steckt. Bis es dann in Anwesenheit von stummen Zeugen reisefertig verpackt ist, die Probleme beim Zoll, die merkwürdige Ansprache eines Herrn vor lauter solchen Kilotransporteuren aus aller Herren Länder, bei der die meisten Zuhörer einnicken, der Gänsemarsch der Kiloträger unter Schirmen zur Kalibrierungszeremonie, dann, oh Schreck der Unfall in Norwegen, immerhin ist das Kilo nicht kaputt, Grund zur Reparatur, wieder ein entscheidender Schritt zur angepeilten und doch immer noch so fernen Liebesgeschichte. Kommen Sie meine Herrschaften, schauen Sie, staunen Sie, treten Sie ein in diese Welt der alltäglichen Merkwürdigkeiten und Wunder, des immer wieder überraschend Erwartbaren, das Bent Hamer uns mit diesem Film vor Augen führt.

Frage: wie kann man über so einen Stillstand, denn ein Kilo bleibt ein Kilo, einen so großartigen Film machen, in dem sich im entscheidenden Moment doch das Entscheidende im Leben tut? Auch wenn der Anlauf dahin einen Film lang dauert, in dem wir gebannt dem Stillstand zugeschaut haben, aus dem das Entscheidende erwächst. Die beiden Liebenden fahren nämlich beide Elektroautos, das ist vielleicht das Geheimnis. Nein, ist es natürlich nicht. Paradox dazu, dass Marie durch ihren Job an Benzinzapfsäulen die Eichgenauigkeit nachprüfen muss.

Präzisionsatmosphäre, die keine Privatheit zulässt. Extensive Erzählweise, in der kaum was passiert, und die doch bannt.

Das Kiloseminar des BIPM (Bureau Internationale de Poids et Mesures).
Der Professor, der beim Institut in Paris eine Halbtagsstelle als Gärtner angenommen hat.
Weisheit: Welcher Mann weiß, wie spät es ist? Der mit einer Uhr und nicht der mit zwei Uhren.

Wichtige wissenschaftliche (sophistische!) Frage: soll man das Kilo vor der Kalibrierung in Paris reinigen oder nicht? (die norwegische Schule verneint diese Frage).

Und dann noch das Vogelforschexperiment: die Untersuchung der Veränderung des Gesanges der Distelfinken mit zunehmender Nähe zum Stadtzentrum.

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