Mr. Turner – Meister des Lichts

Mike Leigh (Another Year) ist ein hervorragender Menschenbeobachter, selbst wenn er seine Geschichte tief im 19. Jahrhundert ansiedelt und eine Welt zeichnet, die von Gicht und Todesrasseln beherrscht wird, die einer gnomen-karikaturhaften Maulwurfswelt gleicht, in welcher die Sehnsucht nach Licht (und was es alles bedeutet) über die Hände des Malers William Turner ihren Weg auf die Leinwand findet und dort aus heutiger Sicht eine große Haltbarkeit entwickelt im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen, die sie furchtbar fanden wie die Königin oder sie gar verspotteten, wie auf dem Theater geschehen.

Es ist kein Vergötterungsfilm, kein Denkmalfilm, den Leigh uns zeigt. Er schaut bloß unbestechlich zu und es macht ihm Spaß, seine Beobachtung in diesem historischen Setting zu zeigen. Wobei er ganz im Sinne des Zaubers von Turners Malerei der Verführung nicht widerstehen kann, die Bilder turnerhaft auszuleuchten, aber das ist nicht Methode um ihrer selbst willen, das ergibt empathischen Charme.

Timothy Spall spielt diesen William Turner als einen finsteren, motzigen, brummelnd-grummelnden, fast wie ein Eber, Work-Maniac, auch Sexmaniac, wofür hat man seine Haushälterin, Hannah, Dorothy Atkinson, die hält hin, wenn ihm darnach ist. Seine Kinder und Kindeskinder interessieren ihn nicht, die stören den Künstler. Anfangs arbeitet er noch mit seinem Vater. Beider gebeugte Haltungen und die nicht allzu fließenden Bewegungen könnten gichtbedingt sein.

Vater ist der Assistent des Malers, kauft ein für ihn, mixt die Farben. Der stirbt bald nach einem langen, rasselnden Todeskampf. Selbiges wird uns für Mr. Turner auch noch bevorstehen.

Dazwischen lässt uns Leigh schmunzelnd, grinsend teilhaben an seinen Beobachtungen des Kunstbetriebes, der heutige ist gemeint, die wohlhabende Familie Rusnik, die zum „intelligenten“ Teegespräch einlädt, das mit einer Konversation über Stachelbeeren beginnt, bis der Sohn sich in verquasten Äußerungen über die Kunst ergeht.

Leigh zeichnet das Milieu der Künstler anhand von Hängungen und Eröffnungen von Ausstellungen. Wie Turner auf einem Bild mit Constables Pinsel noch einen roten Klecks zur Verwunderung aller drauftupft, der nach einem zweiten Arbeitsgang vom kunstverständigen Publikum als Boje interpretiert wird. Auch die Königin ist wenig angetan von den kaputten Schiffen.

Auf einer Reise steigt Turner bei einer Mrs Booth, Marion Bailey, ab. Wie er zum zweiten Mal bei ihr auftaucht, werden die beiden intimer, er bewundert sie als griechische Schönheit, was sie mit Garantie nicht ist. Sie weiß zwar, dass er „Bildchen“ zeichnet, aber er gibt sich als Pfändungsbeamte aus. Ein Besuch bei Sophia Booth gibt Leigh außerdem Gelegeneit, die neue Kunst der Daguerreotypie vorzustellen und das Kabinettstückchen einer Fotosession mit zehnsekündiger Belichtungsdauer zu inszenieren.

Mike Leigh hat wieder ein großartiges Ensemble an Schauspieler zusammengestellt und sie alle perfekt in seine Maulwurfswelt mit den Mitteln aus Groteske, des Karikierens, auch momentweise der Klamotte und des Chargentums eingefügt.

Hier bei Leigh, und das ist das Wundersame an diesem Film, schafft das Hässliche, das Gekrümmte, das Geduckte, das Lichtlose die Kunst und das Licht und das Schöne, das ist die Reibung, die diesen Film so unterhaltsam macht.

