Pride

Pep, Tempo, Temperament, beherzte, humorvolle Menschlichkeit und soziale Engagiertheit nebst selbstverständlicher Beherrschung der filmischen Mittel schließen in diesem Film von Matthew Warchus nahtlos an an den britischen Erfolgsfilm „Ganz oder Gar nicht“ an, in welchem das Thema Arbeitslosigkeit behandelt worden ist.

Hier liegen dem Buch von Stephen Beresdorf Ereignisse aus der eisigen Thatcher-Ära zugrunde, die monatelangen Streiks der Berg- und Minenarbeiter im Sommer 1984. Wie die wirtschaftliche Lage der Gewerkschaften immer prekärer wird, erhalten sie Unterstützung von unerwarteter Seite, von Aktivisten der Schwulen- und Lesbenszene aus London, die leiden ebenfalls unter dem Thatcherismus und unter Polizeiwillkür und sammeln in Plastikeimern Geld für die streikenden Bergarbeiter.

Der Film hat sich eine gut sortierte Gruppe dieser Bewegung herausgesucht und beschreibt nun, wie sie versuchen, Kontakt zu den Bergbauleuten aufzunehmen. Sie möchten eine Ortschaft in Wales unterstützen. Die Suche gestaltet sich nicht leicht. Zuerst einmal stoßen sie bei den gepeinigten Gewerkschaften auf Vorurteile und Ablehnung.

Fündig wird die Gruppe in der walisischen Ortschaft Onllwyn. Anrührend bis komisch, wie der Erstkontakt am Telefon verläuft. Die ältere Lady in Onllwyn hat einen ellenlangen Weg durch eine große Halle, bis sie endlich am Telefon ankommt und mit welch wunderbarer Selbstverständlichkeit sie erst gar nicht versteht und dann doch versteht. Wie der Gemeindechef Dai sofort ein offenes Ohr hat, weil sie dringend Geld brauchen. Wie er nach London fährt zum Erstkontakt, dort die schwule Szene kennenlernt. Wie die Gruppe mit ihrem abenteuerlichen Bus in Onllwyn ankommt, um der Gemeinde und der Gewerkschaft ihr Unterstützergsmodell vorzustellen.

Das alles wird in dieser wunderbaren Art erzählt, dass man sich immer auf den nächsten Schritt freut, dass man schnell ahnt, was als nächstes auf einen zukommt und weil die Figuren individuell charakterisiert sind, wie sie auf neue Situationen regieren. Wobei Überraschungen nicht ausgeschlossen sind. Bei der Gay-Truppe ist die hervorragende Figur Mark mit Elvis-Tolle, momentweise auch mit einem ähnlichen Timbre, ein höchst präsenter, agiler und temperamentvoller, gleichzeitig beherrschter Nachwuchsschauspieler, Ben Schnetzer.

Das Projekt kommt keineswegs gradlinig ins Ziel. Denunziation durch die Presse ist ein ernsthaftes Hindernis. Es ist leicht, aus der Situation vorurteilsbeladene, negative Schlagzeilen zu produzieren. Aber in so einen Film bahnt sich die Gerechtigkeit dank der Beherztheit und Unnachgiebigkeit einiger Akteure ihren Weg zu einem anrührenden, so auch nicht unbedingt vorgesehenen Happy-Ending nach zwei Filmstunden, die wie im Fluge vergehen.

Hier ziehen Schwule, Lesben, walisische Hausfrauen und Grubenarbeiter am Ende beseelt an einem Strang. Ein Gesellschaftsmodell von Solidarität, was heute bei all den verbissen-chronischen Unruhreherden auf der Welt von der Ukraine über Israel/Palästina, Irak, Syrien, Libyen und das Verhalten der westlichen Großmächte dazu weitgehend verloren gegangen scheint. Die Figuren werden keineswegs heroisiert dargestellt, es menschelt in allen Gruppierungen, aber das Ziel der Gerechtigkeit und des Protestes gegen Unterdrückung eint sie schließlich, steht größer da als individuelle Ansprüche oder Begrenztheiten.

Provokanter Satz von Mark bei der ersten Vorstellung im Versammlungshaus von Onllwyn: Jeder 5. ist schwul, also auch jeder 5. Bergarbeiter. Selbstverständlich darf der Satz, dass jede Frau im Innersten eine Lesbe sei, auch nicht fehlen; aber auch der wird nicht aggressiv, sondern amüsiert vorgetragen, schau da, schau da, zählt mal ab.

Im Lederlokal lernen die Landeier bei einem Besuch in London, dass man um die engen Klamotten anzuziehen Talkumpeter nehmen muss. Solche Details machen die Schmiere der Menschlichkeit in so einem Film aus. Aber: Solidarität ist kein Geschenk des Himmels, sie will erarbeitet sein. Dazwischen wohldosiert montiert hinreißende Ewigkeitsaufnahmen vom filmschönen Wales.

Das Salz der Erde

Der Film fängt mit einer Reihe atemberaubender Schwarz-Weiß-Fotos aus den 50ern oder 60ern des letzten Jahrhunderts an: eine riesige Goldmine in Lateinamerika. 500 Menschen springen und klettern runter und rauf an steilen Leitern und Abhängen, im Aufwärtsweg mit einem schweren Sack Golderede auf dem Rücken. Es ist nicht das Bild von Sklavenarbeit. Die Männer machen das freiwillig, die Hoffnung, eines Tages ein Kilo Gold zu finden, lässt sie die gefährliche Schwerstarbeit machen.

Das hatte den Brasilianer Sebastiao Salgado so fasziniert, dass er tagelang mit den Goldsuchern mitgeklettert ist und Fotos geschossen hat, die einen heute wie mit einem Hammer treffen. Um diesen inzwischen weltberühmten Fotografen geht es in dieser Dokumentation, die Wim Wenders zusammen mit dem Sohn des Fotografen, Juliano Ribeiro Salgado, unter Drebhuchmithilfe von David Rosier erstellt hat. Wobei das ein Understatement ist. Denn das dürfte die nachhaltige Wirkkraft des Filmes ausmachen, dass in ihm drei kongenial starke künstlerische Kompetenzen zum Tragen kommen.

Einmal Salgado selber, der auf älteren Bildern entfernt an Picasso erinnert. Er stammte aus einfache Verhältnissen in Brasilien, studierte Wirtschaft und startete eine Karriere bei der Weltbank. Er ist also, bevor er zum Fotografen wird, ausgerüstet mit soliden Kenntnissen über wirtschaftliche Zusammenhänge. Aber wie seine Frau, sie haben in Paris gewohnt, eine Kamera geschenkt bekommen hat, hat Salgado sein Instrument gefunden und war nicht mehr aufzuhalten. Es hat nicht lange gedauert, bis er sich entschied, die Weltbänkerei an den Nagel zu hängen und als Fotograf seinen Unterhalt zu verdienen.

Die andere, starke künstlerische Handschrift stammt von Wim Wenders, inzwischen einem Altmeister, der aber in einer Kombination wie der vorliegenden offenbar zu neuen Qualitäten findet, einem Altmeister von Rhyhtmus, Schnitt, Framing, Geschmack, Stil, Filmästhetik und instinktsicherer, geschmackvoller musikalischer Untermalung. Somit kommt zum Substanziellen des Fotografen das stilsicher Stilistische des Filmemachers hinzu. Wobei der Beitrag des Sohnes Juliano Ribeiro von Salgado vielleicht schwerer zu entschlüsseln ist.

Es gibt eine Szene, in der auch klar wird, dass es für ein Dokumentaristen-Team nicht einfach ist, einen Fotografen zu dokumentieren, denn im Huium sind sie auf der Linse des Portraitierten, er kümmert sich nicht um das Team, wie ein Jäger ist er hinter seinem Motiv her. Da gibt es aus dem Polarkreis schöne Aufnahmen, wie sie auf einem Geröllboden sich voranrobben, um näher an Seelöwen heranzukommen.

Generell folgt der Film dem Lebenswerk von Salgado, das mit den Portraits von Arbeitern anfing, sich mit der Landlosen-Bewegung in Lateinamerika beschäftigte, indigene Völker aufspürte, sich dann mehr den Katastrophen in Afrika, oft in Zusammenarbeit mit „Ärzte ohne Grenzen“, zuwandte, Sahel-Zone, Äthiopien, Ruanda, Kongo oder in Kuwait die unglaublichen Bilder von den brennenden Ölquellen, 500 Stück hatte Saddam-Hussein in Brand gesteckt, erschütternde Bilder von erschütternden Katstrophen, leider heutzutage von so vielen, undenkbar neuen Katstrophen bereits wieder überlagert, schließlich, aufgrund der Verödung des Hofes seiner Eltern, jetzt „Istituto Terra“, Hinwendung zur Wiederaufforstung des Urwaldes als seinem Meisterwerk, seinem Opus Magnus und als ein Liebesbrief an den Planeten wird „Genesis“ angeführt, jahrelang hat er sich der Naturfotographie zugewandt und dabei allerlei auch amüsante oder berührende Stories zu erzählen, Begegnung mit einem respektvollen Wal oder mit einem Menschenaffen, der sich im Spiegel der Linse das erste Mal selber sieht. Nicht weniger erstaunt betrachten wir diesen Film.

Sex on the Beach 2

Filme mit Jungmännerzoten dürften ein Milliardengeschäft sein. Das Thema will vom Menschen reflektiert und durchgekaut sein, braucht offenbar der Bewortung und der Bebilderung wenns wieder juckt und die Fantasie im Kreise dreht oder in den Himmel mit tausend Jungfrauen abhebt.

Dabei geht es ums Geschäft und nicht um Filmkunst. Hier versuchen es die Briten Damon Beesley & Ian Morris mit einer Fortsetzung. Ihre Erfolgsgruppe aus dem Vorgängerfilm übernehmen wieder die vier Jungs, Will, Jay, Neil und Simon. Die sind naturgemäß älter geworden. Im Vergleich zu Adonis oder zu Männern, wie die Werbung sie als Inbegriff von Männlichkeit und männlicher Schönheit darstellt, können sie nicht bestehen, sie sind pummelig, haben große Nasen oder nicht allzu markant geformte Körper. Aber einen seligen Humor. Sie kommen aus Bristol und in ihren Köpfen dreht sich alles um Schwänze und Muschis. Nun ja, hier kommt alterungsbedingt schon mal der Begriff „Heiraten“ ins Spiel oder auch das Suchen nach einer Frau, für die ein Mann meilenweit geht, und wenn es bis Australien sein muss.

Hierher verlockt der pagenköpfig-rundliche Simon seine drei Kumpels, indem er ihnen über Skype mit getricksten Bildzusammenstellungen wie aus einer erotischen Zeitschrift ein männliches Traumleben als Clubbesitzer vorgibt. Denn nebst dem Prinzip, womöglich maschinell-industrielle Zoten im Sekundentakt zu dreschen, was für die Ohren gelegentlich recht nervig wirkt, muss doch der Ansatz einer Geschichte eingeführt werden.

Diese Geschichte führt erst zu Jay und mit diesem zu einem Delphinsportpark, wo Simon eine Delphinleiche zurücklässt und wo die Flamme des einen Kumpels schon nicht mehr ist. So treibts die vier mit ihrem zotisch angeschriebenen Auto („mobil virigin conversion team“) in die Wüste. Wo die Geschichte eine tragische Wendung zu nehmen droht. Aber so einem Film sind alle Mittel recht, um es nicht so weit kommen zu lassen. Ein Schnitt für die Rettung der Jungs genügt und das glückliche Ende kann angefügt werden. Jay hat dreimal in unsicheren Momenten einen Lippentick, das muss vielleicht noch hinzugefügt werden.

Zwei Tage, eine Nacht

Die Gebrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne führen einen 90 spannende Minuten durch das Thema Solidarität und „was braucht der Mensch?“.

Die Firma „Solwal“, die mit Solartechnik befasst ist, steckt durch die Konkurrenz aus Asien in finanziellen Schwierigkeiten. Sie hat 17 Angestellte. Eine Person davon muss gehen oder die anderen müssen auf ihren Bonus verzichten. Der stellvertretende Chef Jean-Marc hat eine offene Abstimmung unter den Angestellten veranstaltet. Er selbst hat für die Entscheidung gegen Sandra agiert, dafür dürfen die anderen den Bonus behalten. Entsprechend ist das Resulat herausgekommen.

Sandra will sich nicht damit abfinden. Für sie ist der Jobverlust eine Katastrophe, sie braucht das Geld, aber nicht nur das, sie braucht den Job auch zur Stabilisierung, hat sie doch gerade ein Depression hinter sich gebracht, was der Anlass für das Mobbing durch Jean-Marc gewesen sein dürfte.

Das ist die Ausgangssituation, mit der uns die Gebrüder Dardenne konfrontieren, das Experiment, das sie uns vorführen, denn es ist kaum zu erwarten, dass so eine Abstimmung je in einer Firma stattfindet.

Es ist Ende Woche kurz nach der Abstimmung und die Regisseure heften sich an die Fersen von Sandra, die von Marion Cotillard atemberaubend dargestellt wird, die alle ihre Kräfte mobilisiert, um sich vor dem drohenden, sozialen Absturz zu schützen. Denn kurz vor Feierabend am Freitag konnte sie dank der Hilfe einer Freundin erreichen, dass der oberste Chef, Dumont, sich bereit erklärt, die Abstimmung am Montag früh, dieses Mal anonym, zu wiederholen.

Sie begibt sich übers Wochenende auf ihren eigenen Kreuzweg, auf diese erniedrigende Klinkenputztour, in der sie bei ihren Arbeitskollegen und -kolleginnen anklopft und um deren Stimme bettelt. Dafür muss sie die Bereitschaft zum Verzicht auf den Bonus erwarten. Auf ihrem demütigenden Betteltrip, der genau zwei Tage und eine Nacht dauern wird, bis am Montag die Arbeit wieder beginnt, erlebt sie Dankbarkeit und Ablehnung, Schroffheit und Mitleid, aber doch häufig die Meinung, dass man das Geld des Bonus unbedingt brauche.

Sie selbst stürzt zwischenzeitlich in die Verzweiflung. Aber ihr Mann gibt ihr Kraft, weiterzumachen. Die Dardenne-Brüder schaffen es, den Zuschauer 90 Minuten lang mit der Frage zu konfrontieren, wie weit man mit seiner eigenen Solidarität mit dem Nächsten gehen würde, die Frage nach dem Teilen, eine urchristliche und humanitäre Frage.

Ein Beispiel dafür, wie die Menschen überhaupt auf der Welt mit dem Reichtum zurechtkommen, ohne dass zu viele darunter leiden. Erschwerend zum Trip von Sandra kommt hinzu, dass sie eine Frau ist, der es schlecht geht („je suis crevé“). Für die Mitwelt nicht leicht, darauf positiv zu reagieren. An zwei Stellen gibt es Musik im Auto von Manu, dem Mann von Sandra. Einmal ein etwas melancholischeres Stück, das Manu gleich wieder aus Rücksicht gegenüber seiner Frau abstellen will, sie wehrt sich dagegen, und wieviele Stimmen sie bereits gewonnen habe, so lässt er es rocken und plötzlich ist eine aufgedrehte Stimmung. Traurig-schönes Symbol für Sandra: ihre viel zu große Tasche, in der zu wühlen und Dinge zu suchen mehr einem Glücksspiel gleichkommt.

Love, Rosie – Für immer vielleicht

Die Endgültigkeit einer Entscheidung für die Ehe und das damit verbundene Glück (oder Unglück, je nachdem ob es sich um den Richtigen oder eben nicht handelt), ist das dramaturgische Damoklesschwert, das wohl schon im Roman von Cecilia Ahern den entscheidenden Input für die Spannung liefern dürfte und ebenso im Drehbuch von Juliette Towhid.

Es geht um die Liebe von Rosie (Lilly Collins) und Alex (Sam Claflin), die sich von Kindsbeinen an kennen, sich absolut vertraut sind, die aber Jahre später nicht mehr genau wissen, ob sie sich damals geküsst haben oder nicht. Das Leben bringt sie nicht auf einen gemeinsamen Weg. Wenn auch Beziehung und Vertrautheit bleibt.

Alex geht nach Boston zum Studieren. Rosie wird schwanger, saublöde Kondomgeschichte, die ihr aber wiederum die rotschopfige, patente Apothekerin als Freundin fürs Leben beschert, gerade für die schwierigen Situationen. Davon hält das Leben auch genügend bereit für Rosie. Sie jobbt im Hotel. Alles fürs Kind. Nix Karriere. Nix Heirat. Jahre später meldet sich der genetische Vater. Sie heiraten, besser so als gar nichts (sie wollte nicht ewig warten, sie wollte bloss zu jemandem gehören).

Alex ist in Boston verheiratet. Aber dass seine Frau schwanger ist, das erzählt er bei einem Besuch von Rosi nicht. Was ein trautes Abendessen zu viert in Scherben untergehen lässt. So geht es hin und her über den Ozean und zurück, zwischen trauten Familien- und Glücksszenen und Job und immer wieder Party und Disco. Die familiären Glücksbilder sind oft aufgenommen wie für Werbezwecke. Ebenso die Liebesszenen mit ganz wunderbarem Licht und einrahmender Umgebung. Nicht allzu subtil wird großzügig populäre Musik drüber gegossen.

Der Regisseur ist der noch recht junge Deutsche Christian Ditter. Er gibt dem Buch und den Akteuren die Ehre. Seine präzise Arbeit erinnert in Momenten an jene eines Kupferstechers, der genau weiß, was für die Szene wichtig ist. Aus diesem Grund dürfte er, was bei Literaturverfilmungen nicht unbedingt selbstverständlich ist, ziemlich genau das, was Cecilia Ahern in ihrem Roman erzählen will, diese Liebe zwischen Rosie und Alex, die sich so lange nicht artikulieren kann, recht akkurat rüberbringen.

Ditter scheut nicht vor komischen Szene zurück, die aus der Gesamtschau auch jede Berechtigung haben, wenn Rosie mit dem Kinderwagen unterwegs ist und ihr die hochgewachsene, blonde Bethany, eine Alphafrau, die später auch mal Alex heiraten wird, entgegenkommt und sie will nicht, dass sie sieht, wie sie einen Kinderwagen schiebt und wie sie sich duckt vorm Wagen, diesen rückwärts in Fluchtrichtung vor sich herzieht und in einer Reihe geparkter Fahrräder landet, so dass natürlich alles auffliegt.

Andererseits packt Ditter die Story wie in Watte. Selbst die Landung eines Flugzeuges auf dem abendlichen, so schwierig anzufliegenden Logan Airport von Boston wirkt, als steuere das Flugzeug auf einen Daunenhaufen zu, nicht minder zart passiert das Abheben einer Boeing von dorten. Oder britische Arbeiterromantik, wenn Rosie auf dem Dach des Hauses ihrer Eltern mitten in einem trostolosen Backsteinviertel sitzt, eine Idylle, in der man Trauriges oder Positives allein oder mit der Freundin verarbeiten oder teilen kann.

Kupferstecherkino, Vollständigkeitskino, zu jeder Situation das richtige Bild, oft schamlos mit Rotfilter oder zuätzlichen Lichtern geschönt. Geschönt-Kino. Weidlich schön. Makellos-Kino. Mit populärer Beschallung. Darin haben auch kindische Scherze Platz, die Szene beim Frauenarzt, „hi, I am Dick“ und wie er sie behandelt und auf die Frage, ob keine Ärztin da sei, hier grenzt die Szene an Karikatur oder Kabarett. Hat seine Berechtigung. Kann man so machen. Konsumkino. Leicht didaktisch aufgezäumt.

Bigband. Jazz-Swing. Oder wie Rosie von ihrem Liebhaber ans Bettgestell gefesselt wird, das Kind platzt rein, sie läuft mit dem halben Metallbettrahmen, an den ihre Hand gefesselt ist, durch die Stadt. Das Recht des Kupferstechers. Öft süßlich die Glücksszenen. Oder der Poolwurf bei Party. Eine schöne Literaturillustrierung.

Der kleine Medicus – Bodynauten auf geheimer Mission im Körper

Dieser Film will in erster Linie Biologieunterricht erteilen und hat darum herum ohne jede Tiefe und rein epigonal eine Geschichte gebastelt, welche hohl wirkt, weil sie sich nicht für die Charaktere der Figuren interessiert. Dadurch wird der Zuschauer zu diesen auch keinen besonderen Bezug herstellen.

Ungewöhnlich für einen Film ist es, dass der Autor mit dem Professorentitel firmiert. Das schiebt den Film in eine schulhaft akademische und nicht in eine cineastische Schublade. Immerhin versucht der Herr Professor Dietrich Grönemeyer, die Regie hat er Peter Claridge überlassen, Lernstoff unterhaltsam und abenteuerlich zu gestalten.

Eine Reise ins Ich. Eine illustrierte Lernlektion mit animierten Figuren. Nano und Lilly werden als zentrales Abenteuer und geschrumpft durch den Körper ihres Opas sausen, durch Darm und Magen, Lungen und Arterien, durch die 23 Bandscheiben, so genau nehmen wir es wissenschaftlich dann doch nicht. Diese Innereien sehen aus wie bunte Rutschbahnen auf dem Rummel und die Immunkörper wie stachelige Seeigel. Denn die wollen Eindringlinge im Körper schadlos machen.

Die beiden Winzlige von Kindern sollen einen anderen Schrumpfling jagen, den Gobbot des hochfahrenden Wissensklauers und Ausspionierers Schlotter, der mit seinem Miniroboter den Opa beherrschen will. Den hat Schlotter ihm eingepflanzt, weil dieser Rückschmerzen hatte und er hat behauptet, das würde helfen.

Derweil ist Oma für einen Tag mit Schwesterchen von Nano zu einem Schönheitsurlaub gefahren und ruft ständig aufs Handy von Nano an, der doch gerade im Körper von Opa unterwegs ist. Der kann schwer antworten, er befinde sich gerade im Darmtrakt von Opa.

Die Sache geht auf jeden Fall gut aus. Schön war die Ameise mit dem Grünen Blatt, ein Hauch surrealistischer Kunst. Nette Einfälle: die Bemühung von Schlotter, die Figur im Körper von Opa zu bewegen. Oder die Bank, die „Bank rupt“ heißt.

Weder Fisch noch Fleisch, weder richtig Kino noch richtig Wissenschaft; ein Geschäftsbereich halb laienhafter sprich allgemeinverständlicher Pseudowissenschaft. Es geht hier weder um Charakterstudien noch um moralische Konflikte, es geht hier um ein Abenteuer im Sinne einer Rutsche auf der Wiesen. Die Gobbotsteuerung. Und in der Arterie gibts Speed dank Opas Bluthochdruck. Dass die Leber entgiftet, lernen wir auch nebenbei. Immerhin haben die Figuren nicht diese Gewalttätigkeit und Bösartigkeit wie in manch anderen, neueren Kinderfilmen.

5 Zimmer Küche Sarg

Die Schauwerte in diesem Film von Jemaine Clement und Taika Waiti, die selber auch mitspielen, sind größer als die Spannung, mehr Vampir-Flachserei denn Story. Der Untertext scheint der zu sein, jetzt machen wir hier mal so richtig einen auf Vampirfilm, freuen uns über die Kostüme, die immer als Schnittmengen mit Rockstarkostümen gesehen werden können.

Behaupten wir eine Vampir-WG, igitt, wer spült denn das Blutgeschirr und könntet ihr das nächste Mal vorm Menschenverbiss nicht Zeitungen auf den Boden und Frottiertücher auf das Sofa legen, damit nachher nicht alles blutig ist? All das sind Themen für das Bewohner-Treffen.

Der ganze Reiz des Filmes scheint darauf beruhen zu sollen, dass Vampire, die doch solche tiefisinnigen Fabelwesen sind (der Biss des Vampirs kann die Entjungferung symbolisieren, den Beginn der Unreiheit, aber lustigerweise auch den des ewigen Lebens, großer Gefühle um Liebe und was bleibt nach deren Vollzug) und die sollen hier jetzt so Alltäglichkeiten wie staubsaugen (immerhin kann ein versierter Vampir auf dem Teil fliegen und so auch die Ecken unter der Decke säubern) oder eben Geschirr spülen, zeitig aufstehen am Abend, das ist die erste noch vielversprechende Szene, wie der elektronische Wecker klingelt und der Vampir mühsam aus dem Sarg heraus mit der Hand versucht den Wecker abzustellen, ein schwieriges Unterfangen, wie er dann, zu dem Zeitpunkt wird im Film noch ganz präzise gearbeitet, in schwebende Schräglage kommt, bis er aufrecht dasteht.

Dann versucht er seine Mitbewohner zu wecken. Dabei werden sie vorgestellt. Der Älteste ist 8000 Jahre alt, sieht mehr aus wie ein Skelett und wohnt in einer Steingruft im Keller. Die ganze Location dieser Vampir-WG ist malerisch ausgestaltet. Überhaupt gibt es wilde Bilderbögen, fast mehr wie ein Fotoalbum, durch die Geschichte des Vampirismus in so großer Geschwindigkeit, dass sie schwer zu referieren sind.

Oder es gibt ein Fotoshooting über die Ausgehkostüme. Denn anfangs des Filmes wird von einem großen gesellschaftlichen Ereignis gesprochen, einer Maskerade für Vampire und ähnliche Mutanten. Das Ereignis findet Ende des Filmes statt.

Zwischendrin gibt es Diskobesuche, Ausgehen, Opfer suchen und auch aussaugen, Rückstände beseitigen. Der Klamauk klappert so dahin. Nach einem Discobesuch treffen die Vampire auf eine Gruppe von Werwölfen. Da reden alle durcheinander in einem neuseeländischen Dialekt, kaum zu verstehen, was sie da austauschen. Egal. Die Vampire haben einen Besuch, Stu, den sie nicht anbeißen wollen, obwohl er sehr hübsch ist, rotbackig und Jungfrau dazu, einen IT-Job ausübend, leicht gehemmt.

Einmal dringt ein Sonnenstrahl in den Keller, das muss erörtert werden, wie das möglich war und schwupps ist unser 8000jähriger eine brennende Fackel und sogleich eine Mumie. Da der Neuzugang Nick etwas sorglos ist, bekommt auch die Polizei Wind von den Vorgängen im Haus. Sie inspiziert das Haus, ist aber so dumm wie eben erlaubt bei der Polizei und sieht gar nichts. Das hat Studentenulkqualität.

Der Film hat, was die Ausstattung anlangt, einen sympathischen Flohmarkt-Touch. Und dass die Vampire zwischendrin eine kleine Jazzband bilden, soll darauf hinweisen, was für einen Sound, eher balkanisch, sie gewählt haben. Es gibt einen Skype-Kontakt zum alten Philipp aus Deutschland. Einfach so, ohne weiteren Kontext. Ohne solchen gibt’s auch eine kleine Übung in Pfeil- und Bogenschießen. Einfälle von ulkigen Filmemachern. Oder eine Gerichtsverhandlung über Nick, der ausgestoßen wird. Vielleicht ein Film aus einer Laune heraus.

Die Macher scheinen bei der Herstellung ihren Spaß gehabt zu haben; ob es dem Publikum ebenso ergeht, halt ich eher für fragwürdig; das soll aber niemanden abhalten von diesem sorglosen Vergnügen.

Akte Grüninger (arte, Freitag, 31. Oktober 2014, 20.15 Uhr)

Ein wichtiger, kleiner Beitrag zur Aufarbeitung der Nazizeit in der Schweiz mit ihrer ambivalenten Haltung dem Dritten Reich gegenüber. Die Akte Grüninger ist kein Ruhmesblatt für die Schweiz. Der Polizeihauptmann Paul Grüninger hat gegen die Dienstvorschrift Tausenden von Flüchtlingen aus dem Nazireich mittels Aktenfälschungen die Flucht in die Schweiz ermöglicht. Dafür wurde er von korrekten, ehrenhaften Schweizern hart bestraft. 1939 wurde er unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. 1972 verstarb er verarmt in St. Gallen.

Die Schweizer sind nicht die schnellsten in der Aufarbeitung solcher Geschichten. 23 Jahre nach seinem Tod wurde Grüninger rehabilitiert. Mehr dazu unter wikipedia. Und jetzt, über 40 Jahre nach seinem Tod gibt es diesen Spielfilm (1997 brachte Richard Dindo eine Dokumentation heraus).

Und auch heute noch gehen sie mit dem Stoff merkwürdig ambivalent um. Alain Gsponer hat nach dem Buch von Bernd Lange die Regie mehr in Richtung eines Melos denn einer glasklaren Analyse geführt.

Ein bisschen wirkt der Film, wie sein Titel andeutet, wie ein sich durch die Akten fressen, nicht immer weiß man genau, wo man ist. Das Drehbuch von Bernd Lange ist nicht gerade der Hit. Es scheint keine klare Haltung zur Frage „wie erzähl ichs meinem Kinde“ gefunden zu haben, der Einstieg wirkt unentschieden, findet „irgendwann“ statt, wie Grüninger längst seine Praxis der Flüchtlingshilfe mit einem Kreis von weiteren Personen eingeführt hat. Dem Zuschauer wird also ein möglicherweise anfänglich vorhandener Loyalitätskonflikt Grüningers zwischen Vorschrift und Gewissen erspart. Grüninger ist von Anfang an der Held. Und als solchen spielt ihn Stefan Kurt auch makellos, in jeder Faser glaubwürdig und bietet ein akzeptables Äquivalent zum Original, das am Schluss in einer kurzen Filmsequenz eingeblendet wird. Wir erfahren es erklärtermaßen im Nachhinein, dass Grüninger vom Moment an, wo er wusste, was in Dachau geschieht, den Primat der Humanität vor den Primat der Regelkonformität und der Dienstvorschrift gesetzt hat. Umso mehr erscheint die Haltung des Filmes den Personen gegenüber, die sich als Grenzschließer aufmanteln, fatalistisch. Das Buch macht es, scheint mir, den Law- and-Order-Typen zu leicht, sich durchzusetzen, so leicht, dass man momentweise ihre Gebaren fast für rechtens hält. Was es formaljuristisch ja auch war.

Das Thema ist hochaktuell in Europa, in Deutschland und genauso in der Schweiz. Die zur Zeit gewaltig anschwellenden Flüchtlingsströme aus Afrika und dem Nahen Osten und Afghanistan. Thematisch hat sich im Grunde genommen nichts geändert. Die Biederbürger und Reglementierer und Ausschaffer, alles ehrenhafte Bürger, die wollen nichts wissen vom Elend und der Bedrohung in den Herkunftsländern.

Lillyhammer (TV-Serie, arte, ab 30. Oktober 2014)

Eine augenzwinkernde Unterhaltung, die ihren Reiz aus der Widersprüchlichkeit des kulturellen Unterschiedes zwischen der New Yorker Mafia-Patenwelt und dem provinziellen, übergeregelten, norwegischen, gesichtslosen Kleinstädtchen Lillehammer bezieht, eine vergnügliche Illustration, die die bürgerliche Ordentlichkeit kitzelt, zum Thema .„Die Katze lässt das Mausen nicht“, respektive, wie leicht sind auch brave Norweger zu bestechen.

In New York wird ein Mafiaboss begraben. Am Grab gibt es die Diskussion zwischen Frank und Aldo. Der rechtmäßige Erbe wäre Frank, aber Aldo ist zum neuen Paten eingesetzt. Aus Rache packt Frank beim FBI aus und kommt unter ein Zeugenschutzprogramm. Die Stadt seiner Wahl heißt Lillehammer in Norwegen, weil es von dort so schöne Bilder von der Winterolympiade 1994 gegeben hat. Dort fängt Frank mit neuer Biographie versehen als Giovanni Henriksen ein neues Leben an. Aber wehe, wenn er mit der Polizei in Konflikt kommt, so werde er auf sich allein gestellt sein, das ist ihm vom FBI-Betreuer auf den Weg gegeben worden. Seine neue Nachbarin ist ausgerechnet die Polizeichefin, ein muntere, arglose, pausbäckige Figur. Das macht es noch prickelnder, wenn die alte Katze das Mausen nicht lassen kann.

Charmant wird der Zuschauer von einer Konfliktsituation zur nächsten geführt, wobei Konflikt hier lediglich den jeweiligen Zusammenprall der verschiedenen Denk- und Handelsweisen beschreibt. Kommt ja nicht in Frage, im Warteraum der Klink eine Nummer zu ziehen und Gewalt wird schnell mal angewandt und dem Sohn der Lehrerin, der in der Schule schlecht behandelt worden ist, gibt Giovanni den Ratschlag von den Steinen im Handschuh. Bald schon fehlen einem Klassenkameraden zwei Zähne.

Es ist auch ein Film zum Thema Bestechlichkeit im Allgemeinen und in einer soliden norwegischen Kleinstadt im Besonderen. Ein Mafioso kann offenbar auch in Norwegen die ganzen komplizierten Verfahren und Dienstwege spielend austricksen, einen Wolf jagen, eine Bar eröffnen, den Arbeits-Vermittler erpressen wegen verräterischer Fotos. Es ist ein Ausbreiten dieser kulturellen Unterschiede und ein bisschen suhlt sich die Serie auch darin. So wirkt der Satz von Giovanni schön doppeldeutig, wenn er sagt, er studiere hier die Kultur.

Alles dreht sich um die Hauptfigur Giovanni. Ihn spielt Steven van Zandt mit Ganovenknautschgesicht und rabenschwarzem, glatt nach hinten gekämmtem Haar, mit leicht wie aggressiv hervorstehender Unterlippe und Schmachtlippe zugleich und mit diesem ständig weltverächtlich gesetzten Gesichtsausdruck, mit leicht schräger Körperhaltung und teils fast kasperlhaften Bewegungen im raumgreifend, ausladenden Gang, der vor allem eines behauptet: ich habe hier das Sagen, ich habe die Freiheit, mich so zu bewegen wie ich will, sowieso komme ich prinzipiell zu spät zu jeder Versammlung und bekomme dadurch meinen Starauftritt, ich werfe vorwurfsvolle Blicke so viel ich will und verdrehe genauso genussvoll die Augen, wenn ich will und in meine Mimik hat mir erst recht keiner dreinzureden, das ist die Freiheit des großen Ganoven (und Schauspielers).

Die deutsche Synchro flutscht reibungsos.

Damit nun aber die Gefahr der Entdeckung bleibt, gibt es am Ort nicht nur die wonnepfropfige Polizisten-Nachbarin sondern auch einen Jungspund von Nachwuchspolizisten, der am liebsten als Elvis-Double auftritt, und der schon allein deswegen persönlich was gegen Giovanni hat, weil er in dessen Bar nicht auftreten darf. Dieser Polizist schafft köstliche Komplikationen mit oft doch falschen Verdächtigungen.

Weitere Player: ein Hebammerich, ein Investor und die Nachbarschaftsschutzgruppierung „die Nachtraben“.
Dass Norwegen so leicht zu nehmen wäre, das hätten wir nicht ohne weiteres gedacht.

Alpha-Campus MAGAZIN (TV BR)

So sympathisch dieses Magazin gemacht und moderiert ist, so ist es doch überwiegend von rein inneruniveristärem Interesse (Moocs zum Thema Chirurgie und Storytelling, Diskussion über Bachelor- und Masterabschlüsse an der Uni), um dann am Schluss noch über ein Projekt von zwei Game-Designern aus Berlin zu berichten, ungelegte Eier. Alles natürlich interaktiv oder crossmedial wie es heutzutage heißt.

Was mir nicht einleuchtet, ist, dass dieses Magazin aus dem Topf öffentlich-rechtlicher Zwangsgebühren finanziert wird, insofern es sich doch um inneruniversitäre Themen handelt, die aus Bildungstöpfen zu finanzieren wären.