Lebenslinien: Hans Söllner – Warum ich so bin (TV, BR)

Der bekannte Sänger Hans Söllner wird in diesem Film aus der Reihe „Lebenslinien“ des BR von der Dokumentaristin Ute Casper als „bayerisches Urgestein“ apostrophiert. Als Fazit des Films, der überwiegend ein interessantes Museum ist, scheint mir der Begriff nicht ganz zutreffend.

Museum insofern, als viel Footage aus diesem Film doch sehr, sehr alt ist. Jahrzehnte her, dass Söllner sich mit Franz Josef Strauß oder dem damaligen Jung- und Heißspund Peter Gauweiler (der inzwischen eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht hat, was hier aber nicht erwähnt wird) oder mit der Polizistin Claudia und sowieso mit dem ganzen Staatsapparat angelegt hat. Ein Stück bayerische Kulturgeschichte.

Dabei ist die Dokumentaristin, und wie mir scheint: überraschenderweise, auf einen immer noch akuten, wenn nicht den heftigsten Schmerzpunkt von Hans Söllner gestoßen, der die Behauptung vom Urgestein zumindest relativiert. Nicht weil er ein Bayer ist, hat er diesen Charakter. Seine kaputte Kindheit hat ihn zu dem gemacht, was er ist und dazu, dass er gewisse Figuren nie und nimmer akzeptieren kann: gesättigte Staatsanwälte, Richter, Anwälte, Polizisten, Politiker die sich im Staat gemütlich eingerichtet haben, die gut davon leben und deren Kinder einen gradlinigen Lebensweg vor sich haben, die fein Abitur machen können (Schlüsselerlebnis Tschernobyl: die feinen Herrschaften haben sich erst weit abgesetzt, bevor sie die Bevölkerung über die Gefahr informierten). Alles Dinge, die ihm bei seiner kaputten Herkunft nicht vergönnt waren. Darum hält er diese Leute für Arschlöcher. Und sagt es auch. Ist damit „bayerisches Urgestein“ gemeint, einer der einem Arschloch sagt, dass er ein Arschloch sei?

Die Kernstelle des Filmes, die Frage „warum ich so bin“, die stellt sich der Sänger in einer beklemmenden Szene, wie er vor einem Fotoalbum mit seinen Erinnerungen auf einer Alp reflektiert. Diese Stelle offenbart den Charakter von Hans Söllner schonungslos. Eine beschissene Kindheit lastet auf ihm, die Glanzpunkte waren einzig die Spaziergänge am Sonntag mit seiner Mutter. Sonst waren die Kinder störend, seelische Vergewaltigung könnte man es nennen. Seinen drei Geschwistern ist das nicht gut bekommen. Die Schwester ist früh an Krebs gestorben, die beiden Brüder sind entmündigt. Er konnte aus seinem Unglück mit dem Singen etwas machen. Aus seiner abgrundtiefen Abneigung gegen das fein gepflegte Bürgertum aus Politikern, Rechtsanwälten, Staatsanwälten, Richtern machte er nie einen Hehl, die in einer Welt leben, die diese intakte Familie vormacht, die er nie gehabt hat, ein Schmerz für den Rest des Lebens, für den er auch noch teuer bezahlt hat; immer wieder Anklagen wegen Beleidigungen, Hunderttausende haben ihn die Bussen und die Verfahren gekostet und Hausdurchsuchungen dazu, bis ihm seine eigene Familie lieber war; er hat eine Wandlung durchgemacht. Heute singt er immer noch für die Entkriminalisierung von Haschisch; aber bei sich, am Wohnort, da macht er non-provokante Aktionen, zum Beispiel in Bad Reichenhall auf dem jetzt leeren Platz der eingestürzten Eishalle. Aber kein Verständnis hat er dafür, dass dieser bürgerliche Rechtsstaat mit seinen gut verdienenden Protagonisten und Funktionären so wenig Verständnis für Kinder hat, die aus beschissenen Verhältnissen kommen, für Jugendliche, die mal was rauchen und wegen ein paar Gramm so überdimensional bestraft werden, dass ihre Zukunft gleich abgeschrieben werden kann mit Vorstrafe und Knast statt Ausbildung, während gleichzeitig die Bierbarone ihr verderbliches Getränk hochoffiziell hektoliterweise in die Festhallen karren dürfen.

… Scheiß Politiker, Rechtsanwälte, Staatsanwälte Richter, weil sie von dem Scheißleben überhaupt keine Ahnung haben, in ihren Villen sitzen mit ihren Frauen und Kindern, die Abitur machen … dass es andere Familienkonstellationen gibt, wo Kinder nicht geliebt werden … deshalb bin ich immer so ausfällig geworden … du musst es nicht immer mit dem Schwanz vergewaltigen … warum i immer so ausfallend geworden bin bei den andern Arschlöchern, diesen siebengscheiten Volldeppen mit 38 Jahren und i bin 55 Jahr und muss mir von so einem Rotzlöffel irgend so n Scheiß anhören … und muss Busse bezahlen weil ich einem Arschloch sage, dass er ein Arschloch ist … und ist auch gut, dass ich’s heute wieder anschau und dass‘ rauskimmt und dass es mich stört und dass i woass, warum is so bin wia i bin, das hat seinen Grund … die Basis von Sicherheit, dass du keine Angst haben musst, das ist nicht etwas, das du mitkriegst, daran arbeitest du ein ganzes Leben lang.

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