Turners Tochter schimpft über Vaters lächerliche Schiffwracks und Mike Leigh ätzt nicht weniger über die Kunst- und die Künstlerwelt.

Ehrenhaft für Turner: der neureiche Selfmademan, der ihm sein Gesamtwerk für eine horrende Summe abkaufen möchte, wird des Zimmers verwiesen: die Bilder seien für die Öffentlichkeit bestimmt und sollen zusammenbleiben. Der Film ist hiermit für die Öffentlichkeit zu hoffentlich zahlreichem Besuch freigegeben.

Citizenfour

Dieser Film hält einen historischen Moment von vermutlich noch nicht absehbarer Tragweite fest.

Die Filmemacherin Laura Poitras war Mitte 2013 in Hongkong dabei, wie Edward Snowdon Journalisten, unter anderem dem Brasilianer Glenn Greenwald, die Daten über die Internet-Abschöpfaktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes NSA gegeben hat und wie er sich als der Whistleblower outete, der weltweit das ganze Ausmaß der Beraubung der Menschen ihrer Privacy und damit ihrer Freiheit durch den amerikanischen Schnüffel-Staat offenbar werden ließ.

Es findet eine deutliche Veränderung in Snowdon statt, nachdem er plötzlich rund um den Globus in den Nachrichten ist. Es geht nicht um neue Erkenntnisse. Das Geschäft erledigen die Zeitungen und die andern Medien. Es geht um die heikle, riskante Situation. Vor allem nachdem das Ausmaß des Skandals klar wird und die Ertappten, die amerikanische (NSA) und die britische (GCHQ) Regierung versuchen, das Böse auf Snowden zu projizieren: der den Hinweis auf die Bösen bringt, wird zum Täter stilisiert. Primitiv wie effizient wie bewährt.

Was der Film deutlich macht, wie ungeheuerlich der Machtanspruch der Geheimdienste ist, wie der Verlust der Privatsphäre den Verlust der Freiheit nach sich zieht.

Am Ende des Filmes wird Greenwald Snowden in Moskau besuchen und ihm berichten, dass es inzwischen einen weiteren Whistleblower gebe, der auf Skandale noch viel größeren Ausmaßes von anderen Regierungsstellen gestoßen sei.

Augenfällig auch die Vorsichtsmaßnahmen mit einem magischen Mantel, die Greenwald und Snowden beim Umgang mit dem Computer beachten. Weil sie über die weitgehenden Möglichkeiten, alles abzuhören, alles abzuschöpfen, Bescheid wissen. Dazu, dieses Bewusstsein zu schärfen, dürfte dieser Film einen wichtigen Beitrag leisten.

Noch bevor Snowden sich geoutet hat, sind die Mietzahlungen, für die er einen Dauerauftrag eingerichtet hat, eingestellt worden und in seiner Straße zuhause stehen plötzlich so viele Trucks herum, „Baustellenfahrzeuge“. In solch konspirativem Milieu wirkt ein Feueralarmtest in einem Hotel in Hongkong als dramaturgisch thrillender Aufreger.

Als Drüberstreuer über die große Aktion folgt ein Potpourri einiger der Nachwirkungen, Hinweise darauf, was der gigantische Nachrichtenhit alles ausgelöst hat: Meeting der Snowden-Anwälte in Berlin, die Info, dass auf die publizierenden Medien von staatlicher Seite Druck ausgeübt werde, wir bekommen Einblick in die Redaktion des Guardian in London, wie die sich ganz genau überlegen, was sie veröffentlich können und was nicht, ferner der Untersuchungsausschuss in Berlin, die Info dass die Recherche-Journalisten auf einer eisernen Überwachungsliste stehen, dass die US-Drohnen alle über Ramstein gesteuert werden. Ein Problem beim „Spiegel“: das Merkel-Handy (hat sie einen Code-Namen?), nein, den haben nur Agenten; Ausschnitt aus einer verwursteten Passage einer Obama-Rede und ein kurzer Einblick in eine EU-Anhörung.

