Der Tropfen – Ein Roadmovie

Der die Arschkarte gezogen hat, der immer derselbe naive Trottel bleibt. In Ostdeutschland. Irgendwo in Thüringen. Vater hat sich aus der Familie längst verabschiedet, hütet seine Ex-DDR-Funktionärsrente wie seinen Augapfel und lässt Frau und Sohn Rainer zurück. Mutter ist Pflegefall, muss ins Heim abgeschoben werden. Rainer fährt Pizza aus. Wird von der Dorfjugend blöd angemacht. Keine fertige Ausbildung, keinen vernünftigen Beruf, keine Zukunft. Ein Motorrad, was ständig defekt ist. Keine Freude, keine Freunde, keine Liebe. Ein Mensch mit einem geborstenen Grundvertrauen und daher unberechenbar.
Ein Mensch, der das Gefühl hat, nichts wert zu sein, der sich das alles nicht mehr bieten lassen will. Rainer will ein Zeichen setzen. Ein Bombe in Berlin platzen lassen. Der Weg dahin ist der Film, ist das Ziel. Das Roadmovie als ein Auffächern des Lebens von Rainer.
Auf seiner Fahrt mit dem Motorrad nach Berlin sucht Rainer Vergangenheiten auf. Seinen Vater, mit dem er sich nicht versteht, dem er Geld aus einer Schatulle entnimmt. Einen früheren Schulfreund, der jetzt erfolgreicher Anlagenberater und hoher NPD-Funktionär ist, der sich „zum nationalen Widerstand“ zählt und von zwei ziemlich dümmlichen „Flitzepiepen“ im Auto vorm Haus bewacht wird. Dieser Freund bietet Rainer einen Job an und macht und sich gleichzeitig sexhungrig an ihn ran und über ihn her. Es endet nicht gut für den Neonazi. Rainers frühere Geliebte, die jetzt ordentlich verheiratet ist mit einem Lehrer und ein Kind mit diesem hat; hier führt das aufdringliche Eindringen in diesen hermetischen Lebenskreis zum gnadenlose Rausschmiss.
Rainer hat einen Schutzengel. Ein kleines Mädchen mit Engelsflügeln, was oft hinter ihm steht. Ein rettender Engel ist aber auch die Ordensschwester, die ihn an einer Bushaltestelle aufliest, wo er in der Kälte liegt und zu erfrieren droht. Daraus ergeben sich 14 Tage relativen Glücks im Klosterstift zu Naumburg. Aber auch so ein Stift hat seine Vorschriften, will wissen, ob Gast oder Mitarbeiter, bezahlen oder bezahlt werden.
In Berlin gibt’s wieder Glücksmomente mit der einfachen Bäckereiverkäuferin, die mit einer raustimmigen Szenefrau zusammenwohnt und sich in Rainer verliebt, sich wundernd, dass er ihr seine Familie nicht vorstellen will und nicht ahnend, was er sonst noch für verzweifelte Spuren auf seinem Roadtrip hinterlassen hat, was hier auch nicht verraten werden soll.
Dieser Film von Matthias Kubusch, der mit Robert von Wroblewsky auch das Drehbuch geschrieben hat, versucht ein stimmiges Bild eines Beispiels sozialer Realität aus dem Osten nach wahren Begebenheiten zu erzeugen. David Emig stellt diesen Nachvollzug einer gescheiterten Existenz glaubwürdig dar. Recht sensible, sporadische Musikuntermalung mit schönen Songs („die Liebe kommt, die Liebe geht“). Die Bäckereiverkäuferin, die eine Auszeit braucht und inzwischen schwanger ist, hinterlässt ihm einen Brief: ich liebe Dich, aber wir müssen reden.
Eine runde Ensembleleistung, die auch erzählt, dass wenn das Erzählen ernst genommen wird, heute mit ganz bescheidenen Mitteln und etwas Crowd-Funding dazu, eine individuelle Geschichte aus der deutschen Gegenwart beachtenswert auf die Leinwand gebracht werden kann.

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