Tatort: Allmächtig (TV, ARD, BR)

Dieser Tatort ist grober Unfug auf Gebührenzahlerkosten und pinkelt dem eigenen Sender ans Bein, dem BR (Intendant Ulrich Wilhelm), mit einen Plot, der davon ausgeht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Auftrag nicht erfüllt. Kein reeller Kaufmann würde dafür 1,3 bis 1,5 Millionen Euro hinlegen. Denn der Skandal, der dem Fall zugrunde liegt, geht von einer dysfunktionalen Öffentlichkeit aus und ist so groß, dass auf ihn der Slogan der Abendschau angewandt werden müsste: „Wenn’s so wäre, wüssten Sie’s aus der Abendschau“. Die in diesem Tatort postulierte Öffentlichkeit, weiß es aber nicht. Wenn der Skandal so groß wäre, wie in diesem Fall angenommen („bei der Motivlage kommt da halb München in Frage“), und die Öffentlichkeit jenseits des Internets hätte davon nichts mitgekriegt, dann hätte diese Öffentlichkeit ein Problem. Und dann müsste diese kritisiert werden. Der Fall geht von einer Öffentlichkeit aus, der der reihenweise Ruin ehrbarer, gestandener Mitbürger (u.a. ein gut eingeführtes Fischrestaurant am Viktualienmarkt, eine angesehene Finanzbeamtin) durch ein perfides Internetstartup-Unternehmen (AAA), das mit wachsendem Erfolg ehrenrührige, denunziatorische Mobbing-Clips im Internet verbreitet, verborgen bleibt oder die den Skandal verschweigt. Falls die Öffentlichkeit der Medien jenseits des Internets in München noch funktioniert, so entzieht das diesem Tatort allerdings den Boden unter den Füßen, und er darf gewiss als grober Unfug bezeichnet werden. Denn die Öffentlichkeit, von der hier die Rede ist, ist ein demokratischer Grundpfeiler, und wenn der nicht mehr funktioniert, dann haben wir ein Problem mit der Demokratie. Dieser Tatort setzt just dies voraus. Die verfasste Öffentlichkeit tritt erst mit den beiden Kommissaren auf den Plan, erst nach dem Verschwinden einer Person. An zwei Stellen fragen die Kommissare dann immerhin wegen Schadenersatzklage und Anzeige, vermutlich um den Vorwurf des Unfugs im Drehbuch vorbeugend zu heilen.

Um den haarsträubenden Plot zu übertünchen, wurde nun viel zähe TV-Handwerkerei-Paste mit prononcierter Kinosehnsucht, Kameraspielereien, einer Fülle an Ausstattung mit liebevollen Details, einer sanften, angenehm zurückhaltenden und nicht unnötig dramatisierenden Musik drüber gestrichen; aber gegen die Unglaubwürdigkeit der Rollen helfen auch keine noch so hübschen, noch so TV-beflissenen Darsteller.

Plot-Rekapitulationsversuch. Ein aggressives Internetstartup-Unternehmen, „AAA“, generiert im Internet mit perfiden Kameraüberfällen auf ahnungslose Opfer („gehen einfach rein und filmen“) zur Herstellung von Mobbing- und Denunziations-Clips (das „k“ von „kein Nazi“ wird einfach weggeschnitten) über 170’000 Klicks pro Clip, mit der Provokation von Hass (Hassmails) und Häme (Sarah Nazibraut), ruiniert damit reihenweise Existenzen, wird aber von der verfassten und medialen Öffentlichkeit nicht wahrgenommen und hat jetzt eben eine Siegesfeier hinter sich, denn das „richtige“ Fernsehen ist interessiert (BR?, ARD? Interessieren die sich für Clips, die ihre eigenen Kommissare als „Dreck“ bezeichnen müssen?). Das ist eine „Riesenchance“, wie die Mitgesellschafterin Lohmiller dem Kommissar gegenüber versonnen meint (ihr kümmernder Ton bei diesem Begriff steht in merkwürdigem Gegensatz zum Erfolg, den die großzügigen Studioräumlichkeiten (wie sich später zeigen wird allerdings ohne Sprinkleranlage, ein Schwarzbau?) und das luxuriöse Loft von AAA, dem Namen und Gesicht des Unternehmens, über den Dächern von München vorgeben; was brauchen die noch händeringend eine „Chance“, wenn es ihnen schon so gut geht?). Allerdings war AAA bei der Siegesfeier unentschuldigt ferngeblieben, ein Fakt, der die Firma hätte alarmieren müssen, es aber offenbar nicht getan hat, die Feier scheint, als ob nichts gewesen wäre, ohne ihn stattgefunden zu haben.

