300: Rise of an Empire

Mei, haben die alten Griechen ein feines Englisch gesprochen. Als ob sie auf der Bühne eines Royal Theatres stünden. Und um das feine, teils gebrüllte Englisch herum, da tobt der blutige Kampf. Griechenland, gespalten, gegen die Perser, gegen Xerxes, gegen seine Heerführerin.

Ein Wort, was in all dem schwer entwirrbaren Schlachtengetümmel und fortdauernden Monologisier- und Dialogisierwust unmissverständlich im Ohr landet: Demokratie. Es geht um Demokratie. Die blutigen Kämpfe finden für die Demokratie statt, zu ihrem Erhalt, zu ihrem Schutz. Es geht um die Einheit Griechenlands – wie es heute um die Einheit Europas geht?, das ist kurzfristig der elektrisierende Schock.

Zwischen all den tapferen, entschlossenen Kämpfern, führt eine schwarzhaarig, bleich geschminkte Frau das Heer von Xerxes, dem Eindringling, dem Demokratiebedroher, wie Putin heute. Und mit Themistokles, dem Haupthelden in diesem düsteren, sich in 3D-Effekten noch dunkler verlierenden, sich an spritzendem Blut in Zeitlupe verlustierendem Seeschlachten-Epos, hat sie einen heftigen Geschlechtsverkehr. Fucking for Peace? Die maskierten Diener hören die Lustschreie und wagen kaum sich umzudrehen.

Eine düstere Vision für unser Europa? Angesichts der Frechheiten zwar nicht des Persers, aber des Russen auf der Krim? Jedenfalls ein die Retina durch den 3D-Effekt verstärkt malträtierendes, konsequent düster bis bizarr, auch die Meer- und Landlandschaften sind in Dunkelfarben schroff, menschenfeindlich, und die Ganglien zum Hirn verstopfendes Bildwerk, so dass schwer die Geschichte nachzuerzählen ist, es fehlt praktisch der Rahmen, außer dem Wort von der Demokratie, das dadurch vielleicht viel mehr wiegt, und irgendwann ist auch wie mir scheint mittendrin Schluss.

Vor lauter Sich-Verlieren im Detail, in der minutiösen Rekonstruktion von Trieren und anderen Kriegsruderschiffen, von Zweikämpfen mit Schild und Schwert, von SloMo-Pfeilschüssen, von Strafmethoden und Unterwasserangriffen, von gezielten Schiffskollisionen und massenhaften Mannverlusten scheint auch Regisseur Noam Murro, der nach einem Drehbuch von Zack Snyder und Kurt Johnstad mit Frank Millers Comic „Xerxes“ als Vorlage gearbeitet hat, den Blick für die größeren Zusammenhänge und Linien verloren zu haben.

Die Computerdesigner müssen hin und weg gewesen sein von den Details dieser antiken Seeschlachten, den Nahkämpfen, wie ein Schwert zustößt und Fetzen Blutes, so wirken sie in der Verlangsamung, durch die Gegend spritzen und scheinen so auch die Klarsicht des Regisseurs deutlich gemindert zu haben. Und immer wieder und immer wieder. Egal, ob Perser, Grieche, Spartaner, die nackten, männlichen Oberkörper sind wichtig, die makellosen Bauch- und Brustmuskelzeichnungen und die Kampfvorgänge gedehnt, verlangsamt, die brutale Schnelligkeit in ästhetische Bildfragmente umgewidmet. Eine Überschüttung des Hirnes mit Schlachtengemäldedetails und darüber die pausenlose Sprechschleife.

Keine Schlacht ohne Verräter. Unserer hier ist ein Augenfang mit seiner extremen Buckligkeit, seinem deformierten Gesicht und seinen wilden Zahnreihen. Jetzt wissen wir wenigstens, wie die zu erkennen sind. Wenn das immer so leicht wäre. Ist der Film nun abseitig oder visionär?

Zum Geschichtsunterricht scheint er mir jedenfalls nicht zu taugen, denn ihn interessieren weder die Voraussetzung noch das Zustandekommen von Krieg, nicht die Hintergründe. Er scheint eher wie Picasso mit seinem Guernica ein Pop-Gemälde als Beitrag zur Schilderung der Grausamkeit von Krieg liefern zu wollen, dem die Details wichtiger sind als die Geschichte. Kino als eine Höllenfahrt. Und die Demokratie in weiter Ferne.

Beltracchi – Die Kunst der Fälschung

Wer den Schaden hat, der braucht sich um den Film darüber nicht sorgen.
Ganz so gemein ist Arne Birkenstock in seiner flott geschnittenen Dokumentation über den berühmten Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi nicht. Schadenfreude über die Reingelegten, die Millionen für von ihm gefälschte Gemälde hingelegt haben, lässt Birkenstock nicht aufkommen. Ja, ein holländisches Sammlerehepaar amüsiert sich darüber, dass an der Stelle, wo der berühmte Campendonk, der schönste noch dazu, der gefälschte leider, gehängt hat, jetzt ein etwas weniger schönes Bild die Wand ziert. Der Frau wäre der (gefälschte) Campendonk lieber gewesen, der war einfach schöner, der schönste Campendonk überhaupt – nur leider nicht von Campendonk. Wobei ihrem Gatten schon wichtig ist, welche Bilder von welch prominenten Namen in ihrer weit ausladenden Villa hängen.

Richtig böse ist nur ein Kunsthändler, ein Betrogener, der von einem superraffinierten Betrüger spricht. Die ganz Boshaftigkeit, die in dem Begriff aufscheint, die wird allerdings im Rest des Filmes bei der Hauptfigur Wolfang Beltracchi nicht eine Sekunde sichtbar werden. Er ist Maler von Natur aus. Genialer Kopist. Schon der Vater war Maler. Malen war für ihn als Kind, was für andere Kinder das Zähneputzen. Das gehörte bei ihm dazu. Das ist seine Profession und wohl auch sein Genie.

Die Frage wird allerdings nicht beantwortet, warum er nicht ein originärer Primärmaler geworden ist, sich selbst einen Namen gemacht hat, sondern offenbar der perfekte Nacherfinder verlorengegangener oder nie gemalter und somit im Werksverzeichnis von Malern nicht vorhandener Gemälde war. Dafür schiebt er dem Vater die Schuld in die Schuhe. Und wie es sich für einen Betrügerfilm gehört, sagt er, er hätte er noch zwei Bilder malen wollen, und dann aufhören, denn er war sich des Risikos durchaus bewusst.

Aber einen Palazzo in Venedig zu kaufen, nebst gläserner Villa in Freiburg, dem französischen Landgut „Domaine des Rivettes“, einem Atelier in Köln, das hätte ihm doch ganz gut gepasst. Stattdessen malt er zur Zeit in einer Gefängniszelle Zeichnungen von Mitinsassen, kopiert die Tätowierungen auf dem Rücken, erfindet Ergänzungen dazu.

Als Freigänger durfte er zusammen mit seiner Mittäterin, seiner Frau, mit dem Filmteam Szenen aus seinem Fälscherleben nachdrehen. Wie er auf Flohmärkten alte Gemälde möglichst günstig ersteht, wie er die Farbe ablöst, Neues drauf malt, den sorgfältig aufbewahrten Staub wieder zwischen Rahmen und Leinwand auf der Unterseite einfüllt. Oder wie er mit einfachen fotografischen Mitteln mit seiner Frau als eine ihrer eigenen Ahninnen die Legende für die Herkunft der sensationellen Gemälde erklärbar macht. Die zweite Heimat sozusagen der Bilder. Denn damit half das Fälscherehepaar, den masslosen Hunger, ja die Gier des Kunstmarktes nach Einmaligem zu befriedigen.

Beltracchi meint, er habe vielleicht dreihundert solcher „Originale“ hergestellt, aber der Kunstmarkt hätte ein Mehrfaches davon geschluckt. Und der Zuschauer fängt selbst an zu philosophieren. Warum gefällt mir ein Bild? Weil es mir gefällt, weil es Emotionen in mir auslöst oder weil ich weiß, also aus Wissensgründen, dass es ein Picasso ist, dass es 21 Millionen Euro gekostet hat?

Echt und falsch, wahr oder falsch, das ist auch eine der Grundfragen des Kinos.

Der Mensch Beltracchi jedenfalls scheint echt, scheint ein Künstler von der Zehe bis zur Haarspitze, nur an der Sache interessiert. Aber wenn er merkt, dass er, indem er eine falsche Unterschrift unter ein Gemälde setzt, Millionen verdienen kann, die Chance nicht auslässt, so ist er auch nur ein gewöhnlicher Mensch. Er ist ein Typ mit der Nonchalance eines Gerard Depardieu. Und von sich gut überzeugt. Hat ja auch immer funktioniert. Bis dorthin, dass es eben hieß, das sei der beste, der schönste Campendonk, der je auf den Markt gekommen sei. Max Ernst hält er mit seinen Schraffuren für kein Genie und Leonardo da Vinci zu fälschen sei kein Problem.

Ein interessanter Vorgang ist die Analyse von Spies, dem Kunstexperten, wie die weniger durch Untersuchung des Objektes zustande kam als durch Herstellung von Vertrauen zum Fälscherehepaar durch gemütliches Beisammensein, durch angenehmes Plaudern in gegenseitigem Verständnis.

Aufgeflogen ist Beltracchi dank eigener Bequemlichkeit, weil er bei einem Bild für kleine Weißpunkte zur Tube mit modernen Inhaltsstoffen gegriffen hat, statt das Weiß selbst anzurühren. Das konnte dank moderner Untersuchungsmethoden nachgewiesen werden.

Bibi & Tina – Der Film

Geil sind die strammen Reiterhosen der Darsteller, ob Weiblein, ob Männlein, ob Teen, ob Senior. Mit ihren schwarzen Streifen, die die Beine sich in Richtung Schritt verjüngen lassen, das Auge und die Fantasie des Betrachters direkt dorthin lenken und allerlei Bilder am Rande der Gehörigkeit in Gang setzen. Doch diese Versprechen werden nicht eingelöst. Denn die jugendlichen Hauptdarsteller sind zwar groß, wirken wie Erwachsene, aber versaut dürften sie noch nicht sein. Sie scheinen im zarten Alter romantischer Liebe. Ein Kuss ist schon viel und sehr keusch. Gleichwohl können die Mädels rechte Zicken sein und Bibi mit ihren Zauberkräften kann eine vermeintliche Rivalin ihrer Freundin ganz schnell ärmlich und runtergekommen ausschauen lassen und sogar mit Schnauz dazu.

Diese sexy Hosen sind aber auch das einzig Provokante an diesem Film von Detlev Buck nach einem Buch von Bettina Börgerding und Wenka von Mikulicz. Deshalb fällt mir besonders auf, wie brav und nett der Rest ist, so ein bisschen Fidel-Romantik wie bei kirchlichen, hoffnungsvollen Jugendgruppen, wie unter einer Käsehaube eines vergangenen Jahrzehnts.

Die Haltung von Buck zum Kino und zum Leben wirkt ansonsten durchaus vereinnahmend aber es ist nun schon der dritte Pferde-Kinderfilm innert einem Jahr und er kommt mir als der altertümlichste vor (die anderen zwei waren „Ostwind“ und „Das Pferd auf dem Balkon“). Trotz aufgemotzter Ausstattung, trotz Operettenreitergesellschaft beim Rennen, trotz vieler Klampfenmusik und netter, schlagerähnlicher Jugendsongs und Musiknummern.

Es gibt zwar zwei zeitgeschichtlich aktuelle Bezüge. So wie Charly Hübner den Hans Kakmann spielt (dieser Humor, eine Figur Kakmann zu nennen, scheint mir reichlich abgestanden), erinnert an den Ex-Bundespräsidenten-Intimus und -Sprecher Olaf Glaeseker. Ferner kommt eine Zeitungstitelzeile vor „Merkel enttäuscht“, nachdem Kakmann von der Kakmann-Ranch mit einem Operetten-Kaktus davor (dieser lange nicht so originell wie bei Helge Schneider), einem geschmacklos knalligen Bau in unberührter Natur, wegen Doping von Pferden und anderer Machenschaften im Knast gelandet ist. Eine eher ungefähre Referenz auf die heutige Zeit.

Ist die heutige Jugend so, wie hier dargestellt? Sie kommt mir eher vor als sei sie aus einer dieser Daily-Soaps, die im Adeligen-Milieu spielen. Warum wird die Ständegesellschaft wieder so wichtig?

Auf Schloss Falkenstein steht das jährliche Pferderennen bevor (immerhin wird Graf Falko eine Wette ersinnen, die ganz gut zum degeneriertem Adel passt). Bibi und Tina wollen daran teilnehmen. Tina und Alex, der Sohn von Falko, sind ein platonisches Liebespaar. Da taucht die hochadelige Sophie mit ihrem Gelbtick auf Schloss Falkenstein auf. Im Rolls Royce wird sie vorgefahren. Sie platzt in das Verhältnis von Tina und Alex und bringt Alex in Konflikte. Die Komplikationen spitzen sich beim Rennen zu. Dazwischen funkt der neue Nachbar Kakmann. Am Ende haben sowohl Alex als auch Sophie eine Wandlung durchgemacht, Kakmann sitzt hinter Gittern und Frau Merkel ist enttäuscht.

Buck versucht seinen Film fetzig zu machen mit Musik und mit knalligen Farben; er versucht mehr auf Stimmung zu machen, eine Stimmung, eine Jugendstimmung zu erzeugen, denn eine spannende Geschichte zu erzählen. Mehr eine Nummernrevue. Die Figuren herzhaft überzeichnet, herzhaft theaterhaft und aus irgend einer Zeit stammend, nur nicht aus unserer. Das Pferd, um das sich (fast) alles dreht, das heißt Socke, eigentlich Sokrates, hat aber weiße Socken und ist natürlich, wie in jedem Pferdefilm, ein Ausnahmepferd.

Eine sympathische, vielleicht etwas naive Kindlichkeit und nicht allzu skeptische oder durchdringende Weltsicht offenbart sich in diesem Film, gutgläubig mit Freude am Augenfälligen und an einfachen Songs („da ist ein Loch in meinem Herzen“, „I am just an ordinary girl“). Oder pastoraler Optimismus und Hoffnung: geht eine Tür zu, geht eine andere wieder auf. Was Detlev Buck uns mit diesem Film mitteilt, scheint mir eine ohne große Entwicklung etwas in die Jahre gekommene, leicht angestaubte Weltsicht zu sein, die aber Freude am Bunten, am Theatralen, am Operettenkostüm, an der Scharade hat; Vergnügen auf Level Vereinsabend, jedoch ein deutliches Maß professioneller gestaltet. Und dann noch die Liebe der superzickigen, verwöhnten Sophia zum einfachen Pferdebeschlager, Hufschmied und Mofa-Fahrer, Groschenromanze pur.

Der Tropfen – Ein Roadmovie

Der die Arschkarte gezogen hat, der immer derselbe naive Trottel bleibt. In Ostdeutschland. Irgendwo in Thüringen. Vater hat sich aus der Familie längst verabschiedet, hütet seine Ex-DDR-Funktionärsrente wie seinen Augapfel und lässt Frau und Sohn Rainer zurück. Mutter ist Pflegefall, muss ins Heim abgeschoben werden. Rainer fährt Pizza aus. Wird von der Dorfjugend blöd angemacht. Keine fertige Ausbildung, keinen vernünftigen Beruf, keine Zukunft. Ein Motorrad, was ständig defekt ist. Keine Freude, keine Freunde, keine Liebe. Ein Mensch mit einem geborstenen Grundvertrauen und daher unberechenbar.
Ein Mensch, der das Gefühl hat, nichts wert zu sein, der sich das alles nicht mehr bieten lassen will. Rainer will ein Zeichen setzen. Ein Bombe in Berlin platzen lassen. Der Weg dahin ist der Film, ist das Ziel. Das Roadmovie als ein Auffächern des Lebens von Rainer.
Auf seiner Fahrt mit dem Motorrad nach Berlin sucht Rainer Vergangenheiten auf. Seinen Vater, mit dem er sich nicht versteht, dem er Geld aus einer Schatulle entnimmt. Einen früheren Schulfreund, der jetzt erfolgreicher Anlagenberater und hoher NPD-Funktionär ist, der sich „zum nationalen Widerstand“ zählt und von zwei ziemlich dümmlichen „Flitzepiepen“ im Auto vorm Haus bewacht wird. Dieser Freund bietet Rainer einen Job an und macht und sich gleichzeitig sexhungrig an ihn ran und über ihn her. Es endet nicht gut für den Neonazi. Rainers frühere Geliebte, die jetzt ordentlich verheiratet ist mit einem Lehrer und ein Kind mit diesem hat; hier führt das aufdringliche Eindringen in diesen hermetischen Lebenskreis zum gnadenlose Rausschmiss.
Rainer hat einen Schutzengel. Ein kleines Mädchen mit Engelsflügeln, was oft hinter ihm steht. Ein rettender Engel ist aber auch die Ordensschwester, die ihn an einer Bushaltestelle aufliest, wo er in der Kälte liegt und zu erfrieren droht. Daraus ergeben sich 14 Tage relativen Glücks im Klosterstift zu Naumburg. Aber auch so ein Stift hat seine Vorschriften, will wissen, ob Gast oder Mitarbeiter, bezahlen oder bezahlt werden.
In Berlin gibt’s wieder Glücksmomente mit der einfachen Bäckereiverkäuferin, die mit einer raustimmigen Szenefrau zusammenwohnt und sich in Rainer verliebt, sich wundernd, dass er ihr seine Familie nicht vorstellen will und nicht ahnend, was er sonst noch für verzweifelte Spuren auf seinem Roadtrip hinterlassen hat, was hier auch nicht verraten werden soll.
Dieser Film von Matthias Kubusch, der mit Robert von Wroblewsky auch das Drehbuch geschrieben hat, versucht ein stimmiges Bild eines Beispiels sozialer Realität aus dem Osten nach wahren Begebenheiten zu erzeugen. David Emig stellt diesen Nachvollzug einer gescheiterten Existenz glaubwürdig dar. Recht sensible, sporadische Musikuntermalung mit schönen Songs („die Liebe kommt, die Liebe geht“). Die Bäckereiverkäuferin, die eine Auszeit braucht und inzwischen schwanger ist, hinterlässt ihm einen Brief: ich liebe Dich, aber wir müssen reden.
Eine runde Ensembleleistung, die auch erzählt, dass wenn das Erzählen ernst genommen wird, heute mit ganz bescheidenen Mitteln und etwas Crowd-Funding dazu, eine individuelle Geschichte aus der deutschen Gegenwart beachtenswert auf die Leinwand gebracht werden kann.

Im August in Osage County

Die Hämmer kommen in der Nachspielzeit, nachdem 90 Minuten lang die Grundlagen dafür gelegt worden sind, nachdem die Familie Weston mit unverstelltem Blick vorgestellt worden ist und sich die Feststellung, „Familie ist Segen … und Fluch zugleich“ (ein Zusatz zum Filmtitel auf dem gediegenen Presseheft), schon variantenreich bewahrheitet hat und man schon denkt, ok, das wars, das war sehr ok.

Mit einer grandiosen Eheszene zwischen Meryl Streep als Violet Weston und Sam Shepard als Beverly Weston stimmt der Film noch vor den Titeln auf diese prototypische Ehe ein. Ihr Leben scheint eine einzige Hölle zu sein, sie machen es dazu, denn die drei Töchter sind längst ausgeflogen. Er ist Alkoholiker, sie medikamentenabhängig und hat eine Chemotherapie wegen Mundhöhlenkrebs hinter sich, ihr weißes Haar nur noch dünn und auf Zigaretten wird keinesfalls verzichtet.

Das Innere des Hauses ist dunkel, dunkel, verdunkelt, das helle Licht von Oklahoma wird ausgesperrt, ein Rhythmus zwischen Tag und Nacht ist nicht mehr auszumachen; nur die Hitze dringt quälend in diese Innenräume. Der Anlass für die heftige Szene ist, dass Beverly eine junge Frau aus dem Indianerstamm der Cheyenne als Haushilfe engagiert hat. Allein diese Herkunft der Hilfe sorgt für giftige Bemerkungen von Violet.

Nach den Titeln ist Beverly tot. Es muss ein Freitod gewesen sein. Ob angekündigt oder nicht wird später noch erörtert werden. Nach und nach treffen die drei Töchter von Violet ein. Mit Anhang, verheiratet oder getrennt oder mit neuem Anhang, mit Kindern.

In einigen anfänglichen, exponierenden Szenen wird vielleicht noch augenfällig, dass dem Film ein Theaterstück zugrunde liegt, ein Stück von Tracy Letts, welches John Wells hier inszeniert hat. Innenraumdialoge. Expositionsdialoge.

Aber schnell greift die Dynamik der verschiedenen Emotionen, offenen Rechnungen, unausgesprochenen, unbewussten Verhaltensweisen, der Beschuldigungen, treibt die Familie näher aneinander, beim Leichenmahl vor allem und treibt sie mit der entsprechenden Energie wieder auseinander. Mit Dialogen, die sich gewaschen haben.

Bei der Figur von Meryl Streep kam mir an einigen Stellen eine Überlappung mit der Thatcher-Figur in den Sinn, Anlass mag die pointiert-prononcierte Spreche, sein, die sie sich hier zugelegt hat, eine wie unbewusst kultivierte Rhethorik, die im Untertext nichts als Rechthaberei und Alleswisserei sendet, ein Auswalzen von Konsonanten oder Vokalen, fast ein Kochen der Sprache und deren gezielten Einsatz gegen die Familie, durchaus auch in der ordinären Variante oder bis ins extrem der Intonierung der Hexe im Kindermärchen. Sprache als Munition gegen die eigene Familie, die Violet auf den Wecker geht.

Dem Film vorangesetzt zitiert Sam Shepard den Satz von T.S. Elliot „Life ist very long“. Das Leben ist sehr lang. Entsprechend viele Wahrheiten haben darin Platz. Entsprechend können sich diese verdammten, genetischen Abhängigkeiten wie Familie, ihre Triebe und Schlingen und Netze entwickeln. Dazu passend Country-Music, am Anfang zumindest. Das Lied „wir tanzen um den Stachelbaum“ als schönes Bild für die Familie. Und ab da trägt Violet eine geschmacklose, schwarze Lockenperücke, was zu einer giftigen Bemerkung gegenüber ihrer Tochter Barbara führt, Julia Roberts, deren Haar glatt wie frisch ab Bügeleisen von ihrem Haupte fällt.

Das Thema Wahrheit über die Familie heißt „attack the family“.

Eher gewöhnlich ist der Spruch, dass die Eltern alles für ihre drei Töchter getan haben, während sie selbst noch in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen seien, hätten die Töchter alles vorgefunden für gute Ausbildung etc. Schuldzuschreibungen fürs eigene Unglück, von den Eltern den Kindern gegenüber, („du kannst doch jetzt nicht nach New York gehen“), oder dass das Unglück der Eltern seinen Lauf nur genommen habe, weil die Kinder aus dem Haus gegangen sind.

Eine Riege großartiger Schauspieler schraubt den Film nebst seiner guten Konstruktion nochmal eine Ebene höher, obwohl die Schauspieler ja qua Casting und „zufällig genetisch versammelt sind“, wie sie Familie charakterisieren, bringen dieses familiäre Verhängnis dank witziger, direkter Dialoge und brillanten Spiel perfekt rüber.

Familie kann auch heißen: eat the fish, bitch!
Und die Mutter, die Mutter, die weiß natürlich alles, hat alles immer schon gewusst.

Mitgift – Ostdeutschland im Wandel

Der Dokumentarfilm mit dem langen Atem zu Helmut Kohls Wort von den blühenden Landschaften. Das Gebiet der vormaligen DDR, welches beim Mauerfall von Stink- und Reizluft und bräunlich-giftigen Gewässern aus Abwässern dominiert war und wie es heute aussieht; eine Bestandsaufnahme von Roland Blum.

Der Dokumentarist ist bald nach dem Mauerfall 1990 in das Gebiet der vormaligen DDR gefahren mit der Absicht, den Zustand zu dokumentieren, um dann Jahre später die Veränderungen festzuhalten. Zuletzt ist er 2013 wieder hingefahren.

Auf die pointierte Eitelkeit, mit Systematik zu brillieren, lauter Aufnahmen im Abstand von Jahrzehnten von den immer gleichen Blickpunkten aus zu präsentieren, verzichtet er klüglich. Es ist eher ein breitgestreutes Stimmungsbild geworden. Die Veränderungen sind auch so eklatant, ob in Bitterfeld, Karow am See, auf dem Brocken, um Leipzig, in Güstrow, Brodowies oder an der Elbe. Blum bleibt angenehm sachlich, verzichtet auf billige Effekte, mit der musikalischen Untermalung geht er behutsam um; er hält eine Fülle von Informationen bereit, lässt eine Menge von Menschen, die an dieser Umwandlung beteiligt sind, sie aktiv betrieben haben, zu Wort kommen; nie schwatzen sie drauf los, sondern versuchen in wenigen Worten, Wesentliches zur Sache zu sagen.

Blum entwirft so das Bild eine Landschaft, in der viele Menschen im Laufe von Jahrzehnten einen beeindruckenden Transformationsprozess bewältigt haben. Und auch wieweit Naturschutz zur Zeit der DDR vom Charme des Widerstandes umweht war, deshalb auch und gerade über die Kirchen gefördert wurde und wie nach der Wende diese Attraktivität vermindert wurde, die Leute sich mehr dem Konsum zugewandt haben.

Durch diese Sachlichkeit verzichtet Blum möglicherweise auf einen im Kino doch empfehlenswerten Spannungsbogen; aber wer sich für dieses große Kohlwort und dessen Realisierung zumindest hinsichtlich Sauberkeit und Blühen der Natur interessiert, der dürfte das Kino nach 96 Minuten angeregt verlassen.

Vorher: der Silbersee, Schwermetall und Chemieabfälle, Chlor in der Luft und im Wasser, Güllengestank von Massenschweinehaltung und Gülle, die im Erdreich versickert, Pfirsiche, die nach Chemie schmecken, Trinkwasser aus stinkender Elbe filtriert, nur nach längerem Abkochen genießbar, giftige Sedimente, Seen und Flüsse als schwarze Brühe, keine Hechte mehr, Chemierohre, die tropfen und zischen, Bilder des Grauens.
Müllberge nach der Wende, Ausschlachten von Trabis, Kinder mit Bronchienproblemen.
Dann Sanierungen mit Arbeitern, die Giftmasken tragen müssen.
Heute: Biosphärenreservate, Ökolandwirtschaft, Windräder, geflutete Tagebaue, Moore, die Selbstheilungskräfte der Natur.

Saving Mr. Banks

Kino, das Gefühl und das Geschäft mit diesem.
Assoziation zum Titel: Sparkasse, Sparkasseneinlage. Die Savings auf der Bank.

In diesem hollywood-selbstreflexiven, selbstvermarkterischen Film der Disney-Studios geht es zentral um die Figur Mr. Banks. Der ist ein biederer Bankangestellter. Er ist nämlich in der Geschichte von Mary Poppins deren Vater. Der leibliche Vater der Autorin von Mary Poppins, Pamela L. Travers, gespielt von Emma Thompson, war ein Banker. In Australien. Und ist also die reale Vorbildfigur für eine Filmfigur, mit der Walt Disney persönlich, ihn spielt Tom Hanks als ob er aus dem realen Hollywood jener Zeit kommt, ein großes Geschäft wittert.

Im Film geht es nun darum, dass Disney seit 20 Jahren versucht hat, von Frau Travers die Rechte zur Verfilmung dieses Stoffes zu ergattern. Sie hat das immer abgelehnt, sie ist nicht mal in Verhandlungen eingetreten. Jetzt aber sieht es anders aus. Sie wohnt inzwischen in London und ist eine gefühlskalte, enttäuschte britische Lady geworden, die finanziell in einer Notlage steckt, wie ihr Agent in einer Szene anfangs ihr klar zu machen versucht. Sie steht unter Druck. Sie steht kurz davor, ihr geliebtes British home verkaufen zu müssen, my home ist my castle. Mit all ihren Vorurteilen nicht nur gegen die ewige Dutzerei in Hollywood fügt sie sich diesem Druck, lässt sich zu einem Flug nach L.A. überreden, um mit Walt Disney persönlich über die Rechte zur Verfilmung zu verhandeln.

Jetzt darf sich der Zuschauer über ein Musterbeispiel darüber freuen, wie Hollywood nach bewährtestem Rezept diese zwei krass gegensätzlichen Welten von britischer Etepete-Lady und nonchalantem Hollywood-Produzenten aufeinander loslässt mit garantiertem Rühreffekt aus dem Effeff. Die britisch-spitze, distanziert gefühlsverkapselte my-home-is-my-castle Welt gegen die überbordende, oft ungenaue, übertreibende, keine Grenzen kennende, gefühlsmäßig überquellende Hollywood-Welt. Die Kunst, die Gefühlskälte so lange und so überzeugend zu schildern, dass im Moment wo das Eis bricht, auch beim Zuschauer kein Bremsen für die Emotionen mehr da sein dürften.

Kein wegweisender Film, viel eher ein Film auf der Suche nach einst Wegweisendem, der Rückbesinnung auf einst fundiertes Selbstbewusstsein von Hollywood. Denn heute will das Kalkül mit den Blockbustern nach diesen Rezepten oft nicht mehr aufgehen. Vielleicht ein Ansatz zu einer Neubesinnung des amerikanischen Industrie-Kinos?

Wie Disney ein kaltes Herz knackt, das ist der knackige Vorgang in bester Hollywood-Tradition. Und ausgerechnet das möchte dieser Film zeigen, dass Hollywoods Filmproduzenten keine kaltherzigen Berechner sind, dass auch Walt Disney eine Rührstory über seine Kindheit aus dem Ärmel schütteln kann, und dass seine Geschäftsidee den Menschen nur Gutes tun will. Mit ihren tiefsten Gefühlen. Das war das Erfolgsmodell von Hollywood über lange Zeit. Aber nachdem einige Blockbuster sensationell gescheitert sind, nachdem schon vorletztes Jahr in vielen europäischen Ländern ein französischer Film die Charts angeführt hat („Ziemlich beste Freunde“), nachdem letztes Jahr in Deutschland, einem nicht unwichtigen Markt für Hollywood und hier mit allerlei Gewohnheitsprivilegien, Marktvorrechten ausgestattet, ein deutscher Film „Fack Ju Göhte“ und der als Blockbuster intendierte und seine Funktion auch erfüllende „Medicus“ die Charts angeführt haben, nachdem die alten Rezepte Hollywoods ausgeleiert, hohl angewandt worden waren, ist wohl Zeit für so ein Nachdenken, Nachforschen nach den eigenen Werten. Das wirkt gewissermassen doppelt anrührend. Weil als Antwort ja die alten Rezepte herauskommen.

Disney wird sein Ziel erst nach mehreren herrlichen Twists erreichen, denn kaum ist Frau Travers mal mit einem Ansatz an Ideen der Kreativen in Hollywood halbwegs gewonnen, schon findet sie wieder etwas Entsetzliches, zum Beispiel gezeichnete Pinguine. Es geht eben auch um die Wahrhaftigkeit in der Kunst. Um den Ernst, mit dem Mary Poppins ihr Leben lebt. Das darf nicht verblödet werden. Genau das will der Film beweisen. Dass Hollywood eine ernst zu nehmende Unterhaltungsindustrie ist.

Herrlich stachlig und besser nicht zum Küssen wie Emma Thompson diese britische Lady spielt, wie sie entsetzt gucken kann, wie sie sich über „this filthy, disgusting world“ aufregen kann, wie sie vor ihrem Abflug nach L.A. trocken meint, „I hope we crash“, wie sie sich empört über die frivolen Süßigkeiten, die bei der ersten Leseprobe des Drehbuches serviert werden, wie sie schwer aus dem Busch zu locken ist, wie sie noch irritierter schaut, wenn Disney ihr gesteht, er habe sie nur auf das Karrussell in Disney-World gelockt, weil er mit einem seiner Mitarbeiter eine Wette um 20 Dollar abgeschossen hätte, er schaffe das, wie sie den ganzen Kitsch von Disney-Stofffiguren, mit denen das Studio ihr Hotelzimmer vollgestopft hatte, sofort in einen Kleiderschrank packt.

Wenn der Film auch keine Lösung für die Probleme Hollywoods bieten kann, so erinnert er immerhin anrührend daran, was Hollywood einmal konnte, und wie es verstand, die Herzen zu gewinnen und gleichzeitig damit ein Vermögen zu machen. Und so schön der Film ist, und so sehr ihm ein großer Erfolg zu gönnen wäre, so sehr bin ich skeptisch, ob der mittlere Mitteleuropäer im Moment an so einer Geschichte interessiert ist, denn wir brauchen Lösungen für die Währungskrise, für die Gerechtigkeit in der Gesellschaft, für die Probleme im Zusammenhang mit der Alterung der Bevölkerung, für die Krisen auf der Welt, für die immer rasendere Ökonomisierung des ganzen Lebens, für die extremen Wohlstandsunterschiede, die gewaltige Migrationsströme auslösen. Wen interessiert es da, wenn uns einer aus Hollywood und mag er es mit noch so viel Pfiff und Schmalz und Selbstironie tun, erzählt, wie gut und ehrenhaft er doch Geschichten erzählen kann. Wenn er uns denn eben nicht die Geschichten erzählt, die uns betreffen.

Banksavings. Es geht um die Ersparnisse Hollywoods. Und gerade Ersparnisse haben bei uns zur Zeit keinen guten Ruf, sie schmelzen weg durch die Währungspolitik wie die Polkappen durch die Erderwärmung. Was interessiert uns da, wenn einer uns aus Hollywood von seiner Sparkasse erzählt. Und wenn wir im Zusammenhang mit den Freihandelsgesprächen zwischen USA und EU ein Wegdrücken europäischen, subventionierten Filmschaffens durch die Hollywoodindustrie befürchten müssen.

Hm, wenn sich allerdings so mancher Filmproduzent und Filmemacher hier ansieht, wie viel Mühe Kelly Marcel und Sue Smith auf das Drehbuch verwendet haben, das John Lee Hancock angemessen verfilmt hat, und sich davon ein Stück abschnitte, so wäre es wohl deutlich besser um unsere Filmkultur bestellt.

Ihr Vater und seine Krankheit, auch Alkohol; ihre Jugend in Australien.
Die Verknüpfung Autorentum, eigene Kindheit und also Wahrhaftigkeit der filmischen Realisierung hier als zwei Erzählstränge ineinander verknüpft.
Die Enttäuschung im Leben, auf die macht Disney die Autorin aufmerksam.
Mary Poppins muss nicht die Kinder retten, es ist ihr kranker Vater.
Disney als der Psychologe, der die Schwachstelle, die Wunden seiner Autorin erkennt.
Tom Hanks spielt diesen Disney mit einer Souveränität, wie sie heute im Zeitalter des Internets, wo von jedem Promi schnellstens jeder Faux-Pas und jede Schwäche offenbar wird, keiner mehr haben kann, wie sie heute wohl ausgestorben sein dürfte. Souveränität eines Dinosauriers.

The Grand Budapest Hotel

Zwischen zwei Naturjodlern in eine heile, nichtheile Welt abtauchen.
Einen Wes-Andersen Film (Hugo Guinness hat am Drehbuch mitgearbeitet) schauen, heißt inzwischen, in eine entzückende, liebevoll ausgeklügelte Miniaturwelt eintauchen, in eine Welt, wie sie Modelleisenbahner um ihr Schienenwerk herum basteln oder wie manche Museum in abgedunkelten Räumen und in hell erleuchteten Vitrinen sie ausstellen, sei es Erd-, Menschheits- oder Technikgeschichte, Geschichten aus anderen Zeiten jedenfalls. Vitrinenkino ist sicher auch kein unpassender Ausdruck und garantiert ein schönes Freizeitvergnügen.

Denn Andersen liebt die Kamerapostion wie vor der Guckkastenbühne. Die weitgehend erfundene, aber von Stefan Zweig inspirierte Geschichte, die er uns hier vorführt, in seine Miniaturwelt hinein verdichtet, erzählt von einem alten, prunkvollen Hotel, dem Grand Budapest Hotel, das in einem Kurort namens Nebeltal oder Nebelfeld oder wie auch immer sein Leben an den Rändern der Weltpolitik führt – Andersen liebt die kindisch-kindlichen Spielereien mit den Namen oder deren Neuerfindungen, ohne dass sie je dadaistisch, futuristisch, kritisch oder spöttisch wirken, lediglich vergnügt.

Die Geschichte selbst verpackt er in eine weitere Geschichte im Heute. Ein Autor steigt in diesem Hotel ab, das inzwischen einen abgewirtschafteten Charme und damit verbunden die Versprechung von spannenden Geschichten ausstrahlt. Es sind wenige Gäste da. Es sind, das ist das hervorragende Merkmal, lauter Einzelpersonen, keine Paare.

Beim Spa in einer altmodischen Badewanne kommt unser Autor mit einem älteren Herren, der ebenfalls in einer Badewanne sitzt, ins Gespräch. Allein diese Miniatur. Ein Raum voll solcher riesiger Badewannen. Keine Duschvorhänge dazwischen. Keine Menschenseele. Nur in zwei Wannen weit auseinander stehend sitzen zwei ältere Männer. Man sieht nur die Köpfe. Die zwei Köpfe kommunizieren miteinander. Diese Kommunikation führt zu einer Einladung zum Abendessen. Bei diesem erzählt der Herr mit dem schwarzen Bart, dessen Frisur für eine Herkunft aus Iran spricht, dem neugierigen Autor nicht unbedingt die Geschichte des Hauses, sondern die des langjährigen, meisterhaften Concierges M. Gustave.

Diesen Concierge spielt Ralph Fiennes, der keinerlei Mühe damit hat, die perfekten Formen und zwar ohne jede Übertreibung mit einer großartigen Selbstverständlichkeit zu spielen. Wobei im Moment, wie er gerade dem Gefängnis entflohen ist in verlotterten Kleidern, er seinem jungen Fluchthelfer, dem Lobby Boy Zero, Vorwürfe über die Kleidung und vor allem das Fehlen von Parfüm, macht, da kommt das allerdings nicht ganz mit der Skurrilität zur Geltung, die da drin liegen würde, die erzählen könnte, dass diese Form längst zum angewachsenen Teil der Figur geworden ist, was sie ja so charmant und so glaubwürdig macht.

Fiennes als Gustave glaubt man alles. Wenn er erzählt, welchen Service er den Gästen bietet. Oder wenn er die Gäste beschreibt, dass es nur eine Kategorie gebe: ältere, blonde, reiche, eitle Damen. Und die er ganz kühn auch befriedigt. Das kann köstliche Gedanken auslösen, wenn es sich um Tilda Swinton handelt, die hier ein supercool auf altes Scheusal gestylte Dame von Schloss Lutz spielt und bereits 84 sei. Und dass das bei so einer abgehen könne wie mit einer Rakete. Damit wird er sich übrigens auch gegen den Vorwurf, er sei schwul, der im Gefängnis gegen ihn erhoben wird, wehren. Ja, bisexuell. Aber es gibt nichts Langweiligeres als bisexuell. Insofern ist das Thema schnell erledigt.

Es gibt vielleicht auch nichts Langweiligeres als so einen Hotelconcierge. In die Bredouille kommt Herr Gustave ausgerechnet wegen dieser alten Dame. Sie ist nämlich ermordet worden. Und hat ihm so einiges vermacht. Nicht nur das symbolisch schöne Gemälde vom jungen Mann mit dem Apfel, dem Mann an der Schwelle zum Mannsein, sondern ihren ganzen Besitz. Was deren klüngelhaften Clan gegen den Concierge aufbringt. Der Clan will ihm sogar den Mord an der alten Dame in die Schuhe schieben. Dies löst die Gefängnisgeschichte und die Flucht aus, die in eine Art Minitur-James-Bond-Verfolgungsjagd übergeht. Das kommt über der praktizierten Lustigkeit mit Screwall-Comedy- und Slapstickelementen als doppeltes Vergnügen dazu.

Ein Interieur-Film. Und weil der Film mit vielen deutschen Fördermitteln teils in Görlitz gedreht wurde und teils in der Nazizeit spielt, haben auch viele deutsche Schauspieler Rollen bekommen können, was weiter weder positiv noch negativ auffällt; sie werden von Andersen unauffällig integriert in die Miniaturwelt. Eine Schießerei gibt’s im Vorfeld des Count-Downs im Hotel, welches zu der Zeit mit Naziflaggen dekoriert ist. Und die Konditorei Mandl ist zu viel mehr nützlich als nur schön verpackte Kuchen herzustellen, denn dort arbeitet die schöne Konditorin Agathe. Der junge Lobby-Boy, ein wunderbar großäugiger Nachwuchsdarsteller, Zero, der sich von Gustave in den Beruf einweisen lässt, wird sich in sie verlieben. Denn irgendwie muss die Vorarbeit zu einem schönen Schlusstableau gleistet werden. Der Junge ist herrlich, vor allem wenn er einen längeren Gang in der Hotellobby macht, solche Gummiknie, die Beine schlenkern fast wie Flossen, das ist ein Augenfang für sich. Und am 17. November findet der Lutz-Blitzkrieg statt. Solche Miniaturwelten sind vielleicht ein Mittel, auch Grauenhaftestes greifbar, irgendwie halbwegs fassbar werden zu lassen.

Alles Inklusive

Hannelore Elsner, der Neger und der tote Hund.
Pauschalkino á la Frau Dörrie inklusive karikierender Verwurstung des Pauschalbürgers; eine weitere Subventionssumpfblüte.

Nachgeschobenes Vorwort: Tobias Kniebe hat letzte Woche in der SZ (Feuilleton, Mittwoch, 26. Februar 2014) bei der Besprechung des großartigen Filmes „Philomena“ von Stephen Frears erstklassig nachvollziehbar dargelegt, wie die Macher aus einem Roman ein taugliches, spannendes Drehbuch hergestellt haben. Eine Arbeit, die bei dem vorliegenden Film von Frau Dörrie nach einem eigenen Roman offenbar nicht geleistet worden ist; trotzdem wurde der Murks allem Anschein nach vom Steuerzahler mittels Rundfunkzwangs- und Fördergeldern als eine vollwertige Arbeit bezahlt. Niemand moniert das.

Vielleicht ist Frau Dörrie Drehbuchprofessorin, weil sie Schwierigkeiten mit dem Drehbuchschreiben hat (deshalb ist im Abspann vermutlich noch eine Position mit Drehbuchbearbeitung aufgeführt); Defizite und Problembewusstsein in der Praxis mag zu Theoriekapazität führen.

Da Frau Dörrie Drehbuchprofessorin ist, glauben die Filmförderer und Fernsehredaktionen, sie könne auch wirklich Drehbücher schreiben, und lesen die Bücher gar nicht, sondern fördern sie blind. Immerhin ist bekannt, dass sie vom Leben ausgeht, dass sie gerne im Kaffeehaus sitzt oder mit den Studenten im Ferienclub und das quirlige Leben beobachtet und Einfälle notiert. Diesen fügt sie einige Hygiene- und Lebensweisheiten bei. Und fertig ist das Drehbuch, was leider noch lange kein Drehbuch ist. Aber für erfolgreiche Taschenbücher scheint es dicke zu reichen. Von Frau zu Frau. Von Hausfrau zu Hausfrau.

Allerdings ist es eines, das Leben zu beobachten und ein anderes, einen Film daraus zu machen, ein spannendes Drehbuch aus diesem Material zu generieren, aus dem eine Geschichte wird, die überspringt, daraus eine „story of human interest“ zu machen; was hier kaum der Fall sein dürfte – aber was ist es denn?

Da der Name Dörrie im tranigen Filmsubventionsland für Jobs und gut bezahlte Rollen bürgt, so hat sie die Auswahl an Namen guter Subventionsschauspieler, da machen alle mit und machen alles mit, denn die Kohle stimmt. Und müssen es dann gezwungenermaßen auch noch gut finden. Das ist bereits die halbe Miete.

Hinzu kommt, durchaus stilvoll, Frau Dörries Geschmack für Mode, Stil und Pep in Sachen Ausstattung und Klamotten, da darf immer mal was Schräges dabei sein. Das ist das nächste Viertel der Miete. Das hat sich allerdings etwas gelegt, ist müder, ruhiger geworden, auch Frau Dörrie wird älter, aber irgendwie scheint sich ihre Filmkunst nicht weiter zu entwickeln, scheint das professionelle Entwickeln einer Story, eines Drehbuches, das mehr ist als nur Episoden-Szenen-Schnitzerei mit halb karikierten Menschen, nicht gelernt zu haben.

Außerdem haben solche viel beschäftigten Promis kaum Zeit zum ernsthaften Entwickeln und Schreiben eines richtig professionellen Drehbuchs. Man muss ja noch Opern inszenieren, Bücher schreiben, Vorlesungen halten, Interviews geben.

Das letzte Viertel für die Miete, das sind Ergüsse, wie sie bei Hausfrauen beim gemeinsamen Sticken (auch Gesticktes kommt vor, unters Kopfkissen damit!) oder beim Kochen oder Kleiderflicken passieren, Hausfrauenweisheiten über das Leben und die Liebe; so wie sie in bunten Blättern der verständnisvolle Brief- oder Kummerkastenonkel zu erörtern pflegen. Lebenshilfeansätze („wenn das Leben ein Seil ist, so ist bei mir ein Knoten“).

Die Geschichte, die Frau Dörrie hier zu erzählen versucht, ist nicht leicht zu rekapitulieren, aus mehreren Gründen. Zum einen, weil sie die Story von hinten her aufdröselt, dann aber auch wegen der Protagonistin Hannelore Elsner, die in jeder Szene in ihrem Untertext hinausschreit, schaut her, was für eine tolle Schauspielerin ich bin, wie ich mit meinen vielen, vielen Jahren noch toll aussehe, wie ich wie aus der Pistole geschossen in jeder Situation ein Lächeln herbeizaubere und das mit der Hüfte ist natürlich überhaupt nicht wahr, drum hinke ich mit meinem Stock so schlecht, dass keiner auf die Idee kommt, an mir sei irgend ein Makel. Das ist ein dermaßen hysterisches Tremolo, was jeden Ansatz von Handlung glatt übertönt.

Dann die ganzen Szenen mit dem Bootsflüchtling. Der Film spielt großenteils im Hotel Royal Costa in Torremolinos in Spanien. Dem muss ein intellektuell gemeinter, subventionierter, deutscher Film selbstverständlich ein Bootsflüchtlingsschicksal als Fußnote beifügen, auch wenn es mir absurd scheint, dass ein Flüchtlingsboot so weit in den Norden gelangt. Auch diese Szenen bleiben in Erinnerung lediglich insofern, als Frau Elsner im Untertext ganz laut herausschreit, schaut her, ich spiel mit einem Neger; das fällt umso mehr auf, als die Inszenierungskunst der Regisseurin nichts dagegen aufzubieten hat. Kommt hinzu, dass der fettleibige Klischee-Deutsche, dargestellt von Axel Prahl, gegen diesen knalligen Untertext anspielen soll, das noch mit Sexszenen mit Frau Elsner, die auf Biegen und Brechen krampfig erfunden wirken. Herr Prahl scheint die Gage mitgenommen zu haben und war nicht weiter glücklich dabei.

Weil Frau Dörrie nichts zu erzählen hat, sondern bloß wieder einen Film machen will, soll diese Leere mit Blickfängen und Originalität zwangsweise gefüllt werden. Zum Beispiel mehrmals um einen Verkehrskreisel fahren, damit die Kamera die Skulptur in der Mitte auch richtig umrunden kann. Und weil es sich so leicht erhebt über den Durchschnittsbürger und Klischeedeutschen, so ergibt sich keine Fallhöhe, die schmerzen könnte.

Zur Geschichte. Frau Elsner ist von ihrer Tochter statt zur Reha zum billigeren Pauschalurlaub nach Spanien verschickt worden. Dort lässt sie sich die Füße von einem Transvestiten pflegen. So einer gehört auch in einen modisch-schicken, pseudointellektuellen Film. Immer auch laufen Szenen zwischen einem Jungen und einem Mädchen ab, die nicht so richtig einzuordnen sind. Derweil bandelt in München die gestörte Tochter, die nur Pech mit den Männern hat, mit dem Veterinär an. Den lernt sie kennen, weil ihr Hund, Dr. Freud, der auch ihr Psychiater sei, ein künstliches Hüftgelenk braucht. Genau so wie ihre Mutter. Das gibt Anlass für einige der häufig eingestreuten Kicherwitzchen, die das vermutlich angepeilte, ältere, weibliche Fanpublikum von Frau Dörrie ergötzen dürften. Ganz am Schluss wird ein weiterer Zusammenhang zwischen Frau Elsner, ihrer Tochter und dem Transvestiten hergestellt, der aber längst nicht mehr interessiert. Dafür gibt es jede Menge Enden mit untergehender Sonne, die das Gefühl vermitteln, man habe zwangsweise einen viertägigen Pauschalurlaub verbracht, dabei war es nur das müde gewordene Pauschalkino von Frau Prof. Doris Dörrie.

Ein Beziehungshygienefilm für Karikaturmenschen. Mit Weisheiten über Hunde: er genießt es beim Arzt zu sein, er liebt die Aufmerksamkeit.
Die ersten bunt zusammengeschnittenen Strandszenen inklusive flottem Pimmel und voller Busen sollen wohl an die Frische der früheren Langnese-Kinowerbung anknüpfen, like ice in the sunshine.

Sollte das Ziel von Frau Dörrie das gewesen sein, was sie hier in einer Radiosendung verbreiten lässt als Lob der Kunst, nämlich die Darstellung „der realen Langeweile“, so muss man ihr attestieren, dass sie ihr Ziel erreicht hat.

Tierarztwitz: Sie sehen hungrig aus, haben Sie nichts gegessen? Doch, eine Dose Katzenfutter.

Und dann wieder Kleinmädchenerfindungs-, bemühtes Szenenbastelkino: im Frühstücksraum bastelt Elsner und Konsorten aus einer Toastbrotscheibe eine Maske, die vors Gesicht gehalten wird und der Tierarzt in München behauptet, Tierärzte gehören zur Familie der Papageien. Dann schnäbeln er und sie mit roten Papierservietten. So Dinge soll Frau Dörrie gerne machen, aber doch nicht auf der großen Leinwand und mit viel Steuer- und Zwangsgebührengeld, vielleicht in der Bastelstunde in der Pfarrei oder in einer Therapiestunde, aber doch bittschön nicht auf Kosten der Steuerzahler mit hochbezahlten Darstellern, die den Kleinmädchenkram auch noch mitmachen.

Dieses Kino kommt mir vor, wie von einem fleißigen, kleinen Mädchen, das überall schöne, ungewöhnliche Dinge gefunden hat und sie nun, wie wir es früher gemacht hatten mit Bildern aus Zeitschriften, sie ausgeschnitten und kunterbunt chaotisch in ein leeres Heft eingeklebt haben. Das ist ja nett und lustig. Aber doch weit zurück hinterm Ziel von Kino als einem relevanten und anregenden Kulturprodukt. Für die bunte Frauenzeitschrift mag es angehen und dafür erweckt es auch den Anschein von intellektuellem Input, diese würde es zieren, nicht aber ein Kino, was diskussionswürdig ist.

In so einem Zusammenhang Hilde Domin zu exploiten, das grenzt schon an billige Kulturfilzerei, sich das Deckmäntelchen der Seriosität und des kulturellen Niveaus selbst umhängen.
Was spricht – und noch dazu inkonsequent – Frau Elsner eigentlich für einem merkwürdigen Undialekt-Dialekt?

Ein Kessel Buntes von Frau Dörrie. Bitte in der Wäscherei anliefern, doch nicht im Kino.