Landauer – Der Präsident (TV, BR)

Die Erwartungshaltung an dieses TV-Movie über den früheren, sagenhaften Präsidenten des FC Bayern, Kurt Landauer, war groß. Da spielt Gegenwart mit, das kann vielleicht etwas mit enträtseln oder heranführen, wieso der FC Bayern inzwischen ein so phänomenal erfolgreicher Fußballclub ist. Wobei die Fernsehmacher bei der Produktion des Filmes noch nicht ahnen konnten, dass zum Zeitpunkt der Ausstrahlung fast die halbe Mannschaft dieses Clubs aus frischgebackenen Weltmeistern besteht.

Die Rolle des Kurt Landauer wurde mit Josef Bierbichler besetzt; der die Erwartungen in gewisser Weise erfüllt an das Format einer solchen Persönlichkeit. Ein Jude, der als Präsident noch in der aufkommenden Nazizeit den FC Bayern zum ersten Mal zur Meisterschaft geführt hat. Den Krieg hat er im Schweizer Exil überlebt. Nach dem Krieg wollte er nur auf Zwischenstation über München nach Amerika. Aber die Passion für den Fußballclub war stärker. Von 1947 bis 1951 half er ihm auf die Nachkriegs-Beine.

Diese weitsichtige und handlungsfähige Persönlichkeit bringt Bierbichler auf den ersten Blick prima rüber, konventionell prima als in sich stimmig, vielleicht etwas pathetisch prima. Wenn man sich allerdings beispielsweise einen Fritz Kortner neben ihm vorstellt, dann schärft sich der Blick dafür, wie wenig Futter der Film Bierbichler gegeben hat, kaum mehr als Pose, einige auktoriale Argumente; hauptsächlich aber muss er seine Pose durch Unmengen süßlich vom Drehbuchautor Dirk Kämper erfundene (Verlobungsringübergabe an Maria in Edelrestaurant) und von Hans Steinbichler, speziell in Innenräumen recht schummrig inszenierten Szenen konsequent durchziehen.

Und als ob dies nicht süß genug wäre, denn offenbar trauen die Fernsehredaktionen dem Publikum mehr Auseinandersetzung nicht zu (außer dass historienpflichtbewusst ein Ex-SSler mit seiner AB-Tätowierung am Unterarm eingeführt und prompt verhaftet wird und natürlich werden, höchst verdaulich, ein paar Nazizeitfakts in Weichtönen präsentiert).

Meine Enttäuschung ist die, dass mir jeder Bezug zur Gegenwart des FC Bayern fehlt in diesem Film, der ganz in der Tradition des hochgeförderten Naziploitation-Movies steht, für den immer genügend Geld locker gemacht wird, blind locker gemacht wird.

Warum werden so viele leere, inhaltsleere, süßliche Füllszenen reingenommen (z.B. der Landausflug mit viel Jubel und deftigem Essen), als ob es nicht genügend Stoff für die Auseinandersetzung in so einer Zeit gegeben hätte. Für wie armselig halten diese Fernsehredaktionen ihren Zwangsgebührenzahler?

Warum wird die Titelfigur nicht gründlicher vorgestellt und den aus ihrem Charakter und Schicksal sich ergebenden Konflikten nicht ernsthaft nachgegangen? Bierbichler löst alle Problem aus seiner Landauer-Pose, nie hat er einen inneren Kampf. Nie interessiert es den Zuschauer, wie es jetzt weiter gehen wird. Warum wird Drehbucharbeit immer so ultraleicht und superoberflächlich genommen? Ein Film aus geistiger Schonkost. Ich habe mir da schon mehr geistige Beschäftigung und Anregung erwartet für mich als Zuschauer als nur eine Ansammlung dösiger Rührszenen. Ich hatte mir einen deutlich wacheren Film erhofft. Es geht ja nicht um Originalrekonstruktion, auch nicht um die von Figuren, aber etwas von dem Geist sollte schon rüberkommen, das uns Heutige anspricht und das vielleicht sogar eine Brücke zum Heute schagen könnte. Hier aber nicht mehr als hübsches Museum.

Auch wirken die Sprünge in der Erzählung wirklich sprunghaft. Weil keine klare Exposition erfolgt ist. Der Film schleicht sich quasi in sein eigenes Museum hinein. Fängt richtigerweise mit Landauer an. Er ist im Zug aus Genf nach München. Aber der Zuschauer sollte bald präzise über sein Ziel informiert sein; das kommt so schwammig daher, er wolle nach Amerika.

