Tammy – Voll abgefahren

Für ihr Modell weiblicher, non-aggressiver, ansatzweise gewaltfreier Konfliktbewältigung wählt Melissa McCarthy, Produzentin, Drehbuch-Ko-Autorin (nebst Ben Falcone, der auch die Regie besorgt hat) und Protagonistin Tammy dieses Filmes als Location eine kleine Stadt, Littleville, mitten in Amerika, wo es nicht mal Fuchs und Hase gibt, die sich Gute Nacht sagen können, und als Genre entscheidet sie sich für eine Art eskapistisches Road-Movie von drahtiger Oma, Susan Sarandon, mit molliger Enkelin Tammy. Für energiegeladene Situationen ist somit gesorgt.

Mit Konflikten geht es für Tammy gleich knüppeldick los: ein Hirsch rennt ihr auf dem Arbeitsweg ins Auto. Das Auto ist schrott. Dadurch kommt sie zu spät zur Arbeit. Den Job ist sie los. Deshalb kommt sie zu früh nach Hause, trifft ihren Mann mit einer fremden Frau beim Frühstücken. Sie verlässt ihren Mann. Wie sie mit einem Bündel schnell zusammengegriffener Habseligkeiten zum Haus ihrer Mutter rübergeht, ist herzzerreissend, es ist nicht genug zum Leben, nicht genug zum Sterben, wie ein Sinnbild für den schmalen Grat, der der Protagonistin bleibt. Aber wie sie ihn nutzt!

Wenn die Situation sie zu Fluchtgedanken verleite, schaffe es Tammy nie weiter als zehn Meilen weg aus ihrem Kaff, wirft ihr die Mutter jetzt vor. Melissa ist korpulent, sie ist eine Welt für sich, in der sich vieles um sich selber dreht. Eine Welt aber auch, die sich nicht unterbuttern lässt, die voller Gefühl und Sehnsucht ist, vielleicht auch etwas liederlich gelegentlich, nicht grad penibel, wie es im Burgershop egalisierende Vorschrift ist, ein Wunder überhaupt, dass sie dort den Job bekommen hat.

Sie scheint öfter zu spät gekommen zu sein. Dass ihr ein Hirsch vors Auto gelaufen ist und das Auto Schrott, das nimmt ihr keiner ab. Dabei waren wir, die Zuschauer Zeuge. Allein wie sie sich dem überfahrenen Wild zubeugt, das vor ihr in den letzten Zügen auf der Straße liegt, bringt ihre jede kreatürliche Sympathie ein. Eine Welt voller Direktheit, ohne Verschlagenheit, ohne Verdrängunsmechanismen, ohne Kalkül, wie es scheint, vielleicht etwas kindlich noch.

Da Tammy kein Auto mehr hat, die Mutter ihres nicht leihen will und die Oma ihres leiht nur unter der Bedingung, dass sie mitkommen darf, machen sich die beiden auf den Weg. Die Oma ist zwar alkoholsüchtig und medikamentenabhängig, aber sie entdeckt zusehends das Lausemädel und die Aufreißerin in sich, sie ist sich für nichts zu schade und für einen Spontantrip mit Tammy zu haben. Der Traum von Oma ist, die Niagara-Fälle zu besuchen.

Einmal sitzen die beiden auf ihrem Trip, sie wissen gerade nicht wie weiter, auf einer Bank vor einem scheußlichen, holzgeschnitzten Adlermonument und versuchen, ein Lied zu singen. Die improvisieren das so frisch von der Leber weg und erzählen damit von einem seltenen Glück, das mit nichts in der Welt zu kaufen ist. Und haben doch kaum eine Sicherheit und die Geldvorräte sind begrenzt.

Die Locations sind bei so einem Film naturgemäß beschränkt, Wohnung, Auto, Burgerladen, einfache Tanzkneipe, Tankstelle, Motel, Polizei, Knast, eine Sehenswürdigkeit, den Mark Twain National Forest, und als einzige Sensation etwas Fun-Action mit einem Motorboot, mehr hat der Landstrich nicht zu bieten (eine Art armes Theater). Umso stärker kommt das Menschliche darin zur Geltung gegen die bescheidene Ausstattung.

Ganz gewaltfrei ist die Konfliktbewältigungstratgie von Tammy allerdings nicht: gegen den Chef lässt sie Burger fliegen und zur Vernichtung von Spuren lässt sie sich auch zu einem Wurf mit einem Molotowcocktail auf ein Auto verführen, wobei keine Personen zu Schaden kommen. Ihre direkte Reaktion auf die Kündigung beschränkt sich auf die Verhunzung der Hamburger und auf deren Denunziation vor allen Gästen, das aber mit großer Imbrunst.

Die Geschichte selbst ist momentweise vielleicht an einem etwas dünnen Faden gesponnen und die Überfallsstory mit den Tüten auf dem Kopf dehnt sich; aber was solls, den beiden Damen zuzuschauen und all den anderen Akteuren ist ein Vergnügen, man kann einen regnerischen Sommerabend schlechter verbringen. Und: ein amerikanischer Film, in dem nicht geschossen wird!

Das Herzerwärmende an Melissa McCarthy.
Vielleicht fasziniert uns an Melissa McCarthy einfach das Leben als Fülle, als unerschöpfliche Fülle, als schier unerschöpfliche Energie, als eines, das sich immer wieder aufrappelt – und immer wieder auf die Schnauze fällt. Es dürfte dieses Bild des Lebens sein, das auch ganz unaggressiv ist, eine Form von Glück vielleicht, was so ganz ohne Glanz und Brillanz ist. Dick als Ereignis. Es ist auch ein Frauenfilm. Viel Frauenpower bis hin zur Lesbenpower, Power der vor Ordinärem und Derbem nicht zurückschreckt. Diese Weltbewältigung wirkt nie angelernt, sondern kommt vom Bauch aus, ein Leben, das sich dagegen wehrt, in Mustern abzulaufen. Es behauptet, tätige Natur zu sein. Eine Welt auch, in der es wohl keine Armeen bräuchte.

Schöne Eigenschaft von Oma: Cash aufzubewahren und nicht Kreditkarten zu vertrauen. Das ermöglicht schließlich auch den Start ins Vergnügen, zu diesem Häppchen Glück unter erschwerten Bedingungen.

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