Diplomatie

Wie stadttheaterlich steif Schlöndorff diesen honorigen Versuch, einen Brosamen Vernunft und Rationalität aus dem Barbarenreich, das das Tausendjährige genannt worden ist, zu retten, zeigt sich in einer kleinen Szene gegen Ende, wenn General von Cholditz das Schnurtelefon abnimmt und es meldet sich eine Stimme, die ein Zimmer im Hotel Meurice reservieren möchte. Die Schnur bleibt dem Darsteller beim Versuch den Hörer des altmodischen Telefons aufzulegen im Kostüm hängen und er hält einen Moment irritiert inne, spiegelt die penible Drehsituation, weiterspielen oder den Take abbrechen, es ist ja etwas schief gelaufen. Da Schlöndorff nicht unterbricht, macht der Darsteller eine motzige Bewegung gegen die störende Schnur – und spielt weiter. Schlöndorff lässt dieses Beweisstück seiner schulmeisterlichen Inszenierungsart im Film drin, der ein sorgfältig fürs Reinschreibheft gedachtes, dialogintensives Theater in Räumen vollgestopft mit totem Mobiliar ist.

Mit diesem Film nimmt Schlöndorff für sich in Anspruch, Paris gerettet zu haben; das ist ein bisschen Geschichtsklitterung. Aber die Zeit, die Distanz lässt einen fantasieren.

Die Bemühung Schlöndorffs, das Unfassliche des Dritten Reiches fassbar zu machen, die Suche nach Vernunft und Sprache angesichts der Sprachlosigkeit, kommt mir vor, wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Das macht die Anstrengung durchaus kurios. Weil es ist ja nicht gesagt, dass dieses Modell von Diplomatie realitätstauglich ist, wobei letztlich der Triumph mit der Sippenhaft doch jokerhaft wirkt, umso mehr als Schlöndorff auch die Ehre von Cholditz rettet, als dieser in einem trauten Moment gesteht, dass der Hitler, den er vor kurzem getroffen hatte, mit dem Hitler, den er verehre, nichts mehr zu tun habe, des Diplomaten Versuche insofern eh schon auf fruchtbaren Boden fallen. Im Film geht es darum, dass dieser Cholditz von Raoul Nordling, einem Diplomaten, überzeugt werden soll, Paris entgegen dem Befehl des Führers nicht mit Sprengungen dem Erdboden gleich zu machen.

Vielleicht ist es mehr eine Schlöndorffsche Traumwelt, wie sich der Schulmeister Konfliktbewältigung auf der Welt wünscht.

Interessant, dass die Pikanterie des Ortes, des einzigen Raumes im Hotel Meurice mit doppeltem Boden und mit Geheimtür zu einer Treppe, die auf eine diskrete Seitenstraße führt, dieses Gespräch des Vernunft überhaupt erst ermöglicht. Also wenn man es genau nimmt, dann rettet die Pikanterie und das Freudenleben der Sonnenkönige Paris und die Vernunft dazu. Denn wenn die Räumlichkeit nicht so wäre, dann wäre der Diplomat nie zum deutschen General vorgedrungen, hätte Paris im schlöndorffschen Kosmos nicht gerettet werden können. Frage also, ob Schlöndorffs Konstrukt nicht doch zumindest auf pikanten Füßen steht, wenn nicht gar eine indirekte Huldigung der architektonischen Begleiterscheinungen der erotischen Obsessionen des Absolutismus ist.

Ein einfaches Verständnis von Akzentsetzen gibt Schlöndorff zu erkennen, indem er genau, wirklich wie ein gezielter Paukenschlag, auf die Bemerkung des Generals, dass es genügend Aufrührer gebe, die gerne auf seine Leiche spucken würden, ab Band Theaterdonner erschallt, eindeutig von aufrührerischen Explosionen und der General dreht sich gut einstudiert um, nicht etwa, weil ihn der Lärm aus seinem Gespräch herausgerissen hätte, dieser dürfte erst später eingefügt worden sein, sondern weil das seine Regieaweisung war.

Trotz solcher Kleinigkeiten sind die beiden Protagonisten wunderbare Akteure, gereift durch Jahrzehnte der Schauspielerei, aber auch sie kochen nur mit Wasser – und kein Mensch erfährt, was sie innerlich denken bei ihrer Arbeit. Die Konzentration, die werden sie sicher schätzen.
André Dussolier als Raoul Nordling, erste Nennung bei IMDb 1970, bisher 143 Credits.
Niels Arestrup als General von Choltitz, 78 Credits, beginnend in 1974.

Melodramatisch: „Hier endet also meiner Karriere – trinken wir noch ein Gläschen“ (Whisky). Da fehlt nicht viel zum Bauerntheater.

Die öffentlichen Gelder seien verziehen, handelt es sich doch mindestens um ein schulunterrichtstaugliches Diskussionsmodell zum Thema Konfliktbewältigung. Aber gäbe es da nicht aktuellere, realitätsnähere, glaubwürdigere Fälle?

Es wird der Phosophorbombenteppich über Hamburg diskutiert im Vergleich zur beabsichtigten Sprengung von Paris und es werden auch kleine Kicherwitzchen eingebaut, um die Figuren menschlich werden zu lassen, was deutlich zur Auflockerung des trockenen Lehrstoffes, den Schlöndorff hier pädagogisch-didaktisch präpariert, dient.

Mir scheint der Film vor allem geeignet für eine Schulstunde, in der Disput und Diplomatie behandelt werden können. Viel Zeit verwendet Schlöndorff vielleicht hinsichtlich einer TV-Verwertung und dem damit verbundenen Cliff-Hänger-Prinzip auf Nebensächliches, um ab und an wieder eine Bomberei, eine Schießerei, eine Rennerei dazwischen zu schneiden.

Schlöndorff hatte als Grundlage seines Drehbuches ein Theaterstück von Cyril Gely.

Doktorspiele

Was die Amerikaner mit Hang-Over 3, 2, A Million ways to Die in the West, Bad Neighbors, können, nämlich mit der filmkomödienhaften Behandlung des verflixten, unberechenbaren Testosterons, was dem Menschen sein Hirn immer wieder in Frage stellt, enorm viel Geld zu verdienen, werden sich Marco Petry, sein Ko-Autor Jan Ehlert und deren Produzenten gesagt haben, das können wir noch lange und wir brauchen weder einen Polterabend, eine Western-Parodie, lautstarke Nachbarn noch professionelle Gagschreiber oder Autoren dazu noch überhaupt eine Story, wir machen direkt einen Themenfilm daraus, nennen ihn Doktorspiele und führen ihn mit ein paar ganz wenigen, ganz simplen Statistiken über das Wüten des Testosterons im Menschen ab etwa 9 Jahren ein; den Mangel an Geschichte kompensieren wir mit kindlicher Freude an kindischen Kamera- und Schnittspielen und zupfender Musik. Und da wir schon in fortgeschrittenem Alter sind, das Testosteron uns immer noch juckt, kramen wir ein bisschen in unseren Jugend-Erinnerungen, versuchen ein Revival unserer Zötchen-Anekdötchen und wie das alles angefangen hat.

Ein Themenfilm zum Begriff Testosteron und wie dieses den Menschen im Quadrat laufen lässt. Nur ist leider Testosteron allein nicht abendfüllend; deshalb die Kamera- und Schnittkapriolen. Zur Ablenkung. Ob das verbrämen kann, wie sich dieser Altherrenfilm an die Teens ranzuschmeißen versucht? Kino als Ersatzhandlung?

