Dyslexie – Der Kampf mit dem Buchstaben (BR alpha)

Den Rundfunkauftrag ernst genommen. Im Sinne der Demokratie zu wirken. Demokratie heißt Toleranz, Akzeptanz und Verständnis Andersenkenden, Andersgläubigen und auch Behinderten gegenüber. Ein großes Problem ist die Dyslexie, Behinderung in der Fähigkeit des Lesens. Über 7 Millionen Mitbürger sollen darunter leiden und werden dadurch aus dem gesellschaftlichen Leben teilweise ausgeschlossen.

Verständnis dafür schaffen will der BR unter redaktioneller Führung von Ulrike Lovett. Zum einem mit einem kürzeren dokumentarischen Beitrag und zum anderen mit diesem Spielfilm, der einen exemplarischen Fall von Legasthenie und dessen Folgen für das Leben des Betroffenen schildert. Gut gemeint, korrekt gedacht.

Was aber bekommen wir zu sehen in diesem fiktionalen Film von Marc-Andreas Bochert, der die Regie geführt und mit Hans-Ullrich Krause auch das Drehbuch geschrieben hat?

Einen typischen Auftrags-Fernseh-Themenfilm leider, in welchem der Anspruch an einen spannenden Spielfilm zugunsten einer deutlichen Fingerzeighaltung und einer expliziten Moral abgetreten wird: wenn Du Analphabet bist, erhältst Du das Sorgerecht für Deine Tochter nicht! Ein Film, den die üblichen Verdächtigen Kultur-, Politik- und Rundfunkfunktionäre problemlos gut finden werden; der aber vermutlich zur Toleranz nichts beiträgt, zur Aktivierung des Geistes in einer Demokratie, weil die entsprechenden Kreise garantiert schnell wegzappen werden. Bestätigungsfernsehen für eh schon Korrekte.

Gründe. Zuerst das Buch, das Buch, das Buch. Viel zu wenig durchdacht ist es geschrieben. Viel zu wenig ernst genommen wurde das Thema der Kompensationsmechanismen, die ein Analphabet entwickelt. Bereits mit der Namensgebenung „Halbe“ wird die Hauptfigur denunziert. Warum wurde nicht stattdessen ein besonders attraktiver, klangvoller Name genommen, dssen Omen es ist, dass man ihm nie den Analaphabeten zutrauen würde? Warum wurde sowohl von Buch als auch von Besetzung und Inszenierung her auf einen wenig attraktiven Durchschnittstypen gesetzt? Das Thema soll doch appetitlich unters Fernsehvolk gebracht werden. Die Leute sollen doch einschalten und dabei bleiben oder etwa nicht? Warum nicht sich für einen aufregenden Typen entscheiden, der die verrücktesten, fantasievollsten Kompensationsmechanismen zur Vertuschung seines Analphabetentums entwickelt hat? Warum muss alles so langweilig sein, so öd an einem öden Alltag orientiert sein, wie ihn intellektuelle und pseudointellektuelle Filmemacher viel öder sehen als er ist, so abstoßend, warum muss der Protagonist schon in den Anfangsszenen so deutlich zeigen, dass er unter etwas leidet, dass er sich nur als „Halbe“ fühlt?

Warum wird gerade so ein Film, wenn denn die Redaktionen schon an die Einschaltqualität von Stars glauben, nicht mit Stars besetzt, um den Film attraktiv zu machen? Warum wurde ein Cast gewählt, der den Eindruck erweckt, der Sender wolle diesen Schauspielern gnädigerweise ein paar Groschen vom Tisch des reichen Zwangsgebührengeldes zukommen lassen? Warum riecht das so nach Sozialcasting?

In diesem Fernsehfilm geht es darum, dass Halbe das Sorgerecht für seine plötzlich auftauchende, uneheliche Tochter beantragt und dass er dieses wegen Analphabetismus und weil er nicht deutlich genug zeigt, dass er diesen bekämpfen möchte, von der Richterin nicht zugesprochen bekommt. Stattdessen wird das Mädchen seinen norddeutschen, unsympathischen Großeltern zugesprochen („Ich will nicht zu meinem Opa, Mama hat immer gesagt, da kriegt man keine Luft“, sagt das Kind).

Der Fall ist akut geworden, weil die Mutter des Mädchens gestorben ist. Auf der Suche nach einer Bleibe ist das Jugendamt auf den leiblichen Vater gestoßen, der jedoch keinen Kontakt zu seinem Kind hatte. Das alles wird hier in überdeutlicher Thematisierung als Fall mit null Spielfilmcharme aufgedröselt. Verlangweilung langweiliger Realität mittels langweilig nacherfundener Berufs- und Familienszenen, worunter die Schauspielerei leidet.

Schön ist die Szene bei den Eltern von Halbe in ihrem Familienbetonbunker, wenn es zum Streit kommt und Mutter heulend sich ans Klavier setzt und klimpert. Das hat etwas von realitätsnaher Komik. Und auch die Richterin, die sich in ihrem Büro herausnimmt zu rauchen. Das idyllische Zückerchen am Bühnenbild ist der Friedhof am See. Irgendwie doch ein Lichtblickfilm, „wenn man durch diese Tür ging“.

Schlusswort, Markus 4.25: Denn wer da hat, dem wird gegeben; und wer nicht hat, von dem wird man nehmen, auch was er hat.

Für wie unmündig wird hier der Fernsehzuschauer verkauft?

Zwangsgebührengeld versenkt.