Der Film macht ganz klar: Verlust der Privacy gleich Verlust der Freiheit.

Im Labyrinth des Schweigens

Er hat Pli, er kann sich bewegen, er hat Benimm, er kann einen Anzug tragen und ausgezeichnet sprechen tut er auch, jung (relativ) ist er noch dazu und gut aussehend ebenso, ernstes Männergesicht. Er verkörpert in diesem Film einen Prototypen der 50er Jahre: Alexander Fehling spielt die von Elisabeth Bartel und Giulio Ricciarelli, der auch die Regie führt, erfundene Figur des Staatsanwaltes Johann Radmann.

Endlich mal eine gepflegte, formvollendete Figur, freut man sich. Radmann ist bei Gericht für Verkehrsdelikte zuständig. Nicht unbedingt der Traum eines ambitionierten Nachwuchsanwaltes.

Immerhin bringt ihm die erste im Film gezeigte Verhandlungsszene die Bekanntschaft einer hübschen, eigenwilligen jungen Frau, mit Friederike Becht als Marlene Wondrak, die einen Zufall später ihm über den Weg läuft und seine Verlobte werden wird, damit der Film nicht so dröge nur traurige Naziakten wälzen muss. Sicher auch eine erfundene Geschichte mit Rührpotential dazu, wenn sie im hübschen roten Kleid auf einer Anwaltsparty auftaucht und die Damen der Gesellschaft fragen, von welchem Atelier das Modell stamme, und sie aus diesem Grund ihre eigene Modefabrikation aufmachen wird. Das ist der Wirtschaftswunderanteil an diesem Nachkriegs-Verdrängungszeit-Justizstück, welches sich primär mit der Aufarbeitung der Nazizeit und ihren Gräueln beschäftigen möchte und dem Widerstand dagegen.

Um dahin zu kommen, bedarf es weiterer Zufälle. Der Journalist Thomas Gnielka, André Szymanski, entdeckt an einer Schule einen Ex-SS-ler, der dort als Lehrer tätig ist. Er möchte ihn vor Gericht bringen, doch die blocken. Das kriegt unser Protagonisten-Staatsanwalt mit. Er macht sich mit dem Journalisten an die Recherche. Je handfester die Beweise werden, die sie sammeln, desto mehr öffnet der „General“, der Generalstaatsanwalt, seine Sinne für die Geschichte.

Diesen „General“ soll es tatsächlich gegeben haben. Er hieß Fritz Bauer, wird im Film nur als General oder Generalstaatsanwalt tituliert. Dem Andenken an ihn ist der Film gewidmet. Die Hauptfigur ist der von den Drehbuchautoren erfundene junge 50er-Jahre-Staatsanwalt Radmann.

Der Mensch, den es in real gegeben hat und dem der Film gewidmet ist, der ist nicht zur Hauptfigur gemacht. Da stecken bestimmt Überlegungen dahinter, auf die noch zurückzukommen sein wird. Bauer unterstützt die Bestrebungen des jungen Staatsanwaltes nicht nur wohlwollend, er betraut ihn sogar mit der Leitung der Ermittlungen.

Das Ausmaß des Recherche- und Aufarbeitungspensums, der Berg, der vor den Ermittlern liegt, wird bildlich augenfällig durch einen Gang durch das Archiv mit den Akten der SSler, 600’000 gibt es davon. Aus diesen heraus müssen in mühsamer Kleinarbeit die 8’000 derjenigen gefischt werden, die an der Tötungsmaschinerie von Auschwitz beteiligt waren und somit des Mordes angeklagt werden können.

Um die Adressen der namentlich bekannten Verbrecher zu suchen, lässt der Staatsanwalt alle Telefonbücher aus der jungen Bundesrepublik kommen, denn die Behörden, die helfen könnten, die mauern. Das wird ein Kleintransporter voller Bücher werden. Der Fahrer macht den kleinen Witz, dass er das bestimmt nicht in die Büros tragen werden.

