Mommy

Das kanadische Regiewunderkind Xavier Dolan mutet uns eine weitere krasse Mutter-Sohn-Beziehung zu. Anlass für den Film war ein neues Gesetz in Kanada, S 14, was es Angehörigen erleichtert, psychisch kranke Verwandte in Sicherheitsverwahrung zu geben.

Anne Dorval als Diane „Die“ Després hat eine explosive Beziehung zu ihrem herangewachsenen Sohn Steve, Antoine-Olivier Pilon. Am Anfang des Filmes holt sie ihn aus einer geschlossenen Einrichtung zu sich nach Hause. Er ist hyperaktiv, hat dort die Cafeteria angezündet, er kann sehr unberechenbar sein. Laut, heftig und expressiv geht es in ihrer verhängnisvollen Beziehung zu, aber sie ist durchdrungen von dieser Urbeziehung Mutter-Sohn.

Sie wohnen in einem Reihenhaus im Süden von Montreal, sprechen dieses wie gequetschte französische Idiom und Mamma verliert gerade den kleinen Job als Kummerkastentante bei der lokalen Zeitung, sie sei keine professionelle Journalistin. Später wird sie mit Hilfe des Larousse spielend Übersetzungen von Kinderbüchern anfertigen.

Die Beziehung zu ihrem Sohn ist wie eine Amour fou. Ständig streiten sie sich, aber sie kommen nicht voneinander los. Er muss seine Medikamente nehmen. Er möchte noch den Schulabschluss schaffen. Dazu wird ihm die Nachbarin Kyle helfen, eine Lehrerin in einem Sabbatical, die Dinge erlebt haben muss, die ihren Sprachfluss öfter ins Stocken bringen. Sie wohnt gegenüber den Després‘ mit Mann und Kind, er ist in der IT-Branche tätig, die stocktrockene Gegenfigur gegen die beiden Damen und den Jungen, die oft zusammen kochen oder einkaufen gehen.

Besonders in den Anfangsszenen wirken die beiden, Mutter und Sohn, gelegentlich wie Asoziale, völlig aus den bürgerlichen Verhaltensregeln Herausgerissene, und Mutter lacht sich kaputt, wenn ihr Sohn die Welt durcheinanderbringt.

Das Format des Films ist stark eingeschränkt, kaum breiter als Super-8, aber in einem Glücksmoment, wenn Steve mit der Mutter und Kyle vergnügt und angeregt mit Longboard und Fahrrädern unterwegs sind, da greift der Sohn sich plötzlich die linke und die rechte Bildkante und zu einem Geräusch, das sich anhört wie zwei schwere Spundwände, die sich öffnen, weitet sich das Bildformat auf die ganze Leinwand aus. Allerdings sind diese Glücksmomente wenige. Bald schon engt sich das Format wieder ein. Einmal noch verbreitern es die Träumereien der Mutter, dass alles gut ausgehe mit ihrem Sohn, dass er den Schulabschluss schaffen und heiraten werden. Aber auch diese Vision währt nicht lange.

Das Glück wird weiter eingengt dadurch, dass die Familie von Kyle nach Toronto zieht. Jetzt ist Die wieder allein mit dem Sohn, sieht sich überfordert.

Dolan bombardiert den Zuschauer förmlich mit der Enge dieser Welt, mit ihrem Temperament. Er praktiziert den Gebrüder-Dardenne-Realismus als ob er ihn noch potenziert. Formal und äußerlich wirkt diese Trio im Zentrum wie eine Freakshow; da aber Dolan dieses Element nur zum Unterstreichen einsetzt, kommt die seelische Elementar-Beziehung der Figuren noch heftiger zur Geltung. Sie wirken wie Gestörte und sind doch die herzlichsten Menschen, konstant aktiv, unerträglich aktiv. Die Heftigkeit, mit der sie sich immer wieder anschreien, entspricht der Heftigkeit der Gefühle, die sie für einander haben. Eine Liaison folle.

Steves Tanz mit dem Einkaufswagen auf fast leerem Parkplatz ist so ein Bild für seinen Lebenshunger. Und dann krachen sie sich wieder wegen Geschenken. Es braucht nie viel, bis es eskaliert zwischen den beiden. Dann fotografiert Dolan seine Protagonisten wieder, wenn sie mal ruhig zusammen sind, fast so verträumt wie Gustav Klimt seine Musen gemalt hat, mit diesem verspielten Dekor, bei Dolan die Muster der Kleider, die Beleuchtung und auch die Umgebung.

Steve hat ADHS-Störung. Er sei hyperaktiv, gewalttätig, nie langweilig; seine Bewegungs- und Tanzimpulse. Eine bittere Szene beim Karaoke. Steve will seiner Mutter und den Nachbarn vorsingen. Aber im Lokal herrscht Unruhe, sie werden ausgelacht, ein Zuschauer bespritzt Steve mit seinem Getränk. Bis Steve ausrastet.

