Halbschatten

Vielleicht waren es die drei dramaturgischen Berater, die im Abspann erwähnt sind, die den Brei verdorben haben.

Vielleicht wusste Nicolas Wackerbarth, was er uns erzählen wollte. So aber bleibt der wunderschön in Südfrankreich bei Nizza fotografierte Film (die Kamera interpretiert den Titel Halbschatten wohl als leises, pastellenes, zweiflerisches Halbhell) ein Rätsel. Der Zuschauer darf sich fragen, was uns Wackerbarth erzählen will; was ihn an seiner Hauptfigur, sie heißt Merle erfahren wir nach ungefähr einer Spielstunde, so interessiert, dass er das Gefühl hat, einen Film darüber machen zu müssen. Denn sie wirkt immer sehr angespannt, diese Figur.

Wir erfahren, dass Merle Autorin ist. Dass sie am Schreiben ist. Dass ihr die Geschichte nicht sehr wichtig erscheint. Das dürfte eine dezidierte Schnittmenge mit der Haltung des Machers zu seinem Film sein. Sie scheint eher zu interessieren, wie aus einem Gespräch mit der störend staubsaugenden Bonne zu schließen ist, wie Sprache entsteht.

Uns würde eher interessieren, wie die dröge und unnatürliche Sprachlosigkeit der Beteiligten in diesem Film entsteht. Wackerbarth interessiert vielleicht eine gestörte, einsame Frau, die eine Autorin zu sein vorgibt, und auch nur ein liebessehnsüchtiger Mensch ist, der noch dazu diese Liebessehnsucht in keiner Weise zeigen darf oder kann.

Vielleicht wusste Wackerbarth, was mit dieser Frau los ist. Merkwürdig ist schon der Anfang. Diese Frau kommt ein steiles, von Villen gesäumtes Bergsträßchen hoch. Klingelt an einer Tür. Spielt Ratlosigkeit. Spricht ins Handy. Stellt die Taschen vor der Einfahrt ab. Geht einen Abhang hoch. Zum Kacken. So kann nun ein Bewohner des Hauses mit seinem Auto zu fahren, ohne sie zu bemerken und anfangen, Dinge auszuladen. Er spricht französisch. Ins Telephon hat die Aktrice deutsch gesprochen.

Dazwischen haben wir verheissungsvolle Windbilder gesehen, die etwas ankündigen, was aber nie eintreffen wird. Wo ist Romouald, fragt sie. Der sei erst übermorgen wieder hier. Entrez. Der Alarm geht los und muss ausgeschaltet werden. Es ist von Anfang an nicht klar, welches Need diese Frau antreibt. Bedeutungsvolle Unklarheit. Sie geht den Berg hoch, als habe die Regieanweisung gelautet, gehen Sie den Berg hoch. Später sieht sie sich allein gelassen im Haus um. Den Pool dürfe sie die nächsten zwei Tage nicht benutzen, der sei giftig. Dann muss sie einen einteiligen Badeanzug angezogen haben, um eine Zigarette zu rauchen, um ratlos zu sein. Mit keinem Hinweis gibt sie zu verstehen, was sie in dieser im Moment verlassenen Villa will.

Wie sie auf einer Liege mit einem Hut bedeckt liegt, kommen ein Junge und ein kleineres Mädchen herbei, nehmen ihr den Hut weg und sagen, der gehöre ihrer Mutter. Es gibt keine Begrüßung. Offenbar kennen die Merle und umgekehrt auch. Es herrscht gegenstandhafte Neutralität zwischen denen. Keine Wiedersehensfreude, kein Hass, keine Emotion. Bedeutungsvolle Emotionslosigkeit. Bedeutungsvolle Kommunikationslosigkeit.

Die Maid, die Bonne stört Merle mit dem Staubsauger. Sie hört auf, zu saugen. Dann fängt Merle an. Dann kommt wieder die Maid dazu und saugt weiter. Bedeutungsvolle stumme Aktion.
Auf die Frage, was sie mache, antwortet Merle der Maid, dass die Geschichte simpel sei, das sei nicht das Problem.

Das Rätsel Frau ganz allgemein und ganz speziell in Südfrankreich oder das Rätsel Autorin oder das Rätsel einer guten Geschichte, das hier umschlichen wird?

Merle schläft. Sie erwacht. Es ist Nacht. Nichts ist zu hören. Sie geht um die Ecke. In der Villa ist eine Party. Die Kids feiern. Merle lächelt (sonst ist sie immer angespannt, ernst und hohlwangig). Sie ist ein Alien. Kein Realismus. Symbolismus?

Die Schauspielerin, die Merle darstellt, scheint alles für die Kamera zu machen. Ordentliche Ausführung von Regieanweisungen. Gerne raucht sie. Bedeutungsvolle Rauchproduktion: Nachdenken, Gedanken sortieren oder Existenzverlegenheit?

Eine Szene zeigt sie mit dem Mädchen Rebecca. Sie hilft ihr beim Bruchrechnen. Es geht um VW und um Prozente.

Schöne Nachtaufnahmen von Nizza von oben. Von zwei verschiedenen Villen aus, jedoch haargenau die gleichen Nachtbilder.

Der Film zeigt uns Merle ferner: mit zwei Einkaufstüten in der Stadt, am Boden liegend mit Echse daneben, beim Schwimmen im Pool, beim Kochen, bei einer verzweifelten Diskussion mit dem Konditor, weil sie den bestellten Geburtstagskuchen für Rebecca abzuholen vergessen hatte und jetzt nur eine Bankkarte hat, die nichts hergibt und zu wenig Geld, um bar zu bezahlen, dabei sei der Kuchen so wichtig, findet Rebeccas Bruder Felix, nachher bäckt Merle selber einen Kuchen, bringt den um Mitternacht zu Rebecca an den Pool. Kurz mal ins Daily Soap Fach geschaltet, alltagsrationaler Dialog und so.

Der Film zeigt uns Merle ferner: beim Abtrocknen nach dem Duschen, beim Hineinbeißen in einen Apfel, beim stehend Pizza essen, bei einer weiteren spontanen Kidsparty, beim Ficken mit dem noch nicht erwachsenen Felix, beim Einkauf eines Kleides mit einer Verkäuferin, die ihr Haar zu einem Pferdeschwanz umdekoriert.

Der Film zeigt uns Merle ferner: beim Schamhaarschneiden, bei einem Spiel mit Kugeln, bei einem Anrufversuch, der statt in einem Text in einem tiefen Schnaufer mit Auflegen endet, bei einem Anruf in Anwesenheit der Kinder, der veralbert wird, Merle beim Reinholen von Dingen von der Terrasse, weil es regnet; Gäste von Nachbarn, die nicht ins Haus können und klingeln, es sind Deutsche. Szenen über Szenen in bedeutungsvoller Halbschattenatmosphäre.

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