Melodramtisch-zuckriges Biopic, Memorial für den ersten Nachkriegspräsidenten des FC Bayern. Wiederaufbauoperette mit unverkennbarem Ehrgeiz zum anspruchsvollen Bauerntheater. Halb ertränkt in Schmacht- und Hoffnungsmusik. Und Jubel und Juhei. Ja, Steinbichler durfte eine Gedenkfeier zelebrieren. Dabei hat die Liturgie kostbare Filmminuten vereinnahmt, die alle nicht genutzt werden, den Charakter von Landauer und die Reaktionen der Umwelt griffig herauszustellen.

Rührstory mit Inge und dem Sohn ihres SS-Bruders Martin (der immer noch antijüdische Parolen loslässt). Heftigkeit wird, wenn überhaupt, dann an manchen Stellen von den Schauspielern hergestellt mit ihrer Performance, nicht aber vom Drehbuch her.

So verdienen zwar viele verdiente und weniger verdiente Mimen und TV-Gewerke gutes Geld aus den Zwangsgebührengeldern, seinem Grundauftrag tut der Rundfunk damit aber allerhöchstens formal oder nur ganz oberflächlich Genüge. Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Liturgisches Fernsehen. Vergleich Bierbichler – Kortner, dieser mit seinen wachen, funkelnden Äuglein, während Bierbichler zelebriert, dem Landauer ein Denkmal setzen möchte, indem er ein Denkmal spielt und wie aus einer Art Schwermut heraus handelt. Es fehlt der Figur just dieser Lebenshunger, diese Lebensneugier, die bei Holocaust-Überlebenden zu beobachten war, auch beim Literaturpapst Reich-Ranicki. Dagegen ist Bierbichler der reine Schlafwandler.

Tatort: „Im Schmerz geboren“

Ich hätte da ein paar Anmerkungen zum Tatort vom Sonntag, „Im Schmerz geboren“. Vorsicht, Spoiler.

Ausnahmsweise hatte der Tatort schon im Vorfeld für Aufregung gesorgt, denn einzelne Medien wiesen darauf hin, dass es diesmal „ganz anders“ und sowieso sehr blutrünstig werde. Gut, sowas ist leicht zu behaupten. Doch diesmal stimmte es.

Ich hatte die Ausstrahlung verpasst und den Tatort aufgezeichnet. Erst am folgenden Dienstag konnte ich ich ihn nachholen. Schon kurz nach der Ausstrahlung am Sonntag gingen diverse Meinungen durchs Netz, es war klar: Dieser Tatort polarisierte. Während die einen drohten, dem altgedienten TV-Behemoth abzuschwören, jubelten andere, dass nun endlich frischer Wind Einzug gehalten hätte. Quentin Tarantino! Sergio Leone! Große Namen wurden da geworfen.

Die Handlung des Tatorts ist relativ unwichtig (zum Teil war sie an den Haaren herbeigezogen), die Aufmachung ist jedoch interessant: Ähnlich einem Shakespeare-Theaterstück, wie es in diesen runden Holztheatern aufgeführt wurde (seien wir ehrlich, ohne „Shakespeare in Love“ hätte keiner von uns Ahnung, wie es damals so zuging am Theater), gibt es einen Erzähler, der – gänzlich ungewöhnlich für einen Film – das Publikum direkt anspricht, mit direktem Blick in die Kamera. Dieser baut Spannung auf, indem er die Eckpunkte der Geschichte anreißt, dann aber mit „aber seht selbst“ oder gleichwertigen Formulierungen in die Handlung überleitet. Das muss einem nicht gefallen, doch es ist ein legitimes Stilmittel, das bis jetzt meines Wissens keine Anwendung fand. Zumindest nicht beim Tatort.

Ebenso der Bezug der Handlung zur Kunst. Immer wieder werden Szenen eingefroren und in einen Ölmalerei-Stil übersetzt. Die Figuren haben starke Bezüge zum Theater, zur klassischen Musik und zum Theater, sprich: Zur Hochkultur. Sehr gebildete Leute treffen aufeinander, können doch nicht aus ihrer Primaten-Haut, empfinden Rachedurst und ähnlich primitives. Was uns der Regisseur damit sagen will, wird mir nicht zur Gänze klar – doch optisch ist auch dieses Stilmittel „mal was anderes“ und allein schon deshalb löblich.