Der größte Fisch, auf den die Ermittler stoßen, ist der berüchtigte Arzt Dr. Mengele, der seine grausamen Zwillingsexperimente unbehelligt in Lateinamerika weiterführt. Ihm widmet der Film einen Nebenstrang. Es wird sogar bekannt, dass Mengele aus Buenos Aires immer wieder nach Günzburg zu Familientreffen anreist. Dank guter Beziehungen zu höchsten Stellen in der Bundesrepublik gelingt es ihm, zu entwischen (zu Mengele gab es vor kurzem den TV-Film Frei).

Die größeren Probleme mit diesem Film fangen für mich nach etwa 90 Minuten an, wie der Staatsanwalt, der bislang so eine glaubwürdige Figur gespielt hat, in den Alkohol und in die Krise verfällt und sogar kündigt. Der Film interessiert sich unvermittelt für das Innenleben des Ermittlers und nicht mehr für die Mauer des Schweigens und den Verdrängungsmechanismus, den er doch aufzeigen will. Das Drehbuch setzt den Staatsanwalt ein, um uns Heutigen mit dickem Zeigefinger klar zu machen, wie grausam dieses dritte Reich doch gewesen ist. Als ob der Film Angst habe, das könnte uns nicht aufgefallen sein. Das sind vielleicht ethisch-moralisch hoch ehrenwerte Überlegungen, die dem Film allerdings den Schneid abkaufen, die Spannung in sich zusammenbrechen lassen, die dem Film letztlich den Stoß versetzen, der ihn gerade noch für erzieherisch wertvolle Vorführungen brauchbar macht.

Der Film vergisst nach 90 spannenden Minuten, was er uns eigentlich erzählen wollte. Das sollte nicht passieren. Erstaunlich, dass das den Förderern nicht aufgefallen ist. Überraschend ist andererseits, wie leicht es offenbar auch heute noch ist, einen Cast zusammenzustellen, der glaubwürdig Ex-Nazis darstellen kann.

Den untadeligen General Fritz Bauer spielt Gert Voss, eine seiner letzten Rollen, er ist diesen Sommer gestorben. Ein würdiges Denkmal für Bauer und nicht weniger für Voss. Ein Schauspieler, der sein Sprecherhandwerk beherrscht. Vielleicht ist hier merkwürdig, dass eben nicht nur der Leidensdruck der Opfer gegen die Sachlichkeit der Staatsanwaltschaft steht, sondern, dass die Staatsanwaltschaft, als ihr Vertreter Radmann, selbst anfängt zu leiden. Auch die Sekretärin Schmidtchen leidet heftig, mit der bekommt man direkt Mitleid, wie sie die schlimmen Texte mitstenographieren muss. Das wirkt ein bisschen so, als würde der Führer durch ein trauriges Museum plötzlich selber bitterlich anfangen zu weinen.

So bleibt ein Kino in seiner Wirkung reduziert auf bildungsbürgerliches Pflichtpublikum, allen voran die Schulen, die immerhin einen schön illustrierten Einblick in diese Aufbruchs- und Verdrängungszeit erhalten. Es gibt auch Partys und Schlager. Der Zuckerguss, den diese Generation wollte, wie es an einer Stelle heißt, der wird dem Publikum nicht vorenthalten.

Plötzlich Gigolo

John Torturro als Autor, Regisseur und einer der Protagonisten beschwört nostalgisch ein jüdisches Leben wie in einem Stedtl, wo das Pikante besonderen Spaß macht, weil es ja verboten ist und die Rabbis auf die Palmen bringt.

Das familiäre New York, was hier entworfen wird und als Kulisse gilt, ist ein wunderbar herbstliches, Laubblätter überall und milde Lichtstimmungen. Im Herbst seines Lebens steht neben John Torturro sein Bruder im Geiste und Ko-Protagonist Woody Allen als Murray. Der muss seine ihm lieb gewordene Buchhandlung schließen. Torturro als Fioravante verliert so seinen Hilfsjob.

