Die Karte meiner Träume (Filmfest München)

Zelebrieren in elaboriert-verführerischem 3D des Bildes eines 10-jährigen Buben und Genies, der im Wilden Westen in Montana auf der Wasserscheide Amerikas, in „Divide“, in einer recht verrückten Familie aufwächst, und der bei der Smithonian Institution in Washington einen Preis gewinnt für die Entwicklung einer Vorstufe zu einem Perpetuum Mobile. Der Weg ist das Ziel in diesem Film, der Weg, den der Bub allein und auf eigene Faust quer durch Amerika nach Washington zurücklegt, um bei der Preisverleihung dabei sein zu können, um es dort der Erwachsenenwelt aus Show und Wissenschaft so richtig zu zeigen.

Der Film kommt mir vor wie eine einzige, groß angelegte, gedehnte Feierlichkeit zu Ehren des Buben und die sich nicht satt daran sehen kann. Fotoreihe: das einsame Kind-Genie in seiner ungenialen Umwelt. Bilder, die weniger eine spannende Geschichte erzählen, als vielmehr in einer Abfolge von schönen und schönsten Bildern betören wollen wie einst beim ViewMaster, der im Film auch vorkommt, der frühen Entwicklung eines 3D-Dia-Apparates zum Durchklicken.

Titel der Bilder könnten sein: „T.S. und sein Zwillingsbruder, der nach dem Vater schlägt und mit zehn Jahren seine Waffenspiele treibt und sich dabei erschießt“ (der vergeistigte Bruder, T.S, unser Protagonist, nutzt die Übungen, um Flugbahnberechnungen anzustellen), T.S. und seine Mutter“ (eine Wissenschaftlerin, die etwas durch den Wind scheint und in dieser extrem trockenen Gegend Käferforschung betreibt), „T.S. und seine ältere Schwester“ (die davon träumt Schauspielerin zu werden), „T.S. und sein Telefongespräch mit der hysterischen Chefin des Smithonian Institutes, in welchem er vorgibt, für seinen Vater zu sprechen, denn ein zehnähriger Junge kann unmöglich eine solche wissenschaftliche Leistung erbringen“, „T.S. und der Hund, der sinnloser Weise Blecheimer anbeißt“.

Sentimentaler und kitschiger wird es, wie der Junge sich auf den Weg nach Washington aufmacht. Riesenfotostrecke: der Junge allein im Wohnwagen auf dem Güterzug. Der Junge und der Alte „Zwei Wolken“, der ihn verpflegt und ihm eine Geschichte erzählt. Der Junge und der Polizist in Chicago, dem er entkommt. Der Junge und die sich öffnenden Schleusentore, über die er auf der Flucht vor dem Polizisten springt und sich die Rippen quetscht. Der Junge und der Fahrer vom rot-silbernen Traumtruck, der ihn mitnimmt, und der ein richtig altfotogenes Gesicht hat. Der Junge allein auf weiter Flur. Der Junge allein zwischen den Eisenbahngleisen. Der Junge allein auf der Straße. Der Junge allein auf dem Brückensockel. Der Junge und die feine Washingtoner Gesellschaft, der er eine Rührrede hält.

Dann noch der Versuch des Medienbashings: der Junge und die berühmte TV-Show. Niedlich plus niedlich plus niedlich bleibt niedlich. Die Bilder sind wunderbar in den Farben, in Framing und Komposition und mit seltenem 3D-Bwusstsein kreiert (allein das Herrenzimmer mit den ausgestopften Tieren, wirkt schon wie ein Gedicht in 3D), aber vielleicht hat Jean-Pierre Jeunet, der mit Guillaume Laurant das Drehbuch nach dem Roman von Reif Larsen geschrieben hat, vor lauter Begeisterung für die Übung in 3D sowie die Hauptfigur und ihr Genie etwas aus dem Auge verloren, dass es vor allen Effekten die Geschichte ist, die zählt und dass so eine überhaupt erst mal da sein muss oder er hat sich tatsächlich durch den 3D-Effekt im Flow der Geschichte einbremsen lassen. Im fein und geschmackvoll gestalteten Presseheft gibt er jedenfalls im Gespräch einen Hinweis darauf.

Merkwürdig ist, dass möglicherweise just wegen dieser sorgfältigen Machart der Film unglaubwürdig wirkt, was zwar nicht verwundert, handelt es sich doch um eine Fantasy-Geschichte: aber der Reiz solcher Geschichten besteht doch gerade darin, dass man zwar weiß, dass es sich um eine Erfindung handelt, dass sie aber so erzählt wird, dass man sie schier glauben möchte. So bleibt auch der Running Gag mit dem ständigen Toaster-Kurzschluss zahnlos, witzlos.

Jean-Pierre Jeunets bekannteste Erfolge sind „Delicatessen“ und „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Wer diese Filme kennt, sollte besser seine Erwartungshaltung an diesen Film nicht darnach richten, sondern versuchen, unvoreingenommen sich auf eine Lektion möglicher Schönheit in 3D zum Thema „Bube, Genie und ordinäre Umwelt“ einzustellen. Dann wird er reich beschenkt das Kino verlassen.

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