Mike Leigh (Another Year) ist ein hervorragender Menschenbeobachter, selbst wenn er seine Geschichte tief im 19. Jahrhundert ansiedelt und eine Welt zeichnet, die von Gicht und Todesrasseln beherrscht wird, die einer gnomen-karikaturhaften Maulwurfswelt gleicht, in welcher die Sehnsucht nach Licht (und was es alles bedeutet) über die Hände des Malers William Turner ihren Weg auf die Leinwand findet und dort aus heutiger Sicht eine große Haltbarkeit entwickelt im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen, die sie furchtbar fanden wie die Königin oder sie gar verspotteten, wie auf dem Theater geschehen.
Es ist kein Vergötterungsfilm, kein Denkmalfilm, den Leigh uns zeigt. Er schaut bloß unbestechlich zu und es macht ihm Spaß, seine Beobachtung in diesem historischen Setting zu zeigen. Wobei er ganz im Sinne des Zaubers von Turners Malerei der Verführung nicht widerstehen kann, die Bilder turnerhaft auszuleuchten, aber das ist nicht Methode um ihrer selbst willen, das ergibt empathischen Charme.
Timothy Spall spielt diesen William Turner als einen finsteren, motzigen, brummelnd-grummelnden, fast wie ein Eber, Work-Maniac, auch Sexmaniac, wofür hat man seine Haushälterin, Hannah, Dorothy Atkinson, die hält hin, wenn ihm darnach ist. Seine Kinder und Kindeskinder interessieren ihn nicht, die stören den Künstler. Anfangs arbeitet er noch mit seinem Vater. Beider gebeugte Haltungen und die nicht allzu fließenden Bewegungen könnten gichtbedingt sein.
Vater ist der Assistent des Malers, kauft ein für ihn, mixt die Farben. Der stirbt bald nach einem langen, rasselnden Todeskampf. Selbiges wird uns für Mr. Turner auch noch bevorstehen.
Dazwischen lässt uns Leigh schmunzelnd, grinsend teilhaben an seinen Beobachtungen des Kunstbetriebes, der heutige ist gemeint, die wohlhabende Familie Rusnik, die zum „intelligenten“ Teegespräch einlädt, das mit einer Konversation über Stachelbeeren beginnt, bis der Sohn sich in verquasten Äußerungen über die Kunst ergeht.
Leigh zeichnet das Milieu der Künstler anhand von Hängungen und Eröffnungen von Ausstellungen. Wie Turner auf einem Bild mit Constables Pinsel noch einen roten Klecks zur Verwunderung aller drauftupft, der nach einem zweiten Arbeitsgang vom kunstverständigen Publikum als Boje interpretiert wird. Auch die Königin ist wenig angetan von den kaputten Schiffen.
Auf einer Reise steigt Turner bei einer Mrs Booth, Marion Bailey, ab. Wie er zum zweiten Mal bei ihr auftaucht, werden die beiden intimer, er bewundert sie als griechische Schönheit, was sie mit Garantie nicht ist. Sie weiß zwar, dass er „Bildchen“ zeichnet, aber er gibt sich als Pfändungsbeamte aus. Ein Besuch bei Sophia Booth gibt Leigh außerdem Gelegeneit, die neue Kunst der Daguerreotypie vorzustellen und das Kabinettstückchen einer Fotosession mit zehnsekündiger Belichtungsdauer zu inszenieren.
Mike Leigh hat wieder ein großartiges Ensemble an Schauspieler zusammengestellt und sie alle perfekt in seine Maulwurfswelt mit den Mitteln aus Groteske, des Karikierens, auch momentweise der Klamotte und des Chargentums eingefügt.
Hier bei Leigh, und das ist das Wundersame an diesem Film, schafft das Hässliche, das Gekrümmte, das Geduckte, das Lichtlose die Kunst und das Licht und das Schöne, das ist die Reibung, die diesen Film so unterhaltsam macht.
Turners Tochter schimpft über Vaters lächerliche Schiffwracks und Mike Leigh ätzt nicht weniger über die Kunst- und die Künstlerwelt.
Ehrenhaft für Turner: der neureiche Selfmademan, der ihm sein Gesamtwerk für eine horrende Summe abkaufen möchte, wird des Zimmers verwiesen: die Bilder seien für die Öffentlichkeit bestimmt und sollen zusammenbleiben. Der Film ist hiermit für die Öffentlichkeit zu hoffentlich zahlreichem Besuch freigegeben.