Am erstaunlichsten finde ich: Es gibt keinen klassischen Tatort, keine Leiche. Nicht wirklich. Die Toten vom Anfang sind so eine Art Alibi für das Starten des eigentlichen Haupthandlungsstrangs. Normalerweise muss ja ein Verbrechen aufgeklärt werden, und dann wird der Täter überführt, fertig. Hier bahnt sich der Konflikt schon vorher an, als klar wird, wer da am Bahnhof angekommen ist. Die kausale Beziehung des Antagonisten zu den drei Opfern zu Beginn des Films ist lange nicht gegeben, aber nicht im Sinne einer ungeklärten Beweisführung, das wird eher nebenher geklärt, und das auch nur für den Zuschauer. Finde ich gut. Mal was anderes, auch in diesem Bereich.

Dieser Überfall auf das Casino, ebenfalls nur eine unwichtige Nebenhandlung, die eigentlich einen ganz anderen Zweck erfüllt, ist endlich mal etwas, was man hierzulande wirklich mal drehen sollte. Man nehme sich ein Beispiel an „Ocean’s Eleven“ oder „The Italian Job“ (welche Auflage, soll sich jeder selber selber überlegen), sowas sollte man hier mal drehen! In Deutschland gibt es Geld (zum Stehlen) und epische Kulissen für Überfall und Flucht, und Autobahn, die ausgelegt für Raserei ist, gibt’s auch noch. Hier wird das ganze nur angerissen, weil, wie gesagt, was anderes dahintersteht.

All die Toten und Erschossenen, die in den Medien erwähnt wurden – leider meistens enttäuschend. Der größte Teil der Toten geht auf das Konto einer offenen Schießerei zwischen Cowboys und Indian- äh, Gangstern und Polizisten, das ist meines Erachtens etwas geschummelt. Denn solche Gelegenheitsgangster gehen selbst auf Droge auch instinktiv in Deckung, nehme ich doch an. Aber: Die Toten im Vorfeld, die sind richtig spannend. Normalerweise wird beim Tatort ja eine Person irgendwo bedroht, dann kommt der Retter, und diese beiden, also Retter und Bösewicht, brüllen sich dann eine Zeit lang Falckenberg-Schauspielschulmäßg an, bis man kein Wort mehr versteht, und alle überleben. Doch hier, und das ist wie bei Game of Thrones, wird halt eiskalt und ohne langes drumherum aus dem Weg geräumt, wer für den Plan nicht mehr nötig ist, oder wer nur im Weg steht. Das ist so richtig shocking! Hier wird der Tatort-Fan hinter dem Ofen hervorgeholt, hervorgerissen geradezu, denn es gibt kein Happy-End für alle Beteiligten.

Die Frage nur: Begibt man sich damit nun auf ein niedrigeres Niveau, wo man, von oben kommend, Eindruck schinden kann? Oder wächst man eher in die Breite, moralisch, begibt sich auf skandalträchtiges Terrain, um zu provozieren? Das ginge dann aber auf Kosten einer möglichen Abstumpfung der Zuschauer, so könnte man befürchten, bis man am Schluss in Hollywood angekommen ist, wo die Gesetze der Physik für die Hauptfiguren schon nicht mehr gelten, nur um noch mehr Action und Wucht in die Szene zu bekommen, als rein technisch eigentlich möglich. Also, kurz: Droht beim Verlassen des Pfads der dramaturgischen Tugend die Abstumpfung und Verrohung?

Kann sein. Langfristig wahrscheinlich schon. Aber ich finde, die Richtung stimmt. Der Tatort eines Verbrechens kann schon auch mal blutig sein, die Aufklärung nicht optimal laufen, Tote und Verletzte fordern. An der Intelligenz der Handlung wurde ja nicht gespart, und das macht das Kraut fett.

Rein stilistisch hat dieser Tatort hier vielleicht nicht jedermanns Kleinhirn gekitzelt – aber das muss getrennt betrachtet werden von den anderen Attributen. Denn dieser Tatort hatte – Gottseidank, endlich mal – so richtig Eier und Brusthaar. Und das ist geil.

