Mehr Einsamkeit ist nie und nimmer weder im Fernsehen noch im Kino, als wenn Frau Harfouch Straßenbahn fährt. Sie wirkt wie ein blinder Passagier, so abwesend, so woanders. Eine Femme woanders. Das hat sie eindrücklich gezeigt im Kinofilm Giulias Verschwinden von Christoph Schaub. Das ist das Bild, was von diesem Film in Erinnerung geblieben ist.
Vielleicht haben die Drehbuchautoren Hans Ullrich Krause und Cooky Ziesche den Film gesehen und waren ebenso beeindruckt wie der Regisseur Urs Egger und haben sich inspirieren lassen für diesen TV-Themenfilm, in welchem es um Jugendschutz geht, um die Entnahme von Kindern aus verwahrlosten Haushalten, die das Kindswohl gefährden.
Auch hier dürfte vor allem Frau Harfouch in ihrer Einsamkeit tramfahrend in Erinnerung bleiben. Und am Ende wird man nicht mehr wissen, in welchem Film sie das getan hat. Die große einsame, unbekannte Trambahnfahrerin. Die große abwesend Anwesende. Um sie herum haben die TV-Macher ein TV-Movie gebastelt, das in einer überdrehten, slapstickhaften Hektik das Portrait einer Sozialarbeiterin abgeben soll, wie solche gut gestellten TV-Menschen es sich in ihrer TV-Routine und gleichzeitigen Ferne vom Bodensatz der Gesellschaft sich vorstellen.
Es soll der Eindruck eines gehetzten Lebens entstehen – also bittschön keine Charakteranalyse!. Es soll der Eindruck entstehen, die Frau sei stadtbekannt, denn überall wird sie von Klientinnen angesprochen. Es soll der Eindruck entstehen, Sozialarbeiterin sei ein gehetzter Beruf. Und da die Fernsehmacher Profis sind, entsteht auch genau dieser Eindruck.
Um ein Krimielement in die TV-asthmatisch aufgelöste TV-Routine zu bringen, kommt nach etwa einer Stunde noch der Verdacht auf, diese Sozialarbeiterin handle womöglich aus egoistischen, ein eigenes Unglück mit einem Kind kompensierenden Motiven.
Der Hauptfall Bruckner ist schwer nachvollziehbar: eine erfolgreiche Archtiektin, die lieber ihren Buben zu Hause einsperrt und nach Kanten verdrischt als sich ein Kindermädchen zu leisten, eine doch eher unrealistische Figurkonstruktion. Neben diesem Hauptfall werden als Polstermaterial noch wie beim Durchblättern von Sozialamtsakten einige weitere Fälle skizzenhaft eingebracht – oberflächlich.
Der arme Bub, der den geschlagenen Architektinnensohn spielen muss, was kaum überzeugend zu spielen ist. Aber dafür war eh keine Zeit, also egal ob Talent oder nicht.
Neckisch an dem Film ist, wie trotz reinster Routine auf allen Gewerkeebenen, durch die hektische Cutterei ein lustiges Großtadtkaleidoskop um eine tramfahrende Sozialarbeiterin herum entsteht. Das dürfte allerdings kaum Verständis für die Probleme schaffen. Denn die Figur der Frau Bruckner ist überhaupt nicht analysiert worden, obwohl es ja Geld für die Drehbucharbeit gegeben hat und bleibt deswegen nicht belegte Hypothese.
Ein typischer Fernsehcast. Ein typisch lieblosruntergenudelter Themenfilm.
Alles runtergerotzt, die Rotzerei mit schneidigem Schnitt übertüncht. Kein Fall wird gründlich behandelt. Kein Charakter untersucht. TV-Schnellatmigkeit aus der wohlbegründeten Panik, die Leute würden wegzappen.
Frau Bruckner müsste überhaupt erst mal mit einem bestimmten Charakter gezeichnet werden. Es gibt durchaus Hyänen auch in erfolgreichen Berufen. Denn die Vernachlässigung des Kindes muss einen Grund haben, muss begründet werden. Nur Zeitmangel reicht nicht. Es muss der Charakter der Figur so eingeführt werden, dass diese schlimmen Folgen plausibel werden (wie zB die Mutter in VIERZEHN von Cornelia Grünberg, Laura als Zwidercharakter).
„Ein Glas Rotwein könnte ich jetzt gebrauchen“. Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.