Staudamm

Kino mit Nachhall. Das Grauen, der Horror, das Unfassbare, das Sensationelle kommt in diesem Film gänzlich unspektakulär daher, verpackt in keinesfalls dröge Staatsanwalts-Akteneinleserei und eine unforcierte Liebesgeschichte, die eingesprüht scheint in einen Hauch von Nouvelle-Vague in Steinwang im Allgäu, nicht nur weil die beiden Protagonisten gerade nichts anderes zu tun haben, als sich über den Weg laufen; weil sie auf höchst unterschiedliche Weise das Grauen, das schier Unaussprechliche verbindet (bei der Nouvelle Vague dürfte es das Grauen des Zweiten Weltkrieges gewesen sein, hier der Amoklauf).

Thomas Sieben wagt nach einem Drehbuch von Christian Lyra eine behutsame, fast schon pädagogisch zu nennende (insofern auf jeden Fall für den Schulunterricht bestens geeignete) Annäherung an ein grauenhaftes Phänomen unserer Zeit: Amokläufe von Schülern in der Schule mit vielen Toten im Gefolge.

Hier geht es um einen Amoklauf in Steinwang im Allgäu. Die Annäherung folgt über den sensiblen Schauspieler Friedrich Mücke. Er spielt einen jungen Mann, der sich ein Geld verdient mit dem Einlesen von Gerichtsakten für einen Staatsanwalt, damit der auch beim Autofahren mittels dieser Audio-Dateien Aktenstudium betreiben kann. So findet die Einführung statt. Wir sehen den jungen Mann, Roman heißt er im Film, wie er in seiner kleinen Bude in München vor dem Computer sitzt und Aktentexte zu diesem Amoklauf spricht.

Immer wieder schneidet Sieben den Ausschlag der Tonspur ein, auch ein prima Mittel zur Kunst der Indirektheit. Vielleicht macht es sich Mücke etwas zu schwer, spielt zu sehr noch mit, dass ihn der Text nicht kalt lässt. Aber das dürfte eine Frage der Regie sein. Ob es nicht wirkungsvoller gewesen wäre, das erst mal rein routiniert einzuspeichern. Es ist bei dieser Konstruktion zu erwarten, dass der Fall ihn mehr involvieren wird. So kommt es tatsächlich.

Da noch Akten fehlen, wird Roman vom Staatsanwalt nach Memmingen geschickt, um diese auf der Polizeistation abzuholen.

In Memmingen, wo ihn die Umstände, nämlich dass der Polizeichef die Herausgabe der Akten noch nicht erlaubt hat, länger in einer bescheidenen Pension halten, wird er prompt auf die der Polizei bislang noch nicht bekannte Freundin des Amokläufers treffen und es wird sich ein Verhältnis entwickeln, das dazu führt, dass ihm das der Polizei ebenfalls unbekannte Tagebuch des Täters in die Hände gerät. Das ist ein Meisterstück, wie Mücke aus diesem vorliest. Eine respektvollere Annäherung an einen Menschen, der so Furchtbares getan hat, ist schwer vorstellbar. Das macht die Spannung, dass Mücke das so poetisch liest. Im übrigen joggt er oft. Die happige Kost muss mit Pausen verabreicht werden, in denen der Zuschauergeist kreisen kann.

Konzentrierte, kompakte, signifikante Akten-Textstellen wechseln mit genügend Verschnaufauslauf für den Zuschauer mit diesem Hauch von Liebesgeschichte und Impressionen aus dem Allgäu, Gebirge oder was die Menschen herstellen, Häuser, Infotafeln über den Trachtenverein und den Strickabend oder eine aus Holz geschnitzte Figur.

Wie er diese Akte erhält, fragt der Staatsanwalt ihn, was er sich dabei denke und Roman meint ganz trocken, dass er darüber noch nicht nachgedacht habe. Sein Leben besteht aus Rauchen, Einlesen, Joints, Playstation, Alkohol und Joggen. All die Dinge sind seine Begleiter auch im Allgäu.

Es ist ein einfaches Kino, wie es scheint, das auf cineastischen Firlefanz calvinistisch nüchtern verzichtet, ohne jedoch die Berglandschaft im Allgäu zu übersehen; sorgfältig themenorientiert über die Textstellen, die mal von Mücke gelesen oder von ihm zur Kontrolle gehört werden, die verschiedenen Aspekte eines solchen Amoklaufes bewusst macht; das Zuhause des Täters, seine Weltsicht, die Reaktion von Überlebenden, Ansätze zum Verarbeiten; das wachsende Misstrauen der Ortsbewohner den Medien gegenüber, die Reaktion der Schule (ist jetzt in Containern untergebracht).

Die beiden Protagonisten Roman und Laura wirken gänzlich unverbildet, sprechen sehr natürlich und haben viel Privacy, ein exzellenter Cast und wie es im Allgäu immer mehr Winter wird.

Arbeitskino. Themenkino.
Mücke, einer der angenehmsten Schauspieler der jüngeren Generation, der so gar kein Schauspieler-Getue hat und eine diskrete Privacy spielt.

Argerich – Bloody Daughter

Klaviergöttin als Mutter.
Ein ziemlich verrückter, fast exotischer Trip, auf den uns Stephanie Argerich, die Tochter der weltberühmten Pianistin Martha Argerich mitnimmt. Wobei sie sich gleichzeitig eines der fundamentalsten Themen der Menschheit überhaupt annimmt: Mutterschaft.

Mit einer Geburt fängt der Film an. Die Filmemacherin bringt einen Jungen zur Welt. Ihre Mutter, die Pianistin, ist im entscheidenden Augenblick gerade am Handy beschäftigt. Es geht um ein ganz besonderes Mutter-Tochter-Verhältnis, um das einer berühmten Mutter, einer Göttin ihres Faches, wie sie zeitweise gesehen wurde, zu ihrer Lieblingstochter, die durch dieses Prädikat wie an sie gefesselt ist. Martha Argerich, die Mutter, ist ein Piano-Wunderkind aus Argentinien mit Herkunfts-Einflüssen aus Russland, den Indios, Europa.

