Zwei Tage, eine Nacht

Die Gebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne führen einen 90 spannende Minuten durch das Thema Solidarität und „was braucht der Mensch?“.

Die Firma „Solwal“, die mit Solartechnik befasst ist, steckt durch die Konkurrenz aus Asien in finanziellen Schwierigkeiten. Sie hat 17 Angestellte. Eine Person davon muss gehen oder die anderen müssen auf ihren Bonus verzichten. Der stellvertretende Chef Jean-Marc hat eine offene Abstimmung unter den Angestellten veranstaltet. Er selbst hat für die Entscheidung gegen Sandra agiert, dafür dürfen die anderen den Bonus behalten. Entsprechend ist das Resulat herausgekommen.

Sandra will sich nicht damit abfinden. Für sie ist der Jobverlust eine Katastrophe, sie braucht das Geld, aber nicht nur das, sie braucht den Job auch zur Stabilisierung, hat sie doch gerade ein Depression hinter sich gebracht, was der Anlass für das Mobbing durch Jean-Marc gewesen sein dürfte.

Das ist die Ausgangssituation, mit der uns die Gebrüder Dardenne konfrontieren, das Experiment, das sie uns vorführen, denn es ist kaum zu erwarten, dass so eine Abstimmung je in einer Firma stattfindet.

Es ist Ende Woche kurz nach der Abstimmung und die Regisseure heften sich an die Fersen von Sandra, die von Marion Cotillard atemberaubend dargestellt wird, die alle ihre Kräfte mobilisiert, um sich vor dem drohenden, sozialen Absturz zu schützen. Denn kurz vor Feierabend am Freitag konnte sie dank der Hilfe einer Freundin erreichen, dass der oberste Chef, Dumont, sich bereit erklärt, die Abstimmung am Montag früh, dieses Mal anonym, zu wiederholen.

Sie begibt sich übers Wochenende auf ihren eigenen Kreuzweg, auf diese erniedrigende Klinkenputztour, in der sie bei ihren Arbeitskollegen und -kolleginnen anklopft und um deren Stimme bettelt. Dafür muss sie die Bereitschaft zum Verzicht auf den Bonus erwarten. Auf ihrem demütigenden Betteltrip, der genau zwei Tage und eine Nacht dauern wird, bis am Montag die Arbeit wieder beginnt, erlebt sie Dankbarkeit und Ablehnung, Schroffheit und Mitleid, aber doch häufig die Meinung, dass man das Geld des Bonus unbedingt brauche.

Sie selbst stürzt zwischenzeitlich in die Verzweiflung. Aber ihr Mann gibt ihr Kraft, weiterzumachen. Die Dardenne-Brüder schaffen es, den Zuschauer 90 Minuten lang mit der Frage zu konfrontieren, wie weit man mit seiner eigenen Solidarität mit dem Nächsten gehen würde, die Frage nach dem Teilen, eine urchristliche und humanitäre Frage.

Ein Beispiel dafür, wie die Menschen überhaupt auf der Welt mit dem Reichtum zurechtkommen, ohne dass zu viele darunter leiden. Erschwerend zum Trip von Sandra kommt hinzu, dass sie eine Frau ist, der es schlecht geht („je suis crevé“). Für die Mitwelt nicht leicht, darauf positiv zu reagieren. An zwei Stellen gibt es Musik im Auto von Manu, dem Mann von Sandra. Einmal ein etwas melancholischeres Stück, das Manu gleich wieder aus Rücksicht gegenüber seiner Frau abstellen will, sie wehrt sich dagegen, und wieviele Stimmen sie bereits gewonnen habe, so lässt er es rocken und plötzlich ist eine aufgedrehte Stimmung. Traurig-schönes Symbol für Sandra: ihre viel zu große Tasche, in der zu wühlen und Dinge zu suchen mehr einem Glücksspiel gleichkommt.

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