The Grand Budapest Hotel

Zwischen zwei Naturjodlern in eine heile, nichtheile Welt abtauchen.
Einen Wes-Andersen Film (Hugo Guinness hat am Drehbuch mitgearbeitet) schauen, heißt inzwischen, in eine entzückende, liebevoll ausgeklügelte Miniaturwelt eintauchen, in eine Welt, wie sie Modelleisenbahner um ihr Schienenwerk herum basteln oder wie manche Museum in abgedunkelten Räumen und in hell erleuchteten Vitrinen sie ausstellen, sei es Erd-, Menschheits- oder Technikgeschichte, Geschichten aus anderen Zeiten jedenfalls. Vitrinenkino ist sicher auch kein unpassender Ausdruck und garantiert ein schönes Freizeitvergnügen.

Denn Andersen liebt die Kamerapostion wie vor der Guckkastenbühne. Die weitgehend erfundene, aber von Stefan Zweig inspirierte Geschichte, die er uns hier vorführt, in seine Miniaturwelt hinein verdichtet, erzählt von einem alten, prunkvollen Hotel, dem Grand Budapest Hotel, das in einem Kurort namens Nebeltal oder Nebelfeld oder wie auch immer sein Leben an den Rändern der Weltpolitik führt – Andersen liebt die kindisch-kindlichen Spielereien mit den Namen oder deren Neuerfindungen, ohne dass sie je dadaistisch, futuristisch, kritisch oder spöttisch wirken, lediglich vergnügt.

Die Geschichte selbst verpackt er in eine weitere Geschichte im Heute. Ein Autor steigt in diesem Hotel ab, das inzwischen einen abgewirtschafteten Charme und damit verbunden die Versprechung von spannenden Geschichten ausstrahlt. Es sind wenige Gäste da. Es sind, das ist das hervorragende Merkmal, lauter Einzelpersonen, keine Paare.

Beim Spa in einer altmodischen Badewanne kommt unser Autor mit einem älteren Herren, der ebenfalls in einer Badewanne sitzt, ins Gespräch. Allein diese Miniatur. Ein Raum voll solcher riesiger Badewannen. Keine Duschvorhänge dazwischen. Keine Menschenseele. Nur in zwei Wannen weit auseinander stehend sitzen zwei ältere Männer. Man sieht nur die Köpfe. Die zwei Köpfe kommunizieren miteinander. Diese Kommunikation führt zu einer Einladung zum Abendessen. Bei diesem erzählt der Herr mit dem schwarzen Bart, dessen Frisur für eine Herkunft aus Iran spricht, dem neugierigen Autor nicht unbedingt die Geschichte des Hauses, sondern die des langjährigen, meisterhaften Concierges M. Gustave.

Diesen Concierge spielt Ralph Fiennes, der keinerlei Mühe damit hat, die perfekten Formen und zwar ohne jede Übertreibung mit einer großartigen Selbstverständlichkeit zu spielen. Wobei im Moment, wie er gerade dem Gefängnis entflohen ist in verlotterten Kleidern, er seinem jungen Fluchthelfer, dem Lobby Boy Zero, Vorwürfe über die Kleidung und vor allem das Fehlen von Parfüm, macht, da kommt das allerdings nicht ganz mit der Skurrilität zur Geltung, die da drin liegen würde, die erzählen könnte, dass diese Form längst zum angewachsenen Teil der Figur geworden ist, was sie ja so charmant und so glaubwürdig macht.

Fiennes als Gustave glaubt man alles. Wenn er erzählt, welchen Service er den Gästen bietet. Oder wenn er die Gäste beschreibt, dass es nur eine Kategorie gebe: ältere, blonde, reiche, eitle Damen. Und die er ganz kühn auch befriedigt. Das kann köstliche Gedanken auslösen, wenn es sich um Tilda Swinton handelt, die hier ein supercool auf altes Scheusal gestylte Dame von Schloss Lutz spielt und bereits 84 sei. Und dass das bei so einer abgehen könne wie mit einer Rakete. Damit wird er sich übrigens auch gegen den Vorwurf, er sei schwul, der im Gefängnis gegen ihn erhoben wird, wehren. Ja, bisexuell. Aber es gibt nichts Langweiligeres als bisexuell. Insofern ist das Thema schnell erledigt.

Es gibt vielleicht auch nichts Langweiligeres als so einen Hotelconcierge. In die Bredouille kommt Herr Gustave ausgerechnet wegen dieser alten Dame. Sie ist nämlich ermordet worden. Und hat ihm so einiges vermacht. Nicht nur das symbolisch schöne Gemälde vom jungen Mann mit dem Apfel, dem Mann an der Schwelle zum Mannsein, sondern ihren ganzen Besitz. Was deren klüngelhaften Clan gegen den Concierge aufbringt. Der Clan will ihm sogar den Mord an der alten Dame in die Schuhe schieben. Dies löst die Gefängnisgeschichte und die Flucht aus, die in eine Art Minitur-James-Bond-Verfolgungsjagd übergeht. Das kommt über der praktizierten Lustigkeit mit Screwall-Comedy- und Slapstickelementen als doppeltes Vergnügen dazu.

Ein Interieur-Film. Und weil der Film mit vielen deutschen Fördermitteln teils in Görlitz gedreht wurde und teils in der Nazizeit spielt, haben auch viele deutsche Schauspieler Rollen bekommen können, was weiter weder positiv noch negativ auffällt; sie werden von Andersen unauffällig integriert in die Miniaturwelt. Eine Schießerei gibt’s im Vorfeld des Count-Downs im Hotel, welches zu der Zeit mit Naziflaggen dekoriert ist. Und die Konditorei Mandl ist zu viel mehr nützlich als nur schön verpackte Kuchen herzustellen, denn dort arbeitet die schöne Konditorin Agathe. Der junge Lobby-Boy, ein wunderbar großäugiger Nachwuchsdarsteller, Zero, der sich von Gustave in den Beruf einweisen lässt, wird sich in sie verlieben. Denn irgendwie muss die Vorarbeit zu einem schönen Schlusstableau gleistet werden. Der Junge ist herrlich, vor allem wenn er einen längeren Gang in der Hotellobby macht, solche Gummiknie, die Beine schlenkern fast wie Flossen, das ist ein Augenfang für sich. Und am 17. November findet der Lutz-Blitzkrieg statt. Solche Miniaturwelten sind vielleicht ein Mittel, auch Grauenhaftestes greifbar, irgendwie halbwegs fassbar werden zu lassen.

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