Die Oma von Stephanie selber kam sich gerne vor wie Tschang-kai-Tschek, drum trug sie immer Sonnenbrille. Aber das ist wiederum ein anderes Mutter-Tochter-Verhältnis, in dem es wenig Berührung gab und vor welcher Oma die Enkelin sogar Angst hatte, wenn sie in Genf zu Besuch kam.

Vordergründig und primär geht es um ein Portrait der Mutter, ein Künstlerportrait, eine Künstlerdoku. Aber eben nicht, um Ikonengeschichte zu schreiben, um Verehrungspotential auszuschlachten. Es geht um dieses Persönliche, wer ist dieser Mensch, der so genial Klavier spielt – es gibt ausgiebig Tonbeispiele, Konzertfootage, was allein schon den Klassikfreund erfreuen dürftige – dass sie ständig weltweit auf Konzertreise unterwegs ist oder Schallplatten einspielt. Und die kleine Tochter anfangs immer dabei. Beim Üben lauschte sie unter dem Klavier, bewunderte die großen Füße oder den großen Zeh der Mutter.

Man lernt einen Weltstar ganz privat kennen, die keine Hemmung hat, vor der Kamera privat zu sein, auch wenn sie gerne damit kokettiert, ob die Tochter das alles aufnehmen müsse. Während der Vater, der auch ein bekannter Pianist in London ist, sich effizient dagegen wehrt. Eine Göttin scheint doch anders zu ticken. Kann um so eine Göttin herum eine Tochter noch ein Eigenleben führen? Vielleicht ist dieser Film ein Versuch, sich wenigstens dieses Drehen des eigenen Lebens um das der Mutter herum bewusster zu machen.

Am Schluss sitzt die 70 jährige Mutter mit ihren drei Töchtern von zwei verschiedenen Männern in einem Hain auf einer Decke, die Frauen lackieren sich die Nägel, unterhalten sich ungezwungen über das Zehennägellackieren bis zu existentiellen Fragen. Eine Mutter und ihre drei Töchter. Die erste hat die ersten acht Monate im Heim verbracht hat, weil Konzertpianistin Martha Argerich als Mutter total überfordert war. Dann entführte die Oma das Kind, wodurch die Mama das Sorgerecht verlor. Das Töchterchen ist daraufhin beim Vater, einem Chinesen aufgewachsen; es wollte immer Klavier spielen, aber er hat es ihr verboten. Sie hat mit den Schlümpfen gespielt und Tschaikowsky gehört, ohne zu wissen, dass dieser von ihrer Mutter eingespielt worden ist. Sie hat ein Streichinstrument gelernt. Man sieht die beiden einmal zusammen musizieren.

Die Dokumentaristin meint an einer Stelle, vielleicht wäre sie lieber beim Vater aufgewachsen, der habe ein diszipliniertes Leben, dann hätte sie vielleicht etwas Ordentliches gemacht. Aber man hat es ja nicht nötig in so einer Upper Class. Einen Einblick da hinein bietet so ein Film ebenfalls.

Die Mutter scheint sich nicht gerne an Stundenpläne zu halten, liebt es, ausgiebig in Hotelbetten zu dösen, auszuschlafen, im Bett zu frühstücken. Sie wollte das Kind nicht in die Schule schicken. Sie hält sich die Tochter wie die Erde sich Trabanten hält, so scheint es in manchen Momenten. Ein verzwicktes Verhältnis. Sicher, die Mama muss Genie haben, das ist etwas anderes als das Alltägliche. Aber sie hat auch mit 3 Jahren schon das Klavierüben angefangen, angehalten von den Eltern, von ihrer Mutter. Noch als Teen konnte sie schon ein Stipendium für Gulda in Wien erhalten. Und mit 20 weltberühmt. Dann die Krise. In New York abhängen. Zwei Jahre lang. Dann sich schwängern lassen. Und weil sie mit dem Mann nicht zusammenbleiben wollte, fing sie wieder an zu spielen. Sie wollte immer sie selbst sein. Nie die Tochter von, die Enkelin von etc. Sphinxspiele. Das Lächeln hat sie oft drauf. Sie scheint das Leben locker zu nehmen. Auch wenn von Depressionen erzählt wird. Herrlich auch die Angst vorm Auftritt, ganz faszinierend ist das, dieses Lampenfieber, wie sie am liebsten gar nicht auftreten würde. Und wie die Tochter die Angst übernimmt, wie sie nach dem Konzert erschöpft ist, während die Mutter zehn Jahre jünger ausschaut. Es gibt gravierende Übertragungen, die Mutter hat wohl die Tochter in Krisensituationen auch als seelischen Mülleimer benutzt. Vielleicht eine besonders raffinierte Art, ein Kind an sich zu binden, es vor Selbstständigkeit zu bewahren. Der Film, ein Versuch der Befreiung innerhalb dieses Gefängnisses.

Aber auch eine beschwingte Bio aus einer Gesellschaftsschicht und einem Lebenswandel, die den meisten eher fern sein dürften. Aus einer Upper-Class. Kindheit in diesem Milieu: ein Spielplatz voller Exzentrik und die bei Argerichs ein und aus gingen, eine Antispießerwelt par excellence.

Die Argerich ist eine generell vergnügte Frau. In einem Gespräch mit dem ihr seit 30 Jahren vertrauten Tourmanager gibt sie zu verstehen, dass sie findet, sie reise zu viel, dass sie keine Freunde habe, dass sie traurig sei. Dass etwas wirklich nicht in Ordnung sei. Ein Punkt, an dem man gerne tiefer bohren würde. Dagegen stehen mitten im Konzert schalkhafte Blicke zum Dirigenten oder auch im Gespräch; dass etwas ist, was diese Mutter für die Tochter unnahbar macht; dieses andere, die Kunst, dieses Genie, der Anspruch von Autogrammjägern.