„Was ist denn hier los?“. Diese Frage (im deutschen Pfründenland sicheres Indiz für unsolide Drehbucharbeit), so oder ähnlich mehrfach im Film gestellt, könnte auch über den Film gestellt werden. Zumindest von einem Zuschauer, der sich nicht mehr unbedingt zum Zielpublikum eines Filmes, in welchem überwiegend über 20jährige versuchen Menschen im Alter und Zustand des Testosteronhöchst- und Notstandes mitte der Teens zu spielen. Um unverhofft mit dem thematisch kaum vorbereiteten, moralischen Satz zum Schluss zu kommen, dass es sich lohne, für eine Liebe zu laufen. Wobei sich der Begriff der Liebe mangels tieferer Charakterisierung der Figuren auf den Begriff Latte reduziert, je kürzer die Hecke, desto größer das Haus.

Beruhigt darf der weibliche Gegenpart feststellen, dass sich das Haus bewegt. Einige Buben und Mädels mit verschiedenen zeitmodischen Namen werden durch das Drehbuch über kurze Szenen einander in die Nähe gebracht, zuhause bei dem, zuhause bei jener, im Pool. Immerhin sind sie sich ausgesetzt. Viel Geschichte gibt das nicht her. Außer massenhaften Bemerkungen zum Thema Latte, ein bisschen Porno schauen (King Togo), duschen, am Pool liegen, Farbfilterspiele, Darstellerüberschminkung, Partymachen, Gitarre klimpern, Liebesgesangsversuche und ein Dildo als Spielzeug.

Das Motiv des Filmes wird eingangs im vorpubertären Kindsalter eingeführt, „zeig mir, was du da unten hast“ („nichts“) und „jetzt musst du es mir zeigen“ („Mama, der hat einen ganz Kleinen“). Da also wenig Geschichte ist, soll mit unentwegten, verjuxten Kamera- und Schnitttricks Power, cineastisches Testosteron erzeugt werden, Zeitraffer, Schussschnitte, Schreckschnitte, Bilderstarrung oder sogar Drehung bei Szenenendstillstand und dann eine nervöse Musik, Gitarrenzupferei, die versucht, die Aufregung der Jugend zu vibrieren, versucht das Lebensgefühl dieser erwachsenden Gefühlswelt zu schildern zwischen Liebe und Sex, sind ja irgendwie auch zwei verschiedene Baustellen.

Ist doch total lustig, wenn einer betrunken ins Goldfischbassin pinkelt oder wenn Mama Wäsche waschen will und sich beim Öffnen der Waschmaschine mit einer Wäscheklammer die Nasenlöcher zudrücken muss, weil Spuren der Feiernacht stinken und sich in der Hose des Sohnes ein Glitsch-Piss-Aquarium-Klumpen von Goldfisch befindet.

Kohlrabisuppe mit Spermablubb. Mach mir den Hengst.
Ein großes, dickes Magnum mit Nüssen.
Ich wollte was runterholen vom Schrank (nach Ertappung beim Wichsen)
Von Penis-Tourette ist die Rede als fauler Ausrede.
Es gibt den Wieherklingelton und anderes mehr bis zum Sexverkehr.
Der Typ will meine Eier.
Dauernd auf die Nudel kucken.

Forciertes Overacting soll über den Mangel an Story und Esprit hinweghelfen.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Wolfskinder

Kinder im Zweiten Weltkrieg. Die Reihe der Filme reißt nicht ab.
Lauf Junge Lauf,
Lore und
Das große Heft.

Immer sind die Landschaften traumhaft schön, fast immer, immer sind die Kinder in der Landschaft, müssen allein zurecht kommen. Jetzt hat Rick Ostermann eine weitere Kinder-Im-Weltkrieg-Geschichte aufgetan: die Wolfskinder. Das waren Kinder in Ostpreussen, die ihre Eltern verloren hatten.

Die Brüder Hans und Fritzchen müssen sich nach dem Tod ihrer Mutter allein nach Litauen durchschlagen. Ein Amulett der Mutter, das signalhaft als einzige Orientierung auf dem Weg von Hans immer wieder berührt wird, soll bei der Verwandten in Litauen als Legitimierung gelten.

Die beiden Brüder sind ein glaubwürdiger Cast, keine überfütterten, gesättigten Wohlstandskinder. Leider werden sie schon bald getrennt. Die Geschichte bleibt beim Älteren. Der findet zwei Mädchen und einen Jungen. Vor allem das ältere der Mädchen mag zwar gut schauspielern, verrät aber eine Castingorientierung am heutigen Ideal von Gesichtschirurgen, was mit Kriegskindern wenig gemein haben dürfte. Wobei offenbar Glaubwürdigkeit nicht das Hauptthema von Ostermann gewesen ist. Aber auch diese Gruppe wird durch die Läufe des Schicksals wieder getrennt.

Es wird der Film somit zu einer Aneinanderreihung von Szenen in verschiedenen Gruppierungen von Kindern, die immer geradeaus und nie mit einem Moment der Orientierungslosigkeit durch herrlichste, ostpreussische Wälder und Seenlandschaften gehen, immer von irgendwoher nach irgendwohin. Es gibt Begegnungen mit guten Menschen und es gibt Begegnungen mit schlechten Menschen. Es gibt Verluste. Es gibt den Versuch, wenige und knappe Dialoge einzusetzen. Die wirken meist hirnig und erklärend und vor allem überhaupt nicht natürlich. Oder es wird bei Begegnungen gar nicht gesprochen. Auch unnatürlich. So wird es denn vor allem ein schöner Spaziergang. Konflikte gibt es nicht. Besser gemeint als gekonnt. Tragisches Schicksal in traumhafter Gegend. Mässige Dialogregie. Unnatürlich. Holzhackig.

Ostermann glaubt wohl, wenn er solche Schicksale nachbebildere, dass der Stoff von sich aus tragend genug sei. Er glaubt, er könne die Gesetze des Geschichtenerzählens außen vor lassen. Eine spannende Geschichte braucht eine Figur mit Konflikt am Ausgang. Die fehlt hier schon mal. Insofern hat es der Darsteller auch schwer. Er muss durch die Gegend gehen und mal vergnügt im Wasser schwimmen.

Ostermann meint mit einer gradlinigen Erzählung von A nach B sei Kinospannung garantiert. Wobei es keine Wegmarken gibt, nur Wald und Feld und Flur und Fluss und See im Irgendwo. Nie eine Frage, wie man wohin komme, sie laufen ziellos gerade aus, haben wie von der Regie ein GPS eingebaut, haben soviele Instinkte. Waldzauber und Blütentraum, mystischer, moosbedeckter Wald, Birkenstämme, Sümpfe. Vom Klauen und Erschießen eines Pferdes bis zur Tante in Litauen.

„Wir müssen ihn irgendwo unterbringen“. „Hast Du niemand, der auf Dich wartet?“ „Irgendwo musst Du doch hin wollen“.

Die wenigen Dialoge sind, so wie sie sind, meist auch noch überflüßig.
Und dass das Mädchen an einer Stelle „Der Mond ist aufgegangen“ singt, das ist Krimskrams, unglaubwürdig, das mag mit einer Kultursehnsucht pseudokultureller Kreise in den Fördergremien zu tun haben, garantiert nicht mit der Realität. Das Lied wird inzwischen ein bisschen sehr oft in subventionierten, deutschen Filmen gesungen.
„Wart hier genau an dem Stein, bis ich wiederkomm“. (Befehl an die Mädchen, die damit aus dem Film verschwinden).
Bei neuer Hütte: „Ihr bleibt hier“ (wie im Kinder-Räuber- und Gendarm- oder Hotzenplotzspiel). Unrealistisch.

