Tatort: „Im Schmerz geboren“

Ich hätte da ein paar Anmerkungen zum Tatort vom Sonntag, „Im Schmerz geboren“. Vorsicht, Spoiler.

Ausnahmsweise hatte der Tatort schon im Vorfeld für Aufregung gesorgt, denn einzelne Medien wiesen darauf hin, dass es diesmal „ganz anders“ und sowieso sehr blutrünstig werde. Gut, sowas ist leicht zu behaupten. Doch diesmal stimmte es.

Ich hatte die Ausstrahlung verpasst und den Tatort aufgezeichnet. Erst am folgenden Dienstag konnte ich ich ihn nachholen. Schon kurz nach der Ausstrahlung am Sonntag gingen diverse Meinungen durchs Netz, es war klar: Dieser Tatort polarisierte. Während die einen drohten, dem altgedienten TV-Behemoth abzuschwören, jubelten andere, dass nun endlich frischer Wind Einzug gehalten hätte. Quentin Tarantino! Sergio Leone! Große Namen wurden da geworfen.

Die Handlung des Tatorts ist relativ unwichtig (zum Teil war sie an den Haaren herbeigezogen), die Aufmachung ist jedoch interessant: Ähnlich einem Shakespeare-Theaterstück, wie es in diesen runden Holztheatern aufgeführt wurde (seien wir ehrlich, ohne „Shakespeare in Love“ hätte keiner von uns Ahnung, wie es damals so zuging am Theater), gibt es einen Erzähler, der – gänzlich ungewöhnlich für einen Film – das Publikum direkt anspricht, mit direktem Blick in die Kamera. Dieser baut Spannung auf, indem er die Eckpunkte der Geschichte anreißt, dann aber mit „aber seht selbst“ oder gleichwertigen Formulierungen in die Handlung überleitet. Das muss einem nicht gefallen, doch es ist ein legitimes Stilmittel, das bis jetzt meines Wissens keine Anwendung fand. Zumindest nicht beim Tatort.

Ebenso der Bezug der Handlung zur Kunst. Immer wieder werden Szenen eingefroren und in einen Ölmalerei-Stil übersetzt. Die Figuren haben starke Bezüge zum Theater, zur klassischen Musik und zum Theater, sprich: Zur Hochkultur. Sehr gebildete Leute treffen aufeinander, können doch nicht aus ihrer Primaten-Haut, empfinden Rachedurst und ähnlich primitives. Was uns der Regisseur damit sagen will, wird mir nicht zur Gänze klar – doch optisch ist auch dieses Stilmittel „mal was anderes“ und allein schon deshalb löblich.

Am erstaunlichsten finde ich: Es gibt keinen klassischen Tatort, keine Leiche. Nicht wirklich. Die Toten vom Anfang sind so eine Art Alibi für das Starten des eigentlichen Haupthandlungsstrangs. Normalerweise muss ja ein Verbrechen aufgeklärt werden, und dann wird der Täter überführt, fertig. Hier bahnt sich der Konflikt schon vorher an, als klar wird, wer da am Bahnhof angekommen ist. Die kausale Beziehung des Antagonisten zu den drei Opfern zu Beginn des Films ist lange nicht gegeben, aber nicht im Sinne einer ungeklärten Beweisführung, das wird eher nebenher geklärt, und das auch nur für den Zuschauer. Finde ich gut. Mal was anderes, auch in diesem Bereich.

Dieser Überfall auf das Casino, ebenfalls nur eine unwichtige Nebenhandlung, die eigentlich einen ganz anderen Zweck erfüllt, ist endlich mal etwas, was man hierzulande wirklich mal drehen sollte. Man nehme sich ein Beispiel an „Ocean’s Eleven“ oder „The Italian Job“ (welche Auflage, soll sich jeder selber selber überlegen), sowas sollte man hier mal drehen! In Deutschland gibt es Geld (zum Stehlen) und epische Kulissen für Überfall und Flucht, und Autobahn, die ausgelegt für Raserei ist, gibt’s auch noch. Hier wird das ganze nur angerissen, weil, wie gesagt, was anderes dahintersteht.