Andererseits, wenn man sie spielen sieht und hört, so könnte man sich direkt für Klassik begeistern. Die Rituale der Mutter bei Abschieden von der Tochter, vor Konzerten, vorm Schlafengehen (Zehen küssen). Die Tochter ist ein Leben lang ihrer Mutter gefolgt (ein Bericht erstattendes alter Ego der Mutter?). Der Widerspruch zwischen Biologie und Kunst an der Tochter ausgebadet?

Die kettenrauchende, bernsteinkettenbehängte Oma aus Argentinien, Juanita. Auch da Mutter-Tochter-Konflikte. Und der enorme Widerspruch zwischen künstlerischem Genie und Selbstverwirklichung und den Ansprüchen einer Familie. Jüdischer Tanz zu jüdischem Tanz auf Leinwand.
Mutter, ich bring dich zum Gähnen, so war es immer. Diese Doku ist bestimmt nicht zum Gähnen.

Der Imker

Der Imker, das ist Ibrahim Gezer, jetzt, am Ende des Filmes wieder Jahrgang 1946 und nicht wie am Anfang dieser beeindruckenden Dokumentation von Mano Khalil, Jahrgang 1952. Das bedeutet für ihn, dass er die AHV beziehen darf, die Schweizer Rente, und dass er nicht mehr als kurdischer Flüchtling, der kaum Deutsch spricht in der Schweiz in einer Behindertenwerkstätte die berühmten Schweizer Kräuterbonbons „Ricola“ verpacken muss, denn in der Schweiz müssen Flüchtlinge und Bezüger von Sozialleistungen arbeiten, so belehrt uns ganz korrekt eine sympathische, aber strenge Mitarbeiterin vom Amt. Solche Szenen wie beim Amt, die sind hier aus dem Leben und aufs Wesentliche reduziert nachinszeniert.

Das mit dem Jahrgang kam so. Die Kurden in der Türkei sind oder waren mindestens bis vor kurzem noch in kämpferische Auseinandersetzungen mit der türkischen Polizei und Armee verwickelt. Die jungen Kurden sollten darum nach kurdischer Denkart vor dem Militär schon einige Kinder in die Welt setzen, da der Dienst oft mit dem Tod endete. Deshalb wurden ihre Jahrgänge gefälscht, sie einige Jahre jünger gemacht, damit sie die Familie vor dem Militärdienst fortpflanzen konnten. Dass es immer noch viele Tote gibt unter den Kurden, das erfahren wir wenn Ibrahim, der in der Nähe von Basel in einer Einzimmerwohnung direkt über eine Musikbar lebt, kurdische Zeitungen, die es inzwischen immerhin geben darf, liest, während der Zigarettenqualm und der Lärm der Musik von der Bar zu ihm hinaufdringen.

Eines Tages wird auch einer seiner Söhne unter den Toten sein. Vorher noch konnte er auf einem Laptop Bilder und Videos von diesem Sohn sehen. Andere Teile der Familie leben in der Schweiz, auch ein Sohn, der verheiratet ist und dessen Sohn Robin ist ein Enkel von Ibrahim.

Nach und nach schlüsselt sich im Film die erschütternde Geschichte von Ibrahim auf. Einiges erzählt er selbst, es gibt auch Aufnahmen aus seiner Heimat. Von dort lassen ihn die Nachbarn und Dorfbewohner grüßen. Er hatte sein Leben gut angefangen. Er liebte immer die Bienen, züchtete sie erfolgreich und war mit manchmal bis zu 500 Bienenvölkern der größte Imker weit und breit mit einem Ertrag von Tonnen von Honig, so dass er eine große Familie gründen, ein Haus bauen, Bäume pflanzen konnte und auch ein Auto sein eigen nannte.

Dann fing die Mobberei gegen die Kurden an. Eines Tages musste er untertauchen, sieben Jahre lebte er im Verborgenen, ein Sohn im Gefängnis, ein anderer ebenfalls abgetaucht, einer schon ins Ausland geflohen. Wie die Familie in der Schweiz war, konnte er ohne große Probleme nachkommen, hat Asyl gefunden. Alles in der Heimat verloren, seine Mutter lebt noch, seine Frau ist gestorben. Aber die Bienen, die sind ihm geblieben, resp. er hat die Imkerei in der Schweiz weitergeführt, betreibt sie noch an verschiedenen Stellen in der Alpen. Und über die Bienen hat er auch freundliche, hilfsbereite Schweizer gefunden. Aber nie hätte er sich denken können, dass das Leben einmal so für ihn verlaufen wird. Dass er allein in einer Einzimmerwohnung in einem kleinen Schweizer Städtchen über einer lauten, qualmigen Bar wohnen würde.

Durch kleine Kameraspielereien zwischen den Szenen, während einer Bahnfahrt oder während einer Postautofahrt zu seinem Bienenvölkern, erhebt Mano Khalil die Dokumentation in den Rang einer Geschichte, die er gegen den Schluss hin mit Schweizer Folklore, Fasching, Alpabzug und kurdischer Hochzeits- und Abdankungskultur rund zu kriegen versucht, was eigentlich nicht rund zu kriegen ist. Dadurch kommt jedoch dieser Film nur umso mehr als ein wie mit der Feder gezeichnetes Portrait zur Geltung, Portrait eines vom Schicksal geschlagenen Menschen – vor der Folie der türkischen Kurden-Politik und der Schweizer Asylpolitik.

Der Film wirkt weniger durch ambitionierte Brillanz von Schnitt und Kamera; er wirkt dadurch, dass sein Interesse konstant auf Ibrahim fokussiert ist, ihn oft machen und reden lässt, ohne ihn durch die Arbeit des Dokumentaristen zu Dingen zu verleiten, die er vielleicht so gar nicht tun oder sagen würde.