Der Film entscheidet sich für Auslassung der Entscheidungspunkte einer solchen Flucht, damit Verzicht auf ein Spannungselement, stattdessen die epische Vorwärtsbewegung; Flucht sentimental gesehen. Nur die Idyllephasen, das fotografisch Ergiebige, das Kitschige, und nicht das, was den Menschen gerade in Extremsituationen zum Menschen macht: Entscheidungen, auch riskante, zu treffen, sich auf den Instinkt zu verlassen, Charakter zeigen, handeln.
Flucht als filmisch-fotogener Selbstzweck.

Bruder gefunden, Text:
„Du sprichst Litauisch. Und ein neues Hemd hast Du auch. Und wie geht es Dir hier? Sind sie gut zu Dir?“
„Mutti hat gesagt … wir sollen nicht vergesssen, wer wir sind“.

Dieses in vieler Hinsicht (vor allem Buch und Regie) unbedarfte Werk zu einem ehrenhaften Thema wurde gefördert von den Zwangsgebührentreuhändern
HR, Intendant Dr. Helmut Reitze, arte
und von den Filmförderern
MFG, Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg,
FFA, Vorstand Peter Dinges,
BKM, Frau Monika Grütters
Kommentar des Zwangsgebührenzahlers, der damit Zwangsfinanzierer, somit Zwangsproduzent wird: diese Verwalter von Zwangsgebührengeldern haben ihren Job beim Drehbuchlesen nicht solide gemacht; verdienen geschasst zu werden wie kürzlich Herr Koch bei Bilfinger. Denn es ist nicht das erste Mal, dass wir diesen Namen und Institutionen im Zusammenhang mit Filmen begegnen, die den Begriff Kino nicht verdienen.

Der Autor will den Film verstanden wissen, den Wolfskindern, die von der Wiedergutmachung ausgeschlossen seien, eine Stimme zu verleihen; leider hat er nicht, wie Pepe Danquart es in „Lauf Junge Lauf“, als echten Hammer gebracht hat, am Schluss noch ein richtiges Wolfskind, was heute ein Greis sein dürfte, in den Film und vor die Kamera geholt. Womit die Ernsthaftigkeit seines Anliegens bezweifelt werden dürfte.

Can a Song save your Life?

Kann ein Lied einen Kinoabend retten?
Allenfalls bedingt, allenfalls für eine bestimmten Zielgruppe.

Im Film selbst wird die Frage positiv beantwortet. Im Sinne einer Holter-die-Polter-Simpel-Geschichte, die durch eine merkwürdige Star-Paarung in Gang gesetzt und zu einem glücklichen Ende gebracht wir.

Ein Schmierenkomödiant von Musikproduzent und Alkoholiker dazu, wirres Lockenhaar und wurstige Bewegungen, Mark Ruffalo, ist, das wird kurz und herzlos skizziert, am Ende, ist aus seiner Firma rausgeflogen und von seiner Frau lebt er auch getrennt.

Eine merkwürdig drahtige Frau wie aus höheren Kreisen, eine taff-präzise Schauspielerin dazu, deren Leinwandpräsenz unter dem Niveau eines anspruchsvollen Kostümschinkens kaum vorstellbar ist, Keira Knighltey als Gretta, wirkt hier von einem bescheidenen Drehbuch und Plot unterfordert oder überbesetzt, sie soll aber auch singen, doch dazu ist ihre Stimme zu dünn. Sie wiederum war die Geliebte eines erfolgreichen Sängers, Adam Levine, der professionell singt, und nur seine Karriere im Sinn hat, außerdem ist da noch Miriam, die sich bei einem Dreh in L.A. an so einen Mann ranmacht. Also ist auch Gretta am Boden, verlässt ihren untreuen Freund.

In einer Musikkneipe, auch das schütteln Drehbuch und Regie von John Carney ohne allzuviel Subtilität, mehr absichts- als wirkungsvoll locker und schnell zusammen, treffen die Beiden aufeinander, besinnen sich auf uramerikanische Tugenden, aus dem was vorhanden ist, tatkräftig etwas zu machen (und nicht wie die Europäer über den Subventionsmangel zu jammern, aber das wird hier nicht thematisiert); das Rezept ist origineller als die Performance. Sie würfeln ein paar Musiker zusammen und mangels Geld für die Miete eines Studios zur Aufnahme einer Demo-DVD nehmen sie die Songs im öffentlichen Raum auf.

Der Film wirkt wirkt wie ein aus guter und selbstüberzeugter Stimmung hergstelltes Produkt, wobei die Absicht, einen Erfolg zu landen, lauter und deutlicher erkennbar wird, als die Absicht, einen Film zu diesem Thema zu stemmen, der ihn vorm Hintergrund unserer Zeit brandaktuell machen würde. Mehr ein Sind-wir nicht-gut?!-Feeling, von meiner Warte aus gesehen, für einen überschaubaren Zielpublikumskreis, vielleich alternde Kinobetreiber, die noch über einen Scherz mit den Jackson-Five lachen können. Oder ein Versuch der Anbiederung an ein Bravo-Leser-Publikum? Es ist jedenfalls keine Satire auf das Musikbusiness und schon gar nicht messerscharf.

Die Musik selbst, die darin vorkommt, wirkt auf mich als grad gar nichts Besonderes, die übliche, zeitanbiedernde Rhyhtmus- und Melodie-Verwurstung, beliebige Strudelmusik. Wirkt angestaubt vom ersten Moment an und als sei ein Sprung in der Platte gibt es noch zwei holprige Rückblenden zur Erklärung der Exposition. Auch der naive amerikanische Optimismus, dass man es, wenn man gar nichts mehr hat, mit dem Outdoor-Album schaffen könne, wirkt nicht gerade zündend. Erst recht die Geschichte mit der Tochter des Schmierenkomödianten, dass die plötzlich so gut Gitarre spielen kann, das ist Kitsch pur, uninspiriert und fantasielos, unwach unserer Zeit gegenüber. Ein schläfriges, dösiges Kino mit Pseudospontaneismus.

Guardians of the Galaxy

Und da war er plötzlich, der Science-Fiction-Hammer, auf den alle so lange gewartet haben. Die Teaser zeigten skurrile Lebensformen, die sich zusammentun, um … na, um was, das war gar nicht mal so klar. Jedenfalls dreht sich alles offenbar um einen Waschbären, eine Art Ent und ein paar Humanoide, die zusammen offenbar die Wächter der Galaxis sein sollen.

Als bekennender US-Superhelden-Comic-Verweigerer (außer Phantomias) tue ich mir natürlich sehr schwer, die schon seit Jahren anhaltende Flut von Superheldenfilmen zu verdauen. Irgendwelche Typen werden durch irgendwelche Freak-Accidents zu übernatürlichen Wesen und „können“ dann eine oder ein paar spezielle Sachen. Spiderman kann Spinnweben spritzen und Wände hochlaufen (offenbar auch den Badewannenrand), Superman kann alles, und alle dazwischen können so manche andere Dinge. Wirklich interessant sind eigentlich nur Batman und Iron Man, die ja beide nicht super sind, sondern durch ganz weltliche Ingenieursarbeit und Forschung zu ihren Exoskeletten und anderen Gimmicks kommen. Aber die anderen, die immer noch superer sind und immer noch skurrilere Komplexe und Schwachstellen haben, die kann man doch nicht ernst nehmen.