Der nicht ganz keusche, katholische Pfarrer Fruhmann aus Schwabing ist eines der Opfer von AAA („noch ein Braten im Ofen?“). Dafür wurde er von der Kirche nach Obertaufkirchen strafversetzt. Er gründet eine Selbsthilfe-Gruppe der Opfer von AAA. Dies sind u.a. eine Finanzbeamtin, die ihren Job verliert und zur Messi wird, ein Nazi-Aussteiger, der andauernd neu untertauchen muss, ein Restaurant-Betreiber, der den Abstieg zum Wurstbudenbetreiber verkraften muss und der Pfarrer selbst, der von Schwabing nach Obertaufkirchen gemaßregelt wurde. Offenbar hat aber keines der Opfer Vertrauen in den Rechtsstaat oder in die Medien außerhalb des Internets, auch nicht in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, noch in eine der Münchner Tageszeitungen und alarmiert diese oder erstattet Anzeige. Keiner traut sich, dem Treiben von AAA juristisch zu begegnen, keiner traut sich, die Presse oder Medien zu informieren – trotz enormem Ausmaß des Skandals: keine Öffentlichkeit.

Diese Grundlegung des Falles, die zu den Todesfällen führen wird, die dann wenigstens die verfasste Öffentlichkeit in den Personen der beiden Kommissare auf den Plan ruft, ist schlicht nicht nachvollziehbar, ist haarsträubend und ohne jeden realen gesellschaftlichen Hintergrund; der Film muss also woanders spielen; garantiert nicht in München, wohl kaum in Deutschland. Diese Konstruktion ist, das darf man wohl mit Fug und Recht behaupten, hirnrissig bis grober Unfug zu nennen; um so mehr, als die Opfer nicht so dargestellt werden, als sie von der Wirksamkeit von Medienöffentlichkeit keinerlei Ahnung hätten; das muss ja eine sehr dumme Spezies von Mensch sein, die offenbar nur im Internet lebt, welches hier so stark ist, dass es solche Opfer zustande bringen kann.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Begründung des Pfarrers für den Verzicht auf die Beiziehung der medialen und verfassten Öffentlichkeit mit Hinweis auf Mandelas Politik der Vergebung so, dass sich die katholische Kirche nur wundern dürfte, was für strohdumme Pfarrer das Fernsehen erfindet und engagiert, die den Mandela so bescheuert interpretieren. Nun ist allerdings sein Anwärter auf das Priesteramt, den der Pfarrer auch in die Kunst des Exorzismus einführt, etwas übereifrig. Es geht einiges schief, was dann doch den Rechtsstaat in Form der beiden langjährigen Kommissare mit ihrem werbewirksam inszenierten BMW (mal nachfragen, was die PR-Verabredungen zwischen BR und der Automobilfirma sind; wie weit das Sponsoring auf die Inszenierung des Wagens und damit des Filmes Einfluss nimmt) auf den Plan.

Ein haarsträubender Plot, der in einer offenbar von der verfassten Öffentlichkeit, juristisch wie medial abgeschotteten, gesetzlosen Internetwildnis spielt, jenseits aller anderen Medien-Öffentlichkeit und an dem gleich drei Autoren mitgekocht haben: Harald Göckeritz, Gerlinde Wolf, Edward Berger – für diesen schwach durchdachten Mist, der noch seinen Auftraggeber schlecht aussehen lässt, werden sie ein ansehnliches Honorar aus Gebührengeldern kassiert haben. Die Firma Hager Moss hat den Film für den BR produziert.

Ein Ensemble von soliden Berufsleuten vor und hinter der Kamera kämpft nun verzweifelt gegen diesen hahnebüchenen Plot, der mit den üblichen TV-Methoden auch gar nicht plausibel darstellbar wäre, versucht mit diversen Mittelchen von der Hirnrissigkeit des Buches abzulenken. Hirnrissig im Sinne, dass es in der Realität unserer Gesellschaft nicht vorstellbar ist, dass ein Skandal dieses Ausmaßes, reihenweise ruinierte Existenzen durch Hunderttausende von Klicks im Internet, nicht ins Bewusstsein der restlichen Öffentlichkeit gedrungen sein soll; dass keines der Opfer sich weder an die juristische verfasste Öffentlichkeit noch an die Presse oder Medien außerhalb des Internets gewandt hat. Das ist reine Zombiefantasie der Autoren. Sie haben einen Zombieplot geschrieben und den wollen die Macher zurecht nicht als solchen erkennbar machen, weil dann wäre es ja kein „Tatort“, dann wäre es Sonntagabend-Trash. Mit viel Kamera- und Inszenierngshokuspokus und -firlefanz bemüht sich das Team hinter der Kamera den Eindruck von Eleganz und Modernität zu erwecken, um von diesem hinterwäldlerischen Plot, der bestenfalls Schaum aus sensationslüsterner Schlagzeilenschlägerei ist, abzulenken.

Mittel zur Entzombisierung des Plots.
Während den beiden Kommissaren durchaus anzusehen ist, dass ihnen Buch und Regie (und möglicherweise auch einige Kollegen) nicht allzu sehr behagen, täuschen sie wiederum grandios durch den Rhythmus ihres seit Jahrzehnten wie bei vorgerückten Ehepaaren eingeübten Pas-de-Deux, den sie beim gemeinsamen Betreten eines Raumes oder wenn sie mit vorgehaltenen Pistolen in Räume eindringen, hinlegen, nicht nur über den abstrusen, lebensfernen Plot hinweg, sondern sie balancieren auch noch allfällige Ansätze von Arthrose in den Knien geschmeidig aus (Ingwer wäre zu empfehlen).