Le Week-End

Roger Michell lässt nach einem Drehbuch von Hanif Kureishi das Ehepaar Burrows, Jim Broadbent als Nick und Lindsay Duncan als Meg, ein Wochenende in Paris verbringen. Sie leben in Birmingham, sind seit dreißig Jahren verheiratet, haben einen Sohn, der nicht so ganz geraten ist. Nick ist eben wegen einer anzüglichen Bemerkung gegenüber einer Studentin (wenn sie so viel Zeit auf ihr Studium verbringen würde wie für ihre Haarpflege…) von dieser beim Dekan angezeigt und daraufhin von diesem in Frühpension geschickt worden. Diese Neuigkeit eröffnet er Meg erst in Paris, nachdem sie die Erschütterungen des Eurostars mehr oder minder angerempelt überstanden, in Paris in der ersten Absteige, jener von vor dreißig Jahren, nicht zufrieden waren, beige noch dazu das Zimmer, und in ein sündteures Luxushotel umgezogen sind.

Wobei Nick der Sparsamere ist, während Meg schnell auf den Luxustrip abfährt, den Kühlschrank ausräumt. Schließlich wird auf der Terrasse, von der man wunderbar den nächtlichen Eifelturm sieht, doch mit Schampus angestossen. Nick wird sich selber später als der absolut treue Ehemann darstellen, der nur Meg liebt. Wobei das so eine Sache ist, ihre Vagina ist für ihn seit Jahren ein verschlossenes Buch und sie spöttelt über das halberigierte Würstchen.

Nick sieht sich als linker Anarchist und Wahrheitsfanatiker; dazu passt sein stechender Blick. Er wird bei diesem Trip angetörnt durch Paris, die Erinnerungen nicht nur an die Liebe sondern auch an Beckett und die ganze Kultur wieder rallig, anlehnungsbedürftig und sogar mit einem Mut zum Pferdestehlen bestückt, nachdem die beiden in einem Austernlokal über ihre Verhältnisse getafelt und sich in Zechprellerei geübt haben, eine richtig schöne Kinderstreichszene, nach welcher sie sich halb in der Gosse innig küssen. Just in diesem Moment werden sie angesprochen. Ein früherer Kommilitone von Nick, Jeff Goldblum als Morgan, erkennt die beiden, lädt sie ein zu einer Buchparty am folgenden Abend in seinem schicken Domizil in der Rue de Rivoli mit seiner um Jahrzehnte jüngeren, schwangeren Frau.

Jeff plustert sich Nick gegenüber auf, mit welch halbseidenem, schwatzhaftem Zeugs er als Autor Erfolg habe, dass ihm aber die Konsequenz, die Nicht-Kompromittierbarkeit von Nick immer imponiert habe.

Diese Einladung mit lauter erfolgreichen Intellektuellen (Autoren, Verleger, Wirtschafts-Redakteur von Le Monde, Proust-Experte) und viel Geschwätz, endet in einem Eklat, auf den der Rauswurf aus dem Nobelhotel nur noch das Tüpfelchen auf dem i darstellt. Dann kriegen Michell und Hanif-Kureishi mit einer Musicboxszene in einer Nebengassenbar elegant die Kurve zu diesem Week-End, das sich in der Schreibweise im Film-Titel leicht unterscheidet von dem Weekend von Godard und welchem auch der bestimmte Artikel vorangestellt ist.

Es sind ja auch einige Jahre her. A la recherche du Kinogeist von Godard könnte der Film vielleicht heißen oder was ist von der Nouvelle Vague übrig geblieben (außer einer verschlossenen Vagina)? Die Bilanz, die die Filmemacher ziehen, ist unsentimental, ernüchternd auch, die einen haben Erfolg und leben diesem, der andere, Nick, sieht sich als Loser und klebt fest daran; klebt an seinen Idealen, die ihn geprägt haben; klebt im Luxushotel die Wände mit Bildern von Beckett und jener Zeit voll (l’art á part), was ihm später als Sachbeschädigung noch in die eh irrsinnig hohe Rechnung gestellt wird. Dieser Rückblick ist jedoch nicht ohne Humor.

Wenn Nick bei einem Spaziergang umfällt und über sein Knie jammert, so lacht ein wunderschöner Graffiti-Fisch von einer Wand herab. Wenn er die Ringtauschzeremonie mit dem Ring zum Öffnen einer Dose wiederholt, so wird das später blutige Folgen haben. Und so ganz stimmt sein Selbstbild nicht, wie Meg bei der Intellektuellen-Party, die in peinlich-kleinlautem Schweigen enden wird, bekannt gibt. Man könnte fast sagen: fassungslos vor Godard. Hat diese Zeit etwas gebracht? Ist etwas übrig geblieben von jener Hoffnung, von jenem Schwung? Wie kann eine Jugend alt werden, die einmal idealistisch war? Vielleicht wirkt es so, als sei Godards Atem allmählich ausgehaucht, so ziemlich spurlos ausgehaucht. Heute noch unterhaltsame Anderthalb-Kinostunden wert, mit ausgezeichneten Schauspielern, fantastisch geführt nach einem ausgeklügelten Drehbuch und einer einzigartigen Parisfotografie, die die Infrastruktur eines Luxushotelbetriebes nicht ausspart. Kann die Nouvelle Vague alt geworden sein? Konnte die Nouvelle Vague so altern? Sind wir so bescheiden geworden?

Kino als präziser Spiegel, als Diagnose einer Fort- gar Rückentwicklung einer intellektuell-künstlerischen Hoffnung? Eine Erinnerungsstunde, eine Bestandsaufnahme, eine Bilanzstunde.

Oder Formulierung der Sehnsucht, der Recherche nach jener Freiheit und Sorglosigkeit aus der Zeit der Nouvelle Vague – und keiner, der heute noch Ideen von damals verfolgt. Was waren denn diese Ideen? Warum haben die damals so geblendet? Warum sind sie heute bestenfalls noch vergnüglich inspirierende Reminiszenz?

Mandela – Der lange Weg zur Freiheit

„Mehr als eine Legende“ wird der Titel von der Produktion apostrophiert; Legendenbildung als großes Gefühlsbad mit stark vereinfachten, stark reduzierten biographischen Ingredienzien aus dem Leben Nelson Mandelas und mit einer klaren Message: Gewalt ist kein geeignetes Mittel für Politik.