Man mag mich nun verdammen und beleidigen, bitte schön. Ich bin mit Asterix und Obelix aufgewachsen, mit Tim und Struppi und Kapitän Haddock, der womöglich einzigen Comicfigur seiner Zeit mit schweren Alkoholproblemen, mit Spirou und Fantasio, und natürlich mit Mickey und Donald. Ich bin mit halbwegs realistischen Konfliktsituationen aufgewachsen und nicht mit völlig aus dem Ruder gelaufenen, meist nichts weniger als tagtäglich die Existenz des gesamten Planeten bedrohenden Situationen. Abgesehen vom Todesstern war in meinem Universum nichts (außer der menschlichen Gier) in der Lage, einen ganzen Planeten zu vernichten.

Nun sitzen wir also im Kino, und ich bemühe mich, mein Suspension of Disbelief derart auf Hochtouren zu bringen, dass ich einen sprechenden Waschbären und ein laufendes Gebüsch als Kopfgeldjägerteam ernst nehmen kann.

Sicher, man unterhält sich ganz prima bei Guardians of the Galaxy. In Hollywood muss es eine spezielle Firma geben, die nur coole Sprüche für Drehbücher liefert, so dass jeder Filmemacher in jeder Szene immer den maximal kernigen Schenkelklopfer parat hat. Angefangen hat das schon lange vor „Hasta la vista, Baby“, und es wird auch so bald kein Ende nehmen.

Leider verhält es sich beim Filmemachen neuerdings ungefähr so wie in der modernen Fast-Food-Küche, ebenfalls ein absolutes Fachgebiet der Amerikaner. Nach dem Motto „wir verbinden einfach zwei beliebte Produkte zu einem neuen“, was ja auch konsequenterweise zur Pizza mit Cheeseburgern drauf geführt hat (sic!), ist man in Hollywood wohl der Meinung, dass „mehr“ coole Sprüche, Action und andere Fun-Faktoren auch ein „mehr“ an Qualität eines Filmes bedeuten. Dass guter Geschmack sowohl in Küche wie im Film insbesondere durch das Weglassen oder durch meisterhafte Dosierung bewiesen werden kann, statt durch das genussvolle, satte Aufschmieren selbiger Zutaten durch völlig verstrahlte Spezialisten wie z.B. Michael Bay, ist leider in Vergessenheit geraten. Daher zeichnet sich diese Flut von Prequels, Sequels, Spin-Offs, dieser und jener Franchise und sonstiger Universen leider insbesondere dadurch aus, dass neuerdings allein das „mehr“ die Qualität liefern soll für so einen Film. Because we can. Effekte und so. Doch mehr ist nicht gleich besser, das weiß doch jedes Kind.

Früher, als bei „Dark Star“ oder „Silent Running“ eine Message noch leise und dezent angedeutet wurde, dem Zuschauer sozusagen als Aha-Effekt für die spätere Erkenntnis eingepflanzt wurde, wird sie heute im Film nicht nur offen ausgesprochen, sondern sogar im Plakat oder im Trailer beworben. Man stelle sich „Soylent Green“ vor, wenn es auf diese Weise neu verfilmt würde!

Schafft man es also, diese skurrile Ansammlung von Wächtern der Galaxis halbwegs ernst zu nehmen, machen diese sich sogleich daran, alles dafür zu tun, dass man so schnell wie möglich wieder vom Glauben abfällt. Die Leinwandchemie unter den Teammitgliedern ist nur rudimentär vorhanden (auch, was Ablehnungen angeht), selbst die lockere Freundestruppe bei „Cloverfield“ war realistischer, obwohl man bei denen meist nicht so genau wusste, wer jetzt gerade wer war, weil alles so gewackelt hat wegen der blöden Handkamera. Außerdem reicht die Zeit reicht gar nicht für die Leinwandchemie bei den Wächtern der Galaxis, denn es gibt kaum ruhige Szenen.

Besonders stört mich bei solchen Science-Fiction-Epen allerdings, dass sie meist wesentlich mehr Fiction als Science enthalten, so ungefähr im Verhältnis 99 zu 1 nämlich. Die Handlung spielt in einem hochmodernen Universum (in dem die Erde im hier und heute, offiziell unkontaktiert, existiert), und man schießt auch in der restlichen Galaxis noch mit Projektilwaffen? Gibt es wirklich nichts moderneres als die gepimpte Steinschleuder? Die Raumschiffe fliegen mit Rückstoßtriebwerken? Nicht nur dauert interplanetares Reisen mit dieser Technik Jahre oder Jahrzehnte, von interstellaren Reisen kann da nur zu träumen sein. Auch braucht es Treibstoffe, in rauhen Mengen! So viel also zum Bewachen unserer Galaxis, die ja nur rund 100.000 Lichtjahre Durchmesser hat (und das auch noch durch fünf Personen, wohlgemerkt). Auch der in irgendeinem Asteroidenfeld frei schwebende Thron eines fernen Herrschers (Luft? Zum Atmen?) läuft mit Rückstoßtriebwerken, selbst in den Armlehnen befinden sich welche. Nicht, dass es die bräuchte, denn wo keine Gravitation, da muss auch kein Thron auf einem Feuerschweif in Position gehalten werden, während alle anderen Trümmer in der Umgebung das nicht brauchen. Naja, und dann gibt es da noch ein Raumschiff, das aussieht wie der Radiator in Omas Jugendstilappartment, und mit dem man doch glatt versucht zu landen. Leider haben die Filmemacher von solchen Dingen genauso wenig Ahnung wie die Leute, die das Teil steuern, und dass dieser unförmige Klumpen dann den Weg alles Irdischen geht, ist letztlich natürlich der Gravitation geschuldet, die man in der Sequenz natürlich auch noch getrost bis zum endgültigen Aufsetzen ignoriert.

Was mich auch stört, ist diese Hollywood-Hybris, dass der Mensch (bzw. das vernunftbegabte Wesen) generell der bessere Pilot, der bessere Schütze, der bessere Taktiker ist. So wie einst Luke Skywalker den Todesstern ohne Zielcomputer durch manuellen Bombenabwurf vernichtete (gut, die Macht war mit ihm, die ja wohl wirklich solide etabliert wurde im Film), so muss bis heute der Mensch den eigentlichen letzten Schlag, Klick, Schuss oder Kick abgeben, um den Feind in die Knie zu zwingen. Das mag zwar dramaturgisch packender sein, zugegeben, ist aber bereits heute selbst für Laien als dermaßen lächerlich erkennbar, dass ich mich immer noch frage, wieso das überhaupt noch jemand ernst nehmen kann. Viel besser gelöst ist das ganze Dilemma in kaum verfilmbaren Büchern, so zum Beispiel unter anderem bei Peter F. Hamilton und seinen Space Operas wie die mit „Pandora’s Star“ beginnende Commonwealth-Saga. Hier haben in Raumschlachten die Schiffscomputer die Waffenkontrolle. Sie beschießen sich gegenseitig mit hunderten von Raketen und Strahlenwaffen und noch viel gemeineren Dingen gleichzeitig, täuschen und taktieren, steuern ihre Bomben durch Mini-Wurmlöcher, so dass sie direkt beim Ziel herauskommen und alles, und die Raumschlacht ist dann auch nach 0,4 Sekunden vorbei. Das ist natürlich schlecht verfilmbar, aber so viel wahrscheinlicher für eine ferne Zukunft als Projektilwaffen und Rückstoßtriebwerke. Peng, Bumm, Aua. So ein Schmarrn.