Pralles, expressives, exzessives Leben. Hier meditiert niemand.
Bei den Visionen der Mutter kann sich Dolan wunderbar im Atmosphärischen verlieren. Hochdramatisch. Hammerfilm.

Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss

Schöner Denkansatz schwach präsentiert, das sind die beiden Seiten dieses zu begrüßenden Versuches von Mischa Böder, der mit Florian Fernandez-Gil auch das Buch geschrieben hat, einen Genrefilm der besonderen Art zu entwickeln, sich für die Langeweile eines Auftragskillers zu interessieren, der zwar hochtrainiert ist, ein Spitzenagent im Auftrag der EU, die ein besonderes Terrorbekämpfungsprogramm damit bestückt. Seit 8 Jahren gibt es für Koralnik, so heißt dieser von Benno Fürmann als Tolpatsch dargestellte Agent, nichts zu tun. Außer sich fit zu halten, sich nicht zu verraten, unauffällig zu leben, private Anbandelungen nicht zuzulassen.

Wie das Schicksal für Tolpatsche so spielt, kommt lange gar nichts und dann alles zusammen, die Frau, die er nicht los wird und der Auftrag, den er sofort erfüllen soll. Das ist reizvoll gedacht und könnte, wenn es mit der Schnoddrigkeit deutscher Schwachsinnskomödien dargestellt und inszeniert würde, ziemlich hinhauen. Aber da sich die Macher offenbar ihres Anspruches bewusst sind, wollen sie es anspruchsvoll angehen, sprich angestrengt, ernsthaft, verspannt, übersorgfältig, bierernst und steif. Es fehlt der Performance jegliche Leichtigkeit (und dem Protagonisten vermutlich die Erfahrung und das Können für eine solche Peter-Sellers-Figur), die für das Transportieren der Idee unabdingbar ist. Somit geht dem Produkt jegliche Kinotauglichkeit ab. Es hapert an allen Ecken und Enden beim Schnitt, Szenenauflösung, Anschlussfehler (zB mit Koffer oder Gläsern und Weinflasche auf Tisch) Mangel an Rhythmus und Tempo, viel zu dick drauf gelegte Musik.

Der Widerspruch: Subventionskino und die Unmöglichkeit, in diesem Entmündigungskino Genre darzustellen, weil Genre Mündigkeit der Filmemacher voraussetzt; Subventionskino oktroyiert ihnen Unmündigkeit auf (oder sie entmündigen sich selbst aus vorauseilendem Gehorsam).

Wie nach 8 Jahren vergeblichen Wartens Koralnik endlich einen Auftrag erhält, platzt just Rosa, Mavie Hörbiger, in sein Leben und hängt sich an ihn wie eine Klette. Anstoß dazu war ein Zusammenstoß mit seiner Limousine. Das ist ein Teil des Reizes eines solchen Filmes, dass der Zuschauer jetzt absehen kann, dass alles ganz fürchterlich schief gehen wird. Was passiert, das kann er in etwa erahnen, aber wie es dann schließlich passiert, das sollte ihn vom Hocker reißen. Hier aber begnügen sich die Macher damit, das protokollarisch zu inszenieren, wodurch für den Zuschauer der essentielle Reiz verloren geht und man nur zustimmend den Satz im Drehbuch zur Kenntnis nehmen kann, „wie blöd muss man eigentlich sein, um das zu glauben“.

Wenn so ein Film innerhalb eines geschützten Biotopes wie einer Lehranstalt, einer Filmhochschule gezeigt würde, würde man sicher wohlwollend urteilen und sagen, super, habts Euch Mühe gegeben, gut gedacht von Euch. Man würde auch freundlicherweise lachen, wo abzulesen ist, dass ein Lacher intendiert ist. Ihr habt auch versucht, Bild- und Szenenfolgen so aneinanderzureihen, damit es nicht langweilig wird, aber Ihr wisst schon, dass noch Luft nach oben ist. Der Film traut sich jedoch auf die harte Wettbewerbsleinwand, wo die Leute mehrere Euro Eintritt bezahlen und für die harte Münze hieb- und stichfeste Unterhaltung wollen.

Benno Führmann, alleingelassen mit der Rolle, versucht mit großen, wie toten Augen, leblosen Posen, was immer das signalisieren soll, die Konzentration des Killers zu mimen (Kontrolle, Präsenz, Präzision).