Kameraspielereien zur Plotverschleierung: die Verhörsituation der beiden noch lebenden AAA-Gesellschafter hintereinander in parallelen Räumen, die Befragung gespiegelt in der Linse der, Achtung Markenwerbung: „Handycam“, durch ein Lüftungsgitter oder aufgenommen mit normaler Fiktionskamera und dies gedoppelt hintereinander und die beiden Akteure stört je die mitfilmende Kamera. Solche Spiegelungsspielereien lenken wirkungsvoll ab von einer unterirdischen Story.

Ablenkungs-Inszenierungschoreographie im prächtigen Kirchlein von Obertaufkirchen mit den beiden Kommissaren und dem Pfaffen und seinem Zauberlehrling. Ein Hin- und Hergegehe zwischen Kirchenschiff und Empore, richtig kopflos. So kann Text barock verspielt werden.

Auch die Castingabteilung versucht gegen den Plot zu halten, zu besänftigen, indem sie Schauspieler bestellt, die gar nicht erst den Anspruch haben, Realität abzubilden, „Figur-Sein“ rüberzubringen, sondern die klar zu verstehen geben, dass sie „gekonnt gelernt“ einen fremden Text präsentieren und performen und locker vorschauspielern. Die einzige Figur, die Geheimnis hat, und insofern reales „Sein“ behauptet, ist der Täter. Der sich damit vom ersten Auftritt an schon verrät.

Innere-Monolog- und Wartesituationen. Um die Leere der Figuren, die so ein hirnloser Plot impliziert, zu überspielen, gibt es zwei Intermezzis mit vorgetäuschten inneren Monologen, je nach einem Drittel des Filmes, das eine Mal werden alle möglichen Täter in Gedanken versunken gezeigt, rasch hintereinander geschnitten, das andere Mal versuchen die beiden Kommissare in schnell wechselnden, verschiedenen Positionsarrangements in ihrem Büro Klarheit über den Fall zu gewinnen. Ein Mittel, was den Eindruck von Tiefe erweckt, die der Plot nicht bietet.

Auch die Musik versucht suggestiv zu beschwichtigen. So schlimm ist das alles doch gar nicht. Es gibt hier keine Schmerzen.

Kein reeller Kaufmann würde für dieses lausig-gearbeitete, sensationslüsterne Plotwerk mit so unsolide erfundener Story 1,3 bis 1,5 Millionen Euro auf den Tisch legen. Der BR tut es. Wie viel geht davon für die Story, wie viel für deren Reparatur resp. deren Vertuschung und Halbwegs-Erträglichmachung drauf? So einen miserabel recherchierten Plot würden eingefleischte Splatter- oder Horrorfilmer für wenig Tausend Euro drehen: aber dann: „holla die Waldfee!“

Bei genauer Lektüre des Drehbuches hätte die meisten Mitwirkenden ihre Teilnahme an diesem Tatort absagen müssen (so ’n Schmarrn mach ich nicht mit). Aber es locken die Gebührengelder, die nach der Reform noch reichlicher fließen, sie locken mindestens so stark wie manche Politiker der Kuchen der große Koalition.

Geschickt und mit viel Fleiß und Aufwand verbrämter Trash. Im Grunde genommen ist die Gesellschaft, die hier skizziert wird, die sich abseits der juristisch verfassten und medialen Öffentlichkeit bewegt, eine Zombie-Gesellschaft, müsste dann korrekterweise auch als solche dargestellt werden. Das wäre echter Horror: dies mitten unter uns.

Fazit: dieser Tatort ist ein unverzeihliches Gebührenverbrennungsdesaster, weil er mit unglaublichem Aufwand versucht, den Trash, den der Plot darstellt, zu vertuschen. Redaktion: Claudia Simionescu.

Nett. Die Katze, die vorm Count-Down die Fahrbahn der beiden Fahnder kreuzt. Die schwerhörige Bayerin im Friedhof: „was is?“. Während das Studio sich zum flammenden Inferno entwickelt, versucht der Kommissar ein Verhör = Suspense. Der junge IT-Mensch, der dann doch lieber in seinem fensterlosen Kellerraum bleibt. Herr Kolbeck, der während der Befragung mit einem Metzgermesser Karotten zerhackt und dazu sagt: klar war ich wütend. Die abgefilmte Exorzismusfantasie des Kommissars. Und last not least, Werbung für die Trauerhilfe Denk unter dem Namen „Herz“. Wer bietet Trauerhilfe für diesen Tatort? Das Herz nicht, hier muss man denken.

2 Gedanken zu „Tatort: Allmächtig (TV, ARD, BR)“

  1. Vielen Dank, Nolan, „einwandfrei“ trifft insofern auf jeden Fall zu,
    als bislang niemand einen Einwand gegen die, wie Sie sagen, „Analyse“
    dieses Tatorts vorgebracht hat.

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