Vergiss mein Ich

Cineastische Dehydrierung im deutsch-intellektuellem Begehrensmief.
Hei, war das ein Heidenspaß. Das war wie ohne jede Anleitung im Wäschekor eines deutschen Intellektuellenhaushaltes nach dessen Gefühlsdefiziten zu schnüffeln.

Jan Schomburg, der Autor und Regisseur dieses Filmes, hat es vermutlich gut gemeint und hatte im Hinterkopf sicher die Absicht, Interessantes zu erzählen. Und der Westdeutsche Rundfunk (Intendant Tom Buhrow), die Film und Medienstiftung NRW (Geschäftsführung: Petra Müller, Vorsitzende Aufsichtsrat: Dr. Frauke Gerlach), DFFF (Vorstand: Peter Dinges), BKM (Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters), FFA & Drehbuchförderung (Vorstand: Peter Dinges) haben vielleicht auch ihr Ich verloren, wie hier die Protagonistin Maria Schrader, die die Darstellung von Gedächtnisverlust damit verwechselt, eine Irre spielen zu müssen. Die schwerblütige Musik, die einen noch tiefer in diesen Mief hineinzieht, ist von Tobias Wagner, Steven Schwalbe, Christopher Bremus.

Eine Frau hat wegen einer Gehirnentzündung, einer Enzephalitis, ihr Gedächtnis, also ihre Identität und ihr Ich verloren. Allmählich kriegt sie es wieder. Das ist die Geschichte, die hier erzählt wird. Es war einmal eine Frau, die hatte eine Gehirnentzündung, eine Encephalytis, und dadurch ihr Gedächtnis verloren. Bis zum Ende des Filmes wird sie es wiedergefunden haben, aber gewisse Verhaltensstörungen bleiben.

Das ist die Geschichte, die Jan Schomburg uns erzählen will. Warum soll sie uns interessieren? Keine Ahnung. Sie fängt verschwommen an (kameratechnisch gleich Subjektive des Gedächtnisverlustes der Protagonistin) und sie hört verschwommen auf (kameratechnisch, ein Mann und eine Frau, nackt, machen ineinander verkeilt auf dem Boden Bewegungen mit ihren Extremitäten und verschwimmen).

Intellektuellenmilieu: sie ist Autorin und scheint wirre Bücher zum Thema Zwischenräume, Gefühle, Mann und Frau geschrieben zu haben, er ist Dombaumeister zu Köln. Das ergibt immerhin eine schöne Fahrt auf die Höhe der Türme – erinnert an „I, Frankenstein“, wenn die Höhe der Wasserspeier erreicht ist; und ein angenehmer Nebeneffekt von Gedächtnisverlust, dass offenbar die Höhenangst verloren geht. Klar, wenn der Kölner Dom vorkommt, dann fördern der WDR und nahestehende Filmförderungen offenbar ein Drehbuch blind.

Wenn Schauspielerinnen irre spielen, so sollte vielleicht schon etwas genauer definiert sein, was es denn genau ist und was Gedächtnisverlust und die langsame Herstellung der Wiedererinnerung mit Irres-Sein zu tun haben. Müssten da nicht jede Menge Aha-Erlebnisse vorkommen? Kommen sie aber nicht.

Nochmal die Frage: warum sollten wir uns für die Wiederherstellung der Erinnerung dieser Frau interessieren? Gibt der Film immanent uns einen Anhaltspunkt, warum das von Belang sein sollte? Was die Implikationen wäre, wenn sie ihr Gedächtnis wiedererlangt? Denn noch ist die Frau für uns identitätslos, es gibt auch nichts, was uns reizt, das zu erkunden, höchstens, dass wir einen Kinoeintritt bezahlt haben, uns vom Schauen einen Mehrwert erwarten.

Ein Film ohne Konflikte und ohne Projekt. Die Frau ist im Spital. Dann wird sie entlassen. Und alle Welt ist nur noch dazu da, ihr zu helfen. Nett. Aber was geht uns das an? Möchte der Autor Jan Schomburg uns ein allgemeingültiges Beispiel für die Wiederherstellung nach einem Gedächtnisverlust zeigen? Ein Lehrfilm? Ein medizinischer Schulungsfilm für Laien?

Jan Schomburg hat nichts eingeführt, was eine cineastische Spannung herstellen könnte. Der Gedächtnisverlust ist offenbar passiert, um einen Film darüber zu machen; er scheint auch gar nicht unpassend gekommen zu sein. Meist kommen solche Unfälle doch total ungelegen, wie der Tod übrigens auch, bringen vieles Durcheinander, bringen Konflikte zum Eskalieren oder Lebenslügen an den Tag. Nichts dergleichen hier. Hier scheinen alle auf den Gedächtnisverlust laut Drehbuch gewartet und sich darauf eingestellt zu haben. Gedächtnisverlust in einer idealen Welt und ohne Komplikationen. Das wird zum Problem für die Protagonistin und die Figuren um sie herum. In ihrer Verwirrung bandelt sie mit einem Journalisten an. Später vögeln sie. Es scheint identitätslos zu passieren. Fleisch zu Fleisch.

Der Titel lässt vermuten, dass hier einer am Erfolg eines anderen wildern will. Letztes Jahr gab es den eindrücklichen Dokumentarfilm von David Sieveking über die Demenz seiner Mutter „Vergiss mein nicht“. Das war ein eindrücklicher, authentischer Bericht aus deutschen Intellektuellen-Verhältnissen. Leute, die die kleine Differenz im Titel nicht bemerken und in diesen Film gehen, denen möchte ich nicht über den Weg laufen.

Zwei Rote Karten vom Zwangsgebührenbezahler.

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