Wie die beiden sich kennengelernt haben, das erzählt viel über den Geist, von dem dieser Film lebt. Als Junge hatte Fioravante versucht, in den Buchladen einzubrechen. Daraus ist eine dicke Freundschaft geworden. Fioravante scheint allein. Murray ist so etwas wie eine Opafigur in einer bunten Patchworkfamilie. Wie er überhaupt im Film der Drahtzieher ist, der die Idee mit dem Gigolo für Fioravante aufbringt (vor der akkuraten Übersetzung des amerikanischen Originaltitels sind die deutschen Verleiher offenbar zurückgeschreckt: ein verblühender (fading) Gigolo dürfte ihnen Angst gemacht haben). Wie in einer Schnurre läuft die Überzeugungsarbeit zu diesem Berufswechsel unterhaltsam und ohne große Konflikte ab, es muss lediglich erörtert werden, was einen attraktiven Mann ausmacht, dass es nicht auf seine „Schnoze“ ankommt, vor allem wenn er älter ist.

Später wird das in einer anrührenden Szene, Hände auf nacktem Frauenrücken und die Frau weint bitterlich, noch gezeigt. Aber Meistererzähler Torturro bringt nur so viel ins Bild, dass die Zuschauerfantasie sich gut entzünden kann.

Die erste Klientin ist die unnahbare Sharon Stone als Dr. Parker; wobei Fioravante irritiert ist durch ihren Doktortitel und ihre Spezialität Dermatologin. Dann kommt die geheimnisvolle Witwe Avigail ins Spiel. Torturro inszeniert Vanessa Paradis als magisch-unnahbar wie anziehend. Sie hat, das bringt Komik in die Angelegenheit, einen Buddelkastenfreund von früher, Liev Schreiber als Dovi, der Stadtteil-Streife fährt (Shomrim) und der immer noch auf sie steht, der ihr nachstiehlt und die Umtriebe mit dem Gigolo und seinem Agenten misstrauisch beobachtet.

Das Ziel, das den beiden Senioren vorschwebt, wäre eine Ménage á Trois und wenns beim ersten Mal nicht klappt, so könnten ja weitere Versuche folgen. Es gibt in Bars Begegnungen mit attraktiven Damen, die französisch sprechen.

Miniaturen eines jüdischen Lebens in New York, als ob Allen und Torturro etwas Positives über jüdisches Leben erzählen wollen, was ihnen meisterhaft gelingt, vielleicht um abzulenken von dem durch die unversöhnlich-unterdrückerische Politik Israels den Palästinensern gegenüber ramponierte Image alles Jüdischen. Das ist nonaggressiv, humorvoll, witzig, kunstvoll vorgebracht.

Allen als der große Liebestheoretiker.
Der Herbststimmung gemäß erzählt Torturro diese Großtadtminiaturen in aller Ruhe, ohne jede Hektik, als ob ihm das alles gerade einfiele.
Pikant wirkt ein Ineinanderschnitt der Verhörszene vor den Rabbis mit einer Ménage-à-Trois-Szene.
Eine aparte Werweißerei zum Thema Liebe von Älteren, die nicht vergisst, dass „donde hay amor, hay dolor“, dass wo Liebe ist, auch Schmerzen sind.

Ältere Herren haben ein Recht auf pikante Träumereien und Phantasien. Wer das so charmant erzählt, kann durchaus mehr als nur die Senioren damit erfreuen.

Quatsch und die Nasenbärbande

Veit Helmers eklektisch-epigonales Tüftlertum findet in dieser Geschichte, die von Knirpsen handelt und vorgeblich für selbige bestimmt sei, eine Spielwiese, die ihm diverse Zwangsgebührentreuhänder und Filmförderer großzügig bereitgestellt haben, obwohl die Geschichte die Knirpsenwelt überfordern dürfte, ihren Horizont noch weit übersteigen dürfte (solche kleinen Knirpse allein auf einem hohen Kran, entführen Loks, Traktoren und Motorschiffe).