Andererseits übte gerade die Gewalt im Leben von Mandela eine wichtige Funktion aus. Denn erst nachdem der ANC zur Gewaltanwendung gegen den repressiven Apartheid-Staat aufgerufen hat mit fürchterlichen Massakern als Folge, wurde Mandela ins Gefängnis gesteckt, war jahrelang auf der Gefängnisinsel Robben Island eingesperrt; erst diese Gefangenschaft hat ihm den weltweiten Heldenstatus geschaffen, hat mit die weltweite Anprangerung und Ächtung des Apartheid-Regimes zur Folge gehabt, was wiederum Voraussetzung für ein Nachgeben der weißen Regierung war und freie Wahlen zur Folge hatte.

Wobei eine weitere Voraussetzung dafür das scheinbar privatistische Motto des Filmes ist, nämlich die Initiation Madibas, wie er verkürzt gerne genannt wird, in die Erwachsenenwelt in der Savanne draußen: mit dem Auftrag ein Mann zu werden. Was es heißt ein Mann zu sein, das schildert dieser Film von Justin Chadwick nach einem Drehbuch von William Nicholson eindrücklich anhand der Mandela-Figur, dargestellt von Idris Elba, das lebt er beispielhaft vor: ein gut aussehender Mann, bullig, mit großer physischer Präsenz, der Frauen nicht unbedingt widerstehen kann, was zu einem ernsten Zerwürfnis mit seiner ersten Ehefrau führt. Aber bald schon findet sich Winnie Madizikela an seiner Seite, die während seiner Gefangenschaft nicht weniger allein ist als er; die aber keine Solidarität in dem Sinne mit ihm pflegt, dass sie, wie er im Gefängnis auf Frauen verzichten musste, auf Männer verzichtet hätte; sie führt im Glanze ihres Heldengatten ihr eigenes Leben und nach seiner Freilassung wollte sie weiter der Gewalt das Wort reden; hier zeigt sich wieder eine ganz starke, männliche Tugend von Mandela: die Erkenntnis, dass Gewalt keinen Frieden bringt, Verzeihen zu können, was wiederum nicht nach aller ANC-Mitglieder Gusto gewesen ist. Diese unterschiedliche Haltung politischen Perspektiven gegenüber führte zur Trennung von Winnie.

Der Film ist auch ein Kurzabriss, die 152 Minuten vergehen wie im Fluge, der politischen Entwicklungen in Südafrika zwischen 1942 und 1994, der Weg von der Apartheid zur Demokratie, der Weg des ANC von der Gewaltfreiheit über die Anwendung von Gewalt bis zur erneuten Ablehnung der Gewalt.

Nach seinem kürzlichen Tod sicher eine ansprechende und sinnige Gedenkveranstaltung.

Le Passé – Das Vergangene

Die Vergangenheit kann sich leicht zu einem Gestrüpp auswachsen, in dem man sich besser ruhig und besonnen verhält und über das allzu gerne ein Schleier wächst, wie hier in diesem Film von Asghar Farhadi, für dessen Drehbuchadaption Massoumeh Lahidji steht. Dieser Schleier wird sichtbar an den vielen Plastikfolien, die Kleider (Reinigungsgeschäft) oder Möbel (wegen Malerarbeiten in der Wohnung der Protagonistin Marie Brisson (Bérénice Bejo) zudecken oder an Glasscheiben, in denen sich Blätterwerk und Licht oder auch nur schön verteilter Schmutz spiegeln oder Glasscheiben, die sich zwischen Begegnungen schieben, zwischen Marie und ihren getrennt lebenden Ehemann Ahmad (Ali Mosaffa), wenn er aus Teheran kommend im Flughafen Charles De Gaulle auf die Gepäckausgabe wartet, so findet die averbal gestische Kommunikation zwischen den beiden durch die Glasscheiben statt oder wenn später ihr jetziger Lebensabschnittsgefährte Samir (Tahar Rahim) sich mit ihr vor der Drogerie, in der sie arbeitet, unterhält und die automatische Glastür, die zwischen dem Zuschauer und der Begegnung ist, sich automatisch öffnet und schließt, wenn ein Passant auch nur vorbeieilt.

Um die Vergangenheit nicht allzu lebendig werden zu lassen, empfiehlt sich generell ein Duktus gedämpfter Sprache, in dem allerdings gelegentlich lautstarke Auseinandersetzungen wirken wie der Stein, der auf eine glatte Wasseroberfläche geworfen wird. Diese Auseinandersetzungen finden statt, wenn das Böse im Menschen allzu deutlich an den Tag tritt, die Lüge oder das Verheimlichen oder das Ausspionieren von Beziehungen oder gar die Unentschiedenheit und Unzuverlässigkeit, wie sie charakteristisch für Ahmad sind; bei dem man sich doch wundert, was er so alles mit sich machen lässt.

Ahmad kommt nach Paris zurück, damit die Scheidung von Marie endlich über die Bühne gehen kann. Er hat damit gerechnet, in einem Hotel untergebracht zu werden, akzeptiert aber ohne Murren, dass er in Maries kleinem Häuschen absteigen und außerdem das Zimmer mit dem Buben Fouad von Samir teilen muss. Denn der Bub ist bei ihm und mit ihm zu Marie gezogen, weil Samirs Frau nach einem Selbstmordversuch im Spital im Koma liegt; und zwar wiederum, weil Menschen böse sind und im Liebes-Mailverkehr zwischen Samir und Marie hineinspioniert haben, zum Beispiel die halbwüchsige Tochter Lucie von Marie, und diese Erkenntnisse in Umlauf setzten oder weil die Angestellte in der Reinigung, die Samir mit seiner Frau betreibt, keine Papiere hat und deswegen von der Chefin schikaniert wird und Naima deswegen bei einem wichtigen Anruf so tut als sei sie die Chefin und somit weiteres Unglück in die Welt setzt.

