Die große Versuchung – Lügen bis der Arzt kommt (Filmfest München)

Um ein gut über- und durchschaubares Experiment zum Thema Manipulation geht es hier im kleingemarkigen Kontext: wie können die Einwohner eines aussterbenden Fischerdörfchens auf einer kleinen Insel vor Neufundland einen jungen Arzt mit Zukunft davon überzeugen, sich in ihrem vom Zahn der Zeit mitgenommenen und von der Zeitgeschichte vergessenen Ort niederzulassen.

Dieser Film von Don McKellar, zu dem Michael Dowse und Ken Scott ein fein gesägtes und sorgfältiges Drehbuch vorgelegt haben, kommt mir vor wie eine unterhaltsam gedachte Lektion, ein bildreizvoll ausgebreitetes Exposé zum Thema Lügen und Manipulation. Eine Lektion, ganz langsam und beinah schon überdeutlich artikuliert, damit auch der Letzte versteht, Lerngeschwindigkeit richtet sich nach dem Langsamsten in der Klasse. Aus diesen Gründen vermutlich auch fern der komplex vertuschten Manipulationsversuche der modernen Medien und des Internets angesiedelt.

Hier geht es um einen einzigen Menschen, der im Sinne des Eigeninteresse der Ortsbewohner manipuliert werden soll. Diese haben es satt, immer nur Stütze zu kassieren, nichts zu tun zu haben, sicht nichts leisten zu können, ihre Häuser vergammeln lassen zu müssen und zuzusehen, wie einer nach dem anderen abhaut in die nächste Stadt, wo ein menschwürdiges Einkommen in Aussicht steht. Das ist der soziale Impetus in diesem sympathischen Film, dass Arbeit für den Menschen Würde bedeutet, und zwar ohne genauere Nachfrage, welcher Art diese Arbeit auch sei. Und die Chance auf Arbeit könnte kommen. Ein Ölkonzern möchte eine Fabrik errichten und damit Jobs garantieren. Bedingung ist allerdings, dass es am Ort einen Arzt gebe. Den gibt es längst nicht mehr.

Also muss ein Arzt her. Dafür muss der Ort aber attraktiv sein. So machen die Bewohner denn, was die Politik immer liebt: sie verwandeln ihr Dorf über Nacht in eine Potemkinsches Dorf. Sie haben nämlich einen Interessenten an der Angel. Der Film zeigt nun in aller Bedächtigkeit diese Verwandlung. Zeigt, wie die Bewohner schon vor der Ankunft des Arztes Nachforschungen betreiben und erfahren, dass er Cricket, eine für uns todlangweilige Sportart, liebe. So werden sie, die Cricketahnungslosen, ihm ein mit allerlei unfreiwillig komischen Einlagen verbundenenes, blühendes Cricketleben vorspielen. Das sind lustige Bilder, wie er auf dem Schiff sich der Insel nähert und hoch über einem Felsen auf einer grünen Wiese vor allem Greise und Fußlahme in merkwürdigen weißen Dresses so tun, als ob sie Cricket spielen.

Da es auf der Insel keine Handys gibt, sondern nur Drahttelefonie, die leicht abzuhören ist, sind zwei Telefonistinnen, oft umrahmt von neugierigen Dorfbewohnern, als Protokollantinnen für die Gespräche mit seiner Geliebten abgestellt und sollen alles aufschreiben, damit man hinter seine geheimen Wünsche kommt, um diese erfüllen zu können.

Davon lebt dieser Film, dass der Zuschauer mehr weiß als das Opfer und dass er sich freuen kann, wie es mit jedem Wunsch der Spinne mehr ins Netz geht und es ist ab einem bestimmten Zeitpunkt abzusehen, nämlich wenn er von der Liaison seiner Freundin mit seinem besten Freund erfährt, dass er die Dorfbewohner, deren Strategie offenbar aufgeht und mit denen er sich anfreundet, bald für die einzig ehrlichen Menschen auf der Welt halten wird. Ach du liebe Einfalt! Aber, so funktioniert Manipulation nun mal, es braucht den, der sich bereitwillig manipulieren lässt.

Der Hauptdrahtzieher im Dorf ist Brendan Gleeson und der Arzt, besetzungstechnisch ein genaue Gegenfigur gegen die alten, vergammelten Seebären, ist Talyor Kitsch. Ein gelungener Film für Langsamesser und Langsamkauer, ja für Genusskauer, denen so ein abseits gelegenes Inseldasein mit einer Geschichte zu einer urmenschlichen Eigenschaft und die einen vom Tempo her keineswegs überrollt, genau passend kommt.

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