Ein Ensemble von namhaften Darstellern, die mit Helmer unter Kinderfilm verstehen, übertrieben agieren, und den Helmerschen Tüfteleien und Spielereien nichts wegnehmen, verschwindet samt Namhaftigkeit in Bedeutungslosigkeit; ein namenloses Ensemble wäre vermutlich lustiger und billiger gewesen.

Mit dem Titel Quatsch glaubt Helmer, sich einen Freibrief für Kinderlustigkeit ausgestellt zu haben, dabei heißt der Nasenbär so; das ist vielleicht der Nasenbär, den er den Förderern aufschwatzen konnte, dass er jeglichen Anspruch an ein gutes, geschmacksbildendes Kino und Geschichtenerzählen problemlos mit einer dieser mechnischen Maschinen, die für ihn so eine wichtige Rolle spielen, vernichten zu können glaubt.

Die Orte, wo Helmer, der mit Ulrich Krause das Drehbuch geschrieben hat, abgekupfert haben dürfte, sind leicht zu eruieren, Wer ist Thomas Müller, auf der Suche nach dem statistischen Durchschnittdeutschen und König von Deutschland von David Dietl, ebenfalls auf der Suche nach dem typischen Durchschnitt, diesmal dem Konsumenten. Den machen bei Helmer die Manager von GKS, der Gesellschaft zur Konsumentenforschung ausgerechnet in Bollersdorf mitten in Deutschland mitten in Europa aus und bauen ein architektonisches Ungetüm, um an den Bollersdorfern neue Produkte im Supermarkt „Brutto“ auszutesten. Das führt zu ein paar Experimenten, die in Rauch und Qualm enden, als solches lustig, aber von der Geschichte her für die Knirpse kaum nachvollziehbar.

Ferner steckt die GKS alle Senioren im Rentenalter in ein Altenheim. Das wollen die Knirpse rückgängig machen, es müssen politisch wache Wunderkinder sein. Sie wollen gegen die Durchschnittlichkeit ankämpfen. Ihre Hoffnung ist, durch Herstellen eines Weltrekordes ins Guiness-Buch der Rekorde zu kommen und so ungewöhnlich zu werden.

Die ersten Versuche sind bescheuert, auch nicht kinderfilmlustig, aber dann landen sie doch noch den entscheidenden Hit durch eine irre Verkettung von unglücklichen Umständen, die die Kids mit Glück überstehen, alles, was Motor und Räder hat im Ort ist nachher nur noch Schrott, und auch da sind die Kids mit innovativen Ideen so manchem Thinktank weit überlegen und die Mechanik der Verkettung, Helmer liebt alle Arten von Seilzügen, Seilbahnen, bringt schier unglaubliche Wunder zustande.

Am besten hat mir die Umfunktionierung des geschrotteten Traktors gefallen, verkehrte Welt, der Dirigent stellt sich davor, dirigiert und oh Wunder, die Musik setzt ein, hier mal akzeptabel im Gegensatz zur dauerdrübergelegten Musik, die ständig kommentiert, wie lustig und leicht dieser Film doch sei, so dauernd, dass es richtig nervig wird. Bedenkeswert ist sicher auch die Erfindung des recyclenden Müllautos, das hinten den Müll schluckt und vorne Kinderfahrräder ausspuckt. Die Tinguely-Maschine bringt einen Hauch von Kunst in den Film.

Sonst scheint der Regisseur mehr mit Tüfteln im Sinne des Nachmachens und nicht des Forschens am Hut zu haben als mit Kino. Für die Kinder sicher immer ein piepsendes Vergnügen, wenn die Welt, die sie sich gerade anfangen zu eigen zu machen, plötzlich zur verkehrten Welt wird, aber sowieso, hier haben die Kinder das letzte Wort und nicht irgendwelche kinoverbohrten Reviewer. Die Ansammlung von Tüfteldingen, die ist selbst rekordverdächtig, vielleicht möchte der Regisseur damit in ein Buch der Rekorde kommen.