Kinder müssen sich, auch das lernen wir in diesem Film, für Böses, für schlechte Taten noch entschuldigen, so wie Fouad, der im viel zu spät nachgelieferten und leicht zerdepperten und geöffneten Koffer von Ahmad gewühlt hat auf der Suche nach dem Geschenk. Während die Erwachsenen also von den Kindern eine Entschuldigung in solchen Fällen verlangen, ist das bei ihnen längst nicht so selbstverständlich.

Vielleicht könnte man diesen Film von Asghar Farhadi als einen weiteren Versuch sehen, eine Art Familienaufstellung filmisch zu bewältigen, ein Brevier des Moralischen wie Unmoralischen in den heutigen, oft gebrochenen und immer wieder sich verändernden Familien. Und da das nur über den Beibezug zur Vergangenheit geht und diese nur sehr behutsam angefasst werden soll, so dauert der Film denn gut und gerne 130 Minuten in seiner breiten, unaufgeregt ausführlichen Erzählweise in ruhigem Lauf, die mir gelegentlich vorkommt, wie ein Aufzeigen mit Bedacht, wie für die Schultafel entwickelt, in prägnanter Deutlichkeit, die gerade durch teilweise Verschwommenheit in Bild als solche besonders auffällig wird.

Die aktuelle weltpolitische Öffnung gegen Iran mag eine pikante und unerwartete Fußnote zu diesem Film sein.

Die Arbeitsplätze Apotheke von Marie und Reinigungsgeschäft von Sami und seiner Frau sind im weiteren Sinne im Bereich der Hygiene anzusiedeln. Um Reinheit kann es nur gehen, wenn die Unreinheit formuliert wird. Dossierfilm. Das Famliendossier von Marie, ihren Kindern und Männern und einer Frau im Koma. Oder auch: Dossier um einen misslungenen Selbstmord.

Für den Titel spricht die letzte Szene, die sich dieser Frau im Koma zuwendet – und sich offenbar nicht recht entscheiden kann: Krokodilsträne, Kratzen oder leichter Druck in die Hand des Gatten? Gegen Letzteres sprich, dass nachdem die Kamera vom Gesicht und der Träne der stummen Protagonistin, um die herum, wie um einen Hohlraum das Dossier ausgebreitet wird, in einem ganz langsamen, ganz bedeutungsvollen Schwenk auf die Hände der Liegenden hinunter gleitet und Samir auf den Druck diese Hand wartet, der Regisseur bereits den Abspann links im Bild einzublenden anfängt, somit des Zuschauers Aufmerksamkeit ganz gemein von der alles entscheidenden (?) Pointe ablenkt. Ein Schlussszene, über die gewiss diskutiert werden kann, die vielleicht die Schlüsselszene bildet. Beziehungstheologie: immer macht der Mensch Böses.

Kill Your Darlings – Junge Wilde

Ein Film, der, obwohl er im Dichtermilieu der aufkommenden Beatgeneration 1943/44 in New York spielt, eher unter der Rubrik „Unfälle und Verbrechen“ zu subsumieren wäre.

John Krokidas, der mit Austin Bunn auch das Drehbuch geschrieben hat, konzentriert sich auf die Geschichte um die Ermordung von David Kammerer durch Lucien Carr, der sich von jenem gestalkt (wie man heute sagen würde) fühlte und auf Allen Ginsberg, der die Geschichte, im Sinne einer Verteidigungsschrift für Lucien aufgeschrieben hat. Und obwohl Dichterworte in den Film einfließen (über den Zirkel von Yates) ließe sich die Substanz des Filmes problemlos in einem Kurzfilm erzählen, denn Krokidas hat sich nicht für die komplexe Variante der Erforschung der Konfliktsituation einer Hauptfigur entschieden, deren Ausfaltung über eine Spielfilmlänge tragen würde; er hat den Stoff wie eine Sammlung und Illustration von Schlagzeilen zusammengetragen.

Von der Performance her lässt er die Schauspieler staatstheaterlich agieren und sprechen, großes Theater in Nahaufnahme, gedehnte Vokale lang tönende Konsonanten („this remains with us“, die Schulleitung zum Manuskript) verlängern so die Aufführungszeit.

Daniel Radcliffe ist als Allen Ginsberg die erste Figur, die wir kennen lernen. Er erfährt zuhause, Vater Dichter, Mutter psychisch gestört, dass er an der Columbia University aufgenommen ist. Dieses unbeschriebene Blatt von Student spielt er überzeugend. Aber dass er am Ende des Filmes die Wandlung zum Dichter durchgemacht haben soll, das nimmt man ihm leider dann nicht mehr ab – da wirkt er eher wie ein Rückfall in seiner Zauberlehrlingszeit.

An der Uni lernt er Lucien Carr, Jack Kerouac, William Burroughs kennen. Sie wollen mit einer neuen Vision eine neue Dichtung schaffen. Die Literatur revolutionieren, nicht mehr in festgeschriebener Metrik und in Reimen schreiben. Sie wollen leben, die Wiedergeburt nach Yeates erleben, das Gesetz brechen und die Welt in Feuer setzen, nächtens in das Heiligtum der Bibliothek einbrechen und erotische Literatur hervorkramen, sie wollen trinken und Drogen wie Pervitin konsumieren. Sie wollen mit den Mädels in der Bibliothek anbandeln. Sie stehen mit den Autoritäten der Uni auf Kriegsfuß und auch mit der Polizei (wenn man nächtens ein Boot klaut wie Allen, um mit den Freunden zu rudern). Sie verehren Henry Miller (so lernen wir Lucien kennen) und auch die homoerotischen und homosexuellen Geschichten nehmen Fahrt auf.

Nach einer halben Filmstunde gibt es den ersten innigen Kuss zwischen Lucien, der zwar gerade mit Jack zusammen ist und von David immer noch verfolgt wird, und Allen. Und wie Luc im Gefängnis ist, nimmt Allen zum ersten Mal einen unbekannten Typen, der allerdings eine gewisse Ähnlichkeit mit Luc hat, mit zu sich aufs Zimmer; da geht es dann nach einem filmisch merkwürdig aufgelösten Vorspiel auch kurz nackt zur Sache.

