Schnee von Gestern

Die Überraschungen des Holocaust in der dritten Generation und die Folgen davon, dass Oma ihren Bruder kurz nach dem Krieg am Bahnhof von Lodsch nicht wie verabredet getroffen hat.
Die Filmemacherin Yael Reuveny dokumentiert in diesem Film ihre Suche nach dem Verwandtschaftszweig des Bruders ihrer Großmutter, der mit ihr nach dem Krieg am Bahnhof von Lodsch verabredet war. Sie hatten sich jedoch verpasst und dadurch für immer aus den Augen verloren hatten.

Die erste Überraschung ist, dass Yael, die als Enkelin des Holocaustüberlebenden Micha Schwarz in Israel aufgewachsen ist und in Deutschland mit der Suche nach diesem Bruder der Oma begonnen hat, sich in Deutschland wohlfühlt, auch wenn sie nicht so leicht deutsch lernt, ganz zum Missfallen ihrer Mutter, die zwar in Israel ein Bibliothek aus Vilnius zu ordnen versucht, aber nichts von Deutschland wissen will, die die Position der Unversöhnlichkeit vertritt.

Über den Bruder wird bekannt, dass er früher Feiv’ke, nach dem Krieg Peter geheißen hat, eine weitere Überraschung. Was Yael im Laufe der fünf Jahre, die sie für diesen Film und die Suche brauchte, über diesen Bruder ihrer Großmutter herausfindet, das gleicht einem Krimi einerseits, einem Eintauchen in das Milieu von Familien, die sich in ehemaligen KZ-Baracken heimisch eingerichtet haben, andererseits, denn dieser Bruder hat den Rest seines Lebens unweit des KZs verbracht hat, in welchem er bis zum Kriegsende ein Gefangener gewesen ist.

Weniger überraschend ist, dass diese KZ-Zeit in der Familie ein Tabuthema gewesen ist, was sich auf die Kinder und anfänglich auf die Kindeskinder übertragen hat. Die Filmemacherin ist an manchen Stellen ob ihrer Arbeit und der Zusammenhänge, in die sie sich verstrickt sieht, sichtlich gerührt; wie sich der Holocaust in der Dritten Generation sonderbar zurückmeldet, dafür ist auch ihr neu gefundener Verwandter Stephan ein fast schräg zu nennendes Beispiel, was er in seiner Jugendlichkeit und mit seinem familienhistorischen Background sich einfallen lässt, es ist nicht ganz klar, ob das ein pubertärer Spleen oder Ersatz- oder Übersprungshandlung ist, diese Faszination durch das Religiöse einerseits, durch Tattoos im Ellenbogen oder am Unterarm, sei es der Blutgruppe (wie bei den SSlern) oder der Häftlingsnummern (wie bei den Kzlern) andererseits.

Schnee von Gestern ist vielleicht nicht der punktgenaue Titel, wobei klar ist, dass dieser Schnee höchst lebendig ist und seine verwunderlichen Kapriolen schlägt als späte Folge des Holocausts, was auch klar macht, dass der nie und nimmer vergessen werden darf einerseits und dass er vielleicht in dieser dritten Generation noch für weitere, wundersame, filmische Entdeckungen gut sein könnte; frischer Wind in die Industrie der Holocaustaufarbeitungsfilme, die zuletzt allzu gerne in eher unerfreulichen Krampfakten endeten, die allzu deutlich darnach rochen, dass jemand Subventionsgeld witterte, wenn er noch einen neuen Zipfel, eine neue Facette des Holocaust ans Tageslicht bringt.

Das ist hier erfrischend nicht der Fall. Schlieben heißt die Ortschaft, wo die Nachkommen von Peter/Feiv’ke Schwarz heute leben und wo die Außenstelle des KZs Buchenwald sich befand, heute zum Teil noch überwucherte Ruinen der Rüstungsfabrik.

Es gibt Raritäten, alte Fotoalben, aus Karton, mit Schnur zusammengebunden und fest eingeklebten, einfachen Bildern original aus Stalingrad. KZ-Buchenwald. Ein Problem noch heute: darf man auf dem jüdischen Grab der Oma in Israel Steine vom Grab ihres Bruders aus Deutschland hinlegen? Der Film scheint eher aus einer emotionalen, vielleicht etwas diffusen Sehnsucht der Filmemacherin heraus entstanden zu sein, bleibt aber dadurch so unberechenbar, dass sie nicht nach einem vorgegebenen Konzept, was womöglich schon den vorgefertigten Beweis einer These zum Holocaust enthält, ausgegangen ist. Ein emotionales Kino über eine Familienzusammenführung als einer Spätfolge des Holocausts.

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