Natürlich, Quentin Tarantino lächelt müde, und seine Fans ebenso. Aber der erste Schritt ist gemacht. Mehr davon! Mehr von den jungen Wilden! Ich will Lena Odenthal im Sperrfeuer sehen, mit mindestens zwei Streifschüssen am Kopf und der Hose voll. Ich will Thiel und Boerne nackt im Folterkeller um ihr Leben flehen sehen, mit so einem roten Ball in den Mund geschnallt. Ich will, dass einem der Kollegen vom Bodensee endlich mal das alberne „Konschtanz“ im Halse steckenbleibt.

Also: Weiter so. Mehr davon!

Rectify (TV, arte ab 16. Oktober 22.45 Uhr)

Mittels einer explosiven Ausgangslage spannt „creator“ Ray McKinnon ein dramaturgisches Hochseil für eine aufregende Serie, ein Hochseil, über das der Protagonist, der doch die Technik gar nicht mehr hat, weil er Gefängnistechnik geübt hat, nun schreiten muss und bei jedem Schritt vom Absturz bedroht ist. Der Film macht auf diese Weise einiges sichtbar zumThema Gefängnis als einer Grundfrage unserer Zivilisation.

Die DNA-Analyse machts möglich. Daniel Holden, 20 Jahre im Todestrakt, keine Sonne, kein Wind, kein Wetter, keine Natur, muss freigelassen werden, weil beim Opfer der Vergewaltigung keine Spuren von ihm nachgewiesen werden konnten.

20 Jahre hat er Strategien zum Überleben im Todestrakt entwickelt. Er weiß nicht, ob die dafür gut sind, was ihm jetzt bevorsteht. Das ist die explosive Ausgangslage, der explosive Konflikt, der am Anfang dieser Staffel von „Rectify“ klar exponiert wird.

Aden Young spielt diesen in der freien Zivilisation schutzlosen Menschen, der von knastposttraumatischen Störungen geplagt ist (Rückblenden erinnern an die Zeit), glaubwürdig. Kaum draußen, formieren sich die Parteien in exemplarischen Reaktionen auf einen freigelassenen Gefangenen. Der Senator wünscht eine Wiederaufnahme des Verfahrens („um den Ruf der Mutter des Opfers zu schützen“). Denn politisch sollte Holden hängen. Er war schon damals der ideale Täter, ein etwas schwieriger Mensch, während das Opfer eine bildhübsche junge Frau aus armen Verhältnissen war. Die Öffentlichkeit schrie direkt nach dieser Täterschaft. Und so hat das Gericht auch entschieden.

Nicht glücklich ist auch Ted (Clayne Crawford), der in die Familie der Holdens eingeheiratet hat. Er sieht das geschäftliche Risiko für den Autoersatzteilladen, er befürchtet einen bemerkenswerten Wegfall von Kunden, falls Daniel, der gefängnisgebrandmarkte, wieder im Geschäft mittun würde.

Ganz auf Daniels Seite ist seine Schwester Amantha, Abigail Spencer. Sie hat sich am meisten um seine Freilassung bemüht. Sie ist eine Liaison mit dem Anwalt Jon Stern, Luke Kirby, eingegangen.

An den Stammtischen, bei der Polizei und von Seiten der Familie des Opfers gibt es starke Bestrebungen, Daniel und seine Familie zu mobben, es gibt bedrohliche SMS an seinen jüngeren Bruder Jared, Jake Austin Walker.

Die Fronten sind schnell aufgebaut. Allein, Daniel ist schwer manipulierbar. Er muss sich erst an dieses neu gewonnene Leben gewöhnen. Insofern ist von Folge zu Folge für Spannung gesorgt. Denn es ist völlig offen, wie die Sache ausgeht. Ob die öffentliche Meinung aller modernen Verfahren zum Trotz gegen das Recht sich durchsetzen wird, wie der alte Anwalt Mr. Gates verbittert feststellt, der die Angelegenheit vor 20 Jahren bis zum bitteren Ende mitspielen musste. Der sich nicht wundert, dass der Mensch vom Affen abstamme, der ein fast zynisches Verhältnis zum Rechtsstaat entwickelt hat („Denken Sie, dass wir in modernen Zeiten leben?“).

Aktualität: Anlässlich des Falls Hoeness hat sich die deutsche Öffentlichkeit zumindest einen Moment lang für den deutschen Knastalltag interessiert. Und überhaupt das Thema Knast: was bringt es, Menschen wegzusperren: ist es wirklich nur ein mobartige öffentliche Stammtisch-Meinung, hassgetrieben, die so etwas will?

Die Synchro ist teils sehr locker gesprochen, gelegentlich bis an den Rand der Unverständlichkeit.