Aber was sagen den Kleinen Namen wie Otto Normalverbraucher und Sabine Mustermann, die zusammen 0815 ergeben oder die Firma GKS? Mir kommt die Übung extrem verkrampft und von wenig originärer Fantasie zusammengeschustert vor, ein kruder Mix, bei dem wohl für jeden etwas dabei sein soll. Und des öftern Sätze wie: was ist denn hier los? in Deutschland ein hinreichender Beweis für oberflächliche Drehbucharbeit.

Das grenzt an Liebe

Die Familie ist das A und O, die Familie ist das Pfund, mit dem Hollywood seit Anbeginn wuchert in allen Tonlagen, Genres, Stilen. Die Familie ist das Glück des Menschen, das ist auch in diesem Hollywood-Starvehikel mit einem Botox- und Konfektions-Ensemble ab Stange der Fall. Geschrieben hat das Buch Mark Andrus, inszeniert hat Rob Reiner.

Michael Douglas ist ein misanthropisch und rassistisch gewordener Immobilienmakler. Er wohnt in dem Mehrfamilienhaus „Shangria – la“. Allein. Zu seinem abgestürzten Sohn hat er keinen Kontakt. Dieser hat mit einer Drogensüchtigen zusammen ein 9-jähriges Töchterchen. Sein Sohn muss in den Knast. Darum taucht er in Sorge um sein Mädchen beim Vater auf und lässt ihm keine Wahl, für die 9 Monate Knastaufenthalt, auf es aufzupassen. Logisch, dass das Mädchen sein Herz gewinnen und ihn wieder zum Familienmenschen und das heißt, zum glücklichen Menschen machen wird. Beihilfe dazu leistet der andere Star dieses Dinner-Kinos, Diane Keaton, die selbst verwitwet ist und auch eine Bewohnerin von „Shangria La“ und zuerst nicht für casual Sex zu haben ist oder dann doch.

In der Eingangssequenz macht uns der Film mit einer richtig schönen Kameradrohnenfahrt neugierig; die Kamera schwebt auf den Landstrich Fairfield zu übers Wassser mit Segelyachten, zwischen den Segelstangen durch, fliegt über die ersten Häuser, folgt dem Verlauf einer Straße, die bald unter Bäumen verschwindet; was wird die Kamera jetzt machen, zwischen den quer gespannten Telefondrähten durch, nein, so mutig ist sie nicht, sie senkt sich aber, um unter den Baumkronen und über einem unter ihr hervorschießenden Mercedes-Kabriolet alter Bauart weiterzufliegen.

Die Schnitte sind etwas arg gemütlich, ganz ohne cineastischen Ehrgeiz, oft scheint mir, als hätte ich noch das Wort „action“ gehört. Und die alten Kämpen von Stars, die sind berufsmäßig unwiderstehlich geworden, aber sie sind so routiniert – auch im strahlendsten Lächeln oder der miesepetrigsten Miene – dass ich manchmal den Eindruck hatte, Douglas oder Keaton würden parallel noch an anderes denken oder würden lieber irgendwo auf einem Sonnendeck faulenzen oder Golf spielen oder shoppen oder einfach so lustig sein.

Pioneer

Hier ist nebst Rundfunkzwangsbeitrag von arte und ZDF, Fördergeld von der europäischen Union, aus Finnland Norwegen, Deutschland, Frankreich und Schweden in über 300 Metern Tiefe im Meer vor Norwegen versenkt worden.

Der Tiefenrausch ist eindrücklich gefilmt und zusammengeschnitten von Erik Skjoldbjaerg nach einem Drehbuch von Nikolaj Frobenius, Hans Gunnarsson, Cathinka Nicolaysen, Erik Skjoldbjaerg und Kathrine Valen und druckkammerresistent orchestriert von Air.