Seine erste Begegnung mit Rosa wirkt overacted und unglaubwürdig. Ein Killler, der stottert. Es fehlt ihm jede zwingende Begründung für die Entscheidung für dieses Killerleben; wäre ja ok, wenn er Melville-stringenten Duktus wie Alain Delon als der blauer Engel hätte; hat er aber nicht. Andererseits erklärt sich die Tolpatschigkeit von Benno Führmann auch nicht aus sich heraus. Wie konnte so einer diese Eliteausbildung überhaupt schaffen? Er ist zu schwerfällig in seinem Handeln.

Rose ist deutlich überzeugender als Führmann.
Auch die Handlungen auf dem Weg zum Auftrag und dass er Rose mitnimmt, hat wenig Plausibilität.
Unbedingt wollten die Filmemacher noch eine Hochzeitsgesellschaft als Kollisionsfaktor reinpacken. Hier hätte ein versierter Lektor vermutlich gesagt „kill your darlings“, schmeiß Ideen raus, in die du dich verschossen hast. Wenn nicht, dann muss das auf Biegen und Brechen zurechtgebogen werden wie hier, irgendwie muss der Schuss sich lösen, damit dem Killer ein Zeh weggeschossen wird, damit man damit ein paar Spielchen inszenieren kann.

Sprachlich dämlich: „Des weiteren möchte ich Sie bitten, mich nicht länger so anzustarren, weil ich wie gesagt undercover bin“. Soll diese Denkweise den Charakter des Killers illustrieren? Fanden die Drehbuchautoren vermutlich lustig.

Warum zu diesem Film Musik von Wagner, Schuhmann und Bach genommen wurde, erhellt sich mir nicht.

Eine Zangengeburt, zwangsgebührenmissbrauchsfinanziert.

Gardenia – Bevor der letzte Vorhang fällt

Die Show „Gardenia“ von Alain Platel und Fran Van Laecke war ein Welterfolg. Zwei Jahre war sie unterwegs mit 200 Vorstellungen in Dutzenden von Ländern. Die Choreographen haben mit Senioren-Travestie-Künstlern die Bühnenshow inszeniert und eingebüt.

Die Dokumentation von Thomas Wallner will uns nicht die Show dokumentieren, will uns auch nicht mit Ausschnitten daraus plausibel machen, warum die so ein Erfolg war. Im Gegenteil, in den teils statisch, teils mit um die Figuren sich drehender Kamera aufgenommenen Szenenausschnitten kommt gerade nicht zur Geltung, worin der Erfolg begründet ist.

Was also bezweckt Wallner, wenn er sich doch an etwas Berühmtes anhängt, dieses uns aber nicht als solches vermitteln will? Es scheint, ihn interessieren Portraits alternder Transvestiten. Er durchlöchert die Theaterperformance systematisch und ohne Rücksicht auf Rhythmus mit eingeblendeten Gesprächen und Beobachten der alten Männern. Wie sie Hemden bügeln, Kaffee kochen, Blumen auf dem Balkon gießen oder in Kisten mit alten Fotos kramen, dazu Kommentare, dieser Junge, das war nicht ich. Darüber, dass sie sich haben operieren lassen oder auch nicht. Dass sie sich haben Brüste wachsen lassen. Dass sie im Bordell gearbeitet haben. Oder dass einer, der auf einer staatlichen Verwaltung gearbeitet hat, das alles verstecken musste, weil er sonst seinen Job verloren hätte.

Einer kramt in einer Schublade voller Duschgels aus den Hotels der Tournee. So lässt uns Wallner am Glamour teilhaben. Bis zum Bolero-Finale nach anderthalb Stunden braucht es Ausdauer, Verzicht auf das faszinierende Temperament, was gerade Transvestiten in Kompensation zum vielleicht traurigen Alltag auf die Bühne stemmen. Der traurige Alltag interessiert den Dokumentaristen. Das ist nicht unbedingt appetitlich. Einem Rentner zusehen müssen, wie er im Bordell die „Mayonnaise“ aufwischt, wie er fix und fertig ist nach einem 8-Stunden Putz-Tag oder wie ein Kollege zuhause mühsam Polstermöbel neu bezieht und wie ein anderer den Job einer Säuglingsschwester ausübt und häufig mit frühem Kindstod konfrontiert wird.

Der Film ist im üblichen fernsehasthmatisch kurzen Stückchen zusammengeschnitten und kann nicht klar machen, warum er gemacht worden ist. Viel ist von dieser Abschiedsstimmung der letzten Vorstellung im Film drin. Aber die betrifft die Darsteller, ist für den Zuschauer insofern schwer nachvollziehbar, als er vom Erlebnis der Tournee praktisch ausgeschlossen ist. Und ob man so interessiert ist an intimen Aufnahmen aus Haushalten älterer Herren, das sei dahin gestellt. Wäschekorbkino, was in fremder Leute Wäschkorb wühlt, so empfinde ich das.

