Another Me

Kinematographischer Nachvollzug einer Psychose.
Einem solchen Schizo-Psychose-Drama rational beizukommen dürfte schwierig sein. Es ist ein Bildwerk dicht gewoben aus bewährten Standard-Horrorsituationen: lange Flure, dunkle Unterführungen, bleiche Lichter im Dunkeln, Horrorkorridore allerorten, Angstkorridore und Flure, beengte Liftsituationen, Bilder für „das Leben ist ein Tunnel“, Extrapolation des Ich und Dunkel und Schwarz, düstere Schattenfiguren, Überlappungen von Realität und Wahnvorstellungen, Lachenspiegelungen am Boden, Lightflares, Verlangsamung der Bewegung, Verschwommenes Glas, Verschwimmen der Perspektive und eine Musikfülle wie mit Botox aufgeschwemmt, damit dem Gefühl von Psychose, von Schizophrenie nicht zu entkommen ist.

Ein Familie ohne genauere Hintergrundangabe und ohne besonderes Herausstellen ihrer wirtschaftlichen Seite, scheinbar in gut situiert bürgerlichen Verhältnissen lebend, Vater, Mutter und Tochter, die kurz vorm Sprung ins Leben steht. Vater erhält die Diagnose Multiple Sklerose. Von dem Moment an ist bei Tochter Fay nichts mehr wie es war. Sie fängt an, schlechte Träume zu haben. Tunnelgewaltbilder. Sie will der Angst entkommen. Sie hat Wahrnehmungsstörungen, ihre Welt ist nicht mehr die normal-rationale Welt. Das inszeniert die Regisseurin Isabel Coixet, die auch das Buch geschrieben hat, intensiv, atemberaubend.

Im College hat Fay sich für die Theatergruppe entschieden. Diese will Macbeth zur Aufführung bringen. Fay soll die Lady Macbeth spielen, die die Töthemmung überwinden muss und wird. Sie hat Konzentrationsprobleme. Sieht bald in der Mitschülerin Monica den bösen Blick, den neidischen Blick; psychosehaft reagiert sie darauf. Das zeigt uns Coixet eindrücklich, schmerzlich, wie die Grundlagen der menschlichen Psyche an den Rand des Zusammenbruchs, des Wegrutschens geraten können.

Die Lage von Fay verschlimmert sich, wie sie nach und nach erfährt, dass sie eigentlich ein Zwilling ist; ihre Schwester hätten die Eltern Lea genannt; die sei zur Rettung von Mutter und ihr dem Tod überlassen worden. Den Entscheid fällte einsam der Vater. Die Psychose: eine Übertragung von Vaters Schuldgefühlen. Er sitzt inzwischen im Rollstuhl.

Noch dubioser wird die Angelegenheit, wie die Schwester offenbar gar nicht aus dem Leben geschieden ist, sondern noch herumgeistert. Am extremsten wird das deutlich, wie Fay einen Tag krankheistshalber zuhause bleibt und am nächsen Tag alle behaupten, sie wäre da gewesen und hätte eine hervorragende Probe abgeliefert.

In der Zwischenzeit ist der Theaterlehrer mit einer fremden Frau im Auto gegen einen Baum gerast. Es kann sich nur um die Schwester gehandelt haben. Zum Glück hat Fay eine Liebelei mit ihrem Spielpartner angefangen. Das oder die Rolle bringen sie kurz vor der Aufführung zur Erkenntnis, dass sie sich von nichts mehr aufhalten lassen darf. Vielleicht hat die Schauspielerin ihr Double gefunden, was einer Referenz an Antoine Artaud gleichkäme, zumindest einer reizvollen Sichtweise auf diesen intensiven Bildteppich. Nach dem endlos langen Tunnel wird Fay bereit sein.

2 Gedanken zu „Another Me“

  1. Meines Erachtens sind an der obigen Filmbeschreibung zwei Stellen der Handlung falsch beschrieben:

    1.) Das Auto mit dem Theater-Lehrer fährt gegen einen Baum. Auf dem Beifahrer-Sitz hatte wohl erneut Fays Mutter Platz genommen, die trotz anfänglicher Zugeständnisse, das außereheliche Verhältnis zu lösen, wieder fremd geht. Dies geht daraus hervor, dass der Polizist sagt, die Beifahrerin hätte keine Verletzungen gehabt und sei nach Hause geschickt worden. Dort agiert die Mutter auch entsprechend verschlossen und verstört auf Fays Fragen. Das Auto kam durch den Geist von Fays Zwillingsschwester Lea von der Straße ab, als diese angeblich einen Stein in die Windschutzscheibe warf und diese darauf gesprungen ist. Man kann hierbei durchaus den Verdacht haben, dass ihr das auch ohne Stein gelungen ist, wie bei den zahlreichen anderen Scheiben zuvor auch.

    2.) Am Ende des Films in der Unterführung blickt Fay dem Geist von Lea in die Augen und stirbt hierdruch, wie vom Vater vorhergesagt. Dadurch nimmt Lea ihren Platz ein, ohne dass jemand es merkt, so wie sie es von Angebinn geplant hatte; siehe einleitender Monolog aus dem Off am Anfang des Films (dort spricht Lea, nicht Fay!). Dass Leas Plan gelungen ist wird in der letzten Szene eindeutig: Sie zieht sich das Pflaster ab und darunter ist keine Narbe. Fay hatte sich an dieser Stelle eine dauerhaft vernarbende Verletzung zugefügt, um sich von Lea zu unterscheiden.

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