Das Tiefenerlebnis, das kann einem dieser Film verschaffen. Ob das allerdings fast zwei Stunden trägt, das wage ich zu bezweifeln, denn man taucht immer wieder auf, und die Oberwelt ist auch recht schwindlig erzählt und aufgenommen.

Die Absicht ist honorig. Einen Vorfall aus der Tiefe des Meeres ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, der am Beginn des florierenden Reichtums Norwegens durch die Offshore-Ölforderung stand, ein Delikt, ein Verbrechen, welches heute noch, über 30 Jahre später, der Film spielt in den 1980ern, den Europäischen Gerichtshof beschäftigt.

Die Eckpunkte der Geschichte, die erzählt werden soll, die werden in Titeln dem Film vor- und hintangestellt. Tauchtestversuche in über 300 Metern Tiefe vor Norwegens Küste sollen erkunden, ob es möglich ist, eine Tiefenpipeline von Menschen so tief unten zusammenschweißen lassen zu können. Denn wer das kann, der wird viel Geld verdienen.

Die Sache läuft schief insofern, als beim ersten Testversuch ein Taucher stirbt. Sein Bruder Petter, Aksel Hennie, der dabei war, wird über den Rest des Filmes und für den Zuschauer kaum nachvollziehbar, den Ursachen dieses Todes nachgehen. Es scheint sich auch um eine Konkurrenz zwischen Amis und Norwegern zu handeln. Offenbar gewinnen die Norweger, die pflanzen gegen Ende eine norwegische Flagge auf dem Meeresgrund. Erinnert in seiner Feierlichkeit und Schwerelosgikeit an die erste Mondlandung. Die Amerikaner sind ausgebootet worden.

Wer sich nicht auskennt mit Tauchtechniken, Druckkammern, Gasgemischen zur Sauerstoffversorgung in großen Tiefen, mit der Dekompressionskrankheit, wird das allerdings nicht so richtig nachvollziehen können. Denn dem Regisseur ging es um rein subjektive Berichterstattung über den Taucher. Wobei Aksel Hennie zwar ein überzeugender Schauspieler ist, aber in dieser Rolle, in welcher er offenbar recherchieren und einer Fährte nachgehen muss, nicht so ganz passt, er wirkt nicht als der Typ, der Gerechtigkeit herstellen will oder er hat aufgrund des Drehbuches und des Faibles für verschwommene Unterwassereffekte des Regisseurs keine Chance, diese auch den Zuschauer führende Funktion der Rolle zu erfüllen. Schade umd das viele versenkte Geld.

Im Vortext wird auch die Moral des Filmes angekündigt: es geht um Profit und dafür werden Menschen geopfert. Den Thriller zu erzählen, das interessiert den Regisseur nicht, er möchte an seinen Erfolgsfilm „Insomnia“ anknüpfen.

Keinerlei Mühe wird darauf verwendet, die Tauchvorgänge auch nur ansatzweise technisch plausibel nachvollziehbar darzustellen, hätte dem Film doch keinen Abbruch getan, hätte sogar Spannung erzeugen können, aber Skojldbaerg scheint lediglich einem Bilder-Tiefenrausch-Impressionismus huldigen zu wollen.

Auch die Zwischentitelung zeigt, wie kursorisch Skojldbaerg mit dem Storytelling umgeht, einmal heißt es „erster Tauchgang“ und dann irgendwann „letzter Tauchgang“, dazwischen war der Film wohl gerade mal schnell Zigaretten holen.

Den Eindruck, wie man in so einer Druckkammer und den diese betreuenden und befehligenden Menschen ausgeliefert sein kann, vermag der Film herzustellen. Man kann damit auch Erpressungsversuche starten. Später wird uns der Protagonist noch einige Symptome der Dekompressionskrankheit vorspielen dürfen. Ja, das ist doch immerhin lehrreich.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.