Bühne im Kino zu zeigen ist an sich schon schwer, hier macht es sich Thomas Wallner noch schwerer, offenbar ohne Grundsatzüberlegung, wie den Zauber der Show cineastisch zu vermitteln, wie die Wirkung auf den Theaterzuschauer sei und wie etwas davon für den Kinozuschauer zu transportieren sei.

Nightcrawler

Viele hochgebildete, intellektuelle Filmkritiker finden diesen Film ,, ganz, ganz toll“ und so geil medienkritisch. Dem kann ich mich nicht anschließen.

Die Medienkritik in diesem Film von Dan Gilroy löst sich von selbst in Luft auf, weil die Figur, die ihr Vehikel sein soll, als windiger Charakter vorgestellt wird, der überall nur mies handeln kann, und wenn ihm die Medien unter die Finger geraten, dann missbraucht er sie, er kann nicht anders; das medienkritisch zu nennen ist so sinnig wie eine Raubkatze gefährlich zu nennen.

So wie er im Film vorgestellt wird, kann der Protagonist nur unethisch vorgehen; darum verpufft das vermeintliche Medienbashing. Medienkritisch wäre, wenn seriöse Zeitungen aus finanziellen Zwängen anfingen, die Wahrheit schlagzeilenträchtig zu manipulieren, wenn honorige Menschen um des Geldes willen, den Ruf ihrer Standes gefährden. Hier wird der Protagonist, der das leisten sollte, zum Vornherein als schwarzes Schaf eingeführt; bei ihm ist Hopfen und Malz verloren. Pech für die Medien, wenn sie durch solche Figuren in eine schiefes Licht geraten.

Bei diesem Film muss ich klar kommen damit, dass er mich – trotz aller unbestreitbaren Qualitäten:
– markanter Hauptdarsteller
– gut gemeintes (wirklich?) Medienbashing
– herrliches Scheusal von Chefredakteurin
– roter Sportwagen, der oft und schnell durch die Nacht von L.A. rast
– viele TV-News
– ein Gang durch vielfältige Unfallstellen, von der Polizei abgesperrt oder noch nicht
– häufig heftig dramatisierende Musik
– mannigfache Witze und Jokes
– ansprechende nächtliche Impressionen aus L.A.
so gar nicht gepackt hat.

Meine Begründung dafür ist folgende: weil die Hauptfigur, Jake Gyllenhaal als Lou Bloom, als ein smart-süffisanter, hallodriger, aalglatter, Überlegenheitsdünkeltyp, als schwatzhafter, von ethischer Diskussion unbeleckter Rumtreiber und Emporkömmling charakterisiert wird, ist es nur konsequent und absehbar, dass er im Medienbusiness wie ein Schwein handeln wird. So kann keine ernsthafte journalismusethische Diskussion angestoßen werden. Der Protagonist hat nicht eine Sekunde einen Konflikt. Er sieht nur das Geschäft mit der Grenzüberschreitung von Moral und journalistischem Konsens.

Der Film will geißeln, wie News-Bilder-Jäger über Leichen gehen, um ihr Footage, ihre Beute zu erlangen. Er konstruiert krasse Fälle in der Manier, wie das Kabarett es zu pflegen tut, dass nämlich der Zuschauer garantiert auf der ethisch sauberen Seite sich wähnen und sich auf die Schultern klopfen darf, wie gut und aufgeklärt und moralisch er selber doch sei, denn sowas würde er nie tun. Durch die Besetzung der Hauptrolle mit Jake Gyllenhaal als Lou Bloom kommt dieser BilligBashMechanismus besonders deutlich zum Tragen, denn dieser Darsteller verfängt mit einem steten, leicht süffisanten Lächeln, mit großen, beinah noch kindlichen Augen, den smart-schmalen Mundwinkeln, seiner blechern-hellen Stimme und dem markanten Gesicht, spielt quasi den naiven, der sich in die böse Medienwelt hineinarbeitet, das meiste, so behauptet er, an Studien und Bildung habe er sich online erarbeitet, noch so ein Momentum, wo der Graduierte sich erhaben fühlen darf.

Eingeführt und charakterisiert wird dieser Protagonist, wie er auf Diebestour ist. Er klaut Draht, um ihn später zu verscherbeln. Einen Security-Mann streckt er skrupellos nieder und klaut ihm noch seine monströse Uhr. Diese Begegnung zeigt deutlich seine Haltung zur Welt, seinen Charakter in dieser überlegen sich gebenden Art, die keinen richtig ernst nimmt. Das ist vermutlich der Pakt den er augenzwinkernd mit dem wissenden Publikum schließt; Untertext: jetzt betreiben wir mal hübsch Medienbashing; bei mir seid Ihr auf der richtigen Seite.

Der Film braucht lange, bis Bloom zu seiner Aufgabe findet. Das wird ausführlich erklärt und führt dazu, dass der Zuschauer noch mehr Unfall- und Unglücksstellen aus dem nächtlichen L.A. zu sehen bekommt, die mit Polizeiband abgesperrt sind oder nicht; Protagonist wird Zeuge, wie ein News-Team Material von einem Unfall schießt. Er kommt auf die Idee, das könne er ja auch machen. Das realisiert er in der naiven Variante des amerikanischen Traumes. Wie er sein erstes Material hat, marschiert er einfach rein beim Sender und landet ohne Umstände bei Nina (Rene Russo), der News-Chefin. Mit seiner Nonchalance verführt er sie, mehr aber mit den brutalen Bildern eines Schwerverletzten, welche zu dem gehören, was das stillschweigende Übereinkommen der Newsindustrie für nicht vorzeigbar hält.

Hier fängt die Unlogik schon an. Warum zeigt es die Chefin? Wie er das erste Geld hat, engagiert er einen Praktikanten, der ist noch naiver als er. Bis zu seinem großen Coup wird wieder viel Zeit gefüllt mit Bezirzen seiner Chefin in einem mexikanischen Lokal, Gesprächen mit seinem Praktikanten Rick, mit jeder Menge nächtlicher Unfallstellen und jeder Menge Footage aus News-Sendungen.

Der zentrale, konstruierte Fall ist der, dass Bloom als erster an einem Tatort mit drei Leichen in besserem Milieu eintrifft und auch die Täter samt deren Autonummer filmt, weche Info er aber der Polizei vorenthält. Das gibt Anlass zu pseudo-journalismus-ethischen Diskussionen, besonders wie er die beiden Täter ausfindig macht, sie in einem Schnellimbiss beobachtet, die Polizei jetzt informiert und den katastrophalen, mörderischen Einsatz noch filmt. Ja, so böse sind die Newsmacher, die inszenieren den Skandal gleicht selbst. Der Film begnügt sich damit, aus diesen Situationen ein paar nette Pointen zu ziehen. Der Film erzählt Blooms „Karriere“weg simplizistisch nach, so als ob jeder das könne.

Ein schöner Satz, wie er seine ersten Bilder im Fernsehen sieht: „on TV ist looks so real“. Da wird man kurz hellhörig in diesem lang geratenen, allzu netten, allzu publikumsanbiederndem Kinogebastele.

Ruhet in Frieden – A Walk among the Tombstones

Drei große Versprechen gibt dieser Film von Scott Frank nach dem Roman von Lawrence Block ab.

Erstens. Der Fall, zu dem Liam Neeson als Matt Scudder, ausgeschiedener Cop und jetzt „Privatdetektiv“ (der er auch nicht sein will, manchmal tut er für jemanden etwas und erhält dafür ein Geschenk) von einem aufgeregten, jungen Mann gerufen wird. Die Schilderung der Entführung der Frau des Klienten, ein Drogendealer, wird ihm so drastisch vorgeführt, dass man unwillkürlich an Schilderungen aus dem Irak denkt, welche noch dem friedlichsten Menschen ein Eingreifen mit allen Mitteln geboten erscheinen lassen.

Denn der vorgetragene Sachverhalt macht drastisch klar, wie die Ganoven diesen ordentlichen Mann Scudder (er hatte ja bereits Geld beiseite gelegt, um sich solide und innerhalb des Gesetzes selbständig zu machen) an empfindlichster Stelle schmerzhaft treffen, was im Zuschauer wie im Cop sofort Empathie, Mitleid und Gerechtigkeitsgefühl weckt. Macht klar, dass es Verbrechen gibt, die besondere Maßnahmen rechtfertigen.

Zweitens die Figur von T.J. Der ist ein energiegeladener, vielversprechende Teen, ein Schwarzer, ein Waise, obdachlos, er verbringt seine Zeit in einer öffentlichen Bibliothek.

Drittens verleiht der Zusammenprall von Scudder bei seinen ersten Mikrofilm-Rechercheschritten mit diesem jungen Mann in der Bibliothek dem alten Starvehikel Neeson einen Worbantrieb.

Leider löst der Film die von ihm so präzise und spannend hochgeschraubten Erwartungen in keiner Weise ein. T.J. wird bald zum ganz üblichen Anhängsel von Neeson, wie es diese vorlauten, siebenmalklugen unerfahrenen Assistenten sind.

Der Fall selber, es handelt sich um Menschraub und Lösegelderpressung, versteigt sich zusehends in ein immer komplizierteres Geäst von verschiedenen Fällen mit unterschiedlich involvierten Tätern und deren teilweisen Verwicklung in den Polizeiapparat, was routiniert abgespult wird und gegen Ende hin in einem sich ziehenden Count-Down noch in den blutigen Trash abgleitet.

Der Titel rührt daher, dass ein Friedhofsgärtner, der sich Hausmeister nennt und der Tauben auf einem fremden Dach züchtet, invovliert ist. Er selbst ist ein kleines Licht. In seinem Friedhof werden die zerstückelten Teile einer der Leichen in Müllsäcke verpackt verstreut. In diesem Friedhof findet nächtens ein höchst riskanter Geisel- gegen Lösegeldtausch statt als Initialzündung für den Count-Down. Hier spielt T. J. nochmals eine für diesen sonst nicht so spannend konstruierten Figurtypus wichtig Rolle. Endet als übliches Rumballermovie. So hat es allerdings vor der vielversprechenden Exposition (die spielt 1999), 1991 in New York auch angefangen.

Auch wenn dem Film diese Einwände entgegengehalten werden, so ändert das nichts an der faszinierenden Fassade eines Liam Neeson, immer diese Mischung aus Erfahrenheit und Besorgnis, aus Menschenscheu und Respekt vor den Menschen und gleichzeit keinerlei Hemmung vor Brutalität, das zerfurchte Gesicht, die Lachfältchen andererseits; und auch seine Darstellung eines Instinktcops, der noch jede Drehbuchwillkür, jeden Drehbuchhaken als weise Intuition von ihm erscheinen lässt.

Ob das ein Zückerchen für den deutschen Kinomarkt sein soll, dass ein Opfer „Marie Gotteskind“ genannt wird?

Die Ganoven sind zu flüchtig klischeehaft skizziert und auch der Friedhofshausmeister ist reines Klischee von verlottertem Dicken, so dass keiner eine richtige Gefahr darstellt. Beim ersten Telefonat klingt das vielversprechender. Das Versprechen, es mit durchtriebenen Ganoven zu tun zu haben, erfüllt sich nicht. Die haben lediglich zeitweise ein paar Wissensvorsprünge.

Dumm und Dümmehr

Was diese Komödie der Gebrüder Bobby und Peter Farrelly, die mit Sean Anders, Mike Cerrone, John Morris und Bennett Yellin auch das Drehbuch geschrieben haben, und mit Jim Carrey als Lloyd Christmas und Jeff Daniels als Harry Dunne in den Hauptrollen, was diese Komödie auf jeden Fall leistet: sie verbreitet gute Stimmung, denn das Komödienhandwerk ist gekonnt und trotzdem nicht in überforderndem Tempo eingesetzt.

Eher gemächlich wird Gag an Gag gereiht in perzeptionsfreundlichen Häppchen einer Mischung aus Roadmovie, Vater sucht seine genetische Tochter und Erbschleichergeschichte dazu ist, wobei auch noch die Themen Wissenschaft, schwarze Löcher und Organtransplantationen gestreift werden.

Da die Komödie auf einen Kulterfolg desselben Teams „Dumm und dümmer“ von 1994 aufbaut, legt sie das auch in der Geschichte offen, und das ist schon hart, wie Jim Carrey als Pflegefall Lloyd in einem Heim und seit Jahren offenbar ohne Coiffeur einmal wöchentlich von seinem Kumpel Harry besucht wird, der ihm die Windeln und den Urinbeutel wechselt und ihn auch sauber macht, wie er jetzt, 20 Jahre später von Lloyd erfährt, dass er die Krankheit nur vorgetäuscht habe, das ist schon Hammer, da steht Harry begossen da – aber er wird sich zu rächen wissen.

Diesmal wird nicht Lloyd mit einem Kind konfrontiert, das von ihm stamme, diesmal will Harry einer vermeintlichen Tochter nachjagen, die er mit einer Bestatterin vor 20 Jahren gezeugt haben soll. Dieser Spur folgt der Film nun wie dem Faden der Ariadne. Das Töchterchen heißt Penny, als herzerfrischendes Dummchen gespielt von Rachel Melvin, die in der Sekunde, in der sie etwas sagt, dieses auch schon vergessen hat. Sie ist von der Familie eines berühmten Naturwissenschaftlers, Dr. Pichlow, adoptiert worden. Die Adoptivmutter ist eine böse und eine Erbschleicherin dazu, die ihren kranken Mann mithilfe von Travis, dem Angestellten, um die Ecke bringen will.

In dieses hinterhältige Erbschleicher-Spiel platzen Lloyd und Harry, bringen die Mordpläne durcheinander und just im Moment, wo Travis die beiden ins Jenseits befördern will, tut dies ein unerwartet durchs Bild schießender Zug – mit Travis. Unsere beiden Helden kriegen nichts davon mit, denn eben haben sie wieder eine komödiantisch pantomimische Reaktion auf einen Gag lanciert, der zuvor von Travis im Leichenwagen, mit dem die drei nach El Paso unterwegs sind, in Gang gesetzt hat. In El Paso soll das Töchterchen an der KEN-Konferenz ihren Vater vertreten. Travis hat im Leichenwagen Knallkörper direkt hinter den Ohren von Lloyd und Harry gezündet. Die sind für die nächste Zeit taub. Damit treibt der Film sein Spiel, stellt die Tonspur ab und liefert den Darstellern genügend Komödiantenfutter und noch die Möglichkeit dazu, in einem Altenheim sich an das Hörgerät einer bettlägrigen Oma ranzumachen mit absehbar unerwarteten Folgen, Komödienfolgen.

Einen der stärksten Gags hält der Film in der Anfangsphase bereit; wie Lloyd Harry offenbart, dass er zwanzig Jahre lang den Patienten nur vorgespielt habe, geht es darum, den Katheter aus der Bauchwand wieder herauszubekommen. Geduld haben solche Komiker bekanntlich nicht, was zu einer rabenschwarzen Szene mit garantierten Lachern führen wird, ein krudes Bild zum Thema Medizin. Allerdings dürfte gerade darin, dass das schon eine der besten Szenen ist, ein großes Manko des Filmes liegen, es ist nicht die Professionalität der Machart, an der es fehlt, es sind die Themen, die „irgendwo“ sich befinden, dadurch wirkt der Film wie ein nostalgisches Stück Komödie und die Leute zeigen, dass sie es noch können mit allen Grimassen und Finessen. Aber was sie uns erzählen, die Geschichte, die kommt altbacken daher, dürfte kaum den Nerv unserer Zeit treffen. Was der freundlichen Stimmung garantiert keinen Abbruch tut. Für Nostalgiker, die Fans vom Kultvorgänger sind.

Dazu noch Verwechslungskomödie, Harry als Dr. Pichlow an der Konferenz, da langen die Komiker heftig zu, ohne jedoch ernsthaft Wissenschaftskritik zu betreiben; altbewährte Komikerkonstellation, der Dumme als der weltberühmte Professor. Immer wieder lustig.

Bevor der Winter kommt

Der Winter dürfte hier gelesen werden als der Tod. Bevor der Tod kommt. Letzte Liebesspielchen vor dem Tod. Vielleicht täusche ich mich. So morbid kommt mir die Angelegenheit, die Philippe Claudel hier liebevoll auf die Leinwand zeichnet, vor. Man spricht vom Herbst des Lebens. Der Herbst ist da, bevor der Winter kommt.

Paul, Daniel Auteuil, ist Augenarzt mit gutgehender Praxis. So wie er lebt, muss er betuchte Privatpatienten haben, ein hochmodernes Landhaus aus Glas und Beton inmitten eines Parkes, der so besonders ist, dass ab und an von der Hausherrin und Ehegattin, die viele leere Tage hat, Lucie, Kristin Scott Thomas, Besuchergruppen hindurchgeführt werden. Man kennt es von Schießübungen: die Augen im Grünen entspannen. Der Park scheint das Symbol für die Entspannung eines Augenarztes. Wird nicht weiter vertieft, aber immer wieder bildschön eingefügt in eine Bilderreihe, die überwiegend in der Augenklinik spielt.

Hier gibt es Blutiges zu sehen oder auch eine anrührende Intermezzogeschichte einer Patientin aus Polen zu hören, die die Holocaust-Saite anschlägt, weiter aber nichts mit dem Thema des Filmes zu tun hat. Mit dem vorgeblichen Thema, der Frage des Protagonisten, ob er sein Leben gut und richtig gelebt oder ob er etwas verpasst habe. Dies erörtert er mit seinem alten Studienfreund und Tennispartner Gérard, Richard Berry. Der Theorie muss die Praxis hinzugefügt werden.

Eine junge Frau erklärt dem Augenarzt in einem Bistro, er hätte sie einsten operiert. Am Blinddarm. Da ist was faul. Aber ein abenteuerlustiger alter Sack lässt sich durch so etwas nicht irritieren. Wenn er auch anfangs zögerlich auf die roten Rosenbuketts reagiert, die die Stalkerin ihm fortwährend in die Klinik und nach Hause schickt. Die Ehefrau kann vorerst beruhigt werden.

Es ist sowieso großartig, wie sie mit der Eskapade ihres Mannes großzügig umgeht. Denn die Idee eines Liebesabenteuers mit einer übrigens gar nicht besonders attraktiven Frau, wirft den alten Bock heftig aus der Bahn. Er muss sogar mitten in einer Operation abbrechen und eine Ärztin muss übernehmen für ihn. Er braucht eine Auszeit. Er trifft seine Verehrerin. Verfolgt sie. Findet heraus, dass sie auf den Strich geht. Und kann doch nicht von ihr lassen. Bis schließlich ein Zipfel Kriminalgeschichte in unsere Story hineinragt. Aber auch der wird eher en passant abgehandelt, ganz im Sinne des noblen, gehobenen Ambientes, in dem die Inszenierung vor allem plänkelt.

Es wirkt so, als sei das heimliche Thema des Autors, dem Zuschauer für 100 Mintuten Zugang zu dieser gehobenen Gesellschaftsschicht zu verschaffen. Denn so, wie Auteuils Rolle geschrieben und inszeniert wird, ist keinesfalls klar, wieso man sich für dessen Probleme interessieren soll. Um von derlei Unzufriedenheit abzulenken, fährt der Autor auch noch Ausschnitte aus „La Bohème“ auf, sich ein zusätzliches, kulturelles Schleierchen überstülpend.

Ganz dicht kann der alte Bock nicht sein, sich mit so einer gestörten Frau einzulassen.

Dem Filmemacher scheint es in erster Linie um die Gediegenheit der Inszenierung zu gehen und fast aus vorauseilendem Gehorsam seinem Milieu gegenüber, will er die Skandale auch gar nicht aufdecken, sondern gleich untern den Tisch kehren, blasiert, aber Blasiertheit nicht als Methode. Da geht der Zuschauer, der etwas über die Menschen erfahren will, wie durch ein lebloses Museum und leer aus. Der Film zelebriert gehobenes, akademisches Leben und Lebensstil in Edelkonfektion, geschniegelt. Ach, und dann noch das Lied von der Coquelicot von der Oma der Nutte. Große Hingabe an die Schilderung des feinen Milieus, entsprechend große Defizite bei Charakterenentwicklung und Storybuilding.

Palace Beach Hotel (TV, arte, Freitag, 14. November 2014, 20.15 Uhr)

Im Krieg gehen die Wahrheit und die Zivilisation verloren und kehren aus ihm nicht zurück. Das sollten sich alle merken, die angesichts von Enthauptungen im Irak nach einem Kriegseinsatz rufen. Da aber Soldaten gelegentlich aus dem Krieg zurückkehren, kann das in der intakten, zivilisierten Welt zu Problemen führen.

Die französische Armee, der solche Konflikte (posttraumatische Störungen, Selbstmorde) ungelegen kommen, hat für Afghanistanrückkehrer ein probates Mittel. Sie bringt sie für ein paar Tage im griechischen Teil der Insel Zypern in einem 5-Sterne-Hotel unter, um Wahrheit und Zivilisation für die Veteranen wieder auf die Reihe zu kriegen, um die Erinnerung an den Krieg zivilisationstauglich zu präparieren.

Elsa, Frank und Mario und ein schleimiger Belgier dazu waren in Afghanistan an der von den Armeeoberen total vermurksten Operation „Kolibri“ beteiligt. Einem Franzosen wurde die Kehle durchgeschnitten, es gab einen erschossenen Taliban, zwei Tote und zwei Schwerverletzte. Hinterbliebene der Toten haben bereits die Armee verklagt. Deshalb darf unter gar keinen Umständen die Wahrheit ans Licht kommen, darf unter gar keinen Umständen bekannt werden, dass die französische Armee aus gleich mehreren, unverzeihlichen Gründen den Einsatz vermurkst hat (ein Teil des Maschinenparks war nicht verfügbar, Kommunikationsübertragung hat nicht funktioniert, zwei hilfreiche Helikopter waren gerade okkupiert dafür, „hohe Tiere“ zu einer Stammesfete zu fliegen).

Der Film verfolgt nun, was mit der Kriegswahrheit von Elsa, Frank und Mario in diesem zypriotischen Luxushotel unter Aufsicht einer ängstlichen Armee passiert. Erschwerend kommt hinzu, dass Mario 98 Kapseln Herion, mehr als ein Kilo, in seinem Bauch rumschleppt, Fundstück beim getöteten Kameraden, mit der Absicht, das in Frankreich zu Geld zu machen. Nicht leicht, solche Fremdkörper komplikationsfrei über Tage im Gedärm zu behalten.

Eine weitere Kriegswahrheit: in der Armee gibt es keine Selbstmorde. Auch dazu hat der Film ein Beispiel parat.

Philippe Venaut hat diesen Film über den Versuch einer Rezivilisierung nach dem Krieg nach einem Buch von Jacques Forgeas und ihm selbst zu einem spannenden Fernsehspiel zusammengefügt und inszeniert.