Der Film erinnert mich an Beipackzettel von Kindersüßigkeiten, die mit kleinen Geschichten bebildert sind. So eine Geschichte könnte das sein. Aber immerhin keine Kindergeschichte sondern etwas Info über den frühen Beginn der Beat-Generation noch zur Zeit des ausklingenden Zweiten Weltkrieges.

Anchorman 2: The Legend Continues

Mein Anknüpfungspunkt an diese souverän amerikanische, mediensatirische Comedy ist merkwürdigerweise die Szene, in der die Titelfigur, der Anchorman Ron Burgundy gespielt von Will Ferrell, nach dem Rausschmiss als Nachrichtensprecher aus dem Sender WBC (nach dreißig Jahren Job!) als Moderator im Vergnügungspark „Sea World“ in San Diego (man achte auf die Aussprache, wie Dia-a-go mit tiefem A) arbeitet. Zu diesen aus Tierschutzgründen fragwürdigen Unterhaltungseinrichtungen gab es zuletzt den Dokumentarfilm „Blackfish“ von Gabriela Cowperthwaite. Der hat auf einen aktuellen Missstand im Unterhaltungsgewerbe und den profitgierbedingten, elendiglichen Umgang mit den Orcas aufmerksam gemacht. Dass das hier nicht weiter thematisiert, sondern als fixe Wahrheit ohne Relativierung oder Apostroph eingebaut wird, zeigt mir, dass die geistige Position des Filmes wohl auch in jener Zeit zu suchen ist; verstärkt meinen Eindruck, dass hier mal wieder verwechselt wird, einen Film aus einer bestimmten Zeit, den späten 70ern und frühen 80ern zu machen, wie für ein Publikum von damals statt für eines von heute. Hübsches Museum eben.

Dieser aktuelle Punkt im vorliegenden Film, zu dem Will Ferrell und Adam McKay das Buch geschrieben haben und letzterer auch die Regie geführt, hat mir allerdings auch das Gefühl vermittelt der Filme komme direkt aus jener Zeit oder beame mich zurück und kritisiere die Zustände jener Zeit (in Deutschland ist da gerade das Privatfernsehen aufgekommen), sei aber für die heutige Lage der Diskussion, zumindest in Deutschland, weder ergiebig noch erhellend. Hier ist die Diskussion weiter. Denn es gibt sie längst, die Diskussion über die Medien, es gibt sie immer wieder, die Quotensucht und auch die Suche nach einer neuen Begründung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der doch auch nur auf die Quote schielt, kommt dank dem neuen, wenig durchdachten Gebührenmodell erst so richtig in Fahrt. Oder aktuell in die Diskussion gespült: wie die Deutsche Bank mit Hilfe von Bundeskanzler Schröder versucht hatte, das Medienunternehmen von Kirch zu zerschlagen, um eine Übernahme durch Murdoch zu verhindern. Murdoch und die Angst vor ihm kommen vor in diesem Film als jener Australier, der rücksichtslos nur ans Geschäft denkt mit dem Sender GNN, der 24 Stunden lang News sendet, der primär die Gefühle der Zuschauer ansprechen will, auch die Ressentiments oder die amerikanischen Nationalgefühle, um damit Quote und Geschäft zu machen. Diese Medieneigenschaft ist uns zur Genüge bekannt und bewusst und oft auch diskutiert. Was allerdings die Qualität des Filmes in keiner Weise mindert.

Prägnanz verleiht diesem Film eine in eine bestimmte Richtung hochgeschraubte Spielweise, die das Überrissene liebt, das Überprononcierte, das Ausgestellte, das gezielt politisch Unkorrekte (extremstes Beispiel die erste Begegnung von Ron mit seiner neuen Chefin, die eine Schwarze ist und er sagt nur noch, einmal nach dem anderen: „black“, und wenn es sich ermüdet, dann wird erst recht noch eins drauf gesetzt: Satiremechanismus der guten, alten Art.

Der Film ist auch insofern reell gebaut, als der Protagonist ziemlich konterkarierende Erfahrungen macht mit enttäuschten Hoffnungen genau so leben muss wie mit dem Hype und mit den Folgen eines Attentats bei einer schönen Eislauf-Show-Szene, mit der Erblindung, dann wieder Heilung und auch Heilung der auseinandergebrochenen Familie mit einem Count-Down im Park mit lauter feindlichen Gruppierungen; hier wird bemüht wie bei einem Workshop die Vielfalt der Medien als gegnerische Kampfgruppen dargestellt, wirkt etwas naiv. Es obsiegt, somit bleibt die Kirche im Dorf, der brave amerikanische Held, der die Lüge in den Medien nicht mehr mitmacht und dadurch zum Überhelden wird. Auch die Hoffnung, auf solch lautere Helden kommt mir irgendwie démodé vor. So kann eine Hochzeit zwischen einem linkisch-übertriebenen Liebespaar am Meer den Ausgang weisen.

Der Film „Blackfish“ hat Bewusstsein geschärft, dieser „Anchorman 2“ reißt keine neuen Bewusstseinsdimensionen auf, ist eher historisch unkorrekt-korrekt zu nennen.

Disconnect

In fugendichter Fernsehmanier hat hier Henry Alex Rubin mehrere Geschichten um Internetbekanntschaften (und wie gefährlich die sind, Moral, Moral!) nach einem Drehbuch von Andrew Stern ineinandergetuckert.

Zwei Schlingel in den ersten Erschütterungen der Pubertät verarschen einen einzelgängerischen Mitschüler über einen Chat, bringen ihn dazu, ihnen ein Nacktfoto von sich mit dem Schriftzug „Sexdiener“ auf dem Oberschenkel zu schicken. Die Schlingel stellen das Bild ins Netz. Der Junge will sich erhängen. Am Schluss des Filmes liegt er in einem Koma.

Der Vater des einen Jungen ist Privatdetektiv. Er kommt hinter die Schliche seines Sohnes und will die Daten löschen. Dieser Vater wird von einem Paar angeheuert, dessen Kreditkartendaten über Internetbekanntschaften und -spiele gehackt wurden und die am Rande des Ruins stehen. Derek, so heißt der Mann, will Selbstjustiz üben, obwohl der Detektiv ihn informiert hat, dass der gute Chatpartner seiner Frau vollkommen unschuldig ist und selbst Opfer von Hackern geworden ist. Aber Derek konnte inzwischen auch den ganzen Chat seiner Frau mit dem Unbekannten nachlesen, wo sie über ihre unerfüllte Beziehung zu ihm alles raus lässt.

Ein hübscher Boy zieht sich fürs Internet gegen Geld aus. Eine Journalistin möchte über ihn berichten und darf das nach redaktionsinternen Kämpfen auch, ja sie macht mit dem Bericht sogar einen Karrieresprung. Aber mit dem zugesicherten Schutz der Anonymität für den Jungen ist es so eine Sache. Die Behörden möchten dahinter kommen, in welchem Haus mit welchen Leuten er lebt, die alle dieses Geschäft betreiben und vermuten Gesetzeswidrigkeiten. Aber keine Angst. Der Film ist amerikanisch. Viel erotisch Antörnendes zu sehen gibt es nicht. Es wurde mit solidem Schauspielerstandard besetzt und im Film geht es sowieso nicht um die Lust, sondern um die Moral und die Gefahren des sich Einlassens mit Unbekannten, von denen man nicht weiß, wer dahinter steckt. Das scheint generell der Tenor solcher Internetchatfilme zu sein.

Außerdem bekommt die Ramada-Hotelkette eine nette Werbung und auch das Royal-Regency-Hotel. Der Deckname Rhony könnte eine Umschichtung des Wortes „horny“ sein, eine Eigenschaft, die beim Zuschauer dieses Filmes garantiert nicht zur Geltung kommen wird. Zum großen Countdown der verschiedenen Geschichten legt der Film dann merklich an Tempo und Lautstärke zu, um über eine Vollbremsung zur Zeitlupe versöhnliche Gruppenbilder von emotional gerührten Menschen, die sich umarmen, zu arrangieren.

47 Ronin

Diese Lektion über Ehre und Treue in der japanischen Kultur anhand einer Verfilmung kommt mehr doziert denn mit geschicktem, filmischen Spannungsbogen daher. Immerhin wird die Geschichte erzählt. Die Geschichte vom Halbblut Kai (Keanu Reeves), der kein Samurai sein kann und durch seine Heldentaten zum Samurai wird, mit allen Konsequenzen, die hier nicht ausgeplaudert werden sollen.

Für gewisse Heldentaten ist Kai prädestiniert, denn er ist in ein Waisenkind und in einem Dorf aufgewachsen, wurde aber von den Tengu, das sind übernatürliche Wesen, in den Wäldern trainiert. Dieser Hintergrund macht ihn attraktiv für eine Gruppe von Samurai, die ihren Samurai-Status verloren haben. Sie werden Ronin genannt. Ihr Anführer Asano hat einen Kampf gegen Kira verloren. Dieser hatte seinen Sieg allerdings unlauteren Mitteln zu verdanken. Aus diesem Grund entscheidet sich Asano für Rache, obwohl diese gegen den Ehrenkodex der Samurai ist. Außerdem ist Kai in die Tochter von Asano verliebt ist und ausgerechnet Kira will sie heiraten. Das unlautere Mittel, dessen sich Kira beim Kampf bedient hat, war eine Hexe.

Mit der Hexe kommen wir zum schönsten bildnerischen Punkt der Inszenierung. Diese Hexe, die sich unter die Konkubinen geschlichen hat, kann sich verwandeln. Sie wird zu einem Stück feinen Tuchs, das sich wie ein Schlange durch die Räume bewegt. Dabei entwickelt sie gelegentlich einen Faltenwurf, der an den grandiosen Faltenwurf bei Gewändern auf Altarbildern von Matthias Grünewald erinnert. Da flutscht ein Geheimnis, ein ästhetisches, durch das Bild, durch eine Aufführung, die pathetisch gestaltet ist, opernhaft manchmal, in überflüssigem, billigem 3d-, oft Stehparty und Textaustausch oder vieles voiceover erklärt; was in der deutschen Synchronisation noch lehrhafter gedroschen rüberkommt.

Dies ist sicher eine Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen. Was mir jedoch fehlt, das ist eine geistig-ästhetische Haltung, die mir erzählt, warum Carl Rinsch nach dem Drehbuch von Christ Morgan und Hossein Amini, ausgerechnet diese alte japanische Legende erzählen will. Im Vergleich zu vielen anderen japanischen Filmen von Kato Tai bis Kurosawa kommt mir dieser Film als Produkt doch sehr beliebig und teils auch billig gemacht vor, mit ungeschmeidigem Schnitt, wenig Liebe zum Licht, mit Aufmotzmusik, auch die Computeranimationen wirken nicht besonders inspiriert, hohles Rezitationskino, schweres Aufwandkino mit mangelnder Koordination zwischen den einzelnen Gewerken. Kein runder Wurf.

Eindrückliche Momente sind zwar immer wieder da. Es gibt viele Bilder von bekannten Stars, deren Gesichter dank der Statik mancher Szenen durchaus gut und markant und als Persönlichkeiten rüberkommen. Aber ein bisschen wirken sie, wie aus dem Zusammenhang gerissen. Jedes Department scheint für sich gewerkelt zu haben. Die Linke wusste nicht was, die Rechte tat. Und Keanu Reeves mit Jesusbart, hm? Der Film kommt mir vor, wie ein Kuchen, der zwar alle Zutaten hat, aber irgendwie muss das Backpulver verhext gewesen sein, hat sich aufgelöst und konnte so nicht aufgehen. So ist der Text: wir machen hier einen Film, lauter als der Text der Geschichte selber.