All die Toten und Erschossenen, die in den Medien erwähnt wurden – leider meistens enttäuschend. Der größte Teil der Toten geht auf das Konto einer offenen Schießerei zwischen Cowboys und Indian- äh, Gangstern und Polizisten, das ist meines Erachtens etwas geschummelt. Denn solche Gelegenheitsgangster gehen selbst auf Droge auch instinktiv in Deckung, nehme ich doch an. Aber: Die Toten im Vorfeld, die sind richtig spannend. Normalerweise wird beim Tatort ja eine Person irgendwo bedroht, dann kommt der Retter, und diese beiden, also Retter und Bösewicht, brüllen sich dann eine Zeit lang Falckenberg-Schauspielschulmäßg an, bis man kein Wort mehr versteht, und alle überleben. Doch hier, und das ist wie bei Game of Thrones, wird halt eiskalt und ohne langes drumherum aus dem Weg geräumt, wer für den Plan nicht mehr nötig ist, oder wer nur im Weg steht. Das ist so richtig shocking! Hier wird der Tatort-Fan hinter dem Ofen hervorgeholt, hervorgerissen geradezu, denn es gibt kein Happy-End für alle Beteiligten.

Die Frage nur: Begibt man sich damit nun auf ein niedrigeres Niveau, wo man, von oben kommend, Eindruck schinden kann? Oder wächst man eher in die Breite, moralisch, begibt sich auf skandalträchtiges Terrain, um zu provozieren? Das ginge dann aber auf Kosten einer möglichen Abstumpfung der Zuschauer, so könnte man befürchten, bis man am Schluss in Hollywood angekommen ist, wo die Gesetze der Physik für die Hauptfiguren schon nicht mehr gelten, nur um noch mehr Action und Wucht in die Szene zu bekommen, als rein technisch eigentlich möglich. Also, kurz: Droht beim Verlassen des Pfads der dramaturgischen Tugend die Abstumpfung und Verrohung?

Kann sein. Langfristig wahrscheinlich schon. Aber ich finde, die Richtung stimmt. Der Tatort eines Verbrechens kann schon auch mal blutig sein, die Aufklärung nicht optimal laufen, Tote und Verletzte fordern. An der Intelligenz der Handlung wurde ja nicht gespart, und das macht das Kraut fett.

Rein stilistisch hat dieser Tatort hier vielleicht nicht jedermanns Kleinhirn gekitzelt – aber das muss getrennt betrachtet werden von den anderen Attributen. Denn dieser Tatort hatte – Gottseidank, endlich mal – so richtig Eier und Brusthaar. Und das ist geil.

Natürlich, Quentin Tarantino lächelt müde, und seine Fans ebenso. Aber der erste Schritt ist gemacht. Mehr davon! Mehr von den jungen Wilden! Ich will Lena Odenthal im Sperrfeuer sehen, mit mindestens zwei Streifschüssen am Kopf und der Hose voll. Ich will Thiel und Boerne nackt im Folterkeller um ihr Leben flehen sehen, mit so einem roten Ball in den Mund geschnallt. Ich will, dass einem der Kollegen vom Bodensee endlich mal das alberne „Konschtanz“ im Halse steckenbleibt.

Also: Weiter so. Mehr davon!

3 Gedanken zu „Tatort: „Im Schmerz geboren““

  1. Bin mir gar nicht so sicher, ob Tarantino müde lächelt. Die Idee mit dem Spiel des Laserpointers hätte er womöglich selbst gerne gehabt. Und in Anbetracht des sicherlich vergleichsweise niedrigem Produktionsbudgets müsste er womöglich weinen. Aber er kann es ja wiedergutmachen und den sensationellen Ulrich Matthes für einen seiner Filme verpflichten.

  2. Frank, Du hast sicher Recht, da war schon einiges geboten. Das Spiel mit dem Laserpunkt fand ich auch herrlich poetisch, nur: Jeder halbwegs normale Mensch wäre in dieser Situation um sein Leben gerannt, daher bin ich nicht sicher, ob das wirklich so eine gute Entscheidung war. Ich bin in dieser Hinsicht aber ziemlich krass, ich kann solche Unglaubwürdigkeiten nur akzeptieren, wenn zuvor etabliert worden ist, dass wir uns in einer Fantasie befinden.

    Ich denke schon, dass Tarantino müde lächelt. Er dürfte dem Laserpunkt sicher Respekt zollen, aber wenn Du die Leinwandpoesie seiner Werke vergleichst mit der des Tatorts, da ist schon noch einiger Abstand. Klar, das Budget spielt eine Rolle. Aber mit einer geringen Tiefenschärfe drehen und die Farben hochdrehen kostet ja nicht wirklich extra.

    Wenn ich auf die Schnelle zwei ähnliche Situationen nur von der Bildsprache her vergleichen darf: Gut im Tatort – Besser bei Tarantino.

    Das meine ich halt mit „müde lächeln“. Es wird schon klar, wie’s gemeint ist, aber es fallen einem gleich Beispiele ein, wo dasselbe schon beeindruckender gemacht wurde. Und das ist halt immer so eine Sache.

    Aber eins ist klar: Ich kann jetzt nicht mehr sagen, Tatort sei schlecht. Es gibt jetzt wenigstens einen so richtig guten. Ich habe aber auch vielleicht nur 30 oder 50 wirklich ganz gesehen, bin also ohnehin kaum berechtigt, mir eine Meinung zu leisten.

  3. Bin mir nicht so sicher, ob du mit 50 Jahren Gangstererfahrung und einem wilden Rudel entschlossener Schläger hinter dir einfach so Reißaus nimmst. Sei aber mal dahingestellt.

    Ich für meinen Teil liebe Krimis und komme bei dieser Liebe höchst selten auf meine Kosten. Das ist literarisch u.a. darauf zurückzuführen, dass mir all diese schwachmatisch, religiös motivierten Serienkiller oder noch schlimmer, die bigotten reaktionären amerikanischen Anwälte, die in den Buchhandlungen immer vorn auf den Verkaufstischen liegen, ein Graus sind. Alles auf den Massenmarkt und den maximalen Verkaufserfolg getrimmte Scheiße.
    Quasi alles Scheiße seit Patrica Highsmith und Raymond Chandler von uns gegangen sind.

    Obwohl? Chandler? Wenn dem nichts mehr eingefallen ist, so sagt man, sind plötzlich und von irgendwoher irgendwelche Ganoven aufgetaucht, haben die Tür des Detektivs eingetreten, ihn zusammengeschlagen und dann eindringlich vor jeder weiteren Einmischung in was auch immer gewarnt.

    Und das ist natürlich genau das Ding, welches in schlechter Kopie in 99,9 Prozent aller, insbesondere deutscher, Fernsehproduktionen zu beobachten ist. Nachdem der wesentliche Teil der Handlung abgehakt ist – also: Jogger stolpert im Park über Leiche, Ermittler käbbelt sich mit Gerichtsmediziner, Ermittler ermittelt gegen 2, maximal 3 Hauptverdächtige und ein nicht ganz so Verdächtiger steht doof daneben und entpuppt sich kurz vorm Schluss letztlich als Täter – wenn also dieser Teil dann endlich abgehakt ist, steht dieser Täter mit einer Waffe vor dem Polizisten oder einem anderen Darsteller, gesteht wutentbrannt und/oder tränenreich die Tat und quatscht und quatscht und quatscht und quatscht und quatscht und quatscht und quatscht … und dann kommt die Kavallerie. Sorry, das ist unglaubwürdig!!! Etablierte Fantasie hin oder her.

    By the way: Sowas kann mann auch besser machen. Siehe Breaking Bad, letzte Staffel, Hanks Tod. https://www.youtube.com/watch?v=BgoS-qocGxU

    Und wenn du die angesprochenen 99,9 Prozent – und der Tatort – man muss es doch einräumen – sprengt diese Statistik (Nur 3 Beispiele aus etwa 900: Borowski und die Frau am Fenster, Borowski und der stille Gast, Franziska) – zugrunde legst und vielleicht die angesprochene Schwäche für das Erscheinen von Neurotikern in Krimis (ich hatte Patricia Highsmith angesprochen) teilst, dann muss dir “Im Schmerz geboren” wie eine Offenbarung erscheinen.

    Und wenn es den nächste Woche nochmal als Kino Matinee gäbe, ich würd mir sofort ein Ticket sichern.

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