Das Kraut ausgeschüttet hat aber erst dieser Superstein, von dem es nur ein paar Stück gibt in der Galaxis. Oder dem Universum? Jedenfalls ist das so ein Dattelgroßes Teil, das leuchtet, und wenn man es berührt, dann wird man – richtig – super. Nicht, dass man sich die Finger verbrennt, zu Asche zerfällt oder nur generell strahlenkrank wird vor lauter Energie, die das Teil in allen Spektren ausspeit, nein, man wird natürlich super. Und wenn man es fallen lässt, ist der Planet hin, auf dem man es hat fallen lassen, wegen so einer zerstörerischen, unaufhaltsamen Kettenreaktion. Die übrigens irgendwie nicht abläuft, wenn man mit den Füßen auf dem Planeten steht und den Stein in der Hand hält. Jedenfalls sind alle hinter dem Teil her, natürlich, und obwohl es so gefährlich ist, wollen es alle anfassen. Ich werde so einen Käse nie verstehen, ebensowenig, wo sich bei den Transformers oder bei Iron Man all das schwere Metall hinfaltet, wenn sich was transformiert. Da wird aus einem Flugzeugträger ein Überraschungsei, das man sich in die Hosentasche stecken kann, so ungefähr. Man sieht schon: Das kann nicht klappen. Oder auch dieser Baum, Groot der Name, der kann scheinbar beliebig groß und lang werden oder auch zu einem allumfassenden Buchsbaum in Kugelform, so dass aus 100 kg Holz plötzlich 800 kg Holz zu werden scheinen, ohne dass da lange Kohlenstoff aufgenommen, Photosynthese betrieben und Lignin gebildet werden muss. Aber das Heranwachsen so eines Wesens, das braucht natürlich ewig.

Es ist einfach ein Kreuz mit diesen Superhelden, die Gesetze der Physik gelten nur, wo es der Handlung nützt. Ich prangere das an! Denn so wird der Zuschauer betrogen, da das Wunder auf der Leinwand einfach nicht erklärt wird. Wenn man so jeden Film drehen würde, wäre das Kino aber schnell am Ende. Doch die Zuschauer scheint das nicht zu stören. Sie grölen vor Freude und jauchzen über die flotten Sprüche und sind so angetan wie ich einst mit sechs oder sieben Jahren in „The Empire Strikes Back“. Aber sie haben ja auch „G.I. Joe“ gemocht, wo Eisschollen durch das Meer auf eine Unterwasserbasis herabfallen. What the fuck, echt.

Ich war geneigt, das alles zuzulassen, weil die Comics schon 1969 erschienen, wo man es noch nicht so genau nahm mit dem Realismus. Dumm nur, dass das ausgerechnet das Jahr der Mondlandung war. Und „2001 – A Space Odyssey“ war auch schon ein Jahr alt, musste die Macher also beeinflusst haben. Ganz ehrlich: Ich fühle mich verarscht von solch selektiven, inkonsequenten künstlerischen Freiheiten. Selbst „Sharknado“ ist konsequenter.

Die Entführung des Michel Houellebecq (arte, am 27.8. 2014 um 21.40 Uhr)

„Entführung“ ist in diesem Spielfilm von Guillaume Nicloux, der sich als Dokumentarfilm gebärdet (kameratechnisch aber überhaupt nicht), eine recht eigenwillige Interpretation des Begriffs Interview. Wobei es sich um ein erfundenes Interview handeln dürfte, wenn ich das recht sehe.

Der Film ist ein Promiploitation-Produkt. Es geht um den auch bei uns berühmten französischen Autoren Michel Houellebecq. Er wird von einem Schauspieler als recht abgefuckte Figur am Rande der Misanthropie dargestellt und weniger als ein hellwach beboachtender Zeitgenosse mit scharfen Augen und ebensolchem Verstand, wie mir Houellebecq auf Originalbildern vorkommt.

Interview realistisch interpretiert als ein Herausgerissen-Werden des zu Interviewenden aus seinem Lebensrhythmus, aus seiner Arbeit, welche im 23. Stock eines feinen Wohnhochhauses in einem Pariser Vorort stattfindet.

Interview regelrecht interpretiert als gewaltsame Entfühung und Verschleppung, das ist durchaus reizvoll als Bild. Das Opfer lässt es widerstandslos mit sich geschehen. Houellebecq lässt sich bereitwillig die Hände fesseln, den Mund verkleben und sich in eine grüne Kiste mit Luftlöchern packen für den Transport in eine abgelegene Behausung eine Gehöfts, das offenbar der Ausschlachtung von Autos dient, halb Schrottplatz und dort in ein Häuschen, dessen Innenausstattung einen Preis für besondere Spießigkeit verdiente.

Entführt und bewacht wird er von lauter bulligen Typen, Boxern und Bodybuildern. Einer davon ist ein dezidierter und bewusster Roma dazu, der die Dichter bewundert.

Klar ist, dass die Entführung nur etwa 8 Tage dauern wird. Unklar ist, wer sie angeordnet hat, auf jeden Fall nicht Mr. Hollande, und unklar ist auch, wer das Lösegeld zahlt. Houellebecq hat einzig ein Problem mit einem Termin bei seinem Agenten am nächsten Wochentag, am Montag. Der würde sicher stutzig werden und die Polizei alarmieren, weil Houellebecq als sehr zuverlässig gelte; bei einem Dichter muss das Wort zählen.

Das „Interview“ selbst ist mehr ein Tour d’horizon durch die verschiedensten Themen, dümpelt teils etwas bemüht dahin, nie aber geistlos. Es fängt mit Blabla über Städtebau an, es geht um Küchenumbau, Mozart, Le Corbusier, Literaturjury, Muskeltraining, Helilärm, das Hochhaus ein Dorf (dann wäre Houellebecq ganz oben der Dorfvorsteher), Glaukom, Unterschied zwischen Gedicht und Roman, Alexandriner, der kreative Prozess aus dem Nichts, Alkohol und Kulinarisches, Koks, Schwule, Mallarmé, Armenier, Auschwitz, die Gleichgültigkeit dem Tod gegenüber, Journalisten und Wahrheit, Selbstgespräche, Herkunft aus der Normandie, Boxkämpfe auf Großbidldchirm, Würgegriff, Triangel-Würgegriff, Hebelgriff. Frage eines Bewachers: könntest Du ein Buch über mich schreiben?

Ginette ist die Gastgeberin. Ihr Mann war Pole. Über Polen zur Zeit des Eisernen Vorhanges. Die Entführer stellen dem Entführten Fatima zur Verfügung. Das taugt ihm. Bezahlen tun die Entführer. Und immer wieder hat Houellebecq Ohrschmerzen.
Er schreibt, angegkettet, ein Gedicht für Ginette. Houellebecq wird inszeniert als ein Häufchen Mensch von Schrifsteller, kettenrauchend.

Nach seiner Freilassung möchte der Autor einen Container auf diesem friedlichen Fleckchen Erde für die Wochenenden mieten.

Poizeiruf 110: Morgengrauen (TV ARD BR)

Dieser Polizeiruf nimmt seine Spannkraft nicht aus der Geschichte, diese lässt ernorme Zweifel an ihrer Plausibilität, sondern aus Beherrschung und Intensität des Formalen und der erstklassigen Theaterei der Darsteller der recht hypothetisch erfundenen Figuren. Alexander Adolph hat das von ihm geschriebene Hirnkonstrukt höchst kultiviert inszeniert und mit einer Musik, die zwischen gepflegtem Mahlerlied, allenfalls tragischer Streichermusik und modernistischem Psychose-Psychodelic-Sound alterniert, mit gut getimten, abrupten Schwarzschnitten nahtlos aneinandergestanzt.

Die feine Machart, die edle Performance machen andererseits besonders schmerzlich bewusst, was für ein unglaubwüridger Nonsens die Story ist, wobei eben mit Theatralität als einem Kulturwert an sich darüber hinweggetäuscht werden soll und auch effizient darüber hinweggetäuscht wird.

Behauptung eines Verbrechens, welches nach der Lebenserfahrung eher unplausibel ist. Wo ist das Motiv? Das Motiv muss spürbar sein, muss sehr wohl im Charakter des Täters angelegt sein. Ist es bei Milberg als psychopathischem Psychiater nicht (er leitet in der JVA ein Antigewalttraining für jugendliche Delinquenten, weshalb er Einblick in deren Akten bekommt und die „Selbstmorde“ in Auftrag gibt). Milberg reißt dem Berufsstand der Psychiater die vertauenswürdige Fassade herunter, erzählt mit seiner Figur: jeder vertrauenswürdige Psychiater kann ein Massenmörder sein, nachdem klar ist, welcher Verbrechen er fähig war und sie auch begonnen hat. Eben noch hat man sich gefreut, dass Milberg mal nicht ganz so schleimig rüber kommt, dass er „ehrlich“ wirken möchte. Und dann das.

Der Täter, der Massenmörder, begeht seine Taten nicht selbst. Er setzt einen gedungenen Auftragskiller auf die jugendliche Delinquenten an und möchte damit die Gesellschaft von Unrat säubern. Diese penible Eigenschaft muss sich in seiner Person finden. Ein zweifelhafter Akt von Selbstjustiz, begangen von einem durch und durch seriösen Psychiater. Allerdings ist dieser Gerechtsigkeitswahn in der Figur des Psychiaters in keiner Weise angelegt. Milberg spielt ihn jovial, stottert zwar ein bisschen, wenn er den Kollegen Meuffel, den er von früher kennt, im Auto mitnehmen will. Aber dieses Stottern ist kein schuldbewusstes, sondern eines, das in der dürftigen Gegenwart unserer TV-Produktionen wütet wie Ebola. Das ist modische Schauspieler-Allüre, modischer Schauspielersprech, der auf einen Mangel an Rollenstudium hinweist. Besonders wenn es ums Anbandeln und um Liebesdinge geht. Wie zwischen Meuffel und der Anstaltsanwältin Frau Dr. Wagner. Sandra Hüller als Karen Wagner, die hat Stil, die hat auch Inneres. Dieses Anbandeln ist so inszeniert und gespielt, als hätten Regie und Akteure keinerlei Ahnung, wie das im Leben bei Herrschaften ihres vorgerückten Alters und ihres Standes abläuft. Es sind keine unbeholfenen Teens mehr. Mahler spielt in diesem kindischen Techtelmechtel eine verbindende Rolle. Schön, im Fernsehen die Nähe zu so kultivierten Stotterkreisen vorgespielt zu bekommen.

Gegen den Mahler setzt die Tonspur gerne um den ersten jugendlichen Delinquenten herum eine modernistische Psychomusik, denn es ist nicht sicher, ob dieser nicht eine Psychose hat; redet er doch im Gefängnis ständig von Bedrohung, was im Nachhinein nicht logisch erscheint angesichts der Systematik der Scheinselbstmorde; 9 Stück in „dieser JVA“ in den letzten zwei Jahren. Unter den Insassen scheinen diese kein Thema.

Der Kommissar Meuffels selbst wird vom Drehbuch einmal mehr zum postmodernen TV-Helden hochgestylt: der liebste und verständigste und menschlichste Kommissar und ein Glück, dass so ein Mensch bei der Polizei sei (und im deutschen Zwangsgebührenfernsehen); wobei allerdings der Mund, aus dem dieses Kompliment kommt, wie sich herausstellen wird, voll fauligen Geruchs ist.

Es gibt mehrere Stellen, an denen Leute aus Akten lesen. Hier kommt Pathos pur ins Spiel, sie lesen alle so ehrfürchtig, als ob es sich um eine Bibellesung handelt – lebensfremd.

Nochmal zur Glaubwürdigkeit des hirnigen Konstruktes: ein Massenmörder als Familienoberhaupt einer zahlreichen, gut bürgerlichen Familie mit betriebsam aktivem Familienleben, dessen Zentrum, dem Einfamilienhaus, mit dem verglasten Wintergarten noch das Symbol der Offenheit verpasst wird – hat es das schon einmal gegeben? Und nicht eine Eigenschaft, die gegen dieses Vorbildhafte gebürstet ist. Also erst recht die Frage: wozu das Ganze? Wozu werde ich als Zwangsgebührenzahler gezwungen, so einen „Hirnschiss“ von Konstrukt mitzufinanzieren? Was wollen uns Alexander Adolph und der BR, Redaktion Cornelia Ackers, damit erzählen? Hütet Euch vor dem Familienleben, es kann die Brutstätte für grausame Verbrechen sein? Nun, die These ist altbekannt, aber dann müsste das eben genau gezeigt werden, wo die fauligen Punkte in der Familie liegen. Das wird hier nicht geleistet.

Gegen das Pathos, selbst die jugendlichen Delinquenten sind von diesem wie von Mehltau überzogen, steht einzig die Figur Oberpiller, der Schmutzige, der Österreicher, der an seinem Arbeitsplatz bei der Polizei auf dem Computer Pornos schaut (am deutlichsten zeigt Adolph dem Fernsehzuschauer die fetten Brüste, die sich eine Frau provokant reibt). Dazu holt sich Oberpiller an seinem Schreibtisch einen runter. Das ist der Kamera dann doch ein Tick zuviel. Jetzt hat sie sich in ihrer Jugendfrei-Scheu diskret hinter eine Büroglasscheibe zurückgezogen. Wenn die Kinder zuhause fragen: Mama, was macht der Mann da in seiner Schublade…. Aber auch Oberpiller ist eine eher irritierende Mixtur aus Grobklotz, Schmutzfink, Dreckskerl und dann wiederum Kommissars Best Friend, der ihm am Schluss wie ein Psychologe die Schultern reibt und sagt: lass es raus; als ob er gerade noch am Wichsen sei. Ein Charakterzug, der in der Figur keineswegs angelegt ist. Aber irgendwie muss man nach genau 90 Minuten zu einem Ende kommen, nachdem 10 Minuten vorher noch der übliche alarmistische Endspurt eingebaut wird („Jetzt ist Eile angesagt“), in welchem der Kommissar heldenhaft verletzt wird und noch auf der Bahre sich kümmern kann, wo denn die Frau Wagner sei. Und wie sie ihm, das hat der gute, schmutzige Österreicher-Freund inszeniert, eine kitschige Liebeserklärung über einen Computervideo macht, oh die vielen Sterne auf dem See, da träufelts bei Meuffels schier aus den Augen, die in diesem Moment ausschauen, wie die eines alkoholsüchtigen Trottels.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers, der sich das Geld für so einen Mist von seinem knappen Budget von Staates wegen abknabbern muss.

Sag nicht, wer Du bist

Zuerst geht es um einen Verlust. Tom aus Montreal, gespielt von Xavier Dolan, der auch die Regie geführt und das Drehbuch nach dem Theaterstück von Michel Marc Bouchard geschrieben hat, reist zur Beerdigung seines Freundes aufs Land zum Bauernhof von dessen Mutter. Dass er in ein Gespinst von Verdrängung, Nicht-Wahrhabenwollen und Lügen zum Thema Homosexualität hineingeraten wird, kann er anfangs nicht wissen.

Die Verarbeitung des Verlustes wird anders verlaufen als geplant. Er wollte lediglich zur Beerdigung kommen und dabei ein paar Worte sagen. Er gerät jedoch in die Fänge des Bruders seines Freundes, Francis, Pierre-Yves Cardinal, der den Hof bewirtschaft, Milchwirtschaft, und dort allein mit der Mutter, Lise Roy, lebt.

Nachdem Dolan in früheren Filmen mehr oder weniger ausladend, richtiggehend in Schwulengefilden und deren Accessoirs und Decors und Behaviours, deren Atmosphäre gelustwandelt ist, nachdem er von der Montage her eine Art Godard-Revival-Festival abgehalten hat, so ist er jetzt näher an früheren Filmen von Fasssbinder, in kargem Setting ganz nah dran an den Figuren und den Prozessen, die sie auslösen, mitmachen und ausbaden. Als besonderen Farbtupfer und als Authentizitätseichmaß verwendet er zusehends ein richtiggehend ungeschliffenes Quebec-Französisch.

Der Film selbst beeindruckt weniger durch einen Thrill oder aufregenden Handlungsfaden, eher durch einen Stillstand, durch ein Portrait von Francis, dessen Unfähigkeit im Umgang mit seinen sexuellen Bedürfnissen, und dessen wahnhafter Bemühung, Mutter dürfe unter keinen Umständen erfahren, was zwischen Tom und ihrem verstorbenen Sohn gewesen ist. Die Illusion, dass er eine Freundin namens Sara gehabt habe, muss vorgelogen und aufrecht erhalten werden. Zum Glück hat Tom eine Kollegin, die Sara heißt. Eines Tages taucht diese Sara, Evelyne Brochu, unvermittelt auf dem Hof auf, allerdings ist sie nicht präpariert auf ihre Rolle.

Sicher bleibt der Film teils rätselhaft; aber was wissen wir schon über die Menschen, ihre Sehnsüchte und ihre Eigenschaft, sich abhängig zu machen, so wie Tom sich von Francis bald abhängig fühlt, ja er bleibt auf dem Hof, obwohl die ersten Begegnungen schmerzhaft und blutig verlaufen sind; Männerkämpfe und Homosexualität im herbstlichen Maisfeld mit den scharfkantigen Blättern.
Es wirkt wie ein verhängnisvoller Magnetismus zwischen den beiden. Die Gefühlswelt ist keine rationale Welt.

Regiewunderkind Dolan bestätigt hier bereits ein viertes Mal (was die Filme betrifft, die hier ins Kino gekommen sind) seine Wunderkindhaftigkeit nach I Killed my mother, Lawrence anyways und Herzensbrecher.

Der französische Titel „Tom á la ferme“, Tom auf dem Bauernhof, ist direkter und offener, ehrlicher, als die deutsche, moralinische Übersetzung: sag nicht wer du bist!

Die Familie Longchamp Podowski ist in der Ortschaft nicht gut angesehen. Es gab da einen Vorfall 9 Jahre zurück, einen hässlichen Vorfall. Der dürfte in Tom die Ängste schüren vor der möglicherweise irrwitzigen Eifersucht von Francis. Die Figur erinnert entfernt an den Juan in „Yerma“ von Federico Garcia Lorca.

Interessant auch die Feststellung von Tom, dass es hier auf dem Hof der Langchamps echt, wahr „vraie“ sei. Kühe, fleischlich-blutige Auseinandersetzung mit einem anderen Mann, ein bis auf einen Ausbruch verständnisvolle, vielleicht manchmal still leidende und sich ihre Sache denkende Mutter, die Erde, der Mist. Dem wird Dolan über den Abspann einen nächtlichen Bilderbogen von Montreal gegenüberstellen und wo Tom dort landen wird. Die Kneipe, in der Francis Lokalverbot hat, heißt „les vraies affaires“, die wahren Angelegenheiten oder vielleicht auch: Affären? Von einer solchen handelt der Film. Das sind die wahren Angelegenheiten auch des Kinos.

Im Kino jedenfalls scheint Dolan seine Art von vraies affaires gefunden zu haben; er inszeniert und schneidet so präzise, dass die Figuren glaubwürdig sind, beängstigend glaubwürdig in manchen Momenten besonders Francis, und dass er wieder 105 dichte, kompakte, fesselnde Kinominuten zusammengefügt hat, nach denen man erst mal Luft holen muss.

When Animals Dream

Den Sensationsgehalt seines dänischen Mystery-Horrorfilmes handelt Jonas Alexander Arnby mit wenig Kunstblut und ganz nebenbei ab, den Horror, der passiert, wenn Marie in dem kleinen, dänischen Fischerdorf an ihren dumpfen Mobbern als Werwolf Gerechtigkeit übt.

Es geht Arnby nicht um Trash, nicht darum, sich in den Effekten einer Gruselstory mit möglichst viel Kunstblut zu suhlen. Ihm geht es darum, einen fast poetisch zu nennenden Blick in eine kleines, überschaubares, menschliches Biotop zu werfen, abseits der Komplikationen und Vertusch- und Betäubungsmechanismen einer hochzivilisierten Gesellschaft. Er konzentriert sich auf die Familie von Marie, deren Vater, Lars Mikkelsen, und deren pflegebdürftige Mutter im Rollstuhl, Sonia Richter.

Handlung und Dialog sind wenig. Der spärliche Dialog ist pfleglich und dem Film zugeneigt sorgfältig. Wie in dem Film überhaupt alles stimmig scheint, die Musik, die Atmosphäre erzeugt statt sie zu interpretieren oder vorzukauen, die Kamera, die oft den Eindruck von verschwommenem Bewusstsein erweckt, die Schauspieler, deren pflegliche Auswahl und Inszenierung.

Die Handlung fängt mit einer Untersuchung von Marie an, die an einer Stelle unterhalb der Brust einen merkwürdigen Hautausschlag hat. Sonst ist nichts Ungewöhnliches an der faszinierenden Sonia Suhl mit den blonden Haaren und dem gewissen Silberschein auf den Augen, dem klaren, aber verschlossenen Gesicht, einem Strauß an Geschenken für die Leinwand.

Sie soll in der Fischfabrik arbeiten. Dort laufen in Windeseile die Blicke zwischen den vorwiegend männlich Mitarbeitern und der attraktiven Lehrtochter. Die Blicke sind nicht alle gutmeinend. Aus Blicken wird Mobbing, aus Mobbing wird Stalking und aus Stalking werden Tätlichkeiten. Sie aber wehrt sich nicht. Aber sie kann sich das auch nicht bieten lassen.

Manche Menschen können andere Menschen (manche Männer können Frauen) offenbar schwer tolerieren, wenn sie sie sich nicht gefügig machen können. Es geht um Macht und Beherrschung und dagegen um Gerechtigkeit. Der Werwolf ist das Mittel, mit dem Marie sich wehren kann.

Einzig Daniel, der anständig ist und sie liebt, der wird bei ihr sein, wenn sie bei der finalen nächtlichen Fahrt aufs Meer keinen ihrer Kollegen verschont. Die Liebe siegt.

Malerisch allein das Bild des motorisierten Fischerbootes mit seinem Lichtlein, das nächtens ins Meer hinausstößt, ein Gemälde wie von einem großen Landschaftsmaler. Und so gibt es noch einige eingestreute, meisterhafte Landschaftsbilder zwischen den menschlichen Abgrundgeschichten. Diese Bilder wirken jeweils wie Balsam.

Es spielt noch ein Arzt mit, auch keine rühmliche Rolle mit einem unrühmlichen Ende. Denn er ist nicht in der Lage, das wahre Problem von Marie zu analysieren. Die Schulmedizin halt. So wie der Arzt am Anfang Marie untersucht, so untersucht Arnby die menschlichen Abgründe, er jedoch nicht mit den stumpfen Mitteln der Schulmedizin, sondern mit denen eines ungewöhnlich stilbewussten, kreativen, in sich stimmigen, fast schmeichelhaften Kinos. Das Bild mit Marie und den Bunkertrümmern am Meer.

Mutter stirbt auch eines wohl nicht ganz natürlichen Todes in der Badewanne. Nordlichtbeerdigung und Leichenmahl im Gemeindehaus sind starke Atmosphärenbilder. Kindlich naiv erscheint der Webteppich mit dem Hasen über Maries Bett. Das Glas, das sie zerbeißt, die rot unterlaufenen Fingernägel, die sie an sich sieht.

Film als gemäldehafte, grandiose Bebilderung eines Blicks in einen verschlierten, menschlichen Abrund, dessen Diffusität von einem unbeirrbaren, nicht zum Verstummen zu bringenden Gerechtigkeitssinn, der sich mit Naturgewalt seinen Weg bahnt, gegegengewichtet wird. Hinter der Schönheit von Marie versteckt sich ein Werwolf. Es geht um Leben und Leben lassen. Und wer das nicht kann, der kommt darin um. Die Dumpfheit der unbelebten Figuren gegen das Leben. Das Leben wehrt sich gegen die Totheit von Routine und Geistlosigkeit. Rat des Vaters: Schön bist Du, Marie, lass Dir nichts gefallen.

Ein Film, der durch seine Bildstärke, seine Musik und seinen verhaltenen Dialogeinsatz vielfältig fühl- und interpretierbar ist.

Madame Mallory und der Duft von Curry

Ein 3-Sterne amerikanisch-indisch kulinarisches Gefühlskino mit Ansage auf europäischer Anrichte präsentiert, das den Zuschauer wie auf Luftkissen trägt und ihm mit sanfter Sicherheit die Akupunkturnadelstiche punktgenau in die Tränendrüsen stößt. Kein Wunder, wenn als Produzenten Steven Spielberg, Oprah Winfrey und Juliet Blake figurieren.

Zur europäischen Komponente gehört nicht nur der Regisseur, Lasse Hallström, auch Helen Mirren als Titelfigur Madame Mallory, als verhärmte, auf spitzes Gesicht getrimmte Chefin des Feinschmeckerlokales „Le Saule Pleureur“ in einem kleinen Ort im Süden Frankreichs. Schnell und unkompliziert wird die Handlung des Filmes dorthin geführt.

Der Beginn des Films ist in Indien. Wir erleben und erfahren den Hintergrund der Migrantenfamilie Kadam, die durch politische Unruhen alles verliert und nach England umzieht. Der Vater mit seinen Kindern, dem ältesten Sohn Hassan. Die Mutter ist gestorben.

In England betreiben sie einen kleinen Imbiss, direkt unter der Anflugschneise des Flughafens. Wenn bei Regen ein Flugzeug in wenig Metern Höhe über ihren Stand fliegt, schüttet es das ganze Wasser aus, das sich auf dem Zeltdach gesammelt hat. Es ist kalt und regnerisch. Ungemütlich. Hier ist nicht gut sein.

Vater Kadam, Om Puri, eine ungewöhnlich glaubwürdige Leinwandpersönlichkeit, entscheidet, mitsamt der Familie in einem Kleinbus nach Südfrankreich umzuziehen. Ohne jede Härte, aber trotzdem genau, werden ein paar Zollszenen gezeigt, die deutlich machen, wie schwierig das Unternehmen ist. Sie wollen in Frankreich einen indischen Imbiss eröffnen.

Sie fahren mit Sack und Pack, Kind und Kegel nach Süden. Es folgt die entscheidende Szene, die der Papa als schicksalshaft interpretiert, dass sie nämlich dort bleiben sollen („Mama would say, breaks break for a reason“). Die Bremsen im Auto sind kaputt, in rasender Fahrt geht es die kurvige Straße abwärts. Eine Fahrt, die atemberaubend gut endet, inklusive Bekanntschaft mit einer hübschen Französin.

Das Schicksal hat gesprochen. Hier lässt Familie Kadam sich nieder. Nun will es die Dramaturgie des Romans von Richard C. Morais genauso wie die Drehbuchbearbeitung von Steven Knight, dass Familie Kadam ein leer stehendes Restaurant findet, das 30 Meter gegenüber einem Sternelokal liegt, das von Madame Mallory betrieben wird. Die Spiele des kulturellen Unterschiedes können auf engstem Raum beginnen, auch die der kulinarischen Konkurrenz; die nicht immer fair ausgetragen werden, das geht von der Betriebsspionnage bis zur Brandstiftung; wird aber mit einer guten Dosis sensiblem Weichzeichner zum Dahinschmelzen schön erzählt.

Angereichert wird dieser Erzähltraum mit zwei Liebesgeschichten. Hinzu kommt der Traum von den Michelin-Sternen. In so einem Film, sind solchen Träumen keine Grenzen gesetzt. So sind die Wege geebnet für einen Aufstieg in ungeahnte, emotionale und kulinarische Höhen. Denn Hassan ist ein Ausnahmekochtalent, er hat von Muttern gelernt. Sein Vater ist ein pragmatischer, wacher Zeitgenosse, der jeglicher Gewalt und der meisten Sturheit, außer derjenigen, die eigenen Ziele durchzusetzen, abhold ist.

Om Puri spielt die unbeirrbare Vaterfigur, die Halt und Vertrauen in die Geschichte und in den Film gibt. Zu sehen war er in West is West.
In Great Britain the vergetable has no soul, no life.
Man kann also nicht sagen, der Film spart das Böse aus, allein, es wirkt nie beängstigend, nie bedrohlich.

Der Film zeigt, wie Sujets, Requisiten zu Weiterträgern einer Geschichte werden können. Die bandagierten Hände von Hassan, der den Brand mit blossen Händen bekämpft, wie er Madam Mallory vorkochen will, muss er sie bitten, selbst die Eier zu zerschlagen und wie es später knifllig wird mit den französischen Köchin, der Schönheit, ihren Kopf sanft zu halten, um einen Kuss zu bewerkstelligen. Oder das aus dem Brand in Indien gerettete Kästchen mit dem entscheidenden Vermächtnis der Mutter. Wie solche Requisiten das Spiel der Beziehungen unter den Menschen beeinflussen und befördern (vergleiche dazu den uninspirierten und kopfigen Umgang in Dominik Grafs Die geliebten Schwestern)

Und ist doch nicht nur eine Geschichte über das Kochen, sondern auch eine über kulturelle Vorurteile, auch über Geschmacksvorurteile. Wobei zu fragen wäre, wenn die so leicht zu bewältigen, zu versöhnen sind, warum haben wir dann Irak, Ukraine, Palästina, Syrien, Somalia, Sudan und und und?

Ist es nur eine schöne Scheinwelt, die uns die Kino-Exklusiv-Confiseure Spielberg und Co. hier einfühlsam und sanft einhauchen wollen? Ein Traummodell zum Thema menschliche Konfliktlösung? Ein schöner Hoffnungsspuk? Gar eine Utopie zum Ablenken von den schier unlösbaren, unversöhnlichen Konflikten? Säuselnde Kompensation statt Bewältigungshilfe? Gewinnbringender Verkauf von unrealistischer Hoffnung?

Der Terror, mit dem uns die Medien täglich aus der angeblich realen Welt konfrontieren, der kommt hier nur als witzige Bemerkung vor: wie Hassan in Paris Erfolg hat mit Kochen und es auf die Titelseiten kulinarischer Zeitschriften schafft, meint sein Vater zum Foto: er schaue aus wie ein Terrorist. Ganz kann das Thema also auch so ein Gefühlskino nicht ausblenden; vielleicht macht es das ja bewusst und geschickt, es hinter dem Hochglanzprodukt zu kaschieren.

Lyrischer Kommentar von Helen Mirren zu einem Spaziergang mit Papa Kadam: wir haben Pilze